Jusletter IT

Trends und Communities der Rechtsinformatik

  • Authors: Erich Schweighofer / Friedrich Lachmayer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Notes on the General Topic
  • Collection: Conference Proceedings IRIS 2017
  • Citation: Erich Schweighofer / Friedrich Lachmayer, Trends und Communities der Rechtsinformatik, in: Jusletter IT 23 February 2017
Das Internationale Rechtsinformatik Symposion IRIS findet heuer zum 20. Male statt. Anhand der Leitelemente Trends und Communities soll ein Rückblick als auch ein Ausblick über die Rechtsinformatik und die Rolle des IRIS gegeben werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Das Digitale bleibt …
  • 3. Sozialphasen der Rechtsinformatik
  • 4. Trends der Rechtsinformatik
  • 5. Communities
  • 5.1. IRIS (inkl. OCG-Rechtsinformatik und GI-Rechtsinformatik)
  • 5.2. EDV-Gerichtstag
  • 5.3. DGRI Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik
  • 5.4. ICAIL International Conference on Artificial Intelligence & Law
  • 5.5. SubTech Substantive Technology in the Law School and Law Practice
  • 5.6. Law via the Internet / Free Access to Law Movement
  • 5.7. JURIX
  • 5.8. BILETA British and Irish Legal Education Technology Association
  • 5.9. Nordic Conference on Legal Informatics
  • 5.10. Cyberspace
  • 5.11. LEFIS Legal Framework for the Information Society
  • 5.12. CodeX Center for Legal Informatics, University of Stanford
  • 5.13. Tagung für Informatik und Recht
  • 6. Schlussfolgerungen

1.

Einleitung ^

[1]
Das Generalthema des IRIS2017 lautet 20 Jahre: Trends und Communities der Rechtsinformatik. Nach 20 Jahren kann man schon Bilanz ziehen: welche Moden und welche langfristigen Trends haben IRIS beherrscht, welches sind die stärksten Communities auf dem IRIS, wie wird das Recht sich im Wissens- und Netzwerkzeitalter verändern und welche Rolle wird die Rechtsinformatik (Rechtsinformation, Automatisierung des Rechts, IT-Recht) dabei spielen?

2.

