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Visuelle Modellierung für rechtsberatende Berufe am Beispiel der gesetzlichen Erbfolge

  • Authors: Hans-Georg Fill / Katharina Haiden
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legal Visualisation, Multisensory Law
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2016
  • Citation: Hans-Georg Fill / Katharina Haiden, Visuelle Modellierung für rechtsberatende Berufe am Beispiel der gesetzlichen Erbfolge, in: Jusletter IT 25 February 2016
Die tägliche Praxis der rechtsberatenden Berufe ist durch die enge Interaktion zwischen juristischen Fachexperten und juristischen Laien geprägt. Die Vermittlung von komplexen rechtlichen Zusammenhängen in einer für Laien verständlichen Form stellt eine zentrale Herausforderung dar. In der Beratungspraxis wird vielfach auf visuelle Darstellungen zurückgegriffen. Im vorliegenden Beitrag wird ein Ansatz vorgestellt, um mit Mitteln der Rechtsvisualisierung relevante Sachverhalte formal zu beschreiben und auszuwerten. Als Ausgangsbeispiel wurde das gesetzliche Erbrecht gewählt, da es nicht nur ein in der Rechtsberatung häufiges Thema ist, sondern für nahezu jeden Rechtssuchenden von Relevanz ist. Dazu wird mit Konzepten der Metamodellierung eine domänen-spezifische visuelle Modellierungsmethode zur Abbildung der gesetzlichen Erbfolge entwickelt und mit Hilfe einer Metamodellierungsplattform technisch umgesetzt. Neben der visuellen Darstellung des erbrechtlichen Parentelsystems erlaubt die Methode auch die dynamische Berechnung der Erbanteile in einer für den juristischen Laien nachvollziehbaren Form. Damit kann umgehend auf Sachverhaltsvarianten und Fragen reagiert werden. Weiterhin können die solcherart formal abgebildeten Beziehungen für andere Anwendungen verfügbar gemacht werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Motivation
  • 2. Grundlagen
  • 2.1. Visuelle Modellierungsmethoden und Metamodellierung
  • 2.2. Das Parentelsystem im österreichischen Erbrecht
  • 3. Konzeption der Modellierungsmethode
  • 3.1. Anforderungen
  • 3.2. Metamodell
  • 3.3. Mechanismen zur dynamischen Berechnung
  • 4. Prototypische Umsetzung
  • 5. Conclusio und Ausblick

1.

Motivation ^

[1]

Eine der wichtigsten Pflichten der rechtsberatenden Berufe, insbesondere der Rechtsanwälte und Notare, ist die Rechtsbelehrung des Mandanten. Dabei hat der Rechtsanwalt/Notar insbesondere Warn-, Aufklärungs-, Informations- und (Schadens-)Verhütungspflichten wahrzunehmen.1 Zur Rechtsbelehrung des Mandanten gehört im Besonderen ihm die rechtlichen Konsequenzen bestimmter Handlungen, Unterlassungen oder Sachverhalte nahe zu bringen und ihn über Gestaltungsmöglichkeiten zu belehren. Dabei muss besonderes Augenmerk auf die Verständlichmachung des Rechts für den juristischen Laien gelegt werden, denn nur wenn der Mandant ausreichend aufgeklärt ist, kann er die entsprechenden Entscheidungen treffen. Des Weiteren muss der Berater den Rechtssuchenden ausreichend zum Sachverhalt befragen, weil nicht erwartet werden kann, dass der juristische Laie alle relevanten Informationen von sich aus preisgibt.2

[2]
In der Praxis wird zur Unterstützung der dabei notwendigen Interaktion zwischen juristischen Fachexperten und juristischen Laien auch auf visuelle Darstellungen zurückgegriffen. Diese ermöglichen die Erzielung eines gegenseitigen Verständnisses über die für den Sachverhalt relevanten Informationen und insbesondere die Beurteilung von deren Vollständigkeit. Weiterhin können so alternative Szenarien dargestellt und von beiden Seiten beurteilt werden.
[3]

