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Urheberschutz für militärische Lageberichte oder Informationsfreiheit – die Afghanistan-Papiere auf dem Weg nach Luxemburg

  • Author: Clemens Thiele
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: IP Law
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2018
  • Citation: Clemens Thiele, Urheberschutz für militärische Lageberichte oder Informationsfreiheit – die Afghanistan-Papiere auf dem Weg nach Luxemburg, in: Jusletter IT 22 February 2018
Ausgangspunkt der Überlegungen zum Verhältnis zwischen Urheberrecht und Meinungsfreiheit bildet ein Vorlagebeschluss des BGH (I ZR 139/15) an den EuGH. Zu beantworten sei, ob die Grundrechte der Informations- oder Pressefreiheit Ausnahmen oder Beschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung ihrer Werke außerhalb der in Art. 5 Abs. 2 und 3 der RL 2001/29/EG vorgesehenen Ausnahmen oder Beschränkungen rechtfertigen können.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangsfall
  • 2. Die Entscheidung des Gerichts
  • 3. Urheberrechtlicher Schutz für militärische Geheimnisse
  • 4. Die Meinungsfreiheit im Urheberrecht
  • 5. Exkurs: Schutz militärischer Geheimnisse nach der DS-GVO und deren Veröffentlichung i.S.d. Meinungsfreiheit
  • 5.1. Datenschutzrechtliches Medienprivileg
  • 5.2. Anwendung des Medienprivilegs
  • 6. Eigene Stellungnahme
  • 7. Zusammenfassung
  • 8. Literatur

1.

Ausgangsfall ^

[1]
Nach § 6 Abs. 1 ParlBG, also des Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland, wurde der militärische Lagebericht über die Auslandseinsätze der Bundeswehr unter der Bezeichnung «Unterrichtung des Parlaments (UdP)» mit niedrigster Geheimhaltungsstufe «Verschlusssache» gem. § 4 Abs. 2 SÜG (Sicherheitsüberprüfungsgesetz) an ausgewählte Bundestagsabgeordnete und Bundesministerien übersandt. Der Antrag eines Zeitungsverlags auf Einsichtnahme in die UdP wurde wegen der Möglichkeit nachteiliger Auswirkungen auf sicherheitsempfindliche Belange nach § 3 Nr. 1 lit b IFG (Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes) abgelehnt und auf die gekürzten Fassungen der UdP als «Unterrichtung der Öffentlichkeit (UdÖ)» verwiesen. Der Zeitungsverlag veröffentlichte dann anonym zugespielte UdP aus den Jahren 2005 bis 2012 als sog. «Afghanistan Papiere» im Internet und sah sich daraufhin mit einer Unterlassungsklage der Bundesrepublik Deutschland konfrontiert. Diese stützte sich auf § 97 Abs. 1 UrhG.1 Die beklagte WAZ-Gruppe wandte ihre Pressefreiheit und das Zensurverbot ins Treffen. Die ersten beiden Instanzen gaben der Klage statt; die Beklagte erhob Revision an den Bundesgerichtshof.

2.

Die Entscheidung des Gerichts2 ^

[2]
Der BGH hielt zunächst fest, dass die UdP könnten im Fall schöpferischer Eigentümlichkeit gem. § 2 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 UrhG als Schriftwerke urheberrechtlich geschützt sein. Bei den UdP handelte es sich nämlich nicht um amtliche Werke i.S.v. § 5 Abs. 1 oder 2 UrhG. Ein Unterlassungsanspruch könnte sich wegen unbefugter Veröffentlichung, Vervielfältigung und öffentlicher Zugänglichmachung gem. §§ 12, 16 19a UrhG ergeben. Der von der BRD geltend gemachte Unterlassungsanspruch gem. § 97 Abs. 1 UrhG hinge aber von dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen zur Grundrechtsanwendung ab, nämlich ob die Grundrechte der Informationsfreiheit (Art. 11 Abs. 1 GRC) und der Pressefreiheit (Art. 11 Abs. 2 GRC) Einschränkungen des ausschließlichen Rechts der Urheber zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke außerhalb der in der InfoSoc-RL vorgesehenen Schranken dieser Rechte rechtfertigen. Das Verfahren wird als Rs. C-469/17 (Funke Medien NRW/Deutschland) beim EuGH geführt.

3.

