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Die Rechtswissenschaft ist in höchstem Maße zugleich eine nationale und eine internationale Wissenschaft. National war und ist sie insofern, als der praktisch tätige Jurist das geltende Recht kennen muss. Der Berufsstand kann sonst den Bürgern und der Gesellschaft nicht dienen. International ist die Rechtswissenschaft wegen des Ideals des Rechts und der mit seiner Realisierung verbundenen Grundsätze und Begriffssysteme. Es ist so kein Wunder, dass römisches Recht und Juristenlatein weiterhin in vielen Ländern gelehrt werden.
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Das sich gegenwärtig vereinheitlichende Recht der Europäischen Union macht Wissenschaftler und Rechtspraktiker in zunehmenden Maße zu Nutzern der internationalen Rechtstexte. Ein guter Jurist ist heute mehrsprachig, damit er nicht zu sehr von der Kunst professioneller Übersetzer abhängig ist.
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In der Rechtstheorie wie im Rahmen der Rechtsvergleichung ist vielfach von Rechtsfamilien die Rede. Das ist nur natürlich, sogar unvermeidlich. Das reicht aber keineswegs immer aus. Innerhalb der größeren Einheiten finden sich auch kleinere Einheiten mit eigenem Gepräge. Die Nordischen Länder sind schon seit Langem ein Beispiel für diese Entwicklung. Dafür gibt es staatliche, kulturelle und sprachliche Ursachen.
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Illustriert wird dies durch die jetzt schon seit dem Jahre 1872 alle drei Jahre abgehaltenen Juristenkonferenzen der Nordischen Länder, bei denen sich eine große Zahl von Teilnehmern versammelt. So war der Nutzen der Informationstechnik im Recht dort schon im Jahr 1969 ein Thema.
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Die jährlichen Rechtsinformatikkonferenzen der Nordischen Länder haben ihre Wurzel im Jahre 1984. Damals lud der Pionier der schwedischen Rechtsinformatik Peter Seipel einige Freunde aus den Nordischen Ländern zu sich nach Hause nach Mariefred ein, um den Bedarf nach einer Zusammenarbeit in der Rechtsinformatik zu erörtern. Zugleich wurde beschlossen, Konferenzen für dieses Gebiet zu veranstalten.
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Die erste Konferenz der Nordischen Länder wurde im Herbst 1985 in Oslo in den Räumen des dortigen Instituts für Rechtsinformatik abgehalten. Als Hausherr fungierte der damalige Leiter des Norwegean Research Center for Computers and Law (NRCCL) Jon Bing. Die ca. 15 Teilnehmer kamen aus Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland. Aus Finnland kam, finanziert vom Justizministerium, je ein Vertreter der drei rechtswissenschaftlichen Fakultäten. Diese Finanzierung hatte die Informatikerin Ritva Juntunen ermöglicht, die auch schon an der Konferenz in Mariefred teilnahm. Ihrem Einsatz verdanken wir wesentlich die Beteiligung der finnischen Rechtsinformatik an den nordischen Aktivitäten.
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Die zweitägige Konferenz in Oslo war der Start für eine Zusammenarbeit auf einer breiteren personalen Ebene. Sie gab auch den Anstoß für die spätere Gründung des Instituts für Rechtsinformatik der Universität von Lappland. Die Institute in Oslo und Stockholm waren schon früher gegründet worden.
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Gegenwärtig werden die Konferenzen der Nordischen Länder jährlich abwechselnd im Herbst in Norwegen, Dänemark, Finnland und Schweden abgehalten. Island ist draußen geblieben; verschiedentlich haben aber auch von dort Vertreter teilgenommen. In Norwegen liegt die Organisationsverantwortung fest beim Zentrum für Rechtsinformatik (NRCCL) der Universität Oslo. In Schweden liegt die Organisation beim Institut für Rechtsinformatik der Universität Stockholm und in Finnland beim Institut für Rechtsinformatik der Universität von Lappland. Die Einrichtung einer eigenen Organisationsstruktur wurde nicht für erforderlich gehalten. Das jeweilige Organisationsteam der verantwortlichen Universität beschließt eigenständig das Jahresthema.
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Ein besonders wesentlicher Teil der Nordischen Konferenzen ist seit Langem das Treffen der Doktoranden. In diesen auf finnische Initiative zustande gekommenen Treffen werden die Forschungsthemen der Doktoranden diskutiert und Kooperationsbeziehungen geschaffen. Dies ist der natürliche Weg zu einer Forschergemeinschaft der Nordischen Länder.
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Schwedisch, Norwegisch und Dänisch sind einander als skandinavische Sprachen nahe. Und auch in Finnland ist Schwedisch die zweite Landessprache. Es war deshalb naheliegend und nur natürlich, dass anfangs das sog. «Skandinavisch» – eine gewissermaßen vereinfachte gemeinsame skandinavische Sprache – als Konferenzsprache diente. Wir hielten es sogar für eine Ehrensache, dass ohne triftigen Grund Englisch nicht Konferenzsprache sein sollte. Nach der Jahrtausendwende hat sich die Situation geändert. In allen Nordischen Ländern gibt es jetzt auch internationale Doktoranden, die keine skandinavische Sprache beherrschen. Deshalb ist die Konferenzsprache jetzt Englisch. Die Initiative zu dieser Änderung ging vom weitsichtigen Initiator der Konferenzen der Nordischen Länder Peter Seipel aus. Aber auf der Ebene der persönlichen Kommunikation behalten die skandinavischen Sprachen natürlich ihre Schlüsselrolle. Wir leben im Rahmen der nordischen Rechtskultur; dies prägt und bleibt bedeutsam, auch in der Wissenschaftsgemeinschaft der Rechtsinformatik.