Bisher kommen für die visuellen Darstellungen hauptsächlich handschriftliche Skizzen zum Einsatz, die während eines Beratungsgesprächs angefertigt werden. Ausgehend von Überlegungen zum Einsatz von formalen Modellierungsmethoden im Bereich der Rechtsvisualisierung und Wirtschaftsinformatik3, wird im vorliegenden Beitrag ein Ansatz vorgestellt, um die visuellen Darstellungen mit Hilfe einer domänen-spezifischen Modellierungsmethode zu erstellen und solcherart mit entsprechenden Softwarewerkzeugen zur IT-gestützten Modellierung technisch umsetzen zu können. Die sich daraus ergebenden Vorteile liegen einerseits in der leichten Wiederverwendbarkeit der visuellen Darstellung durch die elektronische Verfügbarkeit. Andererseits lassen sich durch die zugrundeliegende formale Beschreibung auch Verarbeitungsmechanismen umsetzen, die beispielsweise (teil-)automatisierte Auswertungen der erstellten Darstellung ermöglichen.

[4]
Im vorliegenden Beitrag werden dazu in Kapitel 2 Grundlagen zu visuellen Modellierungsmethoden und der Metamodellierung erläutert. Danach wird ein kurzer Überblick über das Parentelsystem im österreichischen Erbrecht gegeben. Dieses dient im anschließenden Kapitel 3 als Anschauungsbeispiel für die Konzeption einer Modellierungsmethode zur Unterstützung der Rechtsberatung hinsichtlich der Erbfolge. Schließlich wird der aktuelle Stand einer prototypischen Implementierung der Modellierungsmethode vorgestellt und ein Ausblick auf die weiteren Forschungsaktivitäten zu der Thematik gegeben.

2.

Grundlagen ^

[5]
Im Folgenden werden einige Grundlagen zu visuellen Modellierungsmethoden und dem Parentelsystem im österreichischen Erbrecht erläutert. Diese sollen dazu dienen, ein gemeinsames Verständnis über die für den vorgestellten Ansatz zentralen Grundlagen zu erzielen.

2.1.

Visuelle Modellierungsmethoden und Metamodellierung ^

[6]

Visuelle Modellierungsmethoden werden heute in zahlreichen Bereichen der Rechtsinformatik und der Wirtschaftsinformatik eingesetzt. Im Kontext der Rechtsvisualisierung wurden unter anderem Ansätze zur Abbildung relevanter Teile des österreichischen Mietrechts4 oder zur Analyse von rechtlichen Zusammenhängen mit Hilfe der Unified Modeling Language (UML)5 beschrieben.

[7]

Basierend auf einem Rahmenwerk, das ursprünglich von Karagiannis/Kühn6 vorgestellt wurde, bestehen Modellierungsmethoden aus einer Modellierungstechnik und Mechanismen und Algorithmen. Die Modellierungstechnik wiederum gliedert sich eine Modellierungssprache, bestehend aus einer (visuellen) Notation, der Syntax und der Semantik, sowie einer Vorgehensweise zur Anwendung der Modellierungssprache. Die Mechanismen und Algorithmen beziehen sich auf die Elemente der Modellierungssprache und werden unterteilt in generische, spezifische und hybride Typen. Generische Mechanismen und Algorithmen sind dabei auf beliebige Modellierungssprachen anwendbar, spezifische nur auf ausgewählte Typen und hybride können für verschiedene Modellierungssprachen konfiguriert werden. Diese Zusammenhänge sind in der folgenden Abbildung dargestellt.

