1.
Problemfelder in der Quellenrecherche ^
Juristische Quellenrecherche bietet in der Praxis ein hohes Potential für Fehleranfälligkeit. Fehlzitate oder simple Tippfehler verschulden einen nicht unerheblichen Qualitätsverlust, Quellen werden inhaltlich verfälscht oder gänzlich falsch wiedergegeben, oder sie sind für die LeserInnen unauffindbar.1 Dadurch wird die Nachvollziehbarkeit der Argumentationskette unterbrochen, was die Lesenden vor teils unlösbare Schwierigkeiten stellt, möchte man nachvollziehen können, worauf die VerfasserInnen ihre Argumente stützen. Um eine eigene Rechtsmeinung dennoch mit Quellen zu untermauern, wird bisweilen darauf verzichtet, dem eigentlichen Ursprung der Quelle nachzugehen, und man behilft sich mit unüberprüften Sekundärzitaten. Die so entstehende Zweit- oder Mehrfach-Zitation perpetuiert und verfestigt unsauber verkürzte Zitate im Ergebnis; der Grundstein für die Entstehung juristischer «Legenden» ist gelegt: Rechtsmeinungen, die tatsächlich nie gebildet wurden und so jeglicher Grundlage entbehren, geistern in der juristischen Fachwelt herum. Der Versuch einer Richtigstellung wird selten unternommen.
Bittner nahm sich eines «Fehlzitats» aus der Rechtsprechung im Bereich des MRG an und publizierte seine Suche.2 Er zeigt in seinem Aufsatz in der NZ, wie sich ein fehlerhaftes Zitat in Lehre und Rsp. fortpflanzen und durch beständiges Wiederholen aus einem Fehlzitat gar die «herrschende Meinung» werden kann.
Ein weiteres Beispiel der unreflektierten Legendenbildung kann im Zivilprozessrecht gefunden werden. Das OLG Wien diskutiert in 14 R 207/98h ausführlich eine Irrlehre und widerlegt sie überzeugend. Ihr zufolge soll bei sonstiger Nichtigkeit ein Unterbrechungsbeschluss nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung gefasst werden können. Gemäß § 427 ZPO können Beschlüsse grundsätzlich auch außerhalb der Verhandlung gefasst werden, es sei denn, das Gesetz ordnet im Einzelfall eine solche zwingend an. Obwohl es im Rahmen eines Unterbrechungsbeschlusses i.S.d. §§ 190 f. ZPO keine derartige gesetzliche Anordnung gibt, hat sich die Ansicht verbreitet, dass ein «Unterbrechungsbeschluss […] in einer mündlichen Verhandlung gefasst werden [muss] […]; sonst nimmt die h.A. Nichtigkeit gem. § 477 Abs. 2 (sic!5) Z 4 ZPO an […].»6 Obwohl die meisten Standard-Kommentare seit den späten 1990er Jahren überarbeitet und neu aufgelegt wurden, fand die Entscheidung des OLG Wien in diese noch immer keinen Eingang (soweit überprüfbar). Dies zieht nach sich, dass leider auch ein Großteil der erstinstanzlichen Rsp. in der Praxis auf dem Standpunkt beharrt, dass ein Unterbrechungsbeschluss bei sonstiger Nichtigkeit gemäß § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO zwingend in der mündlichen Verhandlung gefasst werden müsse.
Die Ursachen für fehlerhafte Zitierungen sind gewiss vielfältig. Neben einfachen Tippfehlern, etwa durch Vertauschen von Ziffern in Fundstellenangaben (bei Randziffern, Seitenangaben, Rechtssatznummern, Geschäftszahlen oder auch fehlenden Prüfbuchstaben), kann im juristischen Arbeitsalltag auftretender Zeitmangel bzw. Zeitdruck eine Ursache für falsche oder unüberprüft gelassene Quellen sein.
2.
Die Rollen der Akteure ^
Fehlzitate haben je nach Rolle der AkteurInnen unterschiedliche Auswirkungen. Für die VerfasserInnen eines Textes, also jene Personen, die aktiv zitieren, bedeutet ein falsches Zitat eine Minderung der Qualität der eigenen Arbeit. Anwaltliche Schriftsätze oder Gutachten werden für aufmerksame GegnerInnen leicht attackierbar. Eine unsauber belegte Rechtsmeinung sollte, sofern sie nicht selbst mit einer einwandfreien dogmatischen Lösung überzeugt, nicht in den Diskurs miteingebunden werden, da sie bei gegebener Unüberprüfbarkeit womöglich jeglicher Grundlage entbehrt. Dem Fachpublikum als «passiven» Empfänger der Belegstellen wird durch falsches Zitieren die Überprüfung von Argumenten erschwert bzw. unmöglich gemacht. So laufen diese ins Leere oder werden – nach wissenschaftlichem Maßstab noch schlimmer – unüberprüft abgeschrieben.
