1.
Datenschutz und Familienleben – ein Fallbeispiel ^
1.1.
Der Sachverhalt ^
1.2.
Aus dem Sachverhalt resultierende Rechtsfragen ^
Aus dem beschriebenen Sachverhalt ergaben sich daher, auch unter Berücksichtigung einer möglichst kosteneffizienten Vorgangsweise, folgende Rechtsfragen:1
- Besteht ein Anspruch auf Auskunft der Samen- und Eizellspender für Kinder, die durch medizinisch unterstützte Fortpflanzung vor In-Kraft-Treten des FMedG gezeugt wurden?
- Wie lässt sich ein eventuell bestehender Auskunftsanspruch durchsetzen? Besteht bei Daten des Spenders Recht auf Auskunft gemäß § 26 DSG 2000, was deren gleichzeitige Qualifikation als Daten des Betroffenen voraussetzen würde?
- Was ändert sich nach Ablauf der 30-jährigen Aufbewahrungsfrist von medizinischen Daten? Dies war zum Zeitpunkt der Befassung mit der Thematik zwar noch nicht unmittelbar relevant, wäre aber bei unvorhersehbar langer Verfahrensdauer eventuell zu berücksichtigen gewesen – und ist spätestens ab 2022 auch von Bedeutung für alle Fälle nach In-Kraft-Treten des FMedG.
2.
Zum Anspruch auf Auskunft von Samen- und Eizellspendern ^
Wer sich schon einmal mit Verfahren im Familienrecht beschäftigt hat, dürfte sich darüber im Klaren sein, dass es vielen Personen lebenslang erhebliche Probleme bereitet, über ihre Herkunft nicht Bescheid zu wissen. Dies mag aus Sicht Nicht-Betroffener vielfach nicht unmittelbar nachvollziehbar sein, von einer entsprechend schwerwiegenden Belastung ist nach Ansicht des Autors dieses Beitrags aber zweifellos auszugehen. Insofern kann – mangels einfachgesetzlichen Rechts auf Auskunft für Spenderinnen vor 1992 aus dem FMedG – daher zunächst versucht werden, dieses auf Basis der Menschenrechte zu statuieren.
Alle Persönlichkeitsrechte auf Auskunft, Berichtigung und Widerspruch bzw. Löschung bei personenbezogenen Daten wurden vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aus Art. 8 EMRK, dem Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens, ab den späten 80-er Jahren des letzten Jahrhunderts in einer Reihe von Urteilen abgeleitet. Datenschutz erscheint insoweit als eigenes Grundrecht eher entbehrlich, die Aufnahme in die Grundrechtecharta der Europäischen Union unterstreicht aber die gestiegene Bedeutung im digitalen Zeitalter. Die genannte Konventionsnorm schützt schon ihrem Wortlaut nach jedoch ausdrücklich auch das Familienleben, weshalb aus Sicht des Art. 8 EMRK für den betrachteten Sachverhalt unbeachtlich ist, ob Personenbezug im Sinne des Datenschutzes besteht oder nicht, denn der unmittelbare Bezug zum Familienleben dürfte wohl schwer bestreitbar sein.
3.