Urheberrechtlicher Schutz für militärische Geheimnisse ^

[3]
Der BGH hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH deutlich gemacht, dass nach seiner Ansicht eine außerhalb der urheberrechtlichen Verwertungsbefugnisse und Schrankenbestimmungen angesiedelte allgemeine Interessenabwägung durch die Gerichte zugunsten der Beklagten nicht in Betracht kommt. Dies würde nämlich in das vom Unionsrechtsgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bereits allgemein geregelte Verhältnis von Urheberrecht und Schrankenregelung eingreifen. Danach könnte sich die Beklagte zur Rechtfertigung eines Eingriffs in das Urheberrecht an den militärischen Lageberichten nicht mit Erfolg auf ein gesteigertes öffentliches Interesse an deren Veröffentlichung berufen.
[4]
In einem Fall wie dem der «Afghanistan-Papiere» wird das Urheberrecht indessen zweckentfremdet. Denn der objektive Betrachter wird kaum ernstlich behaupten, dass es der Bundesrepublik Deutschland um die «geistigen und persönlichen Beziehungen» des Urhebers zu seinem Werk oder um eine «angemessene Vergütung für die Nutzung des Werkes» geht (§ 11 UrhG). Vielmehr dient das Urheberrecht hier ganz wesentlich als Instrument zur Geheimhaltung von Informationen – es wird zum «Zensurheberrecht». Die Argumentation der Deutschen Bundesregierung, die streitgegenständlichen Berichte enthielten die «persönliche Einschätzungen von Beamten», sodass damit die für ein urheberrechtlich geschütztes «Sprachwerk» erforderliche «Schöpfungshöhe» gegeben sei, greift zu kurz. Die Kernaufgabe des Urheberrechts, den kreativ tätigen Schöpfer an den wirtschaftlichen Ergebnissen seines Schaffens angemessen zu beteiligen, wird ins Gegenteil verkehrt. Zum Urheberrecht gehört zwar auch das Recht, über Veröffentlichung oder Nichtveröffentlichung eines Werkes zu entscheiden, doch handelt es sich dabei um den Schutz geistiger Interessen, die dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Schöpfers zuzurechnen sind. Ein absoluter Geheimhaltungsschutz, wie von der Bundesregierung erwünscht, lässt sich daraus urheberrechtlich nicht begründen. In jedem Fall bedarf es einer sorgfältigen Interessenabwägung.

4.

Die Meinungsfreiheit im Urheberrecht ^

[5]
Das vorliegende Urteil tendiert zu einer Ablehnung der Grundrechtsabwägung außerhalb der gesetzlichen Grenzen im Weg eines Ermessenspielraums der Gerichte. Demgegenüber hält sie die Rsp. der Straßburger Instanzen auch im urheberrechtlichen Kontext für (zwingend) geboten. Zur Wechselwirkung zwischen Medien- und Urheberrecht hat der EGMR3 bereits festgehalten, dass das Onlinestellen von Modeschaufotos zum kostenlosen oder kostenpflichtigen Abruf oder zum Kauf (hier: ohne Zustimmung der Modeschöpfer) eine Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt. Eine Verurteilung wegen Urheberrechtsverletzung durch Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke kann einen unzulässigen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung gem. Art. 10 EMRK (Art. 11 GRC) darstellen:
[6]
Im aus Frankreich stammenden Anlassfall stellten drei Fotografen die von ihnen angefertigten Lichtbilder einer Modenschau auf einer Webseite ein. Das Einverständnis der Modehäuser, die die Verwertungsrechte an den vorgestellten Modellen inne hatten, war nicht eingeholt worden. Das französische Höchstgericht, der Cour de Cassation, verurteilte die Fotografen Anfang des Jahres 2008 wegen Verstoßes gegen das französische Urheberrecht. Gegen dieses Urteil wandten sich die Kläger vor dem EGMR unter Berufung auf ihre Freiheit der Meinungsäußerung i.S.d. Art. 10 EMRK.
[7]

