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Der unbekannte Vater – Durchsetzung des Anspruchs auf Auskunft mit Datenschutzrecht?

  • Author: Lothar Gamper
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2017, Peer Reviewed – Jury LexisNexis Best Paper Award of IRIS2017
  • Citation: Lothar Gamper, Der unbekannte Vater – Durchsetzung des Anspruchs auf Auskunft mit Datenschutzrecht?, in: Jusletter IT 23 February 2017
Die EU-DSGVO behält die altbekannte Definition von personenbezogenen Daten der DS-RL bei. Was aber, wenn eine Person ganz unmittelbar von Daten betroffen ist, die sich auf eine andere identifizierbare Person beziehen? Ein Praxisbeispiel, das 2015/16 zu einem Verfahren bei der österreichischen Datenschutzbehörde führte, macht deutlich, dass genau diese Konstellation im Privatleben häufig auftritt. Ob der Fall sich allein mit dem «Betroffenenbegriff» des Datenschutzes lösen ließe und Art. 8 EMRK möglicherweise darüber hinausgeht, ist Thema des Beitrags und bietet auch Anlass für einen Exkurs ins Archivrecht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Datenschutz und Familienleben – ein Fallbeispiel
  • 1.1. Der Sachverhalt
  • 1.2. Aus dem Sachverhalt resultierende Rechtsfragen
  • 2. Zum Anspruch auf Auskunft von Samen- und Eizellspendern
  • 3. Anspruch auf Auskunft zu Spenderdaten aus dem Datenschutzgesetz
  • 4. Exkurs ins Archivrecht
  • 4.1. Bundesarchivrecht und datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche
  • 4.1.1. Allgemeine Bestimmungen zur Archivierung von Verwaltungsakten des Bundes
  • 4.1.2. Sperrfristen im Bundesarchivgesetz und Auskunftsrechte
  • 4.2. Archivierung im Fortpflanzungsmedizingesetz
  • 5. Fazit

1.

Datenschutz und Familienleben – ein Fallbeispiel ^

[1]
Als Datenschutzbeauftragter einer größeren österreichischen Institution ist man bisweilen Empfänger von Anfragen, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Wirkungsbereich derselben stehen. Die Ursachen dafür dürften vielfältig sein – es gibt einerseits noch nicht allzu viele Einrichtungen mit dafür dezidiert Zuständigen, andererseits erteilt auch die Datenschutzbehörde seit ihrem Bestehen in der derzeitigen Form nur noch Auskünfte in Zusammenhang mit laufenden Verfahren. Das mag angesichts der nicht gerade üppigen personellen Ausstattung auch in Zeiten eines Auskunftspflichtgesetzes nach dessen § 1 Abs. 2 durchaus gerechtfertigt sein, den Auskunft suchenden Bürgerinnen ist damit freilich noch nicht weiter geholfen. Da gerade die schon gemäß DS-RL verpflichtend einzurichtenden Datenschutzbehörden Bürgern möglichst kostengünstig zu Rechtsinformation und zur Durchsetzung ihrer Datenschutzrechte verhelfen sollten und die DSGVO deren Aufgaben und Zuständigkeiten noch einmal deutlich ausdehnt, sei diese ungewöhnliche einleitende Anmerkung mit dem versteckten Hinweis auf entsprechenden Handlungsbedarf zur Abhilfe aus datenschützender Sicht erlaubt.
[2]
In Kenntnis der geschilderten Situation besteht bei Anfragen, bei denen es prima facie nicht um Angelegenheiten querulatorischer Natur geht, die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung aufgrund der näheren, mitunter persönlichen Umstände der Anfragenden oder auch des ungewissen Ausgangs eines Verfahrens als unzumutbar erscheinen und die Rechtsfrage das Interesse des Empfängers weckt, bisweilen die Neigung zur kostenlosen Beratung – selbstverständlich innerhalb der Grenzen der Winkelschreibereiverordnung.

1.1.

