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Error in Persona, pVV und c.i.c. in Song und Video: Zur inhaltlichen und formalen Vielfalt juristischer Videos

  • Authors: Bettina Mielke / Christian Wolff
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Visualisation, Multisensory Law
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Bettina Mielke / Christian Wolff, Error in Persona, pVV und c.i.c. in Song und Video: Zur inhaltlichen und formalen Vielfalt juristischer Videos, in: Jusletter IT 25 February 2016
Wir nehmen eine Bestandsaufnahme juristischer Inhalte auf dem Videoportal YouTube vor, um das durchaus heterogene Spektrum juristischer Videos in den Blick zu nehmen. Nach einer Einführung in die Möglichkeiten der multimedialen Aufbereitung juristischer Inhalte unter Berücksichtigung der Medienklassifikation nach DIN EN ISO 14915-3 geben wir einen Überblick über die Größenordnung des auf YouTube vorhandenen Materials. Sodann nehmen wir eine Kategorisierung nach Formattyp und Inhalt vor und stellen wichtige Beispiele der jeweiligen Gattungen vor, wie etwa den Videoblog «BodyLaw – Jura für jedermann», die Songs des YouTube-Songwriters Paco Piano Plus oder Videorezensionen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Medienarten bei multimedialer Aufbereitung juristischer Inhalte
  • 3. Größenordnung der auf YouTube vorhandenen juristischen Inhalte
  • 4. Klassifikation der juristischen Formate auf YouTube mit Bezug zu Lehr/Lern- und Ausbildungsfragen
  • 4.1. Beiträge mit Beschränkung auf Sprachwiedergabe
  • 4.2. Sprachwiedergabe mit Folienpräsentation
  • 4.3. Vorlesungsmitschnitte
  • 4.4. Videoblogging
  • 4.5. Songs
  • 4.6. Verfilmte Rechtsfälle in der Lehrfilmreihe Tele-Jura
  • 4.7. Video-Rezensionen
  • 5. Didaktische Absicht
  • 6. Fazit
  • 7. Literatur

1.

Einführung ^

[1]
Die multimediale Aufbereitung von Inhalten jeglicher Art zur Verbreitung von Wissen bzw. Fertigkeiten ist ein seit den 1990er Jahren weit verbreitetes Phänomen. Es werden vor allem große digitale Plattformen bzw. Videoportale wie YouTube1 genutzt, in denen sich eine Fülle ganz unterschiedlicher Formate findet. Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat sich dies «von einem Nischenphänomen zu einem Massenmarkt» entwickelt (Rudolph 2014, 60 ff. m.w.N. zu den entsprechenden Nutzungszahlen). Auch Videos mit juristischen Inhalten finden sich zunehmend auf diesen Plattformen. In unserem Beitrag wollen wir eine Bestandsaufnahme der unterschiedlichen juristischen Angebote vornehmen und konzentrieren uns dabei auf das deutschsprachige Angebot auf der Plattform YouTube, die hier und weltweit den Internetvideomarkt dominiert. In Deutschland erreicht YouTube einen Marktanteil von 60 Prozent und liegt damit unangefochten vor den Konkurrenzangeboten, die meist nur einstellige Marktanteile erreichen (Ofcom 2015, 312, Abb. 6.36). Im Folgenden gehen wir auf die Möglichkeiten zur multimedialen Aufbereitung juristischer Inhalte ein und geben einen Überblick über die Größenordnung des auf YouTube verfügbaren Materials mit juristischem Bezug auch im Vergleich zu anderen Gebieten. Anschließend klassifizieren wir das vorhandene Material, das vom Vorlesungsmitschnitt über Videoblogging bis hin zu Musikclips, Lehrfilmen und Videorezensionen reicht, nach den unterschiedlichen Formaten sowie nach inhaltlichen Kriterien. Dabei stellen wir für die jeweiligen Formattypen ausgewählte Beispiele vor, wie etwa den Kanal «BodyLaw – Recht für Jedermann», die Songs des YouTube-Songwriters Paco Piano Plus, die Tele-Jura-Serie oder die Videorezensionen von Juristischer-Gedankensalat.de und erläutern Aufbau, Länge, Genre und die eingesetzten Darstellungsmittel, die Rezeption in quantitativer (Nutzungszahlen) und qualitativer (u.a. Kommentare der Nutzer) Hinsicht sowie die didaktische Absicht.

2.

