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Neue Zugänge zur Quellenrecherche: Effizienz- und Qualitätssteigerung im Recht

  • Authors: Veronika Haberler / Elisabeth Aschauer
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: LegalTech, Legal Theory
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2018
  • Citation: Veronika Haberler / Elisabeth Aschauer, Neue Zugänge zur Quellenrecherche: Effizienz- und Qualitätssteigerung im Recht, in: Jusletter IT 22 February 2018
Quellenrecherche und sorgfältiges Zitieren sind die Basis einer jeden wissenschaftlichen Disziplin. Die Juristerei bildet hierbei keine Ausnahme, kämpft aber zusehends mit der Zersplitterung des Wissensbestands auf zahlreiche Datenbanksysteme bei gleichzeitig zunehmendem Zeitdruck. Soll Qualitätsverlust vermieden werden, müssen auch neue technische Lösungen Eingang in die Arbeitspraxis von RechtsanwältInnen, RichterInnen und WissenschaftlerInnen finden. Legal Tech baut effiziente Brücken zwischen Rechtsdatenbanken, juristischen Dokumenten und UserInnen, indem manuelle Datensuche vollautomatisch erledigt wird.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Problemfelder in der Quellenrecherche
  • 2. Die Rollen der Akteure
  • 3. Digitaler Datenpool
  • 4. Lösung: Legal Tech?
  • 5. Anwendungsbeispiel Zitatkontrolle
  • 6. Fazit

1.

Problemfelder in der Quellenrecherche ^

[1]
Die Untermauerung der Argumentation bzw. die Abbildung des Forschungsstandes mit Rechtsprechung und Literaturmeinungen in Schriftstücken sowie in wissenschaftlichen Arbeiten ist unabkömmlich.
[2]

Juristische Quellenrecherche bietet in der Praxis ein hohes Potential für Fehleranfälligkeit. Fehlzitate oder simple Tippfehler verschulden einen nicht unerheblichen Qualitätsverlust, Quellen werden inhaltlich verfälscht oder gänzlich falsch wiedergegeben, oder sie sind für die LeserInnen unauffindbar.1 Dadurch wird die Nachvollziehbarkeit der Argumentationskette unterbrochen, was die Lesenden vor teils unlösbare Schwierigkeiten stellt, möchte man nachvollziehen können, worauf die VerfasserInnen ihre Argumente stützen. Um eine eigene Rechtsmeinung dennoch mit Quellen zu untermauern, wird bisweilen darauf verzichtet, dem eigentlichen Ursprung der Quelle nachzugehen, und man behilft sich mit unüberprüften Sekundärzitaten. Die so entstehende Zweit- oder Mehrfach-Zitation perpetuiert und verfestigt unsauber verkürzte Zitate im Ergebnis; der Grundstein für die Entstehung juristischer «Legenden» ist gelegt: Rechtsmeinungen, die tatsächlich nie gebildet wurden und so jeglicher Grundlage entbehren, geistern in der juristischen Fachwelt herum. Der Versuch einer Richtigstellung wird selten unternommen.

[3]

Bittner nahm sich eines «Fehlzitats» aus der Rechtsprechung im Bereich des MRG an und publizierte seine Suche.2 Er zeigt in seinem Aufsatz in der NZ, wie sich ein fehlerhaftes Zitat in Lehre und Rsp. fortpflanzen und durch beständiges Wiederholen aus einem Fehlzitat gar die «herrschende Meinung» werden kann.