Der EGMR nahm einen Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit an. Dem stand nicht entgegen, dass mit der Verbreitung des urheberrechtlich geschützten Materials ein kommerzielles Ziel verfolgt wurde. Im Licht des Gesetzesvorbehalts nach Art. 10 Abs. 2 EMRK betonten die Straßburger Richter, dass ein Verstoß gegen Urheberecht per se nicht ausreichend wäre, um eine Beschränkung der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen. Es war vielmehr eine Abwägung erforderlich, die die entgegenstehenden Rechtsgüter zu einem Ausgleich bringt. Bei dieser Abwägung unterscheidet der EGMR klar danach, ob das Urheberrecht im Zusammenhang mit der Verfolgung kommerzieller Zwecke verletzt wurde oder im Rahmen eines Beitrags zu einer öffentlichen Debatte von allgemeinem Interesse. Im letzteren politischen Bereich ist ein (zensurierender) Eingriff im Wege des Urheberrechts i.d.R. nicht gerechtfertigt. Steht jedoch – wie im vorliegenden Fall –der kommerzielle Aspekt bei der Urheberrechtsverletzung im Vordergrund, verfügen die staatlichen Organe über einen grundrechtlich erweiterten Ermessenspielraum. Dieser werde zusätzlich dadurch vergrößert, dass die EMRK (ebenso wie Art. 17 GRC) auch den Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums Schutz gewährt.

[8]
Infolgedessen verneinte der EGMR eine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung. Dies begründete er damit, dass die Fotografen mit der Veröffentlichung der Modefotos im Internet vornehmlich kommerzielle Interessen verfolgten und nicht zu einer Diskussion von allgemeinem Informationsinteresse beigetragen hätten. Der Schutz des geistigen Eigentums ging folglich der Freiheit der Meinungsäußerung vor.
[9]

ErwGr. 9 der InfoSoc-RL, die u.a. das Vervielfältigungsrecht und das Recht zur öffentlichen Wiedergabe regelt, ist zu entnehmen, dass der Unionsgesetzgeber, da er den Schutz des Urheberrechts für das geistige Schaffen für wesentlich erachtet, den Urhebern ein hohes Schutzniveau gewährleisten wollte. Das geistige Eigentum ist daher als Bestandteil des Eigentums anerkannt worden.4 Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 17 Abs. 1 GRC jede Person das Recht hat, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist. Art. 17 Abs. 2 GRC bestimmt, dass geistiges Eigentum geschützt wird.5

5.

Exkurs: Schutz militärischer Geheimnisse nach der DS-GVO und deren Veröffentlichung i.S.d. Meinungsfreiheit ^

[10]
Die Online-Veröffentlichung unüberschaubarer Dokumentenmengen etwa auch des sog. «Afghan War Diary» über WikiLeaks oder der Panama- und Paradise-Papers erlaubt angesichts der Datenmasse eine sachgerechte Berichterstattung erst durch arbeitsteiliges Zusammenwirken, das naturgemäß einzelne Zeitungsredaktionen überfordert. Diese Art des «presserechtlichen Whistleblowing» rückt das datenschutzrechtliche Medienprivileg in den Vordergrund.

5.1.

Datenschutzrechtliches Medienprivileg ^

[11]

Zur Veröffentlichung von einfach personenbezogenen Daten auf einer Website hat der EuGH bereits festgehalten: «Die Aufnahme einer Internetseite und der darin über eine Person enthaltenen Informationen in die Liste mit den Ergebnissen einer anhand des Namens der betreffenden Person durchgeführten Suche kann die Zugänglichkeit der Informationen für Internetnutzer, die eine Suche zu der Person durchführen, nämlich erheblich erleichtern und eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung der Informationen spielen. Sie kann mithin einen stärkeren Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privatlebens der betroffenen Person darstellen als die Veröffentlichung durch den Herausgeber der Internetseite.»6 Im zitierten Fall hat der EuGH für Betreiber der Website (hier: span. Zeitung) eine Berufung auf Art. 9 DS-RL als Rechtfertigungsgrund gestattet. Das datenschutzrechtliche Medienprivileg des Art. 9 DS-RL erfasst «ausschließlich zu journalistischen Zwecken» vorgenommene Veröffentlichungen: «Nach alledem können Tätigkeiten […] als journalistische Tätigkeiten eingestuft werden, wenn sie zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Journalistische Tätigkeiten sind nicht Medienunternehmen vorbehalten und können mit der Absicht verbunden sein, Gewinn zu erzielen».7 Im UrhG findet sich demgegenüber kein generelles «Medienprivileg».