Der Sachverhalt ^

[3]
Einer solchen Anfrage liegt auch der nachfolgend geschilderte Sachverhalt zugrunde: Einem jungen Erwachsenen, der durch homologe Insemination gezeugt worden war, wurde von Seiten der Klinik, die diesen Eingriff seinerzeit vorgenommen hatte, die Auskunft über den Samenspender verweigert – obwohl der Anfragende ausdrücklich auf § 20 Abs. 2 Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) hingewiesen hatte, demzufolge «dem mit dem Samen oder den Eizellen einer dritten Person gezeugten Kind […] auf dessen Verlangen nach Vollendung des 14. Lebensjahres Einsicht in die Aufzeichnungen nach § 15 Abs. 1 zu gewähren und daraus Auskunft zu erteilen [ist]» und damit u.a. über Namen, Geburtstag und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnort von Spendern sowie den Zeitpunkt der Überlassung des Samens oder der Eizellen. Die Besonderheit dieses Falles lag nämlich darin, dass die Insemination vor In-Kraft-Treten des FMedG 1992 erfolgt war, als den Spendern regelmäßig noch vertraglich die Vertraulichkeit ihrer Daten durch die jeweilige Klinik zugesichert wurde, um etwaige erbrechtliche Ansprüche auszuschließen – und auf einen solchen Vertrag berief sich die Klinik.

1.2.

Aus dem Sachverhalt resultierende Rechtsfragen ^

[4]

Aus dem beschriebenen Sachverhalt ergaben sich daher, auch unter Berücksichtigung einer möglichst kosteneffizienten Vorgangsweise, folgende Rechtsfragen:1

  • Besteht ein Anspruch auf Auskunft der Samen- und Eizellspender für Kinder, die durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung vor In-Kraft-Treten des FMedG gezeugt wurden?
  • Wie lässt sich ein eventuell bestehender Auskunftsanspruch durchsetzen? Besteht bei Daten des Spenders Recht auf Auskunft gemäß § 26 DSG 2000, was deren gleichzeitige Qualifikation als Daten des Betroffenen voraussetzen würde?
  • Was ändert sich nach Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist von medizinischen Daten? Dies war zum Zeitpunkt der Befassung mit der Thematik zwar noch nicht unmittelbar relevant, wäre aber bei unvorhersehbar langer Verfahrensdauer eventuell zu berücksichtigen gewesen – und ist spätestens ab 2022 auch von Bedeutung für alle Fälle nach In-Kraft-Treten des FMedG.

2.

Zum Anspruch auf Auskunft von Samen- und Eizellspendern ^

[5]

Wer sich schon einmal mit Verfahren im Familienrecht beschäftigt hat, dürfte sich darüber im Klaren sein, dass es vielen Personen lebenslang erhebliche Probleme bereitet, über ihre Herkunft nicht Bescheid zu wissen. Dies mag aus Sicht Nicht-Betroffener vielfach nicht unmittelbar nachvollziehbar sein, von einer entsprechend schwerwiegenden Belastung ist nach Ansicht des Autors dieses Beitrags aber zweifellos auszugehen. Insofern kann – mangels einfachgesetzlichen Rechts auf Auskunft für Spenderinnen vor 1992 aus dem FMedG – daher zunächst versucht werden, dieses auf Basis der Menschenrechte zu statuieren.

[6]

Alle Persönlichkeitsrechte auf Auskunft, Berichtigung und Widerspruch bzw. Löschung bei personenbezogenen Daten wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 8 EMRK, dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, ab den späten 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Reihe von Urteilen abgeleitet. Datenschutz erscheint insoweit als eigenes Grundrecht eher entbehrlich, die Aufnahme in die Grundrechtecharta der Europäischen Union unterstreicht aber die gestiegene Bedeutung im digitalen Zeitalter. Die genannte Konventionsnorm schützt schon ihrem Wortlaut nach jedoch ausdrücklich auch das Familienleben, weshalb aus Sicht des Art. 8 EMRK für den betrachteten Sachverhalt unbeachtlich ist, ob Personenbezug im Sinne des Datenschutzes besteht oder nicht, denn der unmittelbare Bezug zum Familienleben dürfte wohl schwer bestreitbar sein.