[4]
Die gebildete Kette an (falscher) Literatur und Rechtsprechung führt er auf den Fehler eines OGH-Referenten zurück, welcher «offenbar bei Klang zwei Seiten zu wenig geblättert»3 haben soll und daher Klang eine falsche Meinung unterstelle.4
[5]

Ein weiteres Beispiel der unreflektierten Legendenbildung kann im Zivilprozessrecht gefunden werden. Das OLG Wien diskutiert in 14 R 207/98h ausführlich eine Irrlehre und widerlegt sie überzeugend. Ihr zufolge soll bei sonstiger Nichtigkeit ein Unterbrechungsbeschluss nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gefasst werden können. Gemäß § 427 ZPO können Beschlüsse grundsätzlich auch außerhalb der Verhandlung gefasst werden, es sei denn, das Gesetz ordnet im Einzelfall eine solche zwingend an. Obwohl es im Rahmen eines Unterbrechungsbeschlusses i.S.d. §§ 190 f. ZPO keine derartige gesetzliche Anordnung gibt, hat sich die Ansicht verbreitet, dass ein «Unterbrechungsbeschluss […] in einer mündlichen Verhandlung gefasst werden [muss] […]; sonst nimmt die h.A. Nichtigkeit gem. § 477 Abs. 2 (sic!5) Z 4 ZPO an […].»6 Obwohl die meisten Standard-Kommentare seit den späten 1990er Jahren überarbeitet und neu aufgelegt wurden, fand die Entscheidung des OLG Wien in diese noch immer keinen Eingang (soweit überprüfbar). Dies zieht nach sich, dass leider auch ein Großteil der erstinstanzlichen Rsp. in der Praxis auf dem Standpunkt beharrt, dass ein Unterbrechungsbeschluss bei sonstiger Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO zwingend in der mündlichen Verhandlung gefasst werden müsse.

[6]

Die Ursachen für fehlerhafte Zitierungen sind gewiss vielfältig. Neben einfachen Tippfehlern, etwa durch Vertauschen von Ziffern in Fundstellenangaben (bei Randziffern, Seitenangaben, Rechtssatznummern, Geschäftszahlen oder auch fehlenden Prüfbuchstaben), kann im juristischen Arbeitsalltag auftretender Zeitmangel bzw. Zeitdruck eine Ursache für falsche oder unüberprüft gelassene Quellen sein.

[7]
Sieht man sich an, wie man sich juristischen Texten in der Praxis nähert, so lassen sich zumindest zwei Zugänge identifizieren. Man liest zunächst den Text, ohne den zitierten Belegstellen weitere Aufmerksamkeit zu widmen, verschiebt also das Recherchieren und Prüfen der Quellen auf später. Der zweite Zugang wäre, jeweils die zitierten Texte sofort im Zuge des Lesens im Kontext des Geschriebenen zu prüfen. Auch eine Mischform beider Zugänge wird wohl häufig anzutreffen sein.
[8]
Beide Ansätze strukturieren den Analyse-Fluss unterschiedlich, kämpfen aber mit ähnlichen Herausforderungen: Konzentriertes Nachvollziehen des Geschriebenen trotz Zeitknappheit. Hinzu kommt, dass vielleicht noch die in dem ursprünglichen Text angeführten Quellen überprüft werden, aber trifft das auch auf die gefundenen Nachweise zu? Schließlich finden sich auch dort Quellen, die zu weiteren Quellen führen und eine – wenn auch nicht endlose, so doch eine entsprechend lange – Kette an Verweisen bilden. Die sich dadurch ergebenden Unterbrechungen des gedanklichen «Workflows» durch das zwischengeschobene Suchen und Abfragen der Belegstellen in Online-Datenbanken bilden eine nicht unerhebliche Konzentrationsstörung, welche beim Analysieren und/oder Produzieren eigener Texte ablenkt. Will man jeder Kette bis zum Ursprung folgen, entfernt man sich vielleicht vom eigentlichen Thema so weit, dass man den argumentativen Faden völlig verliert und nur mehr Zitaten nachjagt.
[9]
Vertiefende Recherche-Exkursionen werden folglich gerne auf später verschoben, kommen so nicht selten zu kurz oder fallen schlussendlich ganz unter den Tisch. Wird eine Rechtsmeinung massenhaft mit Quellen belegt, wird vielleicht erst gar nicht versucht, diese zu überprüfen, da sich der zeitliche Aufwand für die Suche aller Zitate in vielen Fällen nicht zu lohnen scheint, bzw. der Mehrwert als zu gering eingeschätzt wird. Letztendlich ist der übliche Hinweis «Autor, Werk Rz. *, m.w.N.» eine elegante Vorgehensweise, um die angeführte Quelle aufzuwerten und ihr wissenschaftliches Gewicht zu verleihen. Ob die «weiteren Nachweise» aber tatsächlich zahlreich sind und/oder dogmatisch überzeugen können, oder ob vielleicht bestimmte AutorInnen sich lediglich auf ihre eigenen ansonsten ungestützten Meinungen berufen können, die zuvor in einem anderen Werk publiziert wurden, bleibt offen.
[10]
Mit knappen Zeitressourcen muss auch der OGH bei der Bewältigung seines jährlichen Aktenanfalls kämpfen. Hier sind insbesondere die MitarbeiterInnen des Evidenzbüros gefordert. Bereitet das Evidenzbüro den Akt für die BerichterstatterInnen vor, hat es dafür etwa nur einen Arbeitstag Zeit, um die in Rechtmittel, Rechtsmittelbeantwortung und angefochtener Entscheidung zitierten Quellen zusammenzutragen, ein Kurzresümee des Falles zu erstellen und auch weiterführende rechtliche Aspekte zu skizzieren. Wenig Zeit also, um Fehl- oder Zweitzitaten hinterherzujagen. Auch die BerichterstatterInnen haben einen straffen Zeitplan: Summiert stehen diesen etwa zweieinhalb Tage für die Erstellung eines Entscheidungsentwurfes zur Verfügung (Pausen sind hierbei nicht inkludiert). Der Senat selbst wendet dann – je nach Komplexität des Falles – zwischen einigen Minuten und mehreren Stunden auf, um seine Entscheidung im Plenum zu treffen.7