Das Digitale bleibt … ^

[2]
«Das Digitale geht nicht mehr weg.»1 Dieser Satz drückt sehr schön den Wandel der Bedeutung der Rechtsinformatik im Kanon der Rechtswissenschaften aus: Von einem Randfach rückt die Rechtsinformatik zunehmend ins Zentrum der Rechtswissenschaften und unterstützt wesentlich die juristische Dogmatik: Festlegung des juristischen Kommunikationsprozesses und damit der Wissensrepräsentation im Recht, Sammlung und Aufbereitung der juristischen Materialien, Bereitstellung von mächtigen Suchmechanismen, Bereitstellung der Werkzeuge der juristischen Datenanalyse bzw. Rechtsdatalystik, wesentliche Unterstützung in der Kommunikation des Rechts durch halbautomatische Visualisierung bzw. Kodierung, Unterstützung der Rechtsanwendung durch voll und halbautomatische Rechtsanwendungstools etc. Kurz gesagt: Alles was mit IT machbar ist, wird von der Rechtsinformatik in entsprechende Werkzeuge umgesetzt und für Rechtsetzung und Rechtsanwendung bereitgestellt.
[3]
Die Rechtsinformatik bewegt sich damit im Trend der Computerisierung der Alltagswelt. Das ist freilich mehr als ein Trend, nämlich ein Ereignis von kulturhistorischer Bedeutung, vergleichbar der Erfindung der Dampfmaschine. Wurde vorher die Muskelkraft der Menschen substituiert, so geht es nunmehr um die Substitution des menschlichen Gehirns. Und das ist von zentraler Bedeutung, zumal wenn man den Menschen als ein animal rationale definiert.
[4]
Ein Teil dieses grundlegenden Paradigmenwechsels ist die Änderung, die dem Recht dadurch zu Teil wird. Dass die Rechtsinhalte nunmehr in elektronische Dokumente abgefüllt werden anstelle in Papierform ausgedruckt werden, ist dabei fast nebensächlich, Dokumente (Files) wie Papier sind gleichermaßen geduldig.
[5]
Entscheidend ist vielmehr, dass das Denken in Apps auch die Rechtsinformatik und damit auch das Recht erreicht hat. Lösung juristischer Fragen mit einer App (z.B. Vertragsapp) statt der Konsultation eines Juristen wird in einigen Fällen schon intensiv ausprobiert. Alle großen Rechtskanzleien setzen sich mit diesem Phänomen – als LegalTech bezeichnet – auseinander.
[6]
Für die Rechtstheorie ist die neue Syntaktisierung der Hintergrundsemantik entscheidend. Die Rechtsinformatik bewirkt mittelfristig eine Strukturierung der juristischen Semantik, jedoch mit neuen Tools, die wiederum einer neuen Syntax bedürfen. Rechtslogik, Thesauri und Ontologien sind bloß der Beginn. Das Ziel ist eine durchgehende Formalisierung im Sinne der AI. Die kognitive Rekonstruktion der Rechtsinhalte ist nur die Voraussetzung, um reaktive Systeme zu schaffen, die im Handlungsbereich in Situationen eingreifen können, sei es regulativ, sei es direkt.
[7]
Die wissenschaftliche Zivilgesellschaft, die Wirtschaft, die Justiz und auch die Verwaltung haben sich mit diesem Thema immer wieder beschäftigt – theoretisch, aber auch oft sehr praktisch – und hatten den Atem, nach vielen Fehlschlägen, Fehlentwicklungen etc. die richtigen Wege aufzuzeigen und auch das Problem der fehlenden Qualität der Werkzeuge zunehmend zu lösen.
[8]
Tatsache ist aber auch, dass diese Werkzeuge viel eher von der Wirtschaft und viel weniger von der Wissenschaft kommen. Das Engagement der Wissenschaft und der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten war und ist einfach zu gering. Nach einem starken Beginn in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren hat man es verabsäumt, ausreichende Ressourcen bereitzustellen und die notwendige exploratorische Phase der nächsten 30 Jahre – Entwicklung von Ideen, Verfahren und Prototypen – bis zu echten Anwendungswerkzeugen wissenschaftlich federführend zu begleiten. Erstaunlicherweise ist trotzdem – im internationalen Rahmen – viel passiert.
[9]
Gesellschaftspolitisch stehen wir vor der Herausforderung, dass das Recht eine immer wichtigere Rolle in der Friedenswahrung und Streitbeilegung hat, weil die Machtentscheidung immer weniger gilt, Handeln nach Treu und Glauben hinterfragt wird und die Bürger immer mehr Eingriffe in ihre Rechtspositionen aufgrund der Rechtsordnung und der Menschenrechte überprüfen wollen. Der damit verbundene Aufwand ist jedoch beträchtlich und tendenziell steigend. Rechtsentscheidungen sind rasch zu fällen, gut zu formulieren und auch entsprechend zu dokumentieren; ebenso müssen günstige und effiziente Streitschlichtungsmechanismen bereitgestellt werden.
[10]
Das bedeutet: mehr «digital», damit rasche und günstige Verträge bzw. Verwaltungsentscheidungen und effiziente und schnelle Streitschlichtung möglich wird. Dies bedeutet Automatisierung, weil juristische Kompetenz teuer ist und mehr Leistungen zu billigeren Preisen einfach mit konventionellen Mitteln nicht erzielt werden können. Daher ist Automatisierung im Recht das Thema unserer Zeit: Nur so kann der Bürger mit Tools rasch gute Verträge aushandeln, kann eine Streitschlichtungsinstanz ohne aufwändige schriftliche und mündliche Verfahren aufgrund der vorgelegten strukturierten Anträge und Beweise eine Vorentscheidung vornehmen.
[11]
Zusammenfassend sei gesagt: Vor 25 Jahren stand die Rechtsinformatik vor «Zweiter Geburt» und Absterben, heute ist diese ein Avantgardefach der Rechtswissenschaften und kann berechtigt hoffen, an rechtswissenschaftlichen Fakultäten ausgebaut und vertieft zu werden, wenn auch nicht immer unter dem Titel der Rechtsinformatik. Das IRIS hat daran einen wichtigen Anteil, weil es mit dieser Stakeholderkonferenz gelungen ist, weitgehend alle relevanten Kräfte zur Fortentwicklung der Rechtsinformatik zusammenzubringen und einzubinden.

3.

