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Sound-Sampling – Aktuelle Entwicklungen im Streit um den Klang

  • Author: Raphael Elia Schanda
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: IP Law
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Raphael Elia Schanda, Sound-Sampling – Aktuelle Entwicklungen im Streit um den Klang, in: Jusletter IT 25 February 2016
Zeiten des Umbruchs in der Musikindustrie: Der Musikverlag EMI Production Music hat vor kurzem eine «Amnestie» für die Verwendung von musikalischen Samples verkündet. Auch der inzwischen berühmt-berüchtigte «Metall auf Metall Rechtsstreit» scheint in die nächste Runde zu gehen: Diesmal geht es um die Kunstfreiheit. Die beiden Entwicklungen werden zum Anlass genommen, die gelebte Praxis des Sound-Samplings kritisch zu kommentieren. Ob die «Amnestie» erfolgversprechend ist und was das deutsche Bundesverfassungsgericht zum Thema Sampling sagt, ist Inhalt dieses Beitrags.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Alles nur geklaut?
  • 3. Amnestie für Sampling – Der Anfang einer Lösung?
  • 3.1. Wer ist EMI?
  • 3.2. Was bietet EMI?
  • 3.3. Wo ist der Haken?
  • 3.4. Fazit
  • 4. Metall auf Metall, die Dritte
  • 4.1. Vorgeschichte
  • 4.2. Recht auf Sampling?
  • 4.3. Ausblick
  • 5. Fazit
  • 6. Literatur

«Take a tune, sing high when they sing low, sing fast when they sing slow, and you’ve got a new tune.»

Woody Guthrie

1.

Einleitung ^

[1]
Dank inzwischen nahezu grenzenlos scheinender technischer Möglichkeiten, hat sich Sound-Sampling fest in der modernen Musikproduktion etabliert. Dabei handelt es sich einerseits um den Vorgang der Aufnahme konkreter Klangsequenzen, andererseits um den Vorgang der Ausarbeitung oder Gestaltung entnommener Tonsequenzen durch computergesteuerte Vorrichtungen.1
[2]

Es werden also einzelne Tonsequenzen (sogenannte Samples) digital aufgenommen oder extrahiert und anschließend in bearbeiteter Form in das eigene Musikkonzept integriert. Dieses «musikalische Recycling»2 gewann mit der zunehmenden Kommerzialisierung von Computern ab den 1980er Jahren zurecht an Bedeutung, schließlich ist jeder jemals aufgenommene Ton potentiell sampelbar. Der Umfang des zur Verfügung stehenden Instrumentariums ist gewaltig und ermöglicht es, Musikkompositionen binnen weniger Stunden zu arrangieren. Beherrscht man nämlich einige Grundtechniken, können ganze Musikstücke aus vorhandenem Material hergestellt werden.3 Durch Verwendung einer Vielzahl von Samples wird ein neues Ganzes geschaffen. In diesem Zusammenhang wird auch treffend von Toncollagen gesprochen.4 Dass hierbei in fremde Interessen eingegriffen werden kann, liegt auf der Hand; und das wirft viele ungeklärte Rechtsfragen auf.

[3]
Wie erfolgreich Sound-Sampling auch hierzulande betrieben wird, hat das österreichische Produzenten-Duo «Klangkarussell» eindrucksvoll bewiesen: Deren Titel «Sonnentanz» wurde im Herbst 2011 auf dem Musikportal SoundCloud veröffentlicht und eroberte die internationalen Verkaufscharts im Sturm.5 Auf YouTube wurde der Titel Millionen Mal aufgerufen und am 1. Mai 2013 schließlich mit dem Amadeus Austrian Music Award, dem größten österreichischen Musikpreis im Bereich der Popmusik, in der Rubrik «Song des Jahres» ausgezeichnet.6 Der preisgekrönte Song besteht fast ausschließlich aus Samples eines sogenannten Sample-Packs,7 das online erworben werden kann.8

2.