2.

Die Rollen der Akteure ^

[11]

Fehlzitate haben je nach Rolle der AkteurInnen unterschiedliche Auswirkungen. Für die VerfasserInnen eines Textes, also jene Personen, die aktiv zitieren, bedeutet ein falsches Zitat eine Minderung der Qualität der eigenen Arbeit. Anwaltliche Schriftsätze oder Gutachten werden für aufmerksame GegnerInnen leicht attackierbar. Eine unsauber belegte Rechtsmeinung sollte, sofern sie nicht selbst mit einer einwandfreien dogmatischen Lösung überzeugt, nicht in den Diskurs miteingebunden werden, da sie bei gegebener Unüberprüfbarkeit womöglich jeglicher Grundlage entbehrt. Dem Fachpublikum als «passiven» Empfänger der Belegstellen wird durch falsches Zitieren die Überprüfung von Argumenten erschwert bzw. unmöglich gemacht. So laufen diese ins Leere oder werden – nach wissenschaftlichem Maßstab noch schlimmer – unüberprüft abgeschrieben.

[12]

Die Rolle von Quellen bei der Entscheidungsfindung des OGH soll weiters als Beispiel für die Gewichtigkeit von korrektem Zitieren angeführt werden: Gemäß § 74 der OGH-Geo8 ist das Evidenzbüro für die Aufbereitung diverser in den vorangegangenen Schriftsätzen und Entscheidungen zitierten Quellen zuständig. Um den Akt für die Entscheidung in einer Senatssitzung vorzubereiten, ist eine BerichterstatterIn unter anderem dafür zuständig, die im Verfahren zitierten Belegstellen (Judikatur, Rechtssätze und Literatur) genauer zu studieren und zu analysieren.9 Die Auffindbarkeit und Nachvollziehbarkeit dieser ist dementsprechend essentiell.

[13]
Die AkteurInnen sind hier also gefragt, Quellenrecherche in jener Intensität zu betreiben, die sie im öffentlichen Diskurs vertreten können. Juristische Fachverlage und die Rechtswissenschaft sind hierbei in gleichem Maße gefordert wie die Rechtsanwaltschaft und Justiz, durch eigenen Einsatz zur Qualität der Juristerei beizutragen. Leidet diese Qualität zugunsten einer effizienten Arbeitsweise, müssen Wege und neue Zugänge zur Quellenrecherche gefunden werden, die Effizienz und Qualität im Recht gleichermaßen garantieren.