Medienarten bei multimedialer Aufbereitung juristischer Inhalte ^

[2]

Seit über zehn Jahren ist die Multimedia-Norm DIN EN ISO 14915-3 zur Beschreibung und Klassifikation von Medientypen bei multimedialen Anwendungen gültig. In ihr werden die typischen Informationsarten klassifiziert und diesen die entsprechenden Medien zugeordnet (DIN EN ISO 14915-3, Kap. 6 und Anhänge B und C, vgl. Hahn/Mielke/Wolff 2014). Dabei unterscheidet die Norm auf einer ersten Stufe die Medien nach dem Realitätsbezug (realistisch/nichtrealistisch) sowie auf einer zweiten Ebene nach dem Kanal (Bild/Audio/auf Sprache beruhend) und schließlich nach der Dynamik (v.a. unbewegtes/bewegtes Bild; aufgezeichnetes natürliches/synthetisches Geräusch). Zudem benennt die Norm zwölf verschiedene Informationsarten, wobei im juristischen Kontext vor allem kausale, begriffliche und beschreibende Informationen sowie Verfahrens- und Verhältnisinformationen eine Rolle spielen dürften (vgl. dazu Hahn/Mielke/Wolff 2014, 494 ff.). Nach der Empfehlungstabelle zur Zuordnung von Informationsarten zu Medientypen kommen für die im juristischen Bereich besonders wichtigen Informationsarten vor allem das realistische und nichtrealistische unbewegte und bewegte Bild sowie Text in Betracht; als dafür unwahrscheinliche Medienarten gelten das realistische und nichtrealistische Audio und das bewegte (realistische oder nichtrealistische) Bild (Hahn/Mielke/Wolff 2014, 496). Dies befindet sich im Einklang mit den bislang am häufigsten dargestellten Ansätzen zur Rechtsvisualisierung mit einem Schwerpunkt auf dem nichtrealistischen unbewegten Bild (vgl. Hahn/Mielke/Wolff 2014, 497, 493). Die Darstellung juristischer Inhalte mit Hilfe von Videos (Bewegtbild) und Musikclips (Audio-Inhalte) ist damit eine deutliche Erweiterung des Spektrums der derzeit vor allem im Fokus stehenden Möglichkeiten zur multimedialen Aufbereitung juristischer Inhalte und nach der Multimedia-Norm zunächst eher nicht naheliegend.

3.

Größenordnung der auf YouTube vorhandenen juristischen Inhalte ^

[3]

Zunächst möchten wir einen Überblick dazu geben, in welcher Größenordnung sich Formate mit juristischen Inhalten auf YouTube befinden. Klar ist dabei, dass etwa auch Mediatheken der Universitäten oder dedizierte Online Learning-Portale umfangreiches juristisches Videomaterial bereithalten. Aufgrund der überragenden Bedeutung von YouTube (siehe oben) beschränken wir uns hier auf diese Plattform. Um das Mengengerüst einschätzen zu können, haben wir mit einschlägigen Suchbegriffen in YouTube recherchiert und die Ergebnismengen ausgewertet. In Tabelle 1 findet sich ein Vergleich zu den Ergebnissen mit anderen Suchbegriffen, um eine erste Orientierung dazu zu geben, in welcher Größenordnung sich juristisches Material finden lässt, auch im Vergleich zu anderen Disziplinen oder zu Alltagsthemen wie Kochen, Basteln oder Schminken.2 Tabelle 1 zeigt, dass sich offenbar Material in erheblicher Menge finden lässt. Zu berücksichtigen ist aber, dass gerade bei den Begriffen Jura und Jus die stark ausgeprägte Polysemie das Ergebnis verfälscht, da die Begriffe auch als Eigennamen/Markennamen, geographische oder sogar gastronomische Begriffe zu interpretieren sind.

Tabelle 1: Trefferzahlen bei der Suche nach juristischem Content auf YouTube
Suchbegriff Trefferzahl
Jura 753.000
Jura Studium 16.200
Jura Zivilrecht 1.110
Jurastudium 1.870
Jus 1.320.000
Jus Studium 818
Recht 518.000
Rechtswissenschaft 2.430
Informatik 59.000
Informatik Studium 15.600
Medizin 153.000
Medizin Studium 41.000
Kochen 364.000
Basteln 255.000
Schminken 116.000
Auto waschen 26.400
[4]
Bei Einschränkung des Begriffs durch den Zusatz «Studium» ergibt sich bereits eine starke Verringerung der Treffer. Auch zeigt sich bei Durchsicht, dass viele Angebote Video-Berichterstattungen zu einzelnen Gerichtsprozessen oder bestimmten Gesetzgebungsverfahren in Form von Online-Reportagen zum Inhalt haben und sich damit nicht primär an Juristen richten und nicht mit Bezug auf einen juristischen Lehr- bzw. Lernzweck produziert wurden. Diese Videos können zwar auch zu Ausbildungszwecken eingesetzt werden, bleiben hier aber außer Betracht, da sie nicht zu diesem Zweck erstellt worden sind. Genauso wenig werden die auf YouTube in beträchtlicher Anzahl vorhandenen «Werbefilme» einzelner Universitäten, Fakultäten oder Studiengänge berücksichtigt.