Sozialphasen der Rechtsinformatik ^

[12]
Jede Wissenschaft hat ihre eigenen Sozialphasen. Die wissenschaftliche Zivilgesellschaft bedient sich vor allem des Gesprächs unter den Experten. Das Wissen wird gepflegt und gelegentlich auch erweitert, an Ressourcen wird wenig benötigt; selbst der früher nötige Bücherkauf kann nunmehr oft durch Materialien im Internet ersetzt werden. Gerade Wien hat eine starke Tradition dieser Gesprächsrunden. Darüber hinausgehend und wesentlich ambitionierter sind internationale und interdisziplinär konzipierte Treffen, wie dies vorbildlich Ilmar Tammelo in den 1970er Jahren an der Universität Salzburg praktiziert hat. In der Zeit wissenschaftlicher Rankings reicht dies leider nicht mehr aus. Nunmehr müssen kompetitive Verfahren bei der Abhaltung dieser wissenschaftlichen Konferenzen beachtet werden. Ein erfolgreiches Konferenzkonzept wie jenes des IRIS besteht aus beiden Elementen: einer Gesprächskultur (hierfür steht der Zweitautor) und einer Konferenz- und Tagungsbandkultur (hierfür ist der Erstautor maßgeblich).
[13]
Ein wesentliches Element ist immer, dass die Eintrittsschwelle möglichst gering sein muss, sei es beim abzuliefernden wissenschaftlichen Produkt oder auch bei den Teilnahmekosten. Beim IRIS reicht eine gute Idee mit Recherche des Stands der Technik aus, um vortragen zu dürfen. Viel schwieriger ist es, in den Tagungsband zu kommen bzw. in die Shortlist oder sogar die Top-10-Liste des Lexis Nexis Best Paper Awards aufgenommen zu werden.
[14]
Die Teilnehmer agieren an sich kompetitiv: eine oder keine Wissenschaftsposition, vorhandene oder keine Projektressourcen, wichtige praktische Funktion und auch nicht, viele Ideen oder noch auf der Suche nach diesen, aber auch akademische Rivalität und ein gewisser Geniekult. In einer Zeit der Exzellenzuniversitäten und der Projektkultur möchte man auch zeigen, dass eine größere Ressourcenzuteilung gerade an die eigene Gruppe die bestmögliche Investition der Gesellschaft ist.
[15]
Eine wissenschaftliche Plattform hat die Aufgabe, diese gegensätzlichen Aktionen der Stakeholder zu einer zumindest extensiven Koordination zu bringen, sei es auch nur im Sinne einer Marktübersicht. Diese zeigt einer interessierten Öffentlichkeit und Neueinsteigern den Stand der Wissenschaft und den Insidern, wo man steht und sich die anderen befinden. Viel wichtiger ist es aber, eine Plattform für die Weiterentwicklung der relevanten Herausforderungen einer Wissenschaft zu entwickeln. Das Internet hat zunehmend die Aufgabe der Präsentation übernommen und Konferenzen werden mehr zum wissenschaftlichen Treffpunkt; einer Art Wallfahrt, bei der man sich trifft, Ergebnisse austauscht und vor allem die Kooperationsnetzwerke stärkt.
[16]
Auch die Rechtsinformatik hat viele solcher Treffpunkte und damit auch Teilcommunities. Mediatoren zwischen den vielen Communities, wie auch der Erstautor, aber auch die Präsentation und Dokumentation im Internet, stärken die jeweilige thematische Querverbindung. IRIS ist zwar in erster Linie auch eine Teilcommunity, möchte aber auch die Kooperation mit den anderen Communities stärken. Eine wesentliche Aufgabe ist hierbei, dass die Stakeholder möglichst viele der Communities kennen und sich damit dort auch besser einbringen können.

4.