3.

Digitaler Datenpool ^

[14]
Zusätzlich zur Ressource Zeit benötigt man auch Wissen darüber, in welcher Datenbank welche Quelle zu finden ist. Werfen wir einen Blick auf jene Wege, die bisher zum juristischen Content führten. Das Abrufen von österreichischen Rechtsquellen in Online-Datenbanken ist in vielfältiger Form möglich. Eine große Rolle nehmen hierbei kostenpflichtige Zugänge zum Online-Content von entsprechenden Fachverlagen sowie Suchmaschinen mit eigenen Datenbanken ein. Exemplarisch aufgezählt seien hier folgende: Neben der RDB10 von Manz sowie LexisNexis11, den derzeit größten Playern am Markt, gibt es auch die eLibrary12 des Verlag Österreich, RidaOnline13 sowie Lindeonline.14 Die äquivalenten deutschen kostenpflichtigen Datenbanken für Rechtsquellen sind ebenso auf verschiedenen Verlagsplattformen zu finden (zu den bekanntesten zählen Juris15, Beck-Online16 sowie Dejure17).
[15]
Ein freier Zugang zu öffentlichen Datenbanken ist in Österreich durch das Rechtsinformationssystem des Bundes («RIS»)18 sichergestellt. Dieses bietet seit 1998 eine breite Sammlung österreichischer Rechtsprechung und Gesetzestexte – der österreichische Staat hat für eine weitreichende Dokumentation der Arbeit von Justiz und Verwaltung gesorgt. Die entsprechende Datenlage in Deutschland ist vergleichsweise mager: Auf den Webseiten des deutschen Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz in Kooperation mit der Juris GmbH, namentlich «Rechtsprechung im Internet»19 und «Gesetze im Internet»20, findet man zwar aktuelle Rechtsprechung und aktuell gültige Gesetze, diese sind jedoch nur zeitlich begrenzt abrufbar und daher auch nicht in ihren historischen Fassungen vorhanden. Auf europäischer Ebene bietet EUR-Lex21 in den Sprachen der Mitgliedstaaten freien Zugang zum EU-Recht.
[16]
Die unerfreuliche zersplitterte Datenlage ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Beitrag zum Problem der ineffektiven Quellenrecherche. Sie erschwert die Situation für AkteurInnen, die für sorgfältige Quellenprüfung verantwortlich sind. Ein Meta-Zugriff auf sämtliche Quellen über nur eine einzige zentrale Abfragemaske wäre im Sinne einer allgemeinen Qualitätssteigerung des juristischen Diskurses wünschenswert.

4.