4.

Klassifikation der juristischen Formate auf YouTube mit Bezug zu Lehr/Lern- und Ausbildungsfragen ^

[5]
Zwar gibt es eine ganze Reihe von Studien zu den Formaten auf Videoportalen wie YouTube, die beispielweise danach unterscheiden, ob der Inhalt massenmedialer Herkunft oder nutzergeneriert ist (vgl. etwa Rudolph 2014, 70), oder nach der Popularität (most viewed, most favorited, most responded, most discussed, vgl. etwa Burgess/Green 2009, 91 ff.) differenzieren. Eine genauere Typologisierung der YouTube-Angebote nach dem jeweiligen Format fehlt aber bislang, da die klassischen Genres und Formate z.B. aus der Fernsehforschung oder dem Kurzfilm (Becher 2012) nicht ohne weiteres greifen (Rudolph 2014, 60). Auch die Rechtswissenschaft hat sich – vor allem im Kontext der Bereiche Rechtsvisualisierung oder multisensorisches Recht – mit dem Phänomen juristischer Videos in Form von Lehr- bzw. Lernfilmen befasst (vgl. etwa Brunschwig 2011; Čyras/Lachmayer/Lapin 2015, 204), wobei hier meist nur auf einzelne Phänomene wie etwa die Tele-Jura-Serie fokussiert wird.
[6]

Im Folgenden sollen daher die einzelnen Videos nach Kriterien klassifiziert werden, die sich an die Multimedia-Norm (siehe oben) anlehnen, wie dem Kanal (Bild/Audio/auf Sprache beruhend) oder der Dynamik (bewegtes/unbewegtes Bild), aber auch nach Inhalt (juristische Vorlesung, verfilmte Rechtsfälle) und Kommunikationssituation. Zudem werden YouTube-spezifische Formate wie das Videoblogging oder kurz Vlogging (siehe unten) berücksichtigt.

4.1.

Beiträge mit Beschränkung auf Sprachwiedergabe ^

[7]
Bei dem Kanal JuraTube/Jura zum Hören handelt es sich um ein kostenloses Online-Repetitorium, das zwar zur Einleitung der Videos eine eigens produzierte 3D-Animation einsetzt, danach bleibt das Bild aber in den meisten Videos weitgehend statisch (mit Ausnahme teilweiser Einblendungen, v.a. von Normtexten), während der Sprecher, der sich als Orator bezeichnet, in die jeweiligen Themen einführt und diese erläutert, z.B. das Konzept der Willenserklärung im Zivilrecht. Die Beiträge haben eine Länge von wenigen Minuten bis zu mehr als 35 Minuten. Die Reihe findet trotz der eher eingeschränkten medialen Mittel durchaus Resonanz mit bis zu knapp 50.000 Zugriffen für den Beitrag zur Gutachtenstechnik und überwiegend positiven Kommentaren.

4.2.

Sprachwiedergabe mit Folienpräsentation ^

[8]
Eine komplexere Variante im Vergleich zur reinen Sprachwiedergabe mit statischem Bild stellt die Koppelung von gesprochenem Vortrag mit eingeblendetem Foliensatz dar (und ggf. Folienanimationen oder Annotationen durch den Sprecher). Vielfach nutzt dieses Format der Kanal Paragraph Einunddreißig, der innerhalb der letzten beiden Jahre 124 Videos zu einem breiten juristischen Themenspektrum (Zivilrecht, Strafrecht, Staatsrecht, Prozessrecht) bereitgestellt hat, die bis zu 20.000 Aufrufe bei einer typischen Länge von fünf bis 17 Minuten pro Video erreichen. Interessant ist auch die teilweise einfallsreiche Visualisierungsstrategie (Fotos, Piktogramme, Cliparts) für die Video-Vorschaubilder (thumbnails) auf YouTube. Vereinzelt findet sich dieses Format auch bei Beiträgen des Kanals JuraTube/Jura zum Hören (siehe oben).

4.3.

Vorlesungsmitschnitte ^

[9]
Auf YouTube findet sich zudem eine Reihe von offenbar abgefilmten Vorlesungen, wenn auch zu vermuten ist, dass auf den Medienservern der Universitäten deutlich mehr Material zu finden sein dürfte. Ein mit immerhin 45.000 Aufrufen prominentes Beispiel ist die Methodenvorlesung von Ingeborg Puppe, Universität Bonn. Der Film hat typische Vorlesungslänge, ist offenkundig ungeschnitten und zeigt – abgesehen vom Startbild (siehe unten) – allein die Vortragende, die in freier Rede ihre Vorlesung hält. Eine weitere visuelle Unterstützung oder Aufbereitung (Foliensatz, Texteinblendung etc.) findet nicht statt.
[11]
Ein weiteres Beispiel mit über 20.000 Aufrufen stellt eine auf YouTube verfügbare Einheit der Vorlesung Gesellschaftsrecht I von Ulrich Noack, Universität Düsseldorf, dar, bei der neben dem Sprecherbild auch die Folien zu sehen sind, vgl. Abbildung 2.