[12]

Die Regelung des Art. 9 DS-RL ist nunmehr materiell-rechtlich unverändert in die Datenschutzgrundverordnung (Art. 85 DS-GVO) überführt worden.8 Daraus ergeben sich folgende Abwägungsparameter zum Anwendungsbereich. Zunächst ist festzuhalten, dass

  • journalistische Zwecke nicht auf die Tätigkeit institutionalisierter Medien beschränkt sind, sondern
    • alle Personen betreffen, die journalistisch tätig sind. Die «journalistische Tätigkeit» ist die Datenverwendung mit dem Zweck, der Verbreitung von Informationen, Meinungen und Ideen in der Öffentlichkeit.
      • grundsätzlich nicht ausgeschlossen: für SMS-Mitteilungen über Steuer- und Einkommensdaten anderer, wobei die Daten aus Dokumenten stammen, die nach den nationalen Rechtsvorschriften öffentlich sind;9
      • grundsätzlich verneint: keine journalistische Tätigkeit liegt bei einer vom Betreiber einer Suchmaschine ausgeführten Verarbeitung vor.10
  • Entgegen dem Wortlaut muss es sich nicht um eine Verarbeitung allein zu journalistischen Zwecken handeln, so schadet Gewinnerzielungsabsicht ausdrücklich nicht.11 «Allein» ist eben nicht gleichzusetzen mit «ausschließlich».
[13]
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass bei Eingreifen des Medienprivilegs i.S.d. Art. 9 DS-RL, die spezifische datenschutzrechtliche (Verbots-)Haftung entfällt und eine die Privatsphäre beeinträchtigende Online-Veröffentlichungen lediglich nach verfassungs- und unionsrechtlich gebotenen Interessenabwägungen zu beurteilen sind. Das strikte datenschutzrechtliche Verbotsprinzip weicht insofern einer am Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem Schutz der Privatsphäre orientiertem Interesseprinzip.

5.2.

Anwendung des Medienprivilegs ^

[14]

Medienunternehmen und Mediendienste haben stets das Grundrecht auf Datenschutz zu beachten.12 § 1 DSG 2000 gilt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 48 DSG 2000 auch für die publizistische Tätigkeit. Der dadurch begründete Grundrechtskonflikt zwischen der Veröffentlichung von personenbezogenen Daten zu journalistischen Zwecken unter Wahrung der Privat- oder Intimsphäre der Betroffenen ist zwar in jedem Einzelfall auszutarieren, jedoch macht Art. 9 DS-RL zu einigen zentralen Punkten der Konfliktlösung rechtsverbindliche Vorgaben. Für die Anwendung des Datenschutzrechts im Bereich der Medien ist daher folgendes zu berücksichtigen:13

  • Verhältnismäßigkeit: Ausnahmen und Freistellungen nach Maßgabe von Art. 9 DS-RL müssen verhältnismäßig sein. Sie dürfen nur in Bezug auf Bestimmungen gewährt werden, die die freie Meinungsäußerung beeinträchtigen könnten, und nur soweit dies für die tatsächliche Ausübung dieses Rechts erforderlich ist; dabei ist das Recht auf Privatsphäre der betroffenen Person angemessen zu wahren.
  • Sachliche Zweckgebundenheit: Art. 9 DS-RL wahrt das Recht des Einzelnen auf freie Meinungsäußerung. Ausnahmen und Freistellungen von Art. 9 DS-RL können nicht den Medien oder Journalisten als solchen gewährt werden, sondern nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen Zwecken.
  • Notwendigkeit/Erforderlichkeit: Ausnahmen und Freistellungen gelten nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistischen (redaktionellen) Zwecken einschließlich der elektronischen Veröffentlichung. Jede andere Form der Datenverarbeitung durch Journalisten oder Medien unterliegt den allgemeinen Richtlinienbestimmungen. Diese Differenzierung ist vor allem für die elektronische Veröffentlichung relevant. Die Verarbeitung personenbezogener Daten von Abonnenten zu Fakturierungszwecken oder für das Direktmarketing (einschließlich der Verarbeitung von Daten über die Inanspruchnahme der Medien zur Erstellung von Verbraucherprofilen) fällt unter den allgemeinen Datenschutz. Die Richtlinie verlangt einen Ausgleich zwischen Grundrechten.
[15]
In jedem Fall hat der Einzelne bei Verletzung der ihm zustehenden Rechte Anspruch auf einen angemessenen Rechtschutz. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit sind die bestehenden ethischen und beruflichen Pflichten der Journalisten14 sowie die vom Berufsstand selbst organisierte Aufsicht15 zu berücksichtigen.
[16]
Im Datenschutz hat die Europäische Rsp. bereits die m.E. auch in der urheberrechtlichen Diskussion taugliche Grundtendenz der vorzunehmenden Interessenabwägung im Einzelfall vorgegeben: «Vorbehaltlich besonderer Vorschriften, die die Mitgliedstaaten für die Verarbeitung personenbezogener Daten für historische, statistische oder wissenschaftliche Zwecke vorsehen können, hat der für die Verarbeitung Verantwortliche …»16 sowie ein Überwiegen der Grundrechte aus Art. 7 und 8 GRC des Betroffenen ist «jedoch nicht der Fall, wenn sich aus besonderen Gründen – wie der Rolle der betreffenden Person im öffentlichen Leben – ergeben sollte, dass der Eingriff in die Grundrechte dieser Person durch das überwiegende Interesse der breiten Öffentlichkeit daran, über die Einbeziehung in eine derartige Ergebnisliste Zugang zu der betreffenden Information zu haben, gerechtfertigt ist».17

6.

