1.
Verständliche Gesetzessprache – ein kurzer Problemaufriss ^
2.
Ein Modell für verständliche Fachkommunikation ^
2.1.
Randbedingungen für die Gestaltung verständlicher Fachtexte ^
Die Analyse und ggf. der Ausgleich der kommunikativen Ziele von Autoren und Lesern ist eine wesentliche Voraussetzung für die zielgruppengerechte Gestaltung von Texten. Wenn die Leser andere Interessen verfolgen als der Autor von ihnen annimmt, dann sind Vorklärungen dringend vonnöten, z.B. zu folgenden Fragen: Geht es um Handlungskompetenz (etwa die Inbetriebnahme eines neuen Elektrogeräts), um Entscheidungskompetenz (etwa hinsichtlich der Wahl einer Alternative) oder lediglich um Wissenszuwachs (etwa beim Lesen eines Lehrbuchs)?
2.2.
Dimensionen der Textverständlichkeit ^
2.3.
Anwendung des Modells ^
3.
Spezifische Aspekte für Legisten: Fünf plakative Annäherungen ^
3.1.
Ludwig Reiners oder die Gleichsetzung literarischer Stilideale mit Verständlichkeit ^
3.2.
Marcus Tullius Cicero oder das Ideal des «Einen Satzes» ^
§ 9. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann nach Anhörung der in Betracht kommenden Interessenvertretungen und des Hauptverbandes (§ 31) Gruppen von Personen, die keinem Erwerbe nachgehen oder als Grenzgänger in einem benachbarten Staat unselbständig erwerbstätig sind und einer gesetzlichen Pflichtversicherung für den Fall der Krankheit nicht unterliegen, aber eines Versicherungsschutzes bedürfen, durch Verordnung in die Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz einbeziehen, wenn der Einbeziehung nicht öffentliche Rücksichten vom Gesichtspunkt der Sozialversicherung entgegenstehen.
§ 9. (1) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann durch Verordnung folgende Gruppen von Personen in die Krankenversicherung nach diesem Bundesgesetz einbeziehen, wenn diese nicht gesetzlich für den Fall der Krankheit pflichtversichert sind:
1. Personen, die keinem Erwerb nachgehen
2. Personen, die als Grenzgänger in einem benachbarten Staat unselbständig erwerbstätig sind.
(2) Eine solche Verordnung darf nur erlassen werden, wenn
1. die Personen einen Versicherungsschutz benötigen
2. vom Gesichtspunkt der Sozialversicherung nicht öffentliche Rücksichten entgegenstehen.
(3) Vor Erlassung der Verordnung müssen der Hauptverband (§ 31) und die in Betracht kommenden Interessenvertretungen angehört werden.
3.3.
Das Bilderverbot oder das Misstrauen gegenüber nicht-natürlichsprachlichen Mitteln ^
3.4.
Konrad Duden überinterpretieren oder der Wunsch nach perfekter Präskription ^
3.5.
Kaiserin Maria Theresia oder von der Aktualität der Aufklärung ^
4.
Resümee: Was tun? ^
- Man sollte bei der Diskussion dieser Fragestellungen nicht im Gestus des Grundsätzlichen verharren (Skeptiker vs. Schwärmer), sondern versuchen das «Übel» mit Augenmaß und an der Wurzel zu packen (d.h. an den Gesetzen selbst anzusetzen). Formulierungen in Gesetzen kaskadieren in Verordnungen, Bescheide und Formulare hinein; insofern haben bürgerfreundliche Übersetzungen für juristische Laien immer den Charakter von Notlösungen. Darüber hinaus würden gerade Juristen besonders von verständlicheren Gesetzen profitieren, da es ihre Arbeit im Alltag erleichtert.
- Bei Projekten und wissenschaftlicher Forschung ist die transdisziplinäre Perspektive besonders relevant. Es geht nicht nur darum, dass unterschiedliche Forschungsdisziplinen wie Kognitionswissenschaft, angewandte Linguistik und juristische Methodenlehre das Objekt Gesetzessprache beforschen, sondern dass auch der Prozess der Gesetzeswerdung und die handelnden Personen (Stakeholder) bei derartigen Projekten mit einbezogen werden. Empirische Studien zum Thema sollten stets den Anspruch ökologischer Validität verfolgen.
- Methoden benachbarter Disziplinen können die Diskussion über verständliche Gesetzessprache befruchten. Beim Blick über den Tellerrand scheinen mir Disziplinen wie Usability Engineering, Informationsdesign, Prozessmanagement, Cognitive Science, Terminologiewissenschaft und Textsortenlinguistik mit ihren theoretischen Ansätzen und ihrem reichhaltigen Methodeninventar besonders nützlich zu sein. Der Methodeneinsatz sollte dabei nicht willkürlich, sondern in Form eines theoretisch reflektierten Eklektizismus erfolgen.