Alles nur geklaut? ^

[4]

Heutzutage kommt kaum eine Musikproduktion gänzlich ohne Samples aus. Trotz dieser massiven Verbreitung und der daraus resultierenden überwältigenden Bedeutung für die Musikwirtschaft, scheint Sound-Sampling nach wie vor verpönt zu sein. Der schöpferischen Leistung des Sampelnden wird aufgrund des einfach anmutenden «Strickmusters» häufig die Qualität abgesprochen. Viele Musiker sehen sich in ihrer Integrität als ernsthafte Künstler verletzt und lehnen diese «bequeme» Kompositionsmethode gänzlich ab. Die Angst vor einem «Klang-Klau»9 scheint die Debatte zu dominieren, schließlich sind Urheberrechtsverletzungen quasi vorprogrammiert. Eine Akzeptanz dieser modernen Kunstform schreitet nur zögerlich voran. So galt etwa bis vor kurzem ein generelles Verbot von Samples für einen Großteil der Kategorien des Grammy Awards; die einflussreiche Recording Academy änderte erst 2014 ihre Regeln zur Vergabe des weltweit prestigeträchtigsten Musikpreises.10

[5]
Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die Manipulation des Klangs mittlerweile zu einer Kunst geworden ist.11 Es braucht zweifellos bemerkenswerte, durch jahrelanges Training entwickelte schöpferische Qualitäten und Fertigkeiten eines Musikers, um aus der Inspirationsquelle bereits vorhandener Klänge etwas Weiterführendes, künstlerisch Eigenständiges zu schaffen. Sound-Sampling ist längst kein rein technischer Vorgang mehr, sondern hat sich zu einer «postmodernen Kultur- und Kunstschöpfungstechnik» entwickelt.12
[6]
Die Praxis der Bezugnahme auf bereits Bestehendes ist auch in der Musikgeschichte nicht grundlegend neu: Es liegt im Wesen der Musik, auf bereits bestehenden Klangstrukturen aufzubauen. Die Hommage an den verehrten Künstler ist in der klassischen Musik oder im Jazz längst etabliert.13 Warum sollte das nicht auch für das Sound-Sampling gelten?
[7]
Diese diffizile Abwägung beschäftigt Lehre und Rechtsprechung bereits seit Jahrzehnten, jedoch herrscht bis heute keine Rechtssicherheit. Insbesondere in den US-amerikanischen Gerichtsentscheidungen sucht man den roten Faden bislang vergeblich.14 Umso spannender erscheinen folgende neue Entwicklungen in diesem Bereich, die die Musikindustrie tiefgreifend umgestalten könnten.

3.

Amnestie für Sampling – Der Anfang einer Lösung? ^

[8]
Im September 2015 gab der Musikverlag EMI Production Music (im Folgenden EMI) in einer Presseaussendung15 eine sechsmonatige «Sampling Amnestie» bekannt. Die Nachricht kam überraschend und sorgte für ein enormes Echo in der Musikbranche. Schließlich bietet der Musikverlag nicht nur den Erwerb von entsprechenden Lizenzrechten zu attraktiven Tarifen an, sondern verzichtet sogar auf rückwirkende Lizenzgebühren. Musiker, die bislang unbemerkt gesampelt haben, können in diesem Zeitraum die notwendigen Rechte erwerben und müssen diese für die Vergangenheit nicht «nachkaufen».
[9]
Diese neuartige Tabula-rasa-Strategie der Rechteinhaber sorgte einerseits für Freudensprünge, anderseits aber auch für Skepsis unter vielen Musikproduzenten. Folgende Überlegungen sollen die Strategie von EMI plausibel machen.

3.1.

Wer ist EMI? ^

[10]
Als Musikverlag verfügt EMI über die Rechte an der Aufnahme eines Musikwerkes, sobald ihnen diese von den Urhebern vertraglich übertragen worden sind. Da sich sampelnde Künstler naturgemäß an solchen Tonaufnahmen bedienen, haben auch zwangsläufig die Musikverlage ein Wörtchen mitzureden. Als Teil von Sony/ATV verfügt EMI über ein beträchtliches Repertoire, immerhin führt die Muttergesellschaft den Markt mit einem Anteil von fast 30% des weltweiten Branchenumsatzes unangefochten an.16

3.2.