Eigene Stellungnahme ^

[17]

Regierungsberichte, wie die streitgegenständlichen sind nach Ansicht des BGH urheberrechtlich geschützt. Dies darf bezweifelt werden.18 Die «Gemeinfreiheit» des § 5 UrhG und der amtliche Gebrauch nach § 45 UrhG sind nach h.A. in Deutschland aber sehr restriktiv zu handhaben.19 Die Bundesregierung könnte deshalb nach Ansicht der Karlsruher HöchstrichterInnen die Veröffentlichung von geleakten Dokumenten grundsätzlich gerichtlich untersagen lassen. Dieses Ergebnis zeichnet sich nach der vorliegenden Vorlageentscheidung aus Sicht des BGH ab. Dies deshalb, weil auch das Interesse des Urhebers an der Geheimhaltung seines Werks geschützt sei. Das Zitatrecht passe nach Ansicht des BGH nicht, denn es erfordere eine Verbindung mit eigenen Gedanken. Diese Ansicht erscheint im unionsrechtlichen Licht ebenfalls zu hinterfragen.20 Der «Umweg» nach Luxemburg erklärt sich aus einem gewissen Zögern bei Verneinung der Frage, ob im konkreten Anlassfall eine spezielle Abwägung mit der Pressefreiheit erforderlich ist.

[18]
Der «Umweg» erscheint besser als ein Irrweg, der andernfalls zu besorgen wäre, wenn das Urheberrecht für äußerungsrechtliche Zwecke «missbraucht» werden würde. Das Gespenst vom «Zensurheberrecht» geht (wieder einmal) um.21
[19]

Dass Schutzzweck des Urheberrechts neben wirtschaftlichen Verwertungsinteressen und dem Urheberpersönlichkeitsrecht keinesfalls der reine Geheimnisschutz ist, und letzterer nicht allein spezialgesetzlichen Regelungen oder den Instrumenten des Äußerungsschutzes zuzuordnen ist, liegt m.E. auf der Hand, bedarf aber immer wieder Anlassfälle wie dem eingangs dargestellten, um allen offenkundig zu werden.22

[20]
Ausblick: Möglicherweise stellt sich für den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren die Frage nach dem Grundrechtsschutz in der Phase zwischen öffentlichem Angebot des Rohmaterials zur Beurteilung durch jedermann und dem Schutz gem. § 50 UrhG nach redaktioneller Aufbereitung. Damit wird eine Grundfeste des modernen Datenjournalismus berührt.23 Ließe sich das erhebliche öffentliche Informationsinteresse über eine «(post-)faktische Kriegsführung» nicht durch Richtlinienauslegung berücksichtigen, würde sich konsequent die Frage der teilweisen Grundrechtswidrigkeit der InfoSoc-RL stellen.

7.

Zusammenfassung ^

[21]
Der unter anderem für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Abwägung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit vorgelegt. Dabei stellen sich grundsätzliche Überlegungen für das Verhältnis zwischen «urheberrechtlichem» Geheimnisschutz und dem Medienprivileg, wie es für das Datenschutzrecht inzwischen durch Art. 85 DS-GVO (derzeit Art. 9 DS-RL) bereits normativ festgehalten ist.

8.

Literatur ^

Bisges (Hrsg.), Handbuch Urheberrecht (2016).

Hoeren/Herring, WikiLeaks und das Erstveröffentlichungsrecht des Urhebers – Informationsfreiheit als externe Schranke des Urheberrechts? MMR 2011, 500.

Koreng, Europäische Eskalation des Streits um das «Zensurheberrecht», 2016, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-eugh-vorlage-afghanistan-papiere-zensururheberrecht-waz-brd/ (zuletzt abgerufen am 19. Januar 2018).

Nieland, Urheberrecht vs. Presserecht – Zur Lösung von Interessenkonflikten nach der «Ashby Donald»-Entscheidung des EGMR, K&R 2013, 285.