Die Rolle von Quellen bei der Entscheidungsfindung des OGH soll weiters als Beispiel für die Gewichtigkeit von korrektem Zitieren angeführt werden: Gemäß § 74 der OGH-Geo8 ist das Evidenzbüro für die Aufbereitung diverser in den vorangegangenen Schriftsätzen und Entscheidungen zitierten Quellen zuständig. Um den Akt für die Entscheidung in einer Senatssitzung vorzubereiten, ist eine BerichterstatterIn unter anderem dafür zuständig, die im Verfahren zitierten Belegstellen (Judikatur, Rechtssätze und Literatur) genauer zu studieren und zu analysieren.9 Die Auffindbarkeit und Nachvollziehbarkeit dieser ist dementsprechend essentiell.
3.
Digitaler Datenpool ^
4.
Lösung: Legal Tech? ^
5.
Anwendungsbeispiel Zitatkontrolle ^
Im Folgenden wollen wir einen konkreten Anwendungsfall darstellen. In unserem Beispiel greifen wir das zuvor in Fußnote 5 genannte Fehlzitat von zwei Fachpublikationen zu § 477 ZPO auf, und gehen davon aus, dass ein Rechtsanwalt sich unüberprüft in seinem Rechtsmittel auf die Werke beruft und erst im Online-Viewer auf seinen Irrtum aufmerksam wird:
Abbildung 3: Fehlzitat zu § 477 ZPO in Fucik23
Abbildung 4: Fehlzitat zu § 477 ZPO in Feil/Kroisenbrunner24
6.
Fazit ^
Legal Tech Lösungen schaffen auch einen notwendigen Anreiz, disziplinierter mit der Verwendung von juristischen Quellen umzugehen. Denn wer möchte schon als Ursprung einer juristischen Fehlzitat-Legende bekannt oder als Werfer juristischer Nebelgranaten entlarvt werden?
- 1 Auf die Wichtigkeit der richtigen Zitierweise für die (Wieder-)Auffindbarkeit von Quellen in Online-Datenbanken weist bereits Staudegger hin (Staudegger, Recht online gratis. RIS/EUR-Lex. Unentgeltliche juristische Datenbanken im Internet2, Springer, Wien 2010, S. 4).
- 2 Bittner, Anmerkung der Abtretung der Hauptmietzinse (§ 42 MRG) wirklich nur bei verbüchertem Bestandrecht? – Ein Fehlzitat mit Folgen, NZ 2016/155, Heft 12, S. 441.
- 3 Ebenda, S. 442.
- 4 Ebenda.
- 5 Auch hier hat sich scheinbar beim Zitieren des Gesetzes ein Fehler eingeschlichen: § 477 Abs. 2 Z. 4 ZPO existiert in dieser Form nicht, und zwar weder in der aktuellen Fassung des § 477 ZPO (zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 140/1997), noch in der Fassung davor – es ist anzunehmen, dass § 477 Abs. 1 Z. 4 ZPO gemeint war. Es handelt sich wohl um einen Tippfehler, der nicht nur bei Fucik vorkommt, sondern zumindest auch bei Feil/Koisenbrunner zu finden ist (vgl. Fucik, in: Rechberger (Hrsg.), Zivilprozessordnung4 § 190 Rz. 1, Verlag Österreich, Wien 2014, S. 1008; Feil/Kroisenbrunner, Zivilprozessordnung § 190 Rz. 536, Linde Verlag, Wien 2003, S. 460).
- 6 Fucik (Fn. 5), S. 1008. Vgl. auch Feil/Kroisenbrunner (Fn. 5), S. 460; Klauser/Kodek, JN-ZPO17 § 190 ZPO E 22, Manz (Stand 1. November 2012, rdb.at); sowie ausführliche Kritik hierzu in der OLG Wien Entscheidung vom 9. November 1998 (OLG Wien 9. November 1998, 14 R 207/98h).
- 7 Haberler, Die höchstgerichtliche Entscheidung, Wiener Advocatur Bureau, Wien 2014, S. 85 f. Haberler errechnet in ihrer empirischen Studie einen «durchschnittlichen maximalen Entscheidungstakt von etwa 10 Minuten» je Fall in der Senatssitzung.
- 8 § 74 der Geschäftsordnung des OGH 2005, Präs 2360-1/05, i.d.F. 1 Präs 2360-766/17h vom 28. Februar 2017; http://www.ogh.gv.at/der-oberste-gerichtshof/rechtsgrundlagen/geschaeftsordnung-ogh-2005 (alle Websites zuletzt besucht im Januar 2018).
- 9 Haberler (Fn. 7), S. 47.
- 10 https://rdb.manz.at.
- 11 https://www.lexisnexis.at.
- 12 https://elibrary.verlagoesterreich.at.
- 13 http://www.ridaonline.at.
- 14 https://www.lindeonline.at.
- 15 https://www.juris.de.
- 16 https://beck-online.beck.de.
- 17 https://dejure.org.
- 18 https://www.ris.bka.gv.at.
- 19 http:// www.rechtsprechung-im-internet.de.
- 20 http://www.gesetze-im-internet.de.
- 21 http://eur-lex.europa.eu.
- 22 Vgl. auch https://www.lereto.at.
- 23 Fucik (Fn. 5), S. 1008.
- 24 Feil/Kroisenbrunner (Fn. 5), S. 460.