Lösung: Legal Tech? ^

[17]
Um Quellenrecherche effizient zu gestalten und gleichzeitig qualitativ hochwertige Arbeit liefern zu können, bedarf es einer kreativeren Lösung als das übliche manuelle Suchen der Belegstellen zur inhaltlichen Überprüfung. Um die AkteurInnen dazu zu motivieren, die Ursprungsquellen tatsächlich zu lesen und inhaltlich kritisch zu würdigen, sollte der Zugang so einfach wie möglich gestaltet sein. Wie bereits ausgeführt, ist in Österreich der große Vorteil gegeben, über eine freie öffentliche und qualitativ sehr gute Datenbank für Gesetzgebung und Rechtsprechung verfügen zu können. Dennoch scheint auch dort das korrekte manuelle Heraussuchen von zitierten Quellen oftmals ein praktisches Hindernis zu sein, was dazu führt, dass Fehler in der Zitierung fortgeführt und so die Qualität der eigenen Arbeit gemindert werden. Auch entgeht RechtsanwältInnen wertvolle Gegenargumentation, wenn falsche Zitate der Gegenseite nicht entlarvt werden. Sauberes Recherchieren und dann wiederum sauberes eigenes Zitieren sollten eine Selbstverständlichkeit sein, doch leider scheitert es oft an den Umständen der Praxis.
[18]
Eine Möglichkeit zur Lösung des Dilemmas bietet der Einsatz von Legal Tech. Zeitlich überlastete JuristInnen könnten dadurch die Qualität ihrer Arbeit steigern bzw. halten, ohne das Zeitbudget noch mehr zu belasten. Automatisierte Quellenrecherche vereinfacht das Überprüfen der zitierten Belegstellen. Einen Lösungsansatz bietet hierbei das «Legal Research Tool»:22 Beim Verfassen eines eigenen juristischen Textes in Word verlinkt es via Plugin (Abbildung 1) die zitierten Rechtssätze, Judikate und Gesetze, ebenso wie ausgewählte Literatur und eröffnet dadurch den UserInnen die Möglichkeit, ihre Zitate mit einem Klick vor der Verbreitung oder Veröffentlichung zu überprüfen. Per Klick auf «PDF erstellen» wird ein Urkundenkonvolut generiert, welches die verfügbaren Quellen als Attachments zum File enthält. Der Umfang der Attachment-Funktion richtet sich nach technischen und rechtlichen Gegebenheiten. Gemeinfreier Content wird grundsätzlich integriert (etwa Gesetze, Rechtsprechung); urheberrechtlich geschützte Werke bedürfen einer individuellen Vereinbarung mit dem jeweiligen Verlagsanbieter. So wird auch die Möglichkeit geboten, nach Abspeichern des eigenen Quellen-verlinkten Dokuments die zitierten Stellen jederzeit auch offline zu überprüfen, ohne die Quellen jeweils einzeln speichern zu müssen.
[19]
Gleichermaßen kann auch ein hereinkommendes Schriftstück im PDF-Format per Drag & Drop in die Online-Maske des Tools gezogen werden. Nach einer automatischen Analyse können die gefundenen Quellen parallel zum juristischen Text im Online-Viewer-Fenster (Abbildung 2) gelesen, überprüft und kommentiert werden, was einem reibungslosen «Workflow» Format-übergreifend entgegenkommt. Das Abfragen in mehreren Datenbanken wird automatisiert erledigt, was beim Arbeiten am eigenen Dokument zu selteneren Unterbrechungen führt, wodurch die eigene Produktivität gesteigert werden kann und die Hemmschwelle sinkt, auch tatsächlich einen Blick in die zitierte Belegstelle zu werfen. Analysierte Files können außerdem mit den erkannten und verlinkten Quellen erneut gespeichert werden und «konservieren» bzw. be- oder widerlegen die zitierten Fundstellen in einem einzigen File. Der Zugang zu Rechtsquellen wird den versierten Fach-AkteurInnen wie auch juristischen Laien deutlich erleichtert.

Abbildung 1: Word Plugin

Abbildung 2: Online-Viewer (Quellenvorschau)

5.

Anwendungsbeispiel Zitatkontrolle ^

[20]

Im Folgenden wollen wir einen konkreten Anwendungsfall darstellen. In unserem Beispiel greifen wir das zuvor in Fußnote 5 genannte Fehlzitat von zwei Fachpublikationen zu § 477 ZPO auf, und gehen davon aus, dass ein Rechtsanwalt sich unüberprüft in seinem Rechtsmittel auf die Werke beruft und erst im Online-Viewer auf seinen Irrtum aufmerksam wird:

Abbildung 3: Fehlzitat zu § 477 ZPO in Fucik23

Abbildung 4: Fehlzitat zu § 477 ZPO in Feil/Kroisenbrunner24

[21]
In den Abbildungen 3 und 4 sind die jeweiligen Fundstellen sowie der gleichlautende Tenor zu entnehmen, welche einen Folgefehler in der Rechtsmittelschrift nach sich ziehen. Da öffentliche Quellen in der Legal Tech Anwendung «LeReTo» in der Auto-Vorschau verfügbar sind und parallel zum analysierten Schriftstück kontrolliert werden können, fällt der Fehler rascher ins Auge.
[22]
Eine wünschenswerte Weiterentwicklung der vorliegenden Technik wäre eine automatisierte Fehleranalyse, welche solche eindeutigen Fehlzitate (es gibt keine Ziffer 4 im Absatz 2 zu § 477 ZPO) direkt im Userinterface hervorhebt und so die AnwenderInnen auf potenzielle Unstimmigkeit noch effizienter aufmerksam macht.