Abbildung 1: Komponenten von Modellierungsmethoden7

[8]

Die Konzeption von Modellierungsmethoden umfasst dabei zumindest die Definition einer Modellierungssprache. Dies kann in formaler, semi-formaler oder informeller Art geschehen.8 Bei einer formalen Herangehensweise werden die Syntax und Semantik der Modellierungssprache mit Hilfe von mathematischen Formalismen, wie z.B. auf Basis von FDMM9, exakt spezifiziert. Im semi-formalen Fall wird lediglich die Syntax formal spezifiziert, während die Semantik in natürlicher Sprache beschrieben wird. Dies kann z.B. in Form von sogenannten Metamodellen erfolgen wie weiter hinten noch gezeigt werden wird. Bei einer informellen Herangehensweise werden sowohl Syntax als auch Semantik in natürlicher Sprache beschrieben.

[9]

Gerade im Kontext der Rechtsvisualisierung spielt die Definition der Notation in visueller Form eine große Rolle.10 Die Notation kann dabei entweder rein statisch durch grafische Symbole spezifiziert werden oder auch dynamische Elemente beinhalten. Durch die Verwendung dynamischer Elemente kann beispielsweise auf Zustandsänderungen von Attributwerten während der Verwendung der Modellierungssprache reagiert und so die grafische Darstellung der Elemente der Modellierungssprache zur Laufzeit geändert werden.11

[10]
Durch das Hinzufügen von Mechanismen und Algorithmen zu einer Modellierungsmethode kann die Darstellung von Zusammenhängen in der Modellierungssprache um maschinen-basierte Auswertungen ergänzt werden. Dabei beziehen sich Mechanismen auf kleine algorithmische Einheiten, die dem Benutzer zur Laufzeit Hilfestellung bei der Anwendung der Modellierungsmethode leisten – beispielsweise durch die unmittelbare Berechnung von zulässigen Modellierungsoperationen und der Anzeige dieser Informationen im User Interface. Algorithmen sind im Gegensatz dazu größere Einheiten, die komplexe Berechnungen auf Basis der durch die Modelle dargestellten Zusammenhänge durchführen – zum Beispiel zur Durchführung von umfangreichen Transformationen zwischen Modellen und Darstellungsformaten.

2.2.

Das Parentelsystem im österreichischen Erbrecht ^

[11]
Im Zuge der Rechtsberatung zum Erbrecht spielt die Berücksichtigung der gesetzlichen Erbfolgeregelungen eine große Rolle. Dabei ist es von zentraler Bedeutung dass der Rechtsberater alle relevanten Informationen zum Sachverhalt kennt, dh insbesondere zu bestehenden Verwandtschaftsbeziehungen zu lebenden oder bereits verstorbenen Personen. Im Detail sind dazu folgende gesetzlichen Regelungen heranzuziehen.
[12]
Erbberechtigt sind nach § 730 ABGB der Ehegatte des Erblassers und die in nächster Linie Verwandten. Das österreichische Erbfolgenrecht des ABGB folgt bei der Bestimmung der erbberechtigten Verwandten dem sog Parentelsystem. Verwandte werden in Erbenordnungen (= Parentel) eingeteilt. Insgesamt gibt es 4 Parentelen:
  1. Parentel: Nachkommen des Erblassers in gerader Linie (Kinder, Enkelkinder, Urenkelkinder etc.)
  2. Parentel: Die Eltern des Erblassers und deren Nachkommen (Geschwister, Neffen/Nichten etc.)
  3. Parentel: Die Großeltern des Erblassers und deren Nachkommen (Onkel/Tanten, Cousins/Cousinen etc.)
  4. Parentel: Die Urgroßeltern des Erblassers (ohne Nachkommen!).
[13]
Die Angehörigen einer Parentel kommen nacheinander als Erben in Frage. Sind in einer Parentel demnach erbberechtigte Personen vorhanden, so schließen diese Angehörige der nächsthöheren Parentel aus.
[14]
Mehrere Kinder des Erblassers teilen sich die Erbschaft nach Köpfen, d.h. zu gleichen Teilen. Lebende Vorfahren schließen ihre eigenen Nachkommen von der Erbschaft aus. Ist ein Kind vorverstorben, so erben dessen Nachkommen seinen Kopfteil zu gleichen Teilen. Sie treten daher an die Stelle des vorverstorbenen Kindes und teilen sich dessen Erbteil (= Repräsentationsrecht oder Eintrittsrecht). Gleiches gilt für vorverstorbene Enkelkinder, Urenkelkinder usw., sowie für die Nachkommen von vorverstorbenen Eltern oder Großeltern. Die Eltern des Erblassers teilen sich die Erbschaft zu gleichen Teilen, ist ein Elternteil vorverstorben, treten dessen Nachkommen nach dem Repräsentationsrecht in seinen Erbteil ein. Ist kein Nachkomme eines Elternteils vorhanden, erbt der andere Elternteil bzw. dessen Nachkommen diesen Erbteil. Gleiches gilt für die Großeltern und deren Nachkommen.
[15]
Der Ehegatte gehört keiner Parentel an, sondern erbt neben den Verwandten oder schließt diese sogar von der Erbberechtigung aus. Nach § 757 Abs. 1 ABGB erbt der Ehegatte neben Angehörigen der 1. Parentel 1/3 des Nachlasses und neben Eltern, Geschwistern und Großeltern des Erblassers 2/3 des Nachlasses. Zusätzlich erhält der Ehegatte die Erbteile die Nachkommen vorverstorbener Großeltern oder Nachkommen vorverstorbener Geschwister zukommen würden. Neben anderen Verwandten erbt der Ehegatte den ganzen Nachlass.