Was bietet EMI? ^

[11]
Mit seiner Amnestie will der Musikverlag Künstler ansprechen, die sich in der Vergangenheit an Samples aus dem EMI-Katalog bedient haben, ohne sich um die notwendige Lizenzierung (sogenannte Sample Clearance17) gekümmert zu haben. Der Rechteinhaber verzichtet außerdem ausdrücklich auf rückwirkende Gebühren und hat angekündigt, keine rechtlichen Schritte einzuleiten, wenn der Sampelnde innerhalb der Frist eine Einigung sucht. Aufgrund des extensiven Rechteumfangs fungiert EMI außerdem als zentrale Kontaktperson für sämtliche Samples und erleichtert somit den Lizenzierungsprozess ungemein.18
[12]
Kurzgesagt: EMI ermöglicht eine One-stop-shop-Legalisierung sämtlicher Musikproduktionen eines Künstlers: «Clear a sample with EMI and youre done, end of process.»19

3.3.

Wo ist der Haken? ^

[13]

Die Unterstellung, dass EMI mit seiner Amnestie nicht nur die Interessen der sampelnden Musiker verfolgt, ist nicht ganz unbegründet. Denn im selben Atemzug droht der Musikverlag, diejenigen mit aller Härte zu verfolgen, die von der Amnestie keinen Gebrauch machen und ihre Samples nicht offenlegen. Diese Haltung des übermächtigen Musikriesen ist insbesondere im Lichte der u.U. existenzvernichtenden Ausmaße von Copyright-Infringement-Prozessen durchaus einschüchternd. EMI befindet sich nun in der bequemen Situation, abwarten zu können, bis die potentiellen Urheberrechtsverletzer selbst an die Türe klopfen, um sich dem neuen Regime zu fügen.

[14]

Einer zentralen Fragestellung des Sound-Samplings wird hier jedoch völlig aus dem Weg gegangen: Denn nicht jedes Sample muss zwangsläufig gecleared werden. Insbesondere bei besonders kurzen Klangsequenzen sind Eingriffe in fremde Rechte ohnehin zweifelhaft.20 Mangels Urheberrechtsverletzung wären Lizenzgebühren erst gar nicht fällig.

[15]
Für EMI hat sich seit der Ankündigung eine neue Einnahmequelle ergeben. Immerhin werden alte Aufnahmen, die ohnehin kaum mehr kommerzielle Verwendung finden, aber beliebte Quellen für hochwertige Samples darstellen, zu neuen Verdienstmöglichkeiten wiederbelebt – und das Jahrzehnte nach deren Veröffentlichung.

3.4.

Fazit ^

[16]
Der drastische Schritt von EMI hat wohl auch einen wirtschaftlichen Hintergrund, ist aber der erste ernstzunehmende Annäherungsversuch der Musikindustrie an die gelebte Praxis des Sound-Samplings.21 Der Musikverlag scheint im Sample Clearance Verfahren einen lukrativen Geschäftszweig erkannt zu haben und möchte sich als offenes und serviceorientiertes Unternehmen darstellen. Musiker haben erstmals die Möglichkeit, ihre Werke auf unkompliziertem Wege abzusichern. Dieser noch nie dagewesene Dialog ist insbesondere im Interesse eines respektvollen Umgangs von Musikindustrie und -produzenten jedenfalls zu begrüßen.
[17]
Etwas ungeschickt erscheint mir jedoch die Terminologie einer «Amnestie». Der Begriff impliziert nämlich illegales Verhalten, ein solches liegt aber nicht zwangsläufig vor. So wäre die Bezeichnung etwa als «Sampling Settlement» angemessen und wertfrei formuliert.
[18]
Das Angebot von EMI ist sicherlich ein Eingeständnis dafür, dass der Musikmarkt in diesem Bereich kaum zu überblicken und Rechtssicherheit nur schwer zu erreichen ist. Dem eigentlichen Problem wird nämlich geschickt aus dem Weg gegangen.
[19]
Ob die neuartige Strategie von der Gegenseite angenommen wird, bleibt vorerst abzuwarten. Für Freudensprünge von Musikproduzenten ist es wohl noch zu früh, einen Schritt in die richtige Richtung geht EMI aber allemal.