Abbildung 5: Screenshot Überprüfung Eigenzitat mittels Auto-Vorschau auf § 477 ZPO

[23]
Als weiteren Anwendungsfall möchten wir den klassischen Flüchtigkeitsfehler bei Geschäftszahlen mit «vertauschten Ziffern» skizzieren. Zahlendreher sind für AutorInnen besonders schwer zu entdecken, da diese nicht ohne Weiteres als Fehler erkannt werden können. Im Regelfall müsste man diese Quellen manuell über die Abfragemasken des RIS nachkontrollieren, um einerseits festzustellen, ob die Quelle existiert (1) und andererseits prüfen zu können, ob das gefundene Judikat auch das im Text referenzierte (2) war.
[24]
Das Word Plugin kann die Überprüfung insbesondere beim ersten Fall erleichtern: So fällt beim Verfassen von Dokumenten sofort auf, wenn zuvor im RIS (oder EUR-Lex) recherchierte Quellen vom Tool nicht korrekt verlinkt werden können. Abbildung Nr. 6 zeigt verschiedene Varianten vertauschter Ziffern. Der Suchlogarithmus erkennt die Verweise als dem Geschäftszahlenschema entsprechend, zeigt aber auch an, dass die Quelle in der referenzierten Datenbank (hier die RIS-Applikationen Justiz, VwGH, BVwG und VfGH) nicht gefunden werden konnte. Als visuelle Hinweise dienen das «X-Icon» in der Sidebar bzw. auch, dass die falschen Quellen keine Hyperlink-Formatierung erhalten haben.
[25]
Fall zwei lässt sich durch den eingebundenen Link deutlich rascher prüfen, wobei es nach wie vor den AutorInnen obliegt, die verlinkte Quelle kurz inhaltlich als jene zu identifizieren, welche auch als Verweis im Text gemeint war. Hier wäre eine Erweiterung denkbar, welche auch die inhaltliche Kontrolle der UserInnen durch Wahrscheinlichkeits-Indikatoren zusätzlich unterstützt und auf mögliche Fehlzitate aufmerksam macht. Voraussetzung hierfür wären eine automatisierte Klassifizierung des erstellten Textes sowie auch eine Indizierungskarte der verfügbaren (RIS-)Quellen.

Abbildung 6: Screenshot Überprüfung «Zahlendreher» mit Word Plugin (Hervorhebung in Orange)

6.

Fazit ^

[26]
Die Senkung der Zugangsschwelle zu Quellen durch die Automatisierung und somit das Wegfallen der manuellen Abfrage dienen auf der «aktiven AkteurInnenseite» jedenfalls einer effizienteren Arbeitsweise. Ob gleichzeitig die Qualität der Texte gesteigert wird, hängt weiterhin stark davon ab, ob die automatische Verlinkung der Quellen auch dazu genützt wird, um die eigene Arbeit zu überprüfen und damit sicherzustellen, dass Tippfehler und/oder Fehlzitate vermieden werden.
[27]
Die passive Seite der adressierten AkteurInnen kann Zitate rascher überprüfen und sich so nahtloser, störungsfreier und intensiver der inhaltlichen kritischen Würdigung der vorgebrachten juristischen Argumente annehmen. Der Einsatz von Legal Tech – gerade in der Plattform-übergreifenden Verknüpfung von verschiedenen digitalen Ressourcen – kann den typischen Workflow im Bereich der Text-Bearbeitung und Text-Erstellung qualitativ enorm verbessern, indem JuristInnen von störenden Nebenaufgaben freigespielt werden.
[28]

Legal Tech Lösungen schaffen auch einen notwendigen Anreiz, disziplinierter mit der Verwendung von juristischen Quellen umzugehen. Denn wer möchte schon als Ursprung einer juristischen Fehlzitat-Legende bekannt oder als Werfer juristischer Nebelgranaten entlarvt werden?