3.

Konzeption der Modellierungsmethode ^

[16]

Für die Konzeption einer Modellierungsmethode zur Unterstützung der Rechtsberatung zum Erbrecht kann auf Arbeiten aus dem Bereich der Metamodellierung zurückgegriffen werden, wie z.B. von Fill/Karagiannis12 dargelegt. In einem ersten Schritt müssen dazu die Anforderungen an die Modellierungsmethode erhoben werden. Diese können aus den Zielen und dem Zweck der Methode abgeleitet werden und haben direkten Einfluss auf die Gestaltung der Modellierungssprache, der Vorgehensweise und der damit verbundenen Mechanismen und Algorithmen sowie den zwischen diesen Komponenten bestehenden Abhängigkeiten. Zusätzlich müssen die für die spätere technische Umsetzung relevanten Faktoren wie beispielsweise die Art der Benutzerinteraktion und die Persistenz der Modellinformationen in Datenbanken frühzeitig berücksichtigt werden.

3.1.

Anforderungen ^

[17]

Als Hauptziel für eine Modellierungsmethode im Kontext der Rechtsberatung kann die Unterstützung der Kommunikation zwischen juristischen Laien und juristischen Fachexperten genannt werden. Dazu ist es erforderlich, eine visuelle Darstellung bereit zu stellen, die einerseits den gesetzlichen Regelungen entspricht, andererseits aber auch möglichst intuitiv für Laien verständlich ist. Für das gewählte Beispiel des Erbrechts kann dabei auf die schon bisher in Form von handschriftlichen Skizzen verwendeten Darstellungen zurückgegriffen werden. Um den Mehrwert der Modellierungsmethode zu erhöhen, wurde zusätzlich die Anforderung einer automatischen Berechnung der Erbanteile gemäß des Parentelsystems hinzugefügt. Da diese speziell bei komplexeren Verwandtschaftshierarchien sehr umfangreich werden kann, erscheint hier eine Unterstützung in besonderer Weise dienlich. Im Hinblick auf die algorithmische Verarbeitbarkeit kann dabei eine Vorarbeit von Zawichowski13 herangezogen werden, die einen Ansatz basierend auf Graphen zur Berechnung verfolgt und prototypisch implementiert.

3.2.