4.

Metall auf Metall, die Dritte ^

[20]

Seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten beschäftigt ein etwa zwei Sekunden kurzes Sample des Songs «Metall auf Metall»22 der deutschen Kult-Band Kraftwerk die deutschen Gerichte. Jahre nach dessen Veröffentlichung sampelten die Musikproduzenten Moses Pelham und Martin Haas die Rhythmussequenz und bauten sie unter fortlaufender Wiederholung (sogenannter loop) in den Titel «Nur Mir»23 der Sängerin Sabrina Setlur ein.

4.1.

Vorgeschichte ^

[21]
Kraftwerk wehrte sich zunächst mit einer Klage auf Unterlassung und Schadenersatz.24 Der Rechtsstreit durchlief in der Folge den Instanzenzug gleich zwei Mal und brachte schließlich zwei Entscheidungen des BGH hervor.25 Den Kern des Urheberrechtsstreits bildete die Frage, ob Sound-Sampling zustimmungsfrei zulässig ist. Das deutsche Höchstgericht verneinte dies und stellte im Wesentlichen fest, dass bereits die Entnahme kleinster Tonfetzen grundsätzlich in das Recht des Tonträgerherstellers nach § 85 deutsches Urheberrechtsgesetz (dUrhG) eingreifen kann – unabhängig davon ob ein eigener Werkschutz des Urhebers besteht. Eine freie Benutzung nach § 24 dUrhG kommt dann in Frage, wenn es einem durchschnittlich befähigten und ausgestatteten Musikproduzenten nicht möglich ist, die Tonaufnahme in gleichwertiger Weise selbst einzuspielen. Im konkreten Fall vertrat der BGH die Meinung, dass die Sequenz selbst hätte produziert werden können, Pelham und Haas somit die Herstellung und den Vertrieb ihrer Tonträger zu unterlassen hätten, die bestehenden Tonträger vernichten müssten und den Klägern schadenersatzpflichtig seien.

4.2.

Recht auf Sampling? ^

[22]
Doch das letzte Wort scheint in dieser Sache noch lange nicht gesprochen zu sein: Denn jetzt beschäftigt sich das deutsche Bundesverfassungsgericht mit dieser Angelegenheit. In einer Verfassungsbeschwerde26 machten die Musikproduzenten insbesondere eine Verletzung ihres Grundrechts auf Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des deutschen Grundgesetzes (dGG) geltend: Das Sampling bewirke nur einen geringfügigen Eingriff in die Rechte der Tonträgerhersteller, ohne Gefahr spürbarer wirtschaftlicher Nachteile, weshalb das Interesse des Tonträgerherstellers am Schutz seines geistigen Eigentums gegenüber der künstlerischen Entfaltungsfreiheit zurücktreten müsse.27
[23]

Das Bundesverfassungsgericht widmete sich diesem Thema am 25. November 2015 in einer seiner seltenen mündlichen Verhandlungen, insbesondere um zu klären, inwieweit die Rechtsprechung des BGH die künstlerische Freiheit einschränke und um die wirtschaftliche Bedeutung von Samplinglizenzen zu eruieren.28 Folgende Überlegungen sind für die derzeit anhängige Verfassungsbeschwerde beachtlich:29