Anspruch auf Auskunft zu Spenderdaten aus dem Datenschutzgesetz ^
Es darf als bekannt vorausgesetzt werden, dass das Recht auf Auskunft im Datenschutz nur jene Daten umfasst, die für die jeweiligen Betroffenen als «personenbezogen» gelten; in diesem Zusammenhang ist m.E. unerheblich, ob die Definition aus der DS-RL, aus dem DSG 2000 oder der neuen DSGVO herangezogen wird. In allen Fällen lässt sich aus der Begriffsbestimmung nicht eindeutig und zweifelsfrei ableiten, dass (einige) Daten einer Person jeweils auch personenbezogene Daten der entsprechenden Familienangehörigen sind oder zumindest sein könnten; die Begriffsbestimmung schließt eine entsprechend weite Auslegung aber auch keinesfalls von vornherein aus. Zumindest der Versuch, einen Anspruch auf Auskunft zu Samen- und Eizellspendern für die damit gezeugten Nachkommen aus dem Datenschutzrecht abzuleiten, erscheint daher keinesfalls abwegig. Dennoch wäre die Ablehnung eines entsprechenden Anspruchs durch Datenschutzbehörden jedenfalls ebenso nachvollziehbar. Verschiedenste Auslegungsansätze des Begriffs «Personenbezug» und Argumente für beiderlei Auslegungen im konkreten Fall – die engere und die weitere – sind rechtlich belastbar. Interessant ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die DSGVO immerhin explizit jeglichen «Ausdruck der genetischen Identität» Betroffener zu den personenbezogenen Daten zählt; was für die meisten Datenschützerinnen nicht unbedingt großen Neuigkeitswert bietet, soweit es Gesundheitsdaten betrifft, kann immerhin als ein zusätzliches Argument zugunsten eines Auskunftsanspruchs zu Grunddaten Familienangehöriger (z.B. Eltern, Großeltern) wie Name, Geburtsdatum, Geburtsort etc. gewertet werden, die eine «Identifikation» der betroffenen Angehörigen (insbesondere Kinder bzw. Nachkommen) in weitestem Sinne ermöglichen und darüber hinaus für den «Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität»5 dieser betroffenen natürlichen Personen von Bedeutung sind. Wenn familiäre Nahebeziehungen erhoben werden, wäre dies m. E. jedenfalls auch in ein Verfahrensverzeichnis aufzunehmen, was als weiteres Indiz für eine weite Auslegung gelten mag.
Zumindest eine eindeutige Lösung des konkreten, oben unter 1.1. geschilderten Einzelfalles kann aber angeboten werden, denn es finden sich sehr überzeugende Argumente de lege lata für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs aus § 26 DSG 2000 nach nationalem Recht, und zwar überraschenderweise im § 18 Abs. 3 Gewebesicherheitsgesetz: «Angaben über die Person von Spender und Empfänger sind vom Auskunftsrecht gemäß § 26 Datenschutzgesetz 2000 ausgenommen. § 20 Fortpflanzungsmedizingesetz, BGBl. Nr. 275/1992, bleibt unberührt.» Diese Norm ist in zweierlei Hinsicht interessant:
- Den Verfasserinnen war offensichtlich bewusst, dass ein generelles Recht auf Auskunft der Empfängerinnen von Organen und Geweben hinsichtlich der Spender aus dem allgemeinen Datenschutzrecht argumentiert werden könnte, wobei der Gesetzgeber hier eine unmissverständliche Interessensabwägung zugunsten der Geheimhaltung der Spenderinnen getroffen hat, und
- in Bezug auf die Rechte auf Auskunft aus § 20 FMedG wird in der Norm im Umkehrschluss davon ausgegangen, dass diese im Wege des § 26 DSG 2000 geltend gemacht werden können.
4.
Exkurs ins Archivrecht ^
4.1.
Bundesarchivrecht und datenschutzrechtliche Auskunftsansprüche ^
4.1.1.
Allgemeine Bestimmungen zur Archivierung von Verwaltungsakten des Bundes ^
4.1.2.
Sperrfristen im Bundesarchivgesetz und Auskunftsrechte ^
4.2.
Archivierung im Fortpflanzungsmedizingesetz ^
Angenommen, unser eingangs dargestellter Fall hätte eine Person betroffen, die das 30. Lebensjahr bereits vollendet hätte, so wäre zwischenzeitlich § 18 Abs. 3 FMedG zur Anwendung gelangt:
«Diese Aufzeichnungen [Daten zu Spendern gemäß Abs. 1 und 2] und die Zustimmungen nach § 8 Abs. 1 sowie § 13 Abs. 1 sind von der Krankenanstalt, der Einrichtung oder vom Facharzt in der Ordinationsstätte 30 Jahre lang aufzubewahren. Nach Ablauf dieser Frist oder bei früherer Auflösung der Krankenanstalt oder Ordinationsstätte sind diese Unterlagen dem Landeshauptmann zu übermitteln; dieser hat sie auf Dauer aufzubewahren.»