[7]
Es stellt sich somit die Frage, ob sich ein Auskunftsanspruch hinsichtlich von Samen- und Eizellspendern aus Art. 8 EMRK ableiten lässt (oder, national gesehen, auch aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht im § 16 ABGB). Für Deutschland hat der BGH dies zum Beispiel 2015 in einem Grundsatzurteil2 festgestellt; dass das Auskunftsrecht dennoch weiterhin nicht voraussetzungslos in jedem Fall gewährt werden muss, vertrat das BVerfG wenig später.3
[8]
Der EGMR war mehrfach schon mit derartigen Fragen befasst,4 hat aber noch keine Grundsatzentscheidung getroffen. Nachdem er lediglich einen «europäischen Mindeststandard» zum Menschenrechtsschutz subsidiär sicherstellt, ist dies nicht verwunderlich; so lange der Rechtsrahmen in den Konventionsstaaten sich in diesem Bereich noch sehr uneinheitlich und vielfach unklar geregelt darstellt, billigt der Gerichtshof einen weiten nationalen Ermessensspielraum zu. Eine europäische Tendenz in Richtung Auskunftsanspruch in den Konventionsstaaten würde früher oder später jedoch auch Eingang in dessen evolutive Rechtsprechung finden.
[9]
In Österreich ist die Frage m.E. dennoch einfach und eindeutig zu beantworten. Es besteht wie erwähnt schon seit 1992 ein Auskunftsanspruch aus § 20 FMedG, und damit hat die Gesetzgeberin erfreulicherweise eine klare Interessensabwägung zugunsten der betroffenen Kinder auf einfachgesetzlicher Ebene vorgenommen – es ist nicht ersichtlich, wie eine Ungleichbehandlung für jene Betroffenen, die vor 1992 geboren wurden, in Bezug auf Art. 8 i.V.m. Art. 14 EMRK zu rechtfertigen wäre.

3.

Anspruch auf Auskunft zu Spenderdaten aus dem Datenschutzgesetz ^

[10]
Offen bleibt im FMedG allerdings, wie das Recht auf Auskunft geltend zu machen ist. Verschiedene Jugendanwaltschaften haben in Jahresberichten und Stellungnahmen bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass dieses schwer durchzusetzen sei, ohne allerdings näher darauf einzugehen, welche rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Auch die weitere (nicht allzu umfangreiche) Recherche, u.a. in RIS-Justiz, blieb ergebnislos. Vielmehr wurde in Hinblick auf die eingangs erwähnte kostengünstige Rechtsdurchsetzung umfassend untersucht, ob eine Anfrage um Auskunft gemäß § 26 DSG 2000 Aussicht auf Erfolg haben könnte, und zwar nach zu erwartender Nicht-Beantwortung durch die Klinik in einem nachfolgenden Verfahren bei der Datenschutzbehörde.
[11]

Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass das Recht auf Auskunft im Datenschutz nur jene Daten umfasst, die für die jeweiligen Betroffenen als «personenbezogen» gelten; in diesem Zusammenhang ist m.E. unerheblich, ob die Definition aus der DS-RL, aus dem DSG 2000 oder der neuen DSGVO herangezogen wird. In allen Fällen lässt sich aus der Begriffsbestimmung nicht eindeutig und zweifelsfrei ableiten, dass (einige) Daten einer Person jeweils auch personenbezogene Daten der entsprechenden Familienangehörigen sind oder zumindest sein könnten; die Begriffsbestimmung schließt eine entsprechend weite Auslegung aber auch keinesfalls von vornherein aus. Zumindest der Versuch, einen Anspruch auf Auskunft zu Samen- und Eizellspendern für die damit gezeugten Nachkommen aus dem Datenschutzrecht abzuleiten, erscheint daher keinesfalls abwegig. Dennoch wäre die Ablehnung eines entsprechenden Anspruchs durch Datenschutzbehörden jedenfalls ebenso nachvollziehbar. Verschiedenste Auslegungsansätze des Begriffs «Personenbezug» und Argumente für beiderlei Auslegungen im konkreten Fall – die engere und die weitere – sind rechtlich belastbar. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die DSGVO immerhin explizit jeglichen «Ausdruck der genetischen Identität» Betroffener zu den personenbezogenen Daten zählt; was für die meisten Datenschützerinnen nicht unbedingt großen Neuigkeitswert bietet, soweit es Gesundheitsdaten betrifft, kann immerhin als ein zusätzliches Argument zugunsten eines Auskunftsanspruchs zu Grunddaten Familienangehöriger (z.B. Eltern, Großeltern) wie Name, Geburtsdatum, Geburtsort etc. gewertet werden, die eine «Identifikation» der betroffenen Angehörigen (insbesondere Kinder bzw. Nachkommen) in weitestem Sinne ermöglichen und darüber hinaus für den «Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität»5 dieser betroffenen natürlichen Personen von Bedeutung sind. Wenn familiäre Nahebeziehungen erhoben werden, wäre dies m. E. jedenfalls auch in ein Verfahrensverzeichnis aufzunehmen, was als weiteres Indiz für eine weite Auslegung gelten mag.