[24]
Aufgrund der strengen Judikaturlinie des BGH ist das Sampeln fremder Tonträger de facto verboten und bedarf jedenfalls einer Zustimmung des Tonträgerherstellers. Musiker sollen – so der BGH – ihre Samples selbst einspielen anstatt auf das Original zurückzugreifen. Nur wenn es dem «Durchschnittsproduzenten» nicht möglich ist, die Tonaufnahme in gleichwertiger Weise selbst einzuspielen («Substitutions-Alternative») darf zustimmungsfrei gesampelt werden. Diese Argumentation weist nicht unerhebliche Schwächen auf: So erscheinen besonders komplexe und kunstvoll gestaltete Samples eher schützenswert als das «Durchschnittssample». Geschützt werden hier jedoch die banalen und nicht die überdurchschnittlichen, einzigartigen Klänge. Auf die Zumutbarkeit eigener Einspielung soll es gerade nicht ankommen. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 dGG erscheint durchaus plausibel.
[25]
Auch eine wirtschaftliche Betrachtung ist geboten: So kann sich die Verwertung von Tonträgern, die Samples enthalten, sogar vorteilhaft auf die Originaltonträger auswirken, da deutliche Absatzsteigerungen bei den gesampelten Tonträgern zu beobachten sind.30 Der drastische Eingriff in den künstlerischen Gestaltungsspielraum des Musikers wirkt daher umso fragwürdiger. Ähnlich fiel auch die Stellungnahme der deutschen Bundesregierung zur gegenständlichen Verfassungsbeschwerde aus: Statt sich grundsätzlich gegen den zustimmungsfreien Einsatz von Samples einzusetzen war sie der Ansicht, dass das Recht der Tonträgerhersteller die kulturelle Fortentwicklung nicht behindern dürfe, soweit diesen kein wirtschaftlicher Schaden drohe.
[26]
Die damit an die Zulässigkeit des Sound-Samplings gestellten Anforderungen erweisen sich vor dem Hintergrund des auch im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 dGG anwendbaren Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und im Rahmen der Abwägung der Interessen des Tonträgerherstellers nach Art. 14 Abs. 1 dGG und des ausübenden Künstlers nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 dGG als verfassungswidrig, die Verfassungsbeschwerde ist somit begründet.31

4.3.

Ausblick ^

[27]
Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird für die kommenden Monate erwartet. Jedoch wurde in der mündlichen Verhandlung noch eine weitere Problematik, betreffend die Rechtsnatur der freien Benutzung nach § 24 dUrhG, erörtert: Der BGH sprach nämlich aus, dass es sich bei dieser Bestimmung der Sache nach um eine «Schranke des Urheberrechts» handle.32 Die zulässigen Beschränkungen bzw. Ausnahmen des Urheberrechts sind jedoch EU-weit harmonisiert und in der InfoSoc-RL33 taxativ aufgezählt; von einer «freien Benutzung» fehlt hier jede Spur.
[28]
Sieht man im § 24 dUrhG also eine solche Schrankenregelung, verstößt diese somit gegen die Vorgaben der Richtlinie. Da sich der BGH mit dieser europarechtlichen Komponente überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, scheint es nun denkbar, dass sich das Bundesverfassungsgericht in der Sache selbst überhaupt nicht äußert, sondern vielmehr an den BGH zurückverweist und die Vorlage an den EuGH fordert. Von der Einbringung einer Vorlagefrage dürfte im konkreten Fall unter Heranziehung der Acte-clair-Doktrin nur abgesehen werden, wenn keinerlei entscheidungserhebliche Auslegungszweifel an der Richtlinie bestünden.34 Angesichts der ohnehin kontrovers diskutierten Thematik, ist jedoch von einem solche Acte-clair nicht auszugehen.35
[29]
Moses Pelham und Martin Haas scheinen also abermals neue Hürden überwinden zu müssen. Ein Ende dieses ohnehin schon langwierigen Rechtsstreits dürfte wieder in weite Ferne gerückt sein.

5.