- In diesem Artikel wurde kaum auf die reale Welt beim Entstehen und Novellieren von Gesetzen eingegangen (Zeitdruck, politische Kompromisse, Interventionen, parlamentarische Prozesse etc.). Hier liegt vermutlich die schwierigste Aufgabe, wie man wirkungsvolle Prozesse entwickeln und institutionell verankern kann. Doch auch hierfür gibt es erfolgreiche Beispiele, wie etwa die VIRK (Verwaltungsinterne Redaktionskommission) in der Schweiz zeigt.19
- Zuletzt sei auf Schulungen für angehende Juristen und Legisten verwiesen, die derzeit wenig angeboten werden. Das Formulieren verständlicher Texte lässt sich erlernen und trainieren. Besonders nützlich dabei ist die Diskussion in peer-groups über mögliche Varianten und deren Vor- und Nachteile.
- 1 Die Artikel aller drei von Kent Lerch herausgegebenen Sammelbände zu diesem Themenbereich sind online im Volltext verfügbar: http://edoc.bbaw.de/.
- 2 Antos/Eichhoff-Cyrus, Verständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts- und Verwaltungssprache in der öffentlichen Diskussion, Peter Lang, Frankfurt a.M. 2008.
- 3 Zur pointierten Darstellung dieser Gegensätze und Ansätzen zur Auflösung siehe Nussbaumer, Von Schwärmern und Skeptikern und ein Versuch, Realist zu sein. In: Lerch (Hrsg.), Recht verstehen. Verständlichkeit, Missverständlichkeit und Unverständlichkeit von Recht, de Gruyter, Berlin 2004, S. 285–295.
- 4 Noch immer lesenswert ist die umfangreiche empirische Studie von Pfeiffer/Strouhal/Wodak, Recht auf Sprache. Verstehen und Verständlichkeit von Gesetzen, Orac, Wien 1987; aus juristischer Sicht der posthum herausgegebene Sammelband von Aufsätzen Otto Schönherrs: Schönherr, Sprache und Recht. Aufsätze und Vorträge, Manz, Wien 1985; die aktuelle Diskussion zusammenfassend mit einem umfangreichen Fallbeispiel zum ASVG Lutz, Verständlichkeitsforschung transdisziplinär. Plädoyer für eine anwenderfreundliche Wissensgesellschaft, V&R unipress, Göttingen 2015.
- 5 Vgl. Kimble, Writing for Dollars, Writing to Please. The Case for Plain Language in Business, Government, and Law, Carolina Academic Press, Durham 2012.
- 6 Umfangreiche Details und Begründungen dazu in Lutz, a.a.O., Kapitel 6.
- 7 Langer/Schulz von Thun/Tausch, Sich verständlich ausdrücken11, Reinhardt, München 2011.
- 8 Vgl. Öhlinger, Sprache und Recht – eine Problemskizze. In ders. (Hrsg.), Recht und Sprache. Fritz Schönherr – Gedächtnissymposium 1985, Manz, Wien 1986.
- 9 Reiners, Stilfibel. Der sichere Weg zum guten Deutsch, dtv, München 1963.
- 10 Vgl. Eroms, Stil und Stilistik. Eine Einführung, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008.
- 11 Umfangreiche Details und Begründungen dazu in Lutz, a.a.O., Kapitel 5.6.
- 12 Vgl. Ernst, Lesbarkeit von Rechnungswesenbüchern an kaufmännischen Berufsschulen, Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik 2011, S. 408–423.
- 13 Siehe ausführlich Lutz, a.a.O., Kapitel 9.2.
- 14 Vgl. Buchta, Die Ausgestaltung von Normen mit mathematischem Hintergrund im neu zu erlassenden Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz. In: Bundesministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Hrsg.), ASVG – Neue Wege für die Rechtsetzung, Verlag Österreich, Wien 1999, S. 199–250.
- 15 Vgl. Brunschwig, On Visual Law: Visual Legal Communication Practices and Their Scholarly Exploration. In: Schweighofer et al. (Hrsg.), Zeichen und Zauber des Rechts. Festschrift für Friedrich Lachmayer, Editions Weblaw, Bern 2014, S. 899–933.
- 16 Vgl. Kress, Multimodality. A Social Semiotic Approach to Contemporary Communication, Routledge, London 2010; Diekmannshenke et al. (Hrsg.), Bildlinguistik. Theorien – Methoden – Fallbeispiele, Verlag Erich Schmidt, Berlin 2011; zusammenfassend Lutz, a.a.O., S. 182ff.
- 17 In Österreich wohl am bekanntesten Schönherr, Sprache und Recht. Aufsätze und Vorträge, Manz, Wien 1985, S. 9–18. Die meisten der Hinweise sind auch heute gut brauchbar, einige wirken allerdings willkürlich oder veraltet.
- 18 Ebenda, S. 83.
- 19 Vgl. Nussbaumer, Der Verständlichkeit eine Anwältin! Die Redaktionskommission der schweizerischen Bundesverwaltung und ihre Arbeit an der Gesetzessprache, In: Antos/Eichhoff-Cyrus, Verständlichkeit als Bürgerrecht? Die Rechts- und Verwaltungssprache in der öffentlichen Diskussion, Peter Lang, Frankfurt a.M. 2008, S. 301–323.