Trends der Rechtsinformatik ^

[17]
Gerade in den letzten Jahren sind wesentliche neue Trends in der Rechtsinformatik zu vermelden. Dies gilt insbesondere auch für die technische Rechtsinformatik; im IT Recht selbst ist neben einer Intensivierung auch ein Trend zur Theoriebildung erkennbar.
[18]
LegalTech: In den letzten Jahren hat die kommerzielle Seite die Wissenschaft überholt, d.h. mit einer Vielzahl von Apps für einen Wiederbelebung von AI & Recht gesorgt. Die Vorgangsweise ist sehr pragmatisch – für die Wissenschaft viel zu wenig theoretisch. Ein praktisches Problem der Rechtsanwendung wird mithilfe der vielen Tools der Informatik gelöst. Die Anwendungen konzentrieren sich auf Q&A-Systeme, Document Assembly Systems und logische Programmierung. Die vielen Bemühungen der AI & Recht scheinen nahezu irrelevant im Hinblick auf diese Vorgangsweise. Kennzeichnend ist auch, dass mit sehr aggressivem Marketing versucht wird, die Dominanz auf dem Markt von LegalTech zu gewinnen. Da aber diese vereinfachende Methodik zunehmend an ihre Grenzen stößt, wird eine zunehmende Einbeziehung der Forschungsergebnisse der AI & Recht unumgänglich sein. Wie das Beispiel der App des «Ross Lawyer» zeigt, ist das Dokument des Rechts die Rechtsauskunft – kein Gesetz, kein Urteil, kein Handbuch, oder dgl. Der Weg zur intelligenten Kombination zwischen semantischer Eingabe und Anzeige einer relevanten Rechtsauskunft ist dann nicht mehr schwer; insbesondere wenn ständig aktualisierte Rechtsauskünfte einer hochspezialisierten Anwaltskanzlei zur Verfügung stehen.
[19]
Texterstellung 2.0: Schon die erste Phase der Umstellung von Schreibmaschine auf Computer war bahnbrechend. Nunmehr stehen mit Spracherkennungssoftware und Diktiersystemen mächtige Steuersysteme zur Verfügung, welche helfen, wieder zum Stand der 1970er Jahre zu kehren. Der Jurist spricht und hat mit der Texterstellung selbst wenig zu tun. War der Jurist bisher von Schreibstuben abhängig, so wird es in Zukunft seine IT-Umgebung mit der richtigen Software sein.
[20]
Intelligente Maschinen: der Mensch ist zunehmend von Maschinen umgeben, die sich intelligent auf ihre Umgebung einstellen und ihm immer mehr Arbeit ablehnen. In Anlehnung an die Diskussion im Europäischen Parlament2 und den Beitrag des Erstautors im Jahre 20013 wäre zu überlegen, dass man Maschinen eine spezielle Rechtspersönlichkeit gibt, vergleichbar mit jener von Sklaven im römischen Recht.
[21]

Elektronische Identitäten: Wie schon Anfang der 2000er Jahre festgestellt, muss die elektronische Identität des physischen Menschen festgelegt werden – durch Lehre, Judikatur und vielleicht später auch mal durch ein Gesetz. Das wesentliche Merkmal besteht darin, dass sich der Mensch mehr oder weniger eines Softwareagentens bedient, der semi- oder vollautomatisch für ihn bestimmte Handlungen nach festgelegten Parametern durchführt. Derzeit gilt die Botenlösung, aber in Zukunft sollte die Stellvertreterlösung präferiert werden. Auch hierfür scheint die «Skavenlösung» geeignet.

[22]

Elektronische Transaktionen: Unter dem Begriff der elektronischen Transaktionen werden alle Handlungen zusammengefasst, die semi- oder vollautomatisch im Cyberspace durchgeführt werden. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass wenige technische Restriktionen bestehen, rechtlichen Handlungen im Cyberspace durchzuführen. Im Recht sind eher die sozialen Restriktionen relevant (z.B. Gerichtsverhandlung vor Ort vor dem gesetzlichen Richter). Wenn diese aber nicht bestehen, könnten sämtliche Handlungen in den Cyberspace verlagert werden, was bei weniger wichtigen Dingen schon passiert und bei dem Austausch von Dokumenten bereits Standard geworden ist oder Standard werden wird.

[23]

Elektronische Akten: Seit einiger Zeit sind elektronische Akten in aller Munde. Vielfach wird hier noch sehr traditionell gedacht – eine elektronische Kopie des Papierakts. Der richtige Kern liegt darin, dass natürlich das haptische Element des Papierakts bestmöglich elektronisch abgebildet werden muss. Dazu muss aber der elektronische Akt noch mehr können: semi-automatische Kommunikation zwischen den Akten nach genau definierten Vorgaben bzw. Herstellung von persönlichen und juristischen Relationen. Der elektronische Akt wird gewissermaßen zum Assistenten: Er unterstützt die Beherrschung des Materials (Suchfunktion, ontologische Repräsentation der wichtigsten Fakten und Argumente, individualisierbare Dokumentation), erledigt die Kommunikation, hilft beim Schreiben der Texte (Textbausteine, Spracherkennung, Generierung von Urteilsentwürfen etc.) und vieles andere mehr.