Pichler, Das Medienprivileg im neuen Datenschutzrecht, MR 2017, 255.

Thiele, Darf ein Bürgermeister via Facebook Vandalen jagen? Zugleich ein Beitrag zum Datenschutz für Medienunternehmen, in: Jahnel (Hrsg.), Datenschutzrecht und E-Government. Jahrbuch 2013 (2013), 123

Waß, Freie Werke (§ 7 UrhG) im Internet, in: Schweighofer et al. (Hrsg.), Auf dem Weg zur ePerson (2001), 417 ff.

  1. 1 Die §§ des UrhG beziehen sich auf das deutsche Urheberrechtsgesetz, Gesetz vom 9. September 1965 (dBGBl. I S. 1273), mehrfach novelliert, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.2016 (dBGBl. I S. 3037).
  2. 2 BGH 1. Juni 2017, I ZR 139/15 (Afghanistan-Papiere) = MDR 2017, 1012 = GRUR 2017, 901 = GRUR Int 2017, 884 = MMR 2017, 680 = K&R 2017, 588 = ITRB 2017, 228 (Rössel).
  3. 3 EGMR 10. Januar 2013, 36769/08 (Affaire Ashby Donald/Frankreich) = MR-Int 2013, 41.
  4. 4 Vgl. EuGH 9. Februar 2012, C-277/10 (Luksan) Rz 66 = ECLI:EU:C:2012:65.
  5. 5 Vgl. EuGH 9. Februar 2012, C-277/10 (Luksan) Rz 68 = RdW 2012/164, 153 = MR 2012, 23 (Walter) = wbl 2012/72, 203 = MR 2013, 21 (Reis) = MR 2013, 73 (Walter) = ÖBl 2015/54, 256 (Homar).
  6. 6 EuGH 13. Mai 2014, C-131/12 (Google Spain u.a./ Mario Costeja González) Rz 87 = ECLI:EU:C:2014:317.
  7. 7 EuGH 16 Dezember 2008, C-73/07 (Satamedia) Rz 61 = ECLI:EU:C:2008:727.
  8. 8 Vgl. Pichler 2017, 255 m.w.N.
  9. 9 EuGH 16 Dezember 2008, C-73/07 (Satamedia), Rz 61.
  10. 10 EuGH 13. Mai 2014, C-131/12 (Google Spain) Rz 85 = jusIT 2014/72, 149 (Jahnel) = Dako 2014/11, 21 = SWI 2014, 293 = ZIR-Slg 2014/81, 203 = ZIR 2014, 204 (König).
  11. 11 EuGH 16 Dezember 2008, C-73/07 (Satamedia), Rz 59, 82.
  12. 12 So bereits DSK 27. Februar 2004, K120.867/0001-DSK/2004 (Landespressedienst Kärnten) = RIDA-Nr. 0154209 m.w.N.
  13. 13 Empfehlung 1/97 der Art. 29 Gruppe vom 25 Februar 1997; vgl. auch Thiele 2013, 123.
  14. 14 Vgl. § 29 MedienG.
  15. 15 Vgl. die «Grundsätze für die publizistische Arbeit» des Österreichischen Presserats («Ehrenkodex für die österreichische Presse»); dazu OGH 17. September 2014, 4 Ob 62/14t (Schifahrerwerbung) = wbl 2014/246, 715.
  16. 16 EuGH 13. Mai 2014, C-131/12 (Google Spain u.a./ Mario Costeja González) Rz 72 = ECLI:EU:C:2014:317.
  17. 17 EuGH 13. Mai 2014, C-131/12 (Google Spain u.a./ Mario Costeja González) Rz 99 = ECLI:EU:C:2014:317.
  18. 18 Vgl. Waß 2001, 417 ff.
  19. 19 Statt vieler Pennartz, in: Bisges 2016, Kapitel 3 Rz. 718 ff.
  20. 20 Vgl. EuGH 1. Dezember 2011, C-145/10 REC (Painer) = ECLI:EU:C:2011:798 i.d.F. ECLI:EU:C:2013:138.
  21. 21 Koreng 2017.
  22. 22 Vgl. bereits Hoeren/Herring 2011, 500 (503); Nieland 2013, 285 (288); OLG Köln 19. November 2013, 15 U 53/13 (Wikileaks-Unterlagen) = K&R 2014, 43.
  23. 23 Zum Begriff vgl. Thiele 2014, 365.