  1. 1 Auf die Wichtigkeit der richtigen Zitierweise für die (Wieder-)Auffindbarkeit von Quellen in Online-Datenbanken weist bereits Staudegger hin (Staudegger, Recht online gratis. RIS/EUR-Lex. Unentgeltliche juristische Datenbanken im Internet2, Springer, Wien 2010, S. 4).
  2. 2 Bittner, Anmerkung der Abtretung der Hauptmietzinse (§ 42 MRG) wirklich nur bei verbüchertem Bestandrecht? – Ein Fehlzitat mit Folgen,  NZ 2016/155, Heft 12, S. 441.
  3. 3 Ebenda, S. 442.
  4. 4 Ebenda.
  5. 5 Auch hier hat sich scheinbar beim Zitieren des Gesetzes ein Fehler eingeschlichen: § 477 Abs. 2 Z. 4 ZPO existiert in dieser Form nicht, und zwar weder in der aktuellen Fassung des § 477 ZPO (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 140/1997), noch in der Fassung davor – es ist anzunehmen, dass § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO gemeint war. Es handelt sich wohl um einen Tippfehler, der nicht nur bei Fucik vorkommt, sondern zumindest auch bei Feil/Koisenbrunner zu finden ist (vgl. Fucik, in: Rechberger (Hrsg.), Zivilprozessordnung4 § 190 Rz. 1, Verlag Österreich, Wien 2014, S. 1008; Feil/Kroisenbrunner, Zivilprozessordnung § 190 Rz. 536, Linde Verlag, Wien 2003, S. 460).
  6. 6 Fucik (Fn. 5), S. 1008. Vgl. auch Feil/Kroisenbrunner (Fn. 5), S. 460; Klauser/Kodek, JN-ZPO17 § 190 ZPO E 22, Manz (Stand 1. November 2012, rdb.at); sowie ausführliche Kritik hierzu in der OLG Wien Entscheidung vom 9. November 1998 (OLG Wien 9. November 1998, 14 R 207/98h).
  7. 7 Haberler, Die höchstgerichtliche Entscheidung, Wiener Advocatur Bureau, Wien 2014, S. 85 f. Haberler errechnet in ihrer empirischen Studie einen «durchschnittlichen maximalen Entscheidungstakt von etwa 10 Minuten» je Fall in der Senatssitzung.
  8. 8 § 74 der Geschäftsordnung des OGH 2005, Präs 2360-1/05, i.d.F. 1 Präs 2360-766/17h vom 28. Februar 2017; http://www.ogh.gv.at/der-oberste-gerichtshof/rechtsgrundlagen/geschaeftsordnung-ogh-2005 (alle Websites zuletzt besucht im Januar 2018).
  9. 9 Haberler (Fn. 7), S. 47.
  10. 10 https://rdb.manz.at.
  11. 11 https://www.lexisnexis.at.
  12. 12 https://elibrary.verlagoesterreich.at.
  13. 13 http://www.ridaonline.at.
  14. 14 https://www.lindeonline.at.
  15. 15 https://www.juris.de.
  16. 16 https://beck-online.beck.de.
  17. 17 https://dejure.org.
  18. 18 https://www.ris.bka.gv.at.
  19. 19 http:// www.rechtsprechung-im-internet.de.
  20. 20 http://www.gesetze-im-internet.de.
  21. 21 http://eur-lex.europa.eu.
  22. 22 Vgl. auch https://www.lereto.at.
  23. 23 Fucik (Fn. 5), S. 1008.
  24. 24 Feil/Kroisenbrunner (Fn. 5), S. 460.