[12]

Zumindest eine eindeutige Lösung des konkreten, oben unter 1.1. geschilderten Einzelfalles kann aber angeboten werden, denn es finden sich sehr überzeugende Argumente de lege lata für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs aus § 26 DSG 2000 nach nationalem Recht, und zwar überraschenderweise im § 18 Abs. 3 Gewebesicherheitsgesetz: «Angaben über die Person von Spender und Empfänger sind vom Auskunftsrecht gemäß § 26 Datenschutzgesetz 2000 ausgenommen. § 20 Fortpflanzungsmedizingesetz, BGBl. Nr. 275/1992, bleibt unberührt.» Diese Norm ist in zweierlei Hinsicht interessant:

  • Den Verfasserinnen war offensichtlich bewusst, dass ein generelles Recht auf Auskunft der Empfängerinnen von Organen und Geweben hinsichtlich der Spender aus dem allgemeinen Datenschutzrecht argumentiert werden könnte, wobei der Gesetzgeber hier eine unmissverständliche Interessensabwägung zugunsten der Geheimhaltung der Spenderinnen getroffen hat, und
  • in Bezug auf die Rechte auf Auskunft aus § 20 FMedG wird in der Norm im Umkehrschluss davon ausgegangen, dass diese im Wege des § 26 DSG 2000 geltend gemacht werden können.
[13]
Die weitere Vorgangsweise durch den Anfragenden, der die Befassung mit derlei Rechtsfragen ausgelöst hat, kann nun nicht mehr überraschen – kurz zusammengefasst wurde erneut ein Antrag um Auskunft zu den Daten des Samenspenders bei der Klinik gestellt, diesmal explizit gemäß § 26 DSG 2000 i.V.m. § 20 FMedG, und nach ergebnislosem Fristablauf Beschwerde bei der Datenschutzbehörde eingebracht, die entsprechend eine Verletzung der Rechte feststellte. Da auch ein Leistungsantrag gestellt worden war, erhielt der Betroffene nach Androhung der Bescheidexekution durch die Behörde schlussendlich die gewünschte Auskunft.

4.

Exkurs ins Archivrecht ^

[14]
Wie bereits oben unter 1.2. angemerkt spielen für Auskünfte nach dem FMedG die Aufbewahrungsfristen der jeweils relevanten Daten unter Umständen eine große Rolle. Viele Betroffene, die sich ihrer eigenen Herkunft nicht im Klaren sind, machen sich häufig erst auf die Suche nach ihren Wurzeln, wenn die allgemeine 30-jährige Aufbewahrungsfrist medizinischer Unterlagen oder auch vieler Verwaltungsakten ab der letzten Bearbeitung bereits abgelaufen ist. Dies gilt gleichermaßen für auf natürlichem Wege gezeugte Kinder, deren Mütter den leiblichen Vater nicht nennen wollen oder können. Bisweilen beginnt dann in späteren Lebensdekaden eine langwierige und mühsame Recherche, ob sich noch Spuren finden lassen. Universitäten sind derartige Fälle keineswegs unbekannt – einigermaßen regelmäßig gehen Anfragen nach Daten (mutmaßlich) lebenslustiger Gasthörer vergangener Jahrzehnte ein, zu denen oft wenig mehr als eine ungefähre Semesterangabe des Aufenthalts und das Herkunftsland bekannt ist, vielleicht noch ein Vorname oder Name meist unklarer Schreibweise.
[15]
Aus der Suche nach Familienangehörigen – meistens Vätern – wird nun ein Fall für das Archivrecht. Das weitere Schicksal einer derartigen Anfrage um Auskunft hängt in Österreich von den jeweils anzuwendenden Rechtsnormen ab, die sich für die hier genannten Beispiele der künstlichen Befruchtung und der Suche nach früheren Gasthörern von Universitäten unterscheiden, wobei nachfolgend zunächst die Gasthörer betrachtet werden.