Fazit ^

[30]
Ob man die aktuelle Debatte von der Seite der Rechteinhaber oder der der Sampling Künstler betrachtet, eines steht fest: Sound-Sampling ist gekommen, um zu bleiben. Langsam scheint das Stigma zu verblassen und diese zeitgemäße Form der Musikproduktion sich als respektable, kreative, künstlerische und schöpferische Leistung zu etablieren.
[31]
Der Musikverlag EMI greift mittlerweile zu drastischen Mitteln, gesteht sich aber gleichzeitig ein, dass der Kampf eigentlich nicht zu gewinnen ist. Stattdessen werden Musiker aktiv in den Lösungsprozess miteinbezogen – in meinen Augen der einzig vernünftige Weg. Ob EMIs Strategie aufgeht und möglicherweise sogar Beispielwirkung hat, bleibt abzuwarten.
[32]
Auch bei Metall auf Metall ist vorerst einmal Warten angesagt. Das Verhältnis zwischen Urheberrecht und Kunstfreiheit ist das eigentliche Kernproblem, es erscheint jedoch durchaus denkbar, dass sich zunächst der EuGH mit der Bedeutung von Samples auseinandersetzen wird. Kommt das Bundesverfassungsgericht zum Schluss, dass eine Vorlagepflicht an den EuGH besteht, wäre es schade, wenn es den eigentlichen Knackpunkt in diesem Rechtsstreit völlig unberücksichtigt ließe. Eine kurze Stellungnahme in einem obiter dictum wäre wünschenswert. Außer Frage steht jedenfalls, dass der Ausgang dieses Verfahrens für weite Teile der Branche Bedeutung haben wird.

6.

Literatur ^

Ciresa, Meinhard, Österreichisches Urheberrecht, Loseblattsammlung, Stand Dezember 2013.

Deutscher Anwaltverein (DAV), Verfassungsrechtsausschuss und Ausschuss Geistiges Eigentum, Stellungnahme Nr. 57/2015.

Deutsche Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), Stellungnahme Nr. 39/2015.

Häuser, Markus, Sound und Sampling, Der Schutz der Urheber, ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller gegen digitales Soundsampling nach deutschem und US-amerikanischem Recht (2002).

Hoeren, Thomas, Sounds von der Datenbank – Zur urheber- und wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Samplings in der Popmusik, in GRUR 1989, S. 11.

Jacke, Christoph/Kimminich, Eva/Schmidt, Siegfried J., Kulturschutt: Über das Recycling von Theorien und Kulturen (2006).

Kainz, Patrick Onyemaechi, Amnestie für Sampling – Ein unmoralisches Angebot?, in Film, Sound & Media 12/2015.

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Moser, Rolf / Scheuermann, Andreas, Handbuch der Musikwirtschaft6 (2003).

Münker, Reiner, Urheberrechtliche Zustimmungserfordernisse beim Digital Sampling (1994).

Said, Amir, The Art of Sampling: The Sampling Tradition of Hip Hop/Rap Music & Copyright Law (2015).

Salagean, Emil, Sampling im deutschen, schweizerischen und US-amerikanischen Urheberrecht (2008).

Schulze, Gernot, Urheberrecht und neue Musiktechnologien, in ZUM 1994, S. 15.

Schuster, W. Michael, Fair Use, Girl Talk and Digital Sampling: An Empirical Study of Music Sampling’s Effect on the Market for Copyrighted Works, Oklahoma Law Review Vol. 67, S. 443, 28. Juli 2015, http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2340235## (= http://bit.ly/1QI0pAN).

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Spieß, Andreas, Urheber- und wettbewerbsrechtliche Probleme des Sampling in der Popmusik, in ZUM 1991, S. 524.

Schricker, Gerhard / Loewenheim, Ulrich, Urheberrecht4 (2010).

Tenschert, Holger Johannes, Ist der Sound urheberrechtlich schützbar? in ZUM 1987, S. 612.

Würtenberger, Gert / Loschelder, Michael, Stellungnahme der GRUR zur Verfassungsbeschwerde der P-GmbH u.a. in Sachen «Metall auf Metall» (1 BvR 1585/13), GRUR 2015, S. 861.