Die Verletzung der Aufbewahrungspflicht durch die medizinischen Einrichtungen ist im Übrigen mit Verwaltungsstrafe von bis zu 5‘000 Euro belegt.7 Es wurde nicht näher untersucht, inwieweit die zitierte Bestimmung auf Akten vor 1992 bereits Anwendung findet, aber spätestens ab 2022 ist die Norm jedenfalls zu vollziehen, wobei wohl anzunehmen ist, dass die dauerhafte Aufbewahrung durch die Landeshauptleute im jeweiligen Landesarchiv erfolgen würde.
Ob für die «dauerhaft aufbewahrten» Unterlagen landes-archivrechtliche Bestimmungen gelten oder § 20 FMedG als lex specialis anzuwenden wäre, ist unklar, wobei m.E. letztere Lösung vorzuziehen wäre. Im ersten Falle hinge das Schicksal einer Auskunftsanfrage nämlich von den Regelungen im entsprechenden Bundesland ab, was vom Bundesgesetzgeber eher nicht beabsichtigt war. Ohne detailliert auf die verschiedenen Rechtslagen eingehen zu können, sei zunächst hervorgehoben, dass einige Länder sich sehr stark an das Bundesarchivgesetz angelehnt haben und damit auch die Problematik der Sperrfristen mit übernommen haben, während in den drei westlichen Bundesländern überhaupt keine archivrechtlichen Regelungen auf gesetzlicher Basis bestehen. Das ist deshalb problematisch, weil der Zugang zu archivierten Akten öffentlicher Einrichtungen keinesfalls der Aleatorik landesregierenden Handelns unterworfen sein darf. Vielmehr ist dieser nicht-diskriminierend für zulässige Nutzungen allen Interessierten gleichermaßen zu gewähren.
5.
Fazit ^
Aus dem Anspruch auf Achtung des Familienlebens in Art. 8 EMRK lassen sich analog zum dort normierten Schutz des Privatlebens Persönlichkeitsrechte auf Auskunft, Berichtigung und Widerspruch ableiten, die im Datenschutz vom EGMR allgemein anerkannt sind. Bei Identifikationsdaten von Samen- und Eizellspendern besteht auf europäischer Ebene jedoch keine einheitliche Tendenz in den Regelungen der Konventionsstaaten, weshalb er entsprechende Ansprüche von Nachkommen bislang nicht zuerkennt.
- 1 Für den Beitrag irrelevante Sachfragen werden im Folgenden nicht behandelt; zunächst war etwa die Frage der Auftraggeberschaft i.S.d. § 4 Z. 4 DSG 2000 aufgrund von Eigentümerwechseln der Klinik unklar.
- 2 BGH 28. Januar 2015, XII ZR 201/13.
- 3 BVerfG 19. April 2016, 1 BvR 3309/13.
- 4 Beispielhaft EGMR 13. Juli 2006, 58757/00.
- 5 Vgl. Art 4 Z. 1 letzter Teilsatz DSGVO.
- 6 Für Österreich sei hier insbesondere verwiesen auf Bußjäger, Peter, Verfassungsrechtliche Grundlagen des Archivrechts, ZfV 2005, S. 326 f.
- 7 Werden Daten innerhalb der viermonatigen Schutzfrist des § 26 Abs. 7 DSG 2000 ab Kenntnis eines Auskunftsverlangens oder während eines nachfolgenden Verfahrens bei der Datenschutzbehörde gelöscht, so kann diese Verwaltungsübertretung mit bis zu 25‘000 Euro geahndet werden.