4.4.

Videoblogging3 ^

[12]

Nach Burgess/Green (2009, 94) handelt es sich beim Videoblogging oder «Vlogging» um eine in YouTube prominent vertretene Form, die sich typischerweise dadurch auszeichnet, dass jemand einen Monolog direkt in die Kamera spricht. Es wird mit einfachen technischen Mitteln (webcam) produziert und nur unwesentlich ediert und bearbeitet. Dabei bildet das Videoblogging nicht nur einen großen Teil des nutzergenerierten Inhalts auf YouTube, sondern wird auch intensiv diskutiert. Burgess/Green sprechen diesbezüglich von einer «emblematic form of YouTube participation», die einen erheblichen Anteil der populärsten Videos ausmacht (Burgess/Green 2009, 94). Ein in der Formsprache damit verwandtes Format sind die sogenannten Tutorials, wie etwa Make-up-Tutorials (siehe oben bei Fußnote 2), deren signifikantes Muster die «mediale Herstellung von kommunikativer Nähe» ist (Reichert 2012, 104).4 Häufig sei damit auch eine «Low-Tech-Ästhetik» verbunden, «die typisch für das Online-Videoportal YouTube ist» und für «fehlende Perfektion, Improvisation und Spontaneität» stehe (Reichert 2012, 108). Die Videos seien «in der Regel ungeschnitten, grobkörnig und ohne geplante Dramaturgie», da trotz bestehender Professionalisierungstendenzen «Authentizität bei YouTubern immer noch als ein zentrales Merkmal zur Herstellung von Aufmerksamkeit» angesehen wird (Reichert 2012, 108).

[13]

Prominente Beispiele für Vlogging im juristischen Kontext sind die Videos, die im YouTube-Kanal «BodyLaw – Jura für jedermann» veröffentlicht sind (https://www.youtube.com/channel/UCa_tMl_L5BRDQIUk_hogmxw). Eine junge Frau erläutert unter dem YouTube-Namen BodyLaw vor der Kamera juristische Themen am Beispiel ihrer eigenen Erfahrungen in Studium und Referendariat.5 Dabei geht es weniger um die eigentlichen juristischen Inhalte wie etwa bei einer aufgezeichneten Vorlesung, sondern eher um methodisch-didaktische Fragen der richtigen Prüfungsvorbereitung. Der Kanal hatte Anfang 2016 mehr als 6.000 Abonnenten. Adressaten sind neben juristisch interessierten Bürgern («Jura für Jedermann»), Schüler vor der Wahl des Studienfachs, Jurastudierende und je nach Thema auch Referendare oder Berufsanfänger.

[14]
Die Szene ist dabei statisch, die Autorin wird im Brustbild von vorne in häuslicher Umgebung oder am Schreibtisch sitzend präsentiert und trägt die teilweise durchaus umfangreichen Texte frei vor. Die ästhetische Nähe zu (Video-)Tutorials, für die die «nahe Einstellung, das Brustbild der Darstellerin und der frontale Blick in die Kamera» typische Merkmale sind (Reichert 2012, 115), ist somit gegeben. Die Stilmittel dienen dabei der direkten Adressierung und stellen Identifikation, Empathie und Sympathie her (Reichert 2012, 115). Ähnliches gilt für die Serienstruktur, die das Interesse, die Identifikation der Zuseher und die Zuschauer-Bindung durch Kontinuität von Form und Person verstärkt (vgl. Reichert 2012, 116). Die Videos haben ein einheitlich gestaltetes Titelbild, das neben der Autorin im Brustbild das Logo des Kanals BodyLaw sowie handschriftlich quer positioniert den Titel des Beitrags zeigen.
[15]

Insgesamt liegen 18 Videos vor, die im Zeitraum seit Februar 2015 entstanden bzw. auf YouTube hochgeladen wurden. Die 16 eigentlichen Inhaltsvideos (zusätzliche eine kurze Einführung und ein Aufruf, Fragen einzureichen) haben eine Dauer zwischen sieben und 25 Minuten. Das Video zu «Jura / Rechtswissenschaften studieren – Voraussetzungen, Unis, Inhalte, Lernen, Vorbereitung» mit einer Länge von knapp über zehn Minuten hat mit knapp 15.000 Aufrufen die bisher größte Resonanz gefunden. Tabelle 2 zeigt eine Auswahl von Videos aus dem BodyLaw-Kanal und soll die thematische Bandbreite sowie die Nutzerresonanz illustrieren.