Grand Upright Music, Ltd v. Warner Bros. Records, Inc., 780 F.Supp. 182 (S.D.N.Y. 1991).

Campbell v. Acuff-Rose Music, Inc., 510 U.S.569 (1994).

LG Hamburg, 308 O 90/99.
OLG Hamburg, 5 U 48/05 = GRUR-RR 2007, S. 3.

BGH 20. November 2008, I ZR 112/06, Metall auf Metall.

BGH 13. Dezember 2012, I ZR 182/11, Metall auf Metall II.

EuGH 6. Oktober 1982, C-283/81, CILFIT/Ministero della Sanità.


  1. 1 Spindler in Schricker/Löwenheim, Urheberrecht4 § 31a Rz. 43; Salagean, Sampling im deutschen, schweizerischen und US- amerikanischen Urheberrecht (2008) S. 21.
  2. 2 Köhn, Die Technisierung in der Popmusikproduktion – Probleme der «kleinen Münze» in der Musik, ZUM 1994, S. 278.
  3. 3 Diese Kompositionstechnik, die auf extensiver Nutzung von Samples aufbaut, wurde im Jahre 1996 von dem Musiker DJ Shadow auf die Spitze getrieben: Mit «Endtroducing.....» veröffentlichte er das erste Album, das ausschließlich aus Samples besteht.
  4. 4 Hoeren, Sounds von der Datenbank – Zur urheber- und wettbewerbsrechtlichen Beurteilung des Samplings in der Popmusik, GRUR 1989, S. 11 (S. 12); Spieß, Urheber- und wettbewerbsrechtliche Probleme des Sampling in der Popmusik, ZUM 1991, S. 524 (S. 528); Köhn, Die Technisierung der Popmusikproduktion – Probleme der «kleinen Münze» in der Musik, ZUM 1994, S. 278 (S. 281).
  5. 5 http://acharts.co/song/72455 (abgefragt am 3. Februar 2016).
  6. 6 http://bit.ly/1Q79ZdD (abgefragt am 3. Februar 2016).
  7. 7 Sample-Packs oder Contruction Kits sind gewissermaßen bedienungsfreundliche Baukästen für die eigene Musikproduktion: Auf Datenbanken werden hunderte potentiell verwertbare Klänge zur Verfügung gestellt. Diese enthalten sowohl Einzeltöne als auch komplexere Melodieteile oder Rhythmusfiguren und sind meist bereits nach Tempo oder Tonart geordnet, sodass sie möglichst einfach zu einem harmonischen Ganzen kombiniert werden können.
  8. 8 http://www.bigfishaudio.com/Nu-Jazz-City (abgefragt am 3. Februar 2016). 
  9. 9 Hoeren, GRUR 1989, S. 11 (S. 13).
  10. 10 https://www.grammy.org/recording-academy/57th-announcement (abgefragt am 3. Februar 2016).
  11. 11 Tenschert, Ist der Sound urheberrechtlich schützbar?, ZUM 1987, S. 612 (S. 613 f.).
  12. 12 Bonz in Jacke/Kimminich/Schmidt, Kulturschutt: Über das Recycling von Theorien und Kulturen (2006) S. 333 ff.
  13. 13 Beachtlich ist etwa Robert Schumanns Klavierwerk «Carnaval» op. 9, wo der Komponist den Stil und die Komponierweise von Frédéric Chopin (Musiknummer 12) und Niccolò Paganini (Musiknummer 16) eindrucksvoll nachahmt und seinen Vorbildern sogar ausdrücklich widmet.
  14. 14 Siehe etwa Grand Upright Music, Ltd v. Warner Bros. Records, Inc., 780 F.Supp. 182 (S.D.N.Y. 1991) und Campbell v. Acuff-Rose Music, Inc., 510 U.S.569 (1994).
  15. 15 http://on.fb.me/1PhKQNa (abgefragt am 3. Februar 2016).