[24]
Kommunikation: Die im Recht sehr wichtige Information und Kommunikation wird wesentlich erleichtert: automatisierte Zustellung, Bestätigung des Empfangs bzw. wechselseitiger Abgleich der relevanten Dokumente nach festgelegtem Zugänglichkeitsstatus etc.
[25]

Relationen: Der Kern der Netzwerkanalysen der letzten Jahre ist die Herstellung von Relationen. Derzeit ist dies noch auf Verweisungen konzentriert, aber in Zukunft können – individualisierbar – Fakten, Personen, Begriffe, Normen, Urteile und juristische Argumente als Relation im jeweiligen Netzwerk dargestellt werden. Viele Begrifflichkeiten des Rechts sind auf diese Weise besser beschreibbar als mit Sprache. Der Rechtsvisualisierung kommt eine besondere Rolle zu.

5.

Communities ^

[26]
Wegen der schwachen institutionellen Unterstützung ist die Rechtsinformatik viel weniger durch die akademischen Institionen als die Communities (auf Deutsch dürfte am besten Gemeinschaften den Sinn ausdrücken) geprägt. Formaler Kern ist zwar die Mitgliedschaft, diese wird aber zunehmend durch das Engagement in der Gruppe überlagert. Daher stellen die jeweiligen Treffpunkte – die Konferenzen, Symposien und Workshops – die Fassade der Gruppe dar. Am stärksten ist dies beim IRIS spürbar. Hier gibt es viele Stakeholder, die sich informell unter akademischer Leitung für die Rechtsinformatik engagieren.
[27]
Die Beschreibung der Communities kann aus Platzgründen nur sehr kursorisch erfolgen und ist auch hinsichtlich der Auswahl subjektiv.

5.1.

IRIS (inkl. OCG-Rechtsinformatik und GI-Rechtsinformatik) ^

[28]
Das IRIS4 ist – neben dem EDV-Gerichtstag – die Plattform der deutschsprachigen Rechtsinformatik, ist sehr umfassend und deckt alle Themen ab. Von den Besucherzahlen ist sie zwar etwas kleiner als der EDV-Gerichtstag, versammelt aber wesentlich mehr Wissenschaftler und ist immer internationaler. Neben den Schwerpunktländern Österreich, Deutschland und Schweiz kommen zunehmend internationale Gäste, insbesondere aus Finnland, Japan, Tschechien, Polen, Italien, Belgien, Luxemburg und Slowenien.
[29]
Die GI (Gesellschaft für Informatik)5 spielt seit Beginn eine wesentliche Rolle in der deutschsprachigen Rechtsinformatik. Die wesentlichen Stakeholder haben sich unter dem Dach der GI getroffen und wesentliche Konferenzen sind dort angedacht worden; darunter auch das IRIS. Auch der EDV-Gerichtstag und die DGRI Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik haben ihre Wurzeln in dieser Community. Die OCG Österreichische Computer Gesellschaft6 hat eine ähnliche Rolle – beschränkt auf Österreich. Beiden Gesellschaften ist gemein, dass sie sich intensiv für die Rolle der Informatik in der Gesellschaft einsetzen und Rechtsinformatik ein wesentlicher Teil dieses Engagements darstellt. Der Fachbereich Informatik in Recht und Verwaltung organisiert seit vielen Jahren die Fachtagung Verwaltungsinformatik + Fachtagung Rechtsinformatik.

5.2.

EDV-Gerichtstag ^

[30]
Der EDV-Gerichtstag7 ist die größte Plattform der deutschen Rechtsinformatik und hat drei wesentliche Schwerpunkte: E-Justice, Rechtsinformation und nunmehr auch LegalTech. Bemerkenswert ist die starke Einbindung der Praktiker (Richter, Staatsanwälte etc.) als auch der Wirtschaft (Verlage, Technologieanbieter etc.).

5.3.