4.1.

Bundesarchivrecht und datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche ^

[16]
Für Universitätsarchive, die die Aufgaben des Staatsarchivs für ihre Verwaltungsakten übernehmen, ist das Bundesarchivgesetz maßgeblich. Dieses wurde im Zuge der Einführung des DSG 2000 umfangreich novelliert und auf Letzteres abgestimmt.

4.1.1.

Allgemeine Bestimmungen zur Archivierung von Verwaltungsakten des Bundes ^

[17]
Wie bereits erwähnt sind Verwaltungsakten des Bundes grundsätzlich spätestens 30 Jahre ab der letzten Bearbeitung und Schließung einer Akte entweder zu vernichten oder dauerhaft zu archivieren, und zwar insbesondere Archivalien gemäß § 25 Denkmalschutzgesetz, die «von geschichtlicher oder kultureller Bedeutung für die Erforschung und das Verständnis der Geschichte und Gegenwart in politischer, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Hinsicht sowie bezüglich Gesetzgebung, Rechtsprechung, Verwaltung und den Schutz allgemeiner oder besonderer bürgerlicher Rechte [sind].» Akten, die dem Datenschutz unterliegen, wären nach DSG 2000 andernfalls verpflichtend zu vernichten, da im Regelfall davon auszugehen ist, dass sie nicht mehr für jene Zwecke von Bedeutung sind, für die sie ursprünglich verwendet wurden. Mit der Archivierung ist als Rechtsfolge m.E. datenschutzrechtlich zwingend eine Änderung der Zweckbestimmung verknüpft, d.h. die weitere Verwendung muss im Wesentlichen auf historische und wissenschaftliche Zwecke eingeschränkt sein. In diesem Zusammenhang ist § 9 Abs. 1 Bundesarchivgesetz aus datenschutzrechtlicher Sicht insofern als kritisch zu betrachten, als Archivgut nach Ablauf der entsprechenden Sperrfristen u.a. zur Nutzung zu nicht näher definierten «amtlichen» Belangen ganz allgemein freigegeben ist. Es ist m.E. nicht anzunehmen, dass allein durch den Vorgang der Archivierung eine Ausweitung der vorherigen Zweckbestimmung in Verwaltungsangelegenheiten zulässig wäre, vielmehr wird die Verwendung für derartige Zwecke im Regelfall unzulässig sein und zumindest einer Interessensabwägung unterliegen – es sei daran erinnert, dass personenbezogene Daten ohne historischen oder wissenschaftlichen Wert prinzipiell vernichtet werden müssten.

4.1.2.