Metamodell ^

[18]
Ausgehend von den Anforderungen kann nun im nächsten Schritt die Spezifikation der Modellierungssprache beschrieben werden. Im Sinne einer semi-formalen Herangehensweise, wie in Kapitel 2.1 beschrieben, wird die Syntax der Modellierungssprache in Form eines Metamodells beschrieben – siehe Abbildung 2. Das Metamodell definiert die für die Erstellung von Modellinstanzen zulässigen Elemente, die Relationen zwischen den Elementen sowie die Attribute der Elemente und der Beziehungen. Für den hier vorgestellten Ansatz wurde dabei die Einschränkung getroffen, vorerst nur die Erbfolge nach der 1. Parentel sowie die Rolle des Ehegatten des Erblassers zu berücksichtigen. Wie in Abbildung 2 dargestellt, stehen an oberster Stelle des Metamodells die zwei Typen von zulässigen Entitäten: Class und Relationclass. Dabei sind alle Subtypen von Class im späteren Modell Elemente und alle Subtypen von Relationclass Relationen zwischen diesen Elementen. Als Subtypen von Relationclass sind definiert Ist Kind von und Verheiratet mit und als Subtypen von Class sind definiert __Person__ und davon wiederum die Subtypen Erblasser / Verstorbener und Person. Die Relation Ist Kind von verbindet dabei beliebige Elemente vom Typ __Person__ und die Relation Verheiratet mit nur Elemente vom Typ Erblasser / Verstorbener mit Elementen vom Typ Person. Zur eindeutigen Identifikation der Elemente verfügen sowohl alle Subtypen von Class als auch von Relationclass über das Attribut ID vom Typ integer, d.h. einer Ganzzahl. Alle Subtypen von __Person__ verfügen darüber hinaus über das Attribut Name der Person, das eine Zeichenkette zum Hinzufügen des Namens darstellt.
[19]
Elemente vom Typ Person beinhalten das Attribut Ist vorverstorben vom Typ Ganzzahl. Bei einem Wert ungleich 0 wird ausgedrückt, dass die jeweilige Person bereits vor dem Erblasser verstorben ist. Die weiteren Attribute, die bei den Typen angeführt sind, werden für die dynamische Berechnung der Erbanteile benötigt.
[20]
Für alle Elemente und Relationen wurden grafische Darstellungen definiert. Dabei wurden unterschiedliche Darstellungen für den Erblasser / Verstorbener und für Elemente vom Typ Person gewählt. Zur Darstellung des Wertes des Attributs Ist vorverstorben wurde eine dynamische Visualisierung hinzugefügt, die bei Werten ungleich 0 ein schwarzes Kreuz anzeigt. Die visuelle Darstellung ist in Abbildung 4 anhand eines Beispielmodells abgebildet.

3.3.

Mechanismen zur dynamischen Berechnung ^

[21]
Zur Erfüllung der Anforderung zur Unterstützung der Berechnung der Erbanteile wurde im vorliegenden Ansatz eine dynamische Berechnung zur Laufzeit gewählt. Dabei erfolgt die Berechnung der aktuellen Verteilung der Erbanteile bereits während der Erstellung eines Modells unmittelbar nach Änderungen an dem Modell. Dazu werden in den jeweiligen Modellierungselementen Attribute vom Typ Expression hinzugefügt, die die erforderlichen Berechnungsvorschriften enthalten.
[22]
Abbildung 3 zeigt den Ausschnitt aus der Definition eines solchen Expression-Attributes zur Berechnung des Zähler-Wertes für den Anteil, den eine Person erhält. Es wird darin evaluiert, ob die jeweilige Person über eine Relation Verheiratet mit mit dem Erblasser verbunden ist. Falls ja, wird evaluiert, ob der Erblasser lebende Nachkommen besitzt – dies wird wiederum in einem weiteren Expression-Attribut berechnet. Falls ja, wird der Zähler-Anteil auf 1 gesetzt – der Ehegatte würde hier einen Anteil von 1/3 erhalten. Anderenfalls wird geprüft, ob es in der Linie der Vorfahren – gemäß des Parentelsystems – noch lebende, relevante Verwandte gibt. Falls dies zutrifft, würde der Ehegatte 2/3 erhalten, daher wird der Zählerwert auf 2 gesetzt. Anderenfalls, lebt nur noch der Ehegatte und würde den gesamten Anteil, d.h. 1/1 erhalten, weshalb dann der Zählerwert auf 1 gesetzt wird. Implizit wird bei dieser Berechnung angenommen, dass der Ehegatte noch lebt, dh dass die Vorgehensweise zur Modellierung die Vorschrift enthält, dass nur noch lebende Ehegatten modelliert werden. Dies entspricht dem üblichen Vorgehen in der Beratungspraxis, wo nur relevante Personen in die visuelle Darstellung aufgenommen werden.