DGRI Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik ^

[31]
Die Deutsche Gesellschaft für Recht und Informatik8 zeichnet sich durch zwei wesentliche Tagungen aus: die DGRI Jahrestagung und die Tagung der DGRI Akademie. Seit vielen Jahren dominieren die rechtlichen Themen, zuerst unter der Bezeichnung des Informationsrechts und nunmehr des IT-Rechts.

5.4.

ICAIL International Conference on Artificial Intelligence & Law ^

[32]
Die ICAIL International Conference on Artificial Intelligence & Law ist immer noch das Nonplusultra in der AI & Recht. Diese findet alle zwei Jahre statt und ist auch der Kern der dahinter stehenden formalen und viel weniger bekannten Community International Association of Artificial Intelligence & Law. Ein wesentlicher Element der ICAIL sind die Workshops. Diese können viel flexibler auf neue technologische Entwicklungen und praktische Schwerpunkte reagieren. Die ICAIL hatte über lange Jahre ein Legacy Problem mit der Dominanz formaler Methoden, insbes. der Rechtslogik, aber auch dem wissenschaftlich verständlichen Bestehen auf Konsistenz neuer Beiträge mit den bisherigen Errrungenschaften.
[33]
In der Außenwahrnehmung hat die vornehmlich wirtschaftlich geprägte LegalTech-Entwicklung die ICAIL stark überlagert. Dort spielt Legacy keine Rolle, sondern funktionierende und in der Praxis einsetzbare Apps für juristische Aufgaben. Das Know-how kommt aus der praktischen Informatik; für die Theorie der AI & Recht hat man nur wenig Interesse. Zunehmend zeigt sich aber, dass bei wirklich intelligenten Produkten die Überlegungen der AI & Recht relevant sind; aber Lösungsansätze doch eher von der LegalTech-Community kommen werden.

5.5.

SubTech Substantive Technology in the Law School and Law Practice ^

[34]
Die SubTech Substantive Technology in the Law School and Law Practice9 ist auf Initiative von Mark Lauritsen entstanden; die erste Konferenz wurde interessanterweise in Salzburg gemeinsam mit Vikotr Mayer-Schönberger veranstaltet. Im Jahr 2014 fand die Konferenz unter Leitung des Erstautors an der Universität Wien statt. Für lange Jahre war dies der Treffpunkt der juristischen E-Learning-Szene; nunmehr wird ein wesentlich breiteres Themenfeld bespielt. Der Verbesserung des Zugangs zum Recht durch neue Lernmethoden als auch dem Engagement von Bibliotheken und Rechtsfakultäten (in der Form von «Law Clinics») für die Öffentlichkeit und die Zivilgesellschaft wird große Bedeutung beigemessen.

5.6.

Law via the Internet / Free Access to Law Movement ^

[35]
Universitäten, insbes. Juristen und Informatiker, haben eine wesentliche Rolle gespielt, dass Recht heute – fast selbstverständlich – über das Internet für jedermann zugänglich ist. Die Free Access to Law Movement (FALM)10 unter der langjährigen Koordination des Australasian Legal Information Institute (AustLII) hat nicht nur die Technologie weiterentwickelt, sondern auch die Beispiele besetzt, denen nunmehr andere gefolgt sind oder noch folgen wollen. In Europa selbst hat vornehmlich die Verwaltung diese Aufgabe übernommen (Bundeskanzleramt in Österreich, Amt für Veröffentlichungen der EU, etc.). Auf Bestreben des Erstautors ist das österreichische Rechtsinformationssystem des Bundes in der Form des LII-Austria nunmehr auch Mitglied der Free Access to Law Movement (FALM). Als Netzwerktreffen dient die gut eingeführte Konferenz Law via the Internet.

5.7.

JURIX ^

[36]
Die JURIX11 - The Foundation for Legal Knowledge Based Systems - ist formal eine Stiftung nach niederländischem Recht mit geringer Rolle der Community. Viel bekannter ist die JURIX als jährliche AI & Recht-Konferenz in Europa. Zu Beginn war diese noch vornehmlich eine niederländische Konferenz mit ausländischer Beteiligung (insbes. Großbritannien, USA, Italien). Nunmehr hat sie sich zu einer wirklich europäischen Konferenz gewandelt. Wichtiges Merkmal dafür ist der wandernde Konferenzort in Europa. Wichtige Entscheidungen werden nunmehr von einem internationalen Steering Committee getroffen, bei dem auch der Erstautor Mitglied ist. Auch bei der JURIX spielen die Workshops eine wichtige Rolle, um die Dynamik der Rechtsinformatik besser abzubilden. Im Jahre 2011 fand die JURIX unter Organisation des Erstautors an der Universiätt Wien statt.