Sperrfristen im Bundesarchivgesetz und Auskunftsrechte ^

[18]
Für archivierte Akten gilt allgemein eine Sperrfrist von 30 Jahren, die ab der letzten Bearbeitung bzw. Schließung zu laufen beginnt und daher mit dem letztmöglichen Zeitpunkt der Archivierung zusammenfällt. Enthalten die archivierten Akten jedoch personenbezogene Daten, so gilt für diese aus § 8 Abs. 3 i.V.m. § 5 Abs. 3 Bundesarchivgesetz eine Sperrfrist von 50 Jahren. Damit besteht für mindestens 20 Jahre so gut wie keine Möglichkeit der Nutzung dieser Akten mit personenbezogenen Daten, ausgenommen Forschungsvorhaben unter den engen Voraussetzungen des § 8 Abs. 5 Bundesarchivgesetz und Auskünfte an die Betroffenen gemäß § 7 Abs. 1 leg. cit.
[19]
Archivrechtliche Sperrfristen sind zwar nach wie vor international gängig, insbesondere für Unterlagen und Dokumente, die aus Gründen der nationalen Sicherheit oder anderen hochrangigen nationalen Interessen unter Verschluss gehalten werden, sowie für geheimdienstliche Archive, dennoch gelten sie aus heutiger Sicht als veraltet. Denn mit der Festlegung von absoluten Sperrfristen läuft der Gesetzgeber immer Gefahr, höherrangige Interessen der Öffentlichkeit oder einzelner Betroffener zu verletzen, die in der Interessensabwägung überwiegen würden. Auf das Spannungsverhältnis von Archivsperren und Verfassungsrecht sowie einer ganzen Reihe von Grundrechten wurde international bereits vielfach hingewiesen.6
[20]
Von diesem Problem sind spezifisch jene Personen regelmäßig betroffen, die sich auf die Suche nach ihrer Herkunft machen und Einsicht in Akten benötigen würden, die dem Bundesarchivgesetz unterliegen. Denn dieses kennt eine Freigabe zur Nutzung für die «Wahrnehmung berechtigter persönlicher Belange» erst nach Ablauf der entsprechenden Sperrfristen. Einzige Ausnahme wäre die Zustimmung der betroffenen Personen gemäß § 8 Abs. 5 Bundesarchivgesetz, zu denen den Archiven normalerweise aber keine Kontaktdaten vorliegen – vielfach besteht überhaupt erst die vage Erwartung der Anfragenden, durch Akteneinsicht nähere Angaben wie exakte Geburtsdaten und letzte bekannte Meldeadressen eventueller Väter in Erfahrung zu bringen. Es wäre in vielen Fällen sehr unbefriedigend, die (potentiellen) Nachkommen rechtlich auf den Ablauf der entsprechenden Sperrfristen vertrösten zu müssen, zumal oft noch die Hoffnung besteht, die entsprechenden Väter lebend anzutreffen – diese könnte durch die langen Fristen deutlich getrübt werden.
[21]
Einzige Lösung auf Basis des derzeit geltenden Rechts wäre es, auch in derartigen Fällen den Betroffenenbegriff des Datenschutzgesetzes (in analoger Anwendung des § 20 FMedG) auf nächste Angehörige auszudehnen und eine Auskunft gemäß § 7 Abs. 1 Bundesarchivgesetz zuzulassen. Darüber hinaus könnten bei Verweigerung der Akteneinsicht innerhalb der Sperrfrist durch Archive, die der Bundesarchivgesetzgebung unterliegen, Klagen auf Verletzung des Anspruchs auf Achtung des Familienlebens aus § 8 EMRK unter Umständen mit Erfolg beschieden sein.

4.2.

Archivierung im Fortpflanzungsmedizingesetz ^

[22]

Angenommen, unser eingangs dargestellter Fall hätte eine Person betroffen, die das 30. Lebensjahr bereits vollendet hätte, so wäre zwischenzeitlich § 18 Abs. 3 FMedG zur Anwendung gelangt:

 

«Diese Aufzeichnungen [Daten zu Spendern gemäß Abs. 1 und 2] und die Zustimmungen nach § 8 Abs. 1 sowie § 13 Abs. 1 sind von der Krankenanstalt, der Einrichtung oder vom Facharzt in der Ordinationsstätte 30 Jahre lang aufzubewahren. Nach Ablauf dieser Frist oder bei früherer Auflösung der Krankenanstalt oder Ordinationsstätte sind diese Unterlagen dem Landeshauptmann zu übermitteln; dieser hat sie auf Dauer aufzubewahren.»

[23]

Die Verletzung der Aufbewahrungspflicht durch die medizinischen Einrichtungen ist im Übrigen mit Verwaltungsstrafe von bis zu 5‘000 Euro belegt.7 Es wurde nicht näher untersucht, inwieweit die zitierte Bestimmung auf Akten vor 1992 bereits Anwendung findet, aber spätestens ab 2022 ist die Norm jedenfalls zu vollziehen, wobei wohl anzunehmen ist, dass die dauerhafte Aufbewahrung durch die Landeshauptleute im jeweiligen Landesarchiv erfolgen würde.