4.

Prototypische Umsetzung ^

[23]

Eine erste prototypische Umsetzung des vorgestellten Ansatzes erfolgte mit Hilfe der ADOxx-Metamodellierungsplattform14. Diese ist als Open-Use Lizenz für akademische Forschungszwecke frei verfügbar und erlaubt sowohl die technische Umsetzung des vorgestellten Metamodells sowie der beschriebenen Berechnungsmechanismen. Auf Grundlage des Metamodells werden von ADOxx automatisch Modelleditoren generiert, die die Definition von Modellinstanzen und deren Weiterverarbeitung erlauben. Abbildung 4 zeigt einen Screenshot eines Beispielmodells basierend auf dem vorgestellten Metamodell. Der Erblasser ist dabei oben in Form eines lilafarbenen Rechtecks mit einem Kreuz dargestellt. Rechts davon ist die noch lebende Ehegattin dargestellt, darunter seine Kinder.

[24]
Deutlich zu sehen sind die unterschiedlichen visuellen Darstellungen für die Relationen Ist Kind von und Verheiratet mit. Bei den Personen sind die jeweils erhaltenen Erbanteile nach dem Parentelsystem in Bruchschreibweise angeführt. Bei vorverstorbenen Personen erfolgt dabei die Weitergabe der Anteile an die Kinder und die entsprechende Aufteilung nach Köpfen, sofern diese noch leben bzw. die Weitergabe des jeweiligen Anteils an die nächste Generation.
[25]
Beispielsweise erhält die Tochter von Markus Meier mit dem Namen Klara Müller 2/6 der Anteile nach Berücksichtigung der Ehepartnerin Margarete Walter. Da Klara Müller jedoch vorverstorben ist, wandern die Anteile an ihre Kinder Lisa Müller und Franz Müller weiter, die somit jeweils 2/12 des Gesamtanteils erhalten. Das Kind von Markus Meier mit dem Namen Hans Meier ist bereits vorverstorben und erhält daher keine Anteile. Hingegen erhält das Kind Gustav Meier die Anteile von 2/6, während sein Kind Julia Meier keine Anteile erhält, da der Vater noch lebt.
[26]
Anhand der visuellen Darstellung kann nun leicht erkannt werden, ob alle relevanten Personen für die Erbfolge enthalten sind. Zusätzlich kann unmittelbar abgelesen werden, wie die Anteilsberechnung für die 1. Parentel zustande kommt. Würde nun eine Änderung im Modell vorgenommen, z.B. durch die Änderung des Attributwertes Ist vorverstorben bei Gustav Meier um sein Ableben auszudrücken, würde automatisch die Aufteilung der Anteile angepasst und entsprechend visualisiert.

5.