Tabelle 2: Kenndaten ausgewählter Videos aus dem BodyLaw-Kanal
Titel Einstellungsdatum Länge Zugriffe Kommentare Kommentare pro 1.000 Zugriffe
2. juristisches Staatsexamen – Meine Vorbereitung – Lerntipps – Mein Alltag – Rechtswissenschaften 4.1.2016 10’20’’ 1.375 12 8,73
1. juristisches Staatsexamen – Meine Vorbereitung – Lerntipps – Mein Alltag – Rechtswissenschaften 17.12.2015 19’42’’ 4.951 57 11,51
Produktplatzierung – Product Placement – Schleichwerbung auf Youtube – Sponsoring 27.10.2015 25’32’’ 4.145 61 14,72
Jura – Studium – Berufe – Einstiegsgehälter – Anwalt – Staatsanwalt – Richter 9.10.2015 18’09’’ 9.804 80 8,16
FAQ 1 – Fragen zu Jura / Rechtswissenschaften – Studium – Beruf – Alltag – Anwalt 25.9.2015 24’25’’ 7.780 60 7,71
FAQ 2 – Fragen zu Jura / Rechtswissenschaften – Studium – Beruf – Alltag – Anwalt 4.10.2015 22’29’’ 4.787 52 10,86
Schwerpunkt festlegen – Jura / Rechtswissenschaften 22.6.2015 10’52’’ 4.731 43 9,09
Versagensängste im Studium – mit Niederlagen umgehen – Motivation beim Lernen 8.6.2015 12’11’’ 9.812 68 6,93
[16]

Ein besonders produktiver YouTube-Kanal ist Rechthabender, wo YouTube-Nutzer HighBenergy innerhalb von zwei Jahren 89 Videoblogs zu juristischen Themen bereitgestellt hat, die jeweils eine Dauer von etwa drei bis zehn Minuten aufweisen. Die Vlogs mit einem recht einheitlichen und einfachen Erscheinungsbild (vgl. Abbildung 4) haben Nutzungszahlen von bis zu 3.600 Abrufen, die Mehrzahl der Videos liegt im Bereich unter 1.000 Abrufen und wird auch kaum von anderen Nutzern kommentiert.

[17]
Zahlreiche ähnliche Videoblogs z.B. zum Jura-Studium oder zur Studienmethodik lassen sich finden, für das Jus-Studium in Österreich z.B. der Beitrag Mein Studium (Rechtswissenschaften/Jus/Jura //How to: erstes Semester!, https://www.youtube.com/watch?v=l5izVAeRT0A) der YouTube-Nutzerin Mariella Bianca.

4.5.