5.8.

BILETA British and Irish Legal Education Technology Association ^

[37]
Die BILETA British and Irish Legal Education Technology Association12 ist die Jahreskonferenz der englischen, schottischen, nordirischen und irischen Rechtsinformatik. Ursprünglich ist diese gegründet worden, um den Einsatz der IT in der juristischen Ausbildung zu koordinieren bzw. auch Werkzeuge dazu zu entwickeln (ähnlich wie das US-amerikanische Pendant der CALI). Dieser Aspekt ist heute stark in den Hintergrund getreten. Die Konferenz beschäftigt sich vornehmlich mit IT Recht – entspricht damit auch der wichtigsten Aufgabe der Rechtsinformatik- bzw. IT-Rechtsgruppen an den jeweiligen britischen und irischen Universitäten. Die BILETA findet gelegentlich auch auf dem Kontinent statt; so 2010 auch an der Universität Wien unter Organisation des Erstautors.

5.9.

Nordic Conference on Legal Informatics ^

[38]
Die Nordic Conference on Legal Informatics13 ist auf Initiative von Peter Seipel zur Förderung von Dissertationen in der Rechtsinformatik entstanden. Nunmehr hat sie sich zu einer voll ausgebildeten Konferenz zur Rechtsinformatik mit starker internationaler Beteiligung entwickelt. War über lange Jahre noch «Skandinawisch» die Konferenzsprache, ist nunmehr Englisch vorherrschend. Den Kern der Konferenz bildet immer noch die informelle und intensive Zusammenarbeit zwischen den skandinavischen Rechtsinformatikinstituten in Oslo, Stockholm, Rovaniemi und Kopenhagen, was sich auch in der wechselnden Abhaltung dieser Konferenz an diesen Orten widerspiegelt.

5.10.

Cyberspace ^

[39]
Die Cyberspace Konferenz14 war ursprünglich ein tschechisches Treffen zu den technischen und rechtlichen Aspekten der Rechtsinformatik. Die veranstaltende Universität – Masaryk University in Brno – wollte sich frühzeitig intensiv mit dieser Thematik auch international auseinandersetzen und hatte das Glück, auch ein ambitioniertes und junges Team vorzufinden, das diese Konferenz zu einem wesentlichen Treffpunkt ausgebaut hat. Ein Merkmal der Cyberspace ist die starke interdisziplinäre Ausrichtung, insbes. zur Philosophie, aber auch zu Religionsfragen. Die Cyberspace ist als Treffpunkt der jüngeren Rechtsinformatiker in Mittel- und Osteuropa sehr beliebt. Brno und die Masaryk University tragen als Gastgeber wesentlich dazu bei.

5.11.

LEFIS Legal Framework for the Information Society ^

[40]
Schon sehr früh haben sich die Rechtsinformatik Institute für das Erasmus Programm interessiert, um durch die damit verbundene Förderung den Studenten und Lehrenden einen Austausch zu bieten, aber auch die Lehrprogramme zu verbessern. Dieser Austausch findet noch heute statt; ist aber durch die nunmehrige universitäre Kooperation weitgehend überlagert.
[41]
Auf Initiative der Universität von Zaragoza wurde in den 1990er Jahren mit Unterstützung der europäischen Kommission eine intensive Zusammenarbeit mit über 90 Stakeholdern organisiert, und zwar unter dem Namen von LEFIS Legal Framework for the Information Society15. Vielfältige Initiativen finden sich unter dem Dach von LEFIS; bemerkenswert ist insbesondere die Zusammenarbeit mit Lateinamerika und den dortigen Rechtsinformatikgruppen, insbesondere der FIADI Federación Iberoamericana de Asociaciones de Derecho e Informática.

5.12.

