1.
Namen als Bedeutungsträger ^
«Gefühl ist alles;/Name ist Schall und Rauch [...]» erklärt Goethes Faust Margarethe in dem Bemühen, ihrer sprichwörtlich gewordenen Frage auszuweichen.1 Tatsächlich kann es auf den ersten Blick so scheinen, als wären Namen, insbesondere Personennamen, die auf den Zufälligkeiten von Geburt und Herkunft gründen, wenig geeignet, als Träger von Bedeutung zu fungieren. Demgegenüber bestimmte etwa der frühe Ludwig Wittgenstein den Namen im Tractatus logico-philosophicus als «Urzeichen». Obwohl man «Namen [...] nicht durch Definitionen auseinanderlegen» könne, weil kein «Zeichen [...] allein, selbständig, eine Bedeutung» habe, «können die Bedeutungen von Urzeichen durch Erläuterung erklärt werden [...]. Der Name bedeutet den Gegenstand. Der Gegenstand ist seine Bedeutung.»2
2.
Reframing ^
3.
Joanne K. Rowling und Robert Galbraith ^
4.
Pseudonym, Anonymität, Bedeutungswandel ^
Zugleich lässt sich auf Bedeutungsebene ein weiteres Phänomen beobachten: Indem zunächst darauf verzichtet wurde, die mit dem Namen Rowling seitens der Außenwelt verknüpften Bedeutungen in den Prozess des Publizierens eines neuen Romans einzubeziehen, konnten diesem später, nach Lüften des Pseudonyms, neue Bedeutungen hinzugefügt werden. Er steht nun, aus Sicht zahlreicher Leserinnen und Leser, aber auch des Feuilletons, für eine vielseitige Schriftstellerin, deren erzählerisches, thematisches wie sprachliches Repertoire noch weit mehr umfasst als ohnehin schon evident war. Dies verändert vermutlich nicht zuletzt auch künftige Erwartungen der Trägerin dieses Namens gegenüber, womöglich lässt es manche sogar über die Vorurteilshältigkeit ihres je eigenen Erwartungshorizonts nachdenken. Der Begriff «Vorurteil» wird dabei im Sinne der Bezeichnung «ausgeprägte[r] positive[r] und negative[r] Urteile oder Einstellungen eines Mitmenschen über ein Vorurteilsobjekt» verstanden, von denen man bezweifeln kann, ob sie als «realitätsgerecht» gelten können, die aber «trotz» Vorliegens relevanter «Gegenargumente» von bestimmten Personen oder Gruppen nicht aufgegeben werden. Allerdings:
«Da wir in unseren Urteilen zumeist nur unsere Sichtweise wiedergeben und Urteile fast immer gewisse Verallgemeinerungen enthalten, sind in jedem Urteil Momente des Vorurteilshaften zu finden.»15
«Der Mensch ist zuerst ein Entwurf, der sich subjektiv lebt [...]; nichts existiert diesem Entwurf vorweg [...], und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir gewöhnlich unter Wollen verstehen, ist eine bewusste Entscheidung, die für die meisten unter uns dem nachfolgt, zu dem sie sich selbst gemacht haben.»16
Wenn dem Menschen sein «Selbst» jedoch «nicht vorgegeben» ist, kann seine Findung als Aufgabe gelten. Menschen müssen ihr Selbst insofern «im Nachdenken, Prüfen, Handeln und im Gespräch [...] finden, erfinden».17
«Es ist eben diese Form von Selbstverständnis einer Person [...], die erst als Autonomie bezeichnet werden kann: also von sich selbst einen Begriff, ein Verständnis zu haben dessen, dass so, wie man lebt – in Grenzen, aber doch in wichtigen Hinsichten – und so, wie man sich verhält – in Grenzen, aber doch in wichtigen Hinsichten – selbst gewollt, oder doch: selbst akzeptiert ist; und damit also ein Selbstverständnis, das auch bedeutet, den Meinungen, Erwartungen, Forderungen anderer (einer Familie, einer sozialen Gruppe, einer Gesellschaft), den Umständen des Lebens nicht einfach ausgesetzt zu sein [...].»20
Priv.-Doz. Dr. iur Dr. phil. Dr. phil. Gerhard Donhauser, Lehrtätigkeit an den Universitäten Klagenfurt und Wien.
- 1 Goethe, Johann Wolfgang v., Faust. Texte. In: Schöne, Albrecht (Hrsg.), Deutscher Klassiker Verlag, Frankfurt am Main 1999, S. 148.