Songs ^

[18]
Der Songwriter Paco Piano Plus hat in den vergangenen fünf Jahren vier Jura-Songs auf YouTube veröffentlicht: «Der Strafrecht-Song» (https://www.youtube.com/watch?v=kGxWGn3QWU8), «Der Verwaltungsrecht Song» (https://www.youtube.com/watch?v=S_W_5mmbENI) und «der Kaufvertrag nach 433 BGB» (https://www.youtube.com/watch?v=2KQXyI2x154) sowie zusammen mit einem Kollegen eine filmische Inszenierung einer GmbH-Gründung («GmbH-Boyz: GmbH Song», https://www.youtube.com/watch?v=WvfCkpt11N4).
[19]
Mit über 121.000 Aufrufen ist der «Strafrecht-Song» (vgl. Abbildung 5) die mit Abstand erfolgreichste Produktion. Es handelt sich um einen Song, der sich mit folgenden Themen beschäftigt: error in persona vel obiecto, Erlaubnistatbestandsirrtum und Parallelwertung in der Laiensphäre (Bierdeckel als Urkunde). Dazu liegen 57 Kommentare vor, die teilweise auf die nicht einwandfreie rechtliche Darstellung eingehen, aber auch viel Lob zollen.
[20]
Vom Aufbau her orientiert sich die Darbietung an der Struktur von Popsongs, wobei zunächst ein juristischer Sachverhalt von einem Sänger vorgetragen wird. Ein jeweils zweiter Teil mit juristischen Fragestellungen schließt sich an. Der dritte Teil bringt die juristische Auflösung. Diese Struktur wiederholt sich weitgehend für die drei Themen des Songs, am Ende folgt eine gospelartige Improvisation über das Akronym StGB.6 Der Film zeigt ein statisches Hintergrundbild, das juristische Textsammlungen und Kommentare zeigt, vor denen jeweils die aktuelle Textstrophe eingeblendet wird. Der Gesang wird durch Klavier, Schlagzeug sowie Synthesizer-Effekte unterlegt. Einen ähnlichen Aufbau zeigt auch sein Song zum Verwaltungsrecht, der kubanische Rhythmen einsetzt.
[21]
Die drei Videos zeigen eine klare Weiterentwicklung, was die Nutzung der spezifisch multimedialen Gestaltungsmöglichkeiten angeht. Während der Kaufvertragsfilm zur Tonspur nur ein statisches Bild zeigt, erfolgen im Strafrechtssong («Karaoke-Style») Texteinblendungen synchron zum Gesang. Der Verwaltungsrechtssong schließlich wechselt mit den gesungenen Textzeilen jeweils auch die graphische Gestaltung (Farbe, Typographie, schmückende Ornamente).
[22]
Raban von Buttlar stellt als YouTube-Nutzer lernfreak den juristischen Rap Vertrag, Vertrauen, Gesetz vor (https://www.youtube.com/watch?v=0yjgIWOockY), bei dem auf der Basis vorproduzierter Musik juristische Themen in gedichteter Form und vor dem Hintergrund dazu passender comicartiger Illustrationen des Autors eingeführt werden (vgl. Abbildung 6). Thematisch befasst sich der Beitrag mit der Prüfungsreihenfolge der Anspruchsgrundlagen und nennt u.a. die Ansprüche aus c.i.c. und pVV. Dabei ist es das wesentliche Stilmittel, dass der Text zusammen mit den passenden Bildern mehrfach wiederholt wird.
[23]
Einem visuell aufwendig produzierten kommerziellen Video-Clip formal am nächsten kommt der schon 2009 auf dem YouTube-Kanal Chuck Norris veröffentlichte Rap des Kölner Jura-Professors Klaus Peter Berger zu § 823 BGB (https://www.youtube.com/watch?v=d4KS5vKLNmg).
[24]
Weitere Filme anderer Autoren thematisieren Aspekte des Jura-Studiums auf parodistische Weise, z.B. «Er macht Jura *DER SONG*» von YouTube-Nutzer jurastudent384 (2008) (https://www.youtube.com/watch?v=iEYWgw63hR4) zur Melodie von Elvis Presleys In the Ghetto oder der Rap «J-COP feat. die Herrin des Verfahrens: Jura Soldaten» des YouTube-Autors MrKingJcop (https://www.youtube.com/watch?v=AyiQH4U81rM). In letzterem werden die Anstrengungen des Jura-Studiums im Format eines Rap und in einer Mischung aus juristischer und militärischer Begrifflichkeit am Beispiel des Tagesablaufs eines studentischen Jura-Soldaten plastisch besungen.

4.6.

Verfilmte Rechtsfälle in der Lehrfilmreihe Tele-Jura ^

[25]

Unter dem Account Tele-Jura finden sich insgesamt 26 Verfilmungen von bekannten Zivilrechtsfällen, die bereits seit längerer Zeit auf der eigenen Website http://www.tele-jura.de bereitstehen und seit vier Jahren auch über YouTube verfügbar sind. Im Vergleich mit typischen YouTube-Filmen fällt die deutlich stärkere Orientierung am Medium Film bzw. die aufwendigere Produktion (Vorspann, Musikunterlegung, Außenaufnahmen, Schauspiel …) auf. Da diese Lehrfilme nicht für YouTube produziert wurden und mittlerweile zudem einen hohen Bekanntheitsgrad haben dürften, erscheint eine weitergehende Darstellung hier nicht angezeigt.7 Die Aufrufzahlen variieren von 1.000 bis zu 20.000 Aufrufen.

4.7.

Video-Rezensionen ^

[26]
Ein weiteres Format kann man als Video-Rezensionen bezeichnen. So werden unter dem YouTube-Namen Juristischer-Gedankensalat.de u.a. juristische Bücher rezensiert. Es finden sich Rezensionen zu Lehrbüchern, aber auch Tagungsbänden und Kommentaren sowie eine Rezension zu der App jurashooter BGB (https://www.youtube.com/watch?v=kk8iyuGmgwM). Als Beispiel sei die Rezension von Lern- und Arbeitstechniken für das Jurastudium von Bernhard Bergmans im Verlag Boorberg genannt (https://www.youtube.com/watch?v=sd3wGCSVIRM).
[27]

Bei diesem Format werden die Rezensionen gesprochen, zur Illustration werden das Buch-Cover (oder im Fall der App Screenshots), die Inhaltsangabe, einzelne Seiten, markante Textstellen oder auch eigene Kommentare eingeblendet. Die Rezensentin gibt dabei einen Überblick über den Inhalt und anschließend ihre Bewertung ab, wobei sie diese – unterlegt mit dem Bild eines Hämmerchens, wie man es von amerikanischen Gerichten kennt – auf die Urteilsformel anspielend mit den Worten Im Namen der Rezensorin ergeht folgendes Urteil einleitet. Die Rezensionen haben in der Regel zwischen 200 und 500 Aufrufen und werden kaum kommentiert.