CodeX Center for Legal Informatics, University of Stanford ^

[42]
Einen ganz anderen Ansatz hat die University of Stanford gewählt. Gemäß ihrer herausragenden Rolle in der Etablierung des Silicon Valley als IT Standort, hat sie sich der Förderung der Innovation und von Start-ups verschrieben und hierfür das CodeX Center for Legal Informatics16 gegründet. Während bei den anderen Gruppen die akademischen Produkte im Vordergrund stehen, ist dies bei CodeX die wirtschaftlich einsetzbare Innovationen. Diesen wird bei wöchentlichen Treffen (auch mit Online-Beteiligung) sowie bei jährlichen Konferenzen ein Forum zur Präsentation und Weiterentwicklung geboten. Auf diese Weise ist CodeX zu einem der Zentren der LegalTech-Community geworden.

5.13.

Tagung für Informatik und Recht ^

[43]
In der Schweiz spielen die Tagung für Informatik und Recht17 sowie die die Magglinger Rechtsinformatikseminare18 die Rolle von Organisatoren der Community in Recht und IT.

6.

Schlussfolgerungen ^

[44]
Aus der Sicht rechtswissenschaftlicher Fakultäten ist die Rechtsinformatik eine doch sehr spezielle Disziplin: interdisziplinär, international, offene Communities, noch immer etwas vom «Goldrausch» einer neuen Disziplin geprägt, oft lokal ein wenig moribund, aber in Summe als weltweites Phänomen schon seit mehr als 50 Jahren lebendig. Die Chance einer stärkeren Dominanz über diese Entwicklung durch Aufbau von entsprechenden Gruppen an den Universitäten und ausreichender Finanzierung wurde vielfach vertan, insbesondere im deutschsprachigen Raum. Trotzdem, insbesondere durch das Engagement der Verwaltung, Wirtschaft und vor allem der Zivilgesellschaft, gibt es diese Communities, die bei der anstehenden Revolution im Rechtssystem dafür sorgen, dass diese Entwicklung auch entsprechend den gesellschaftlichen Interessen ablaufen wird. Das Ziel des Rechts wird besser verwirklicht, weil die Kosten von juristischen Produkten sinken und damit immer mehr als nur eine ausgewählte Gruppe das Recht als Steuerungselement nutzen können.
  1. 1 Dieser Satz, geäußert bei der FTVI+FTRI2016, drückt die Problematik – insbes. in der Verwaltungsinformatik – gut aus: Die Menschen sehen die Herausforderung, den Schulungsaufwand, die Notwendigkeit der Umstellung und wünschen sich die «gute, alte» Papierwelt zurück. Diese Hoffnung ist irreal; der Trend zur Digitalisierung ist unumkehrbar. Recht und Verwaltung stehen vor der Herausforderung, diesen Wind zu nutzen und Synergien zu entwickeln.
  2. 2 Europäisches Parlament, Künstliche Intelligenz: Roboter erobern unseren Alltag, 22. April 2016 (http://www.europarl.europa.eu/pdfs/news/public/story/20160419STO23952/20160419STO23952_de.pdf [alle Internetquellen abgerufen am 10. Februar 2017]).
  3. 3 Schweighofer, Erich, Vorüberlegungen zu künstlichen Personen: Autonome Roboter und intelligente Softwareagenten, in: IRIS2001, S. 45–54.
  4. 4 IRIS Website: https://www.univie.ac.at/RI/iris17.
  5. 5 GI Website: https://www.gi.de/.
  6. 6 OCG Website: http://www.ocg.at/.
  7. 7 Website Deutscher EDV-Gerichtstag: https://www.edvgt.de/.
  8. 8 Website der 16th International Conference on Artificial Intelligence and Law, 12.–16. Juni 2017, London, https://nms.kcl.ac.uk/icail2017/.
  9. 9 Blog der SubTech2016: https://blog.richmond.edu/subtech/files/2016/05/SubTech-2016-Schedule-as-of-16-June-2016.pdf.
  10. 10 Website: http://www.fatlm.org/.
  11. 11 Website: http://jurix.nl/.
  12. 12 Website: http://www.bileta.ac.uk/.
  13. 13 Website der XXXI Nordic Conference on Law & IT: https://irilaw.org/e16/.
  14. 14 Website http://cyberspace.muni.cz/.
  15. 15 Website: http://www.lefis.org.
  16. 16 Website: https://law.stanford.edu/codex-the-stanford-center-for-legal-informatics/.
  17. 17 Website: https://rechtsinformatik.ch/.
  18. 18 Website: https://www.bj.admin.ch/bj/de/home/staat/rechtsinformatik/tagungen/magglingen.html.