Conclusio und Ausblick ^

[27]
Im vorliegenden Beitrag wurde gezeigt, wie durch die Konzeption einer domänen-spezifischen Modellierungsmethode die Rechtsvisualisierung zur Unterstützung der Rechtsberatung eingesetzt werden kann. Anhand des Beispiels der Abbildung der gesetzlichen Erbfolge nach dem Parentelsystem konnte dabei der Mehrwert einer formalen Beschreibung der Modelle durch die Umsetzung von automatischen Berechnungsmechanismen gezeigt werden.
[28]
Der vorliegende Ansatz unterliegt noch einigen Einschränkungen, die im Zuge der weiteren Entwicklung behoben werden sollen. Unter anderem ist die Umsetzung derzeit nur auf Sachverhalte im Rahmen der 1. Parentel ausgelegt. Dies soll durch zusätzliche Expression-Attribute zur Berücksichtigung möglicher höherer Parentelen erweitert werden. Ebenso ist derzeit noch keine automatische Funktion zum Kürzen der Brüche bei der Anteilsberechnung enthalten. Hinsichtlich der Anwendbarkeit ist zudem geplant, den Ansatz und das Werkzeug im praktischen Einsatz zu testen um dadurch Rückschlüsse auf die Verständlichkeit der Konzepte und die Eignung für den Einsatz in der Rechtsberatung ziehen zu können.
  1. 1 Judith Schacherreiter in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 1299 ABGB Rz 32, 45 (Stand 1. Juni 2015, rdb.at).
  2. 2 OGH 25. April 1989, 2 Ob 44/89.
  3. 3 Hans-Georg Fill, Towards requirements for a meta modeling formalism to support visual law representations, in Schweighofer/Kummer/Hoetzendorfer (Hrsg.) Transformation juristischer Sprachen – Transformation of legal languages (2012) 292; Domenik Bork/Hans-Georg Fill, Formal Aspects of Enterprise Modeling Methods: A Comparison Framework, in Proceedings of the 2014 47th International Conference on System Sciences, IEEE (2014) 3400 ff.
  4. 4 Peter Heindl/Wolfgang Kahlig, Mietrecht strukturiert (2008).
  5. 5 Michael Engesser, UML und Sprache – Wirklichkeit und Technik, in: Jusletter IT 11. September 2014.
  6. 6 Dimitris Karagiannis/Harald Kühn, Metamodeling Platforms, in Bauknecht/Tjoa/Quirchmayr (Hrsg.), Third International Conference EC-Web 2002 – Dexa 2002 (2002), 182.
  7. 7 Hans-Georg Fill/Anke Gericke/Dimitris Karagiannis/Robert Winter, Modellierung für Integrated Enterprise Balancing, Wirtschaftsinformatik 06/2007, 419; nach Karagiannis/Kühn in Bauknecht/Tjoa/Quirchmayr, 182.
  8. 8 Bork/Fill in Proceedings of the 2014 47th International Conference on System Sciences.
  9. 9 Hans-Georg Fill/Timothy Redmond/Dimitris Karagiannis, FDMM: A Formalism for Describing ADOxx Meta Models and Models, in Maciaszek/Cuzzocrea/Cordeiro (Hrsg.), Proceedings of ICEIS 2012 – 14th International Conference on Enterprise Information Systems, Vol. 3 (2012) 133–144.
  10. 10 Fill in Schweighofer/Kummer/Hoetzendorfer, 292.
  11. 11 Hans-Georg Fill, Visualisation for Semantic Information Systems (2009).
  12. 12 Hans-Georg Fill/Dimitris Karagiannis, On the Conceptualisation of Modelling Methods Using the ADOxx Meta Modelling Platform, Enterprise Modelling and Information Systems Architectures – An International Journal, 2013, Vol. 8, Issue 1, 4.
  13. 13 Stefan Zawichowski, Prototypische Entwicklung einer Software zur Erbfolgenbestimmung nach österreichischem Recht (2009).
  14. 14 Hans-Georg Fill/Dimitris Karagiannis, Enterprise Modelling and Information Systems Architectures – An International Journal, 2013, Vol. 8, Issue 1, 4.