[24]

Ob für die «dauerhaft aufbewahrten» Unterlagen landes-archivrechtliche Bestimmungen gelten oder § 20 FMedG als lex specialis anzuwenden wäre, ist unklar, wobei m.E. letztere Lösung vorzuziehen wäre. Im ersten Falle hinge das Schicksal einer Auskunftsanfrage nämlich von den Regelungen im entsprechenden Bundesland ab, was vom Bundesgesetzgeber eher nicht beabsichtigt war. Ohne detailliert auf die verschiedenen Rechtslagen eingehen zu können, sei zunächst hervorgehoben, dass einige Länder sich sehr stark an das Bundesarchivgesetz angelehnt haben und damit auch die Problematik der Sperrfristen mit übernommen haben, während in den drei westlichen Bundesländern überhaupt keine archivrechtlichen Regelungen auf gesetzlicher Basis bestehen. Das ist deshalb problematisch, weil der Zugang zu archivierten Akten öffentlicher Einrichtungen keinesfalls der Aleatorik landesregierenden Handelns unterworfen sein darf. Vielmehr ist dieser nicht-diskriminierend für zulässige Nutzungen allen Interessierten gleichermaßen zu gewähren.

[25]
Als vergleichsweise gelungenes Beispiel kann hingegen das Wiener Archivgesetz von 2006 gelten. Zwar kennt auch dieses eine allgemeine Sperrfrist von 30 Jahren und für personenbezogene Daten sogar bis zum Tod der Betroffenen bzw. deren fiktiven 110. Geburtstag, doch diese kann gemäß § 10 Abs. 3 leg. cit. vom Magistrat jeweils «aus besonders berücksichtigungswürdigen persönlichen Gründen eines Betroffenen» verkürzt werden, wenn keine überwiegenden Interessen anderer entgegenstehen. Eine Mindest-Sperrfrist ist hingegen nicht normiert. Damit bietet sich bei der Suche nach dem unbekannten Vater im Regelfall wohl die Möglichkeit auf Akteneinsicht, ohne dass diese auf recht verschlungenen Pfaden rechtlich begründet werden müsste.

5.

Fazit ^

[26]

Aus dem Anspruch auf Achtung des Familienlebens in Art. 8 EMRK lassen sich analog zum dort normierten Schutz des Privatlebens Persönlichkeitsrechte auf Auskunft, Berichtigung und Widerspruch ableiten, die im Datenschutz vom EGMR allgemein anerkannt sind. Bei Identifikationsdaten von Samen- und Eizellspendern besteht auf europäischer Ebene jedoch keine einheitliche Tendenz in den Regelungen der Konventionsstaaten, weshalb er entsprechende Ansprüche von Nachkommen bislang nicht zuerkennt.

[27]
In § 20 Abs. 2 FMedG hat der österreichische Gesetzgeber ein Auskunftsrecht zu Spendern bei medizinisch unterstützter Fortpflanzung eingeräumt und mit § 18 Abs. 3 Gewebesicherheitsgesetz angedeutet, dass aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ableitbare Ansprüche, soweit sie dem Privat- und Familienleben zuzuordnen sind, jeweils auch als Betroffenenrechte nach DSG 2000 angesehen werden können. Die Definition des Personenbezugs in der DSGVO lässt eine entsprechende Auslegung (nicht-zwingend) zu. Archivrechtliche Sperrfristen können mit entsprechenden Grundrechten kollidieren und sind als veraltet anzusehen.
  1. 1 Für den Beitrag irrelevante Sachfragen werden im Folgenden nicht behandelt; zunächst war etwa die Frage der Auftraggeberschaft i.S.d. § 4 Z. 4 DSG 2000 aufgrund von Eigentümerwechseln der Klinik unklar.
  2. 2 BGH 28. Januar 2015, XII ZR 201/13.
  3. 3 BVerfG 19. April 2016, 1 BvR 3309/13.
  4. 4 Beispielhaft EGMR 13. Juli 2006, 58757/00.
  5. 5 Vgl. Art 4 Z. 1 letzter Teilsatz DSGVO.
  6. 6 Für Österreich sei hier insbesondere verwiesen auf Bußjäger, Peter, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Archivrechts, ZfV 2005, S. 326 f.
  7. 7 Werden Daten innerhalb der viermonatigen Schutzfrist des § 26 Abs. 7 DSG 2000 ab Kenntnis eines Auskunftsverlangens oder während eines nachfolgenden Verfahrens bei der Datenschutzbehörde gelöscht, so kann diese Verwaltungsübertretung mit bis zu 25‘000 Euro geahndet werden.