5.

Didaktische Absicht ^

[28]

Hinsichtlich der jeweils zugrundeliegenden didaktischen Intention dürften die in Kapitel 4.1. bis 4.3. beschriebenen Formate im Vergleich zu den anderen am stärksten auf den Gesichtspunkt der reinen Wissensvermittlung fokussieren. Darüber hinaus geben die Kanalinformationen auf YouTube Hinweise zur kommunikativen bzw. didaktischen Absicht der Autoren: So schreibt etwa HighBenergy über seine Vlogs: «Sie […] richten sich an Jurastudenten, Schüler in der Phase der Studienwahl und an interessierte Bürger, die gern mehr über unser Recht erfahren wollen.»8 Paco Piano Plus beschreibt sich mit leichter Selbstironie als «Jurastudent der Ludwig-Maximilians-Universität München im 9. Semester, nebenbei Event-Pianist und Songwriter juristischer Songs ;)», Anne Kissner vom Kanal BodyLaw hält fest: […] «hier findet Ihr Videos zu interessanten rechtlichen Themen, welche ich so einfach wie möglich darstelle. Daneben beschäftigt sich der Kanal auch mit der juristischen Ausbildung und seinen kleinen Tücken.» […] «Die Videos dienen lediglich interessierten Menschen, welche etwas mehr über das deutsche Recht erfahren wollen» und JuraTube bringt es in eigener Sache knapp auf den Punkt: «Jura leicht erklärt !».

6.

Fazit ^

[29]

Insgesamt zeigt sich eine große Fülle von unterschiedlichen Formaten. Die Länge der Formate variiert, liegt aber mit Ausnahme der Vorlesungsmitschnitte meist in einem Bereich zwischen fünf und maximal 20 Minuten. Der für YouTube besonders charakteristische und mit einfachen technischen Mitteln produzierbare Videoblog sticht besonders hervor. Dabei dürfte es im Vergleich etwa mit Vorlesungsmitschnitten eher um die Vermittlung von Fertigkeiten (Klausurtipps etc.) gehen und daneben um Identifikation und Authentizität in dem Sinn, «wenn ich es geschafft habe, dann schafft ihr es auch». Die Musikvideos zeichnen sich dadurch aus, dass durch die Musik andere Sinnesbereiche angesprochen werden können und sich damit die vermittelten Inhalte möglicherweise leichter einprägen lassen. Diesem Zweck dient auch die nicht untypische Wiederholung von Liedzeilen, was ganz deutlich bei dem juristischen Rap Vertrag, Vertrauen, Gesetz zur Reihenfolge der zu prüfenden Anspruchsgrundlagen zutage tritt. Bei der Lehrfilmreihe Tele-Jura dürfte die höhere Anschaulichkeit durch Umsetzung juristischer Standardfälle in Kurzfilme mit Drehbuch, Schauspielern etc. im Vordergrund stehen und die damit gegebenenfalls höhere Einprägsamkeit.

[30]

Hinsichtlich der Nutzerzahlen ist interessant, dass das mit eher geringen darstellerischen Mittel produzierte Format des Kanals JuraTube/Jura zum Hören durchaus hohe Aufrufzahlen hat, z.T. mehr als die aufwendig produzierte Reihe Tele-Jura. Ähnliches gilt für die ebenfalls eher statischen Formate der Vorlesungsmitschnitte oder Präsentation von Foliensätzen mit entsprechenden Erklärungen, die der reinen Wissensvermittlung dienen. Gleichzeitig werden aber auch die nicht primär der Wissensvermittlung dienenden Videoblogs häufig aufgerufen, wobei die verschiedenen Blogs unterschiedlich rezipiert werden. Anzunehmen ist aber in jedem Fall, dass auch die Rechtswissenschaft das nun einfacher verfügbare Medium Bewegtbild künftig stärker nutzen wird – viele der hier betrachteten YouTube-typischen Formate sind erst in den letzten Jahren entstanden (so etwa BodyLaw und HighBenergy), was auf einen möglicherweise erst beginnenden Trend hindeuten könnte.

7.

Literatur ^

Becher, Frank, Kurzfilmproduktion, Konstanz/München: UVK, 2012.

Brunschwig, Colette R. (2011), Legal Education Films for Law Students, Blog-Beitrag, 2011, online: http://community.beck.de/gruppen/forum/audio-visual-law/legal-education-films-for-law-students.

Burgess, Jean; Green, Joshua (2009), The Entrepreneurial Vlogger: Participatory Culture Beyond the Professional-Amateur Divide. In: Snickars, Pelle; Vonderau, Patrick (Hrsg.), The YouTube reader, Stockholm: Schwedische Nationalbibliothek [= Mediehistoriskt arkiv, Band 12], 2009, 89–107.