  16. 16 http://bit.ly/1RdC9JL (abgefragt am 3. Februar 2016).
  17. 17 Ausführlich dazu Said, The Art of Sampling: The Sampling Tradition of Hip Hop/Rap Music & Copyright Law (2015) S. 337 ff. Siehe auch Zimmermann in Moser/Scheuermann, Handbuch der Musikwirtschaft6 S. 1183 ff.
  18. 18 Dies ist insbesondere deshalb bedeutend, weil die Rechte an einer einzelnen Tonaufnahme u.U. auch von einer Vielzahl von Personen gehalten werden kann.
  19. 19 http://bit.ly/1RpEH7U (abgefragt am 3. Februar 2016).
  20. 20 Zur Werkeigenschaft von Samples, siehe Ciresa, Österreichisches Urheberrecht § 1 UrhG Rz 32 f.; Häuser, Sound und Sampling (2002) S. 58; Münker, Urheberrechtliche Zustimmungserfordernisse beim Digital Sampling (1994) S. 85; Schulze, Urheberrecht und neue Musiktechnologien, ZUM 1994, S. 15 (S. 19).
  21. 21 Kainz, Amnestie für Sampling – Ein unmoralisches Angebot?, in Film, Sound & Media 12/2015.
  22. 22 Erschienen 1977 auf dem Musiklabel Klingklang.
  23. 23 Erschienen 1997 auf dem Musiklabel Pelham Power Productions.
  24. 24 Siehe LG Hamburg, 308 O 90/99 und OLG Hamburg, 5 U 48/05 = GRUR-RR 2007, S. 3.
  25. 25 Siehe BGH 20. November 2008, I ZR 112/06, Metall auf Metall und BGH 13. Dezember 2012, I ZR 182/11, Metall auf Metall II.
  26. 26 VB 1 BvR 1585/13.
  27. 27 Nachzulesen in der Pressemitteilung Nr. 77/2015 vom 28. Oktober 2015 des Bundesverfassungsgerichts, abrufbar unter http://bit.ly/1Rs58K3 (abgefragt am 3. Februar 2016).
  28. 28 Nachzulesen in der Pressemitteilung Nr. 82/2015 vom 9. November 2015 des Bundesverfassungsgerichts, abrufbar unter http://bit.ly/1OaW5cv (abgefragt am 3. Februar 2016).
  29. 29 Siehe auch Würtenberger, Loschelder, Stellungnahme der GRUR zur Verfassungsbeschwerde der P-GmbH u.a. in Sachen «Metall auf Metall» (1 BvR 1585/13), GRUR 2015, S. 861.
  30. 30 Siehe Schuster, Fair Use, Girl Talk and Digital Sampling: An Empirical Study of Music Sampling’s Effect on the Market for Copyrighted Works, Oklahoma Law Review Vol. 67, S. 443. Abrufbar unter http://bit.ly/1QI0pAN.
  31. 31 Hierzu eingehend und m.w.N. die Stellungnahme Nr. 39/2015 der BRAK. AA Stellungnahme Nr. 57/2015 des DAV durch den Verfassungsrechtsausschuss und den Ausschuss Geistiges Eigentum.
  32. 32 Siehe BGH 20. November 2008, I ZR 112/06, Metall auf Metall.
  33. 33 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 2001/167, 10.
  34. 34 Siehe dazu die CILFIT-Rechtsprechung des EuGH, EuGH 6. Oktober 1982, C-283/81, CILFIT/Ministero della Sanità.
  35. 35 Siehe dazu auch Würtenberger, Loschelder, Stellungnahme der GRUR zur Verfassungsbeschwerde der P-GmbH u.a. in Sachen «Metall auf Metall» (1 BvR 1585/13), GRUR 2015, S. 861 und den Beitrag der Digitalen Gesellschaft e.V., http://bit.ly/1JDcYh2 (abgefragt am 3. Februar 2016).