- 2 Vgl. Wittgenstein, Ludwig, Tractatus logico-philosophicus. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen. 11. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, S. 19 f.
- 3 Zum weiten Themenfeld der Ich-Identität vgl. z.B. Donhauser, Gerhard, Das bedrängte Ich. Ich-Konzepte bei Freud und Mach. In: Stadler, Friedrich (Hrsg.), Vienna Circle Institute Yearbook. Springer, Dordrecht 2018 (im Druck).
- 4 Vgl. dazu § 93 ABGB, JGS 946/1811, vor und nach dem Ehenamensrechtsänderungsgesetz BGBl 1986/97 sowie in der nunmehr geltenden Fassung, BGBl I 15/2013. Vgl. zum Thema z.B. Dölemeyer, Barbara, Frau und Familie im Privatrecht des 19. Jahrhunderts. In: Gerhard, Ute (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Beck, München 1997, S. 633–658, S. 641 f.; Schwab, Dieter, Gleichberechtigung und Familienrecht im 20. Jahrhundert. In: Gerhard, Ute (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Beck, München 1997, S. 790–827, S. 808 ff.
- 5 Vgl. dazu auch Donhauser, Gerhard, Psychologie und Philosophie. öbv, Wien 2015, 295.
- 6 Vgl. z.B. Sartre, Jean-Paul, Der Existentialismus ist ein Humanismus. In: Sartre, Jean-Paul (Hrsg.), Drei Essays. Mit einem Nachwort von Walter Schmiedle. 9., durchges. Aufl. Ullstein, Berlin 1985, S. 42; Safranski, Rüdiger, Das Böse oder Das Drama der Freiheit. Hanser, München/Wien 1997, S. 11; Hustvedt, Siri, Die zitternde Frau. Eine Geschichte meiner Nerven. Aus dem Englischen von Uli Aumüller und Grete Osterwald. 4. Aufl. Rowohlt, Reinbek 2010, S. 67 ff.
- 7 Vgl. Watzlawick, Paul/Weakland, John H./Fisch, Richard, Lösungen. Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Huber, Bern/Stuttgart 1974, 116–134.
- 8 Zur literarischen Qualität vgl. z.B. auch Maar, Michael, Warum Nabokov Harry Potter gemocht hätte. Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin 2003.
- 9 Rowling, Joanne K., The Casual Vacancy. Litte, Brown and Company, London 2012.
- 10 Vgl. z.B. Kakutani, Michiko, Darkness and Death, No Magic to Help. Book Review: «The Casual Vacancy» by J. K. Rowling, New York Times, 27. September 2012; http://www.nytimes.com/2012/09/27/books/book-review-the-casual-vacancy-by-j-k-rowling.html (abgerufen am 9. Mai 2018).
- 11 Galbraith, Robert, The Cuckoo’s Calling. Sphere Books, London 2013.
- 12 Galbraith, Robert, The Silkworm. Sphere Books, London 2014.
- 13 Galbraith, Robert, Career of Evil. Sphere Books, London 2015.
- 14 Vgl. Gemoll, Wilhelm, Griechisch-deutsches Schulwörterbuch. Durchgesehen und erweiert von Karl Vretska. Mit einer Einführung in die Sprachwissenschaft von Heinz Kronasser. 9. Aufl. Hölder-Pichler-Tempsky, Wien 1997, S. 813, S. 85.
- 15 Vgl. Bergmann, Werner, Was sind Vorurteile? In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.), Informationen zur politischen Bildung, Heft 271 (2006), S. 4–13, S. 43–55, S. 4.
- 16 Sartre (Fn. 6), S. 11.
- 17 Safranski (Fn. 6), S. 42.
- 18 Vgl. z.B. Arendt, Hannah,Wir Flüchtlinge [1943]. In: Arendt, Hannah (Hrsg.), Zur Zeit. Politische Essays. Herausgegeben von Marie Luise Knott. Aus dem Amerikanischen von Eike Geisel. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe, Hamburg 1999, S. 7–21, insbes. S. 15 f.
- 19 Vgl. dazu auch Donhauser, Gerhard, Wer hat Recht? Eine Einführung in die Rechtsphilosophie. new academic press, Wien 2016, S. 157–162
- 20 Rössler, Beate, Bedingungen und Grenzen von Autonomie. In: Pauer-Studer, Herlinde/Nagl-Docekal, Herta (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit und Autonomie (= Wiener Reihe. Themen der Philosophie, Bd. 11). Oldenbourg, Wien 2003, S. 327–357, S. 353.