Čyras, Vytautas/Lachmayer, Friedrich/Lapin, Kristina, Structural Legal Visualization, Informatica, 26 (2), 2015, 199–219.

Hahn, Tamara/Mielke, Bettina/Wolff, Christian, Klassifikation von Darstellungsformen in der Rechtsvisualisierung. In: Schweighofer, Erich/ Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz, Proceedings 17. Internationales Rechtsinformatik-Symposion Salzburg (IRIS 2014), Wien: Österreichische Computer-Gesellschaft (ÖCG), 2014, 491–502.

Ofcom, International Communications Market Report 2015, Research Document, 10. Dezember 2015, London: Ofcom, 2015, online: http://stakeholders.ofcom.org.uk/binaries/research/cmr/cmr15/icmr15/icmr_2015.pdf.

Reichert, Ramón, Make-up-Tutorials auf YouTube, Zur Subjektkonstitution in Sozialen Medien. In: Abend, Pablo, Haupts, Tobias und Müller, Claudia (Hrsg.), Medialität der Nähe: Situationen – Praktiken – Diskurse, Bielefeld: transcript, 2012 [=Locating Media/Situierte Medien Bd. 3], 103–118.

Rudolph, Dominik, YouTube und Fernsehen: Konkurrenz oder Ergänzung? Eine mehrstufige, vergleichende Analyse aus Nutzersicht unter besondere Berücksichtigung der Digital Natives, Baden-Baden: Nomos, 2014 (zugl. Diss. Phil. Münster 2014).

  1. 1 Bei YouTube handelt es sich um ein 2005 gegründetes Videoportal des US-amerikanischen Unternehmens YouTube, LLC, seit 2006 eine Tochtergesellschaft von Google, vgl. dazu https://www.youtube.com/yt/about/de/.
  2. 2 Letzterer Bereich war in Form des Genres der Make-up-Tutorials, einem beliebten Online-Videoformat, bereits Gegenstand der Forschung, vgl. Reichert (2012, 103): «Die Online-Videoplattform YouTube archiviert derzeit mehr als 130.000 Make-up-Tutorials (Stand: September 2010). […] Sie werden überwiegend von weiblichen Jugendlichen in Selbstinszenierungen produziert und vermitteln in erster Linie persönliches Erfahrungswissen im Feld des Lifestyles und der Körpertechnik, das im Unterschied zu einem Handbuch oder einem Nachschlagwerk ein show how in peer-to-peer-Netzwerken anbietet.» Im Januar 2016 erzielen der Suchbegriff «Make up» 64 Mio. Treffer und die Begriffskombination «Make up Tutorial» 41 Mio. Treffer (!).
  3. 3 Für wertvolle Hinweise zum Videoblog als zentraler Kategorie des user generated content auf YouTube danken wir der Regensburger Medienwissenschaftlerin Solveig Ottmann.
  4. 4 Reichert (2012, 104) führt dazu aus: «Nähe ist vielschichtig und nicht immer im Videobild selbst zu finden. Jenseits der Mise-en-scène wird im schriftlichen Kommentar oft eine entscheidende Geste gesetzt: Sie deklariert das Video als work-in-progress, das ohne Absicht auf Vollendung gedreht wurde.»
  5. 5 Die Autorin – Anne Kissner – gibt sich in den Kanalinformationen als selbständig tätige Rechtsanwältin zu erkennen und produziert daneben einen weiteren YouTube-Kanal («BodyKiss»), der sich mit Fragen der Fitness und Ernährung befasst und sich einer regen Nachfrage mit mehr als 150.000 Abonnenten erfreut.
  6. 6 Dem Regensburger digital humanist und Musiker Manuel Burghardt verdanken wir folgende Kurzanalyse zum Aufbau des Songs: Intro (2 Takte A) / Strophe I «Jäger» (4 Takte): AABA Refrain I: CCCD / Strophe II «Rocker» (5 Takte): AAAAB / Refrain II: CCCD Strophe III «Säufer» (4 Takte): AAAB Refrain III: CCCD / Schluss: StGB.
  7. 7 Die einzelnen Fälle werden auf der juristischen Website Kassel Law des Instituts für Wirtschaftsrecht (IWR) an der Universität Kassel jeweils von den Autoren des Kassel Law-Teams kurz vorgestellt und rezensiert, vgl. http://www.iwr.uni-kassel.de/law/archives/category/projekte_und_multimediales_lernen/tele-jura.
  8. 8 Quelle: Kanalinfo-Seite des Nutzers auf YouTube, z. B. https://www.youtube.com/user/HighBenergy/about.