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Visualisierung in der richterlichen Praxis – eine Umfrage bei Schweizer Richterinnen und Richtern

  • Authors: Bettina Mielke / Caroline Walser Kessel / Christian Wolff
  • Category: Articles
  • Region: Germany, Switzerland
  • Field of law: Legal Visualisation
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2018
  • Citation: Bettina Mielke / Caroline Walser Kessel / Christian Wolff, Visualisierung in der richterlichen Praxis – eine Umfrage bei Schweizer Richterinnen und Richtern, in: Jusletter IT 22 February 2018
Dieser Beitrag stellt eine empirische Studie zur Nutzung von Visualisierungen bei Schweizer Richterinnen und Richtern vor. An der mit Hilfe einer Online-Umfrageplattform durchgeführten Studie haben annähernd zehn Prozent aller Schweizer Richterinnen und Richter teilgenommen. Die Ergebnisse deuten auf eine durchaus rege und differenzierte Verwendung unterschiedlicher Visualisierungsformate in der richterlichen Praxis hin. Im Beitrag erläutern wir Ziele und Aufbau der Umfrage und präsentieren die wichtigsten Ergebnisse vor dem Hintergrund der Literatur zur Rechtsvisualisierung.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Umfragedesign
  • 3. Aufbau des Fragebogens
  • 3.1. Angaben zur richterlichen Tätigkeit
  • 3.2. Nutzung von Visualisierungen
  • 3.3. Kontext, in dem Visualisierungen auftreten
  • 3.4. Eigenproduktion von Visualisierungen
  • 3.5. Adressaten selbst produzierter Visualisierungen
  • 3.6. Sonstiges / Demographie / Abschluss
  • 4. Ergebnisse
  • 4.1. Art der richterlichen Tätigkeit
  • 4.2. Nutzung von Visualisierungen
  • 4.3. Kontext, in dem Visualisierungen genutzt werden
  • 4.4. Eigenproduktion von Visualisierungen
  • 4.4.1. Einsatzzweck
  • 4.4.2. Genutzte Medien
  • 4.5. Adressaten selbst produzierter Visualisierungen
  • 4.6. Abschließende Freitext-Frage
  • 4.7. Demographische Angaben
  • 5. Fazit
  • 6. Literatur

1.

Einführung ^

[1]
Obwohl Begriffe wie das visuelle Zeitalter oder der iconic turn in aller Munde sind, existieren kaum empirische Daten dazu, welche Bedeutung Visualisierungen in der täglichen Arbeitspraxis haben. Die Rechtswissenschaft bzw. die Forschung zur Rechtsvisualisierung machen hier keine Ausnahme – es gibt nur wenige Studien, die sich mit der tatsächlichen Verwendung von Visualisierungen auseinandersetzen (vgl. etwa Mielke/Wolff 2005, Mielke/Walser Kessel/Wolff 2017), wenngleich durchaus «Visualisierungstendenzen im Recht», die durch Medientechnologien gefördert werden, vermutet werden (vgl. Boehme-Neßler NJW 2017, 3034).
[2]
Vor diesem Hintergrund haben wir eine Umfrage konzipiert, die zum Ziel hat, speziell für die richterliche Tätigkeit Rolle und Bedeutung von Visualisierungen zu ermitteln. Die Umfrage wurde auf einer Online-Plattform entwickelt und im Sommer 2017 Schweizer Richterinnen und Richtern zur Verfügung gestellt. In unserem Beitrag diskutieren wir neben der Struktur der Umfrage die konkreten Ergebnisse sowie die Frage, welche Schlüsse daraus für das Feld der Rechtsvisualisierung zu ziehen sind.

2.

Umfragedesign ^

[3]
Die Umfrage wurde im Sommer 2017 mithilfe der Online-Fragebogen-Plattform Google Forms entwickelt1 und ab Anfang August 2017 durchgeführt. Über Kontaktpersonen bei der Schweizerischen Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) ist es gelungen, den Link zur Umfrage einem Großteil der Schweizer Richterinnen und Richter zur Kenntnis zu bringen. Die SVR zählt rund 600 Mitglieder, von denen 520 per E-Mail angefragt wurden. Sie ist ein privatrechtlicher Verein, die Mitgliedschaft ist für Richterinnen und Richter nicht obligatorisch.2
[4]

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Umfrage konnten über einen Link die Umfrage ausfüllen. Insgesamt haben 117 Personen an der Umfrage teilgenommen, was einer Rücklaufquote von 22,5% bezogen auf die Zahl der konkret angeschriebenen Adressaten entspricht, ein für eine derartige Umfrage sehr guter Wert. Die Datenbank der beim Europarat angesiedelten europäischen Kommission für Effizienz im Justizwesen (European Commission for the Efficiency of Justice (CEPEJ)) weist nach den neuesten verfügbaren Daten aus dem Jahr 2014 1‘290 Berufsrichter für die Schweiz aus.3 Somit haben 9,1% aller Berufsrichter an der Umfrage teilgenommen.

Abbildung 1: Screenshot der Umfrage auf Google Forms (Startbildschirm)

[5]

Zu den Designkriterien für diese Umfrage gehören folgende Überlegungen:

  • Die Umfrage sollte in relativ kurzer Zeit – etwa fünf bis zehn Minuten – auszufüllen sein.
  • Die Erhebungsinstrumente sollten dabei vergleichsweise einfach gestaltet sein.
  • Neben Mehrfachauswahlfragen haben wir den Richterinnen und Richtern vor allen Likert-Skalen4 vorgelegt, aus denen ein Wert innerhalb eines bestimmten Spektrums zu bestimmen war. Dabei kamen fünf- und siebenstufige Likert-Skalen5 zum Einsatz.
  • Nur wenige freie Textfragen ergänzen die Umfrage – vor allem dort, wo wir von den Teilnehmern weitere Hinweise zu Aspekten erwartet haben, die ansonsten nicht in der Umfrage Berücksichtigung gefunden hatten.
[6]
Den Autoren ist keine vergleichbare Studie zur empirischen Erhebung der tatsächlichen Visualisierungspraxis bei Juristen oder konkret bei Richtern bekannt. Im Vorfeld der Entwicklung des Fragebogens wurde die einschlägige Rechtsvisualisierungs-Literatur, insbesondere die im Kontext des IRIS publizierten Aufsätze gesichtet. Aufsätze zur Klassifikation von Visualisierungen fanden bei der Konzeption des Fragebogens Berücksichtigung. Weiterhin flossen erste Ergebnisse einer weiteren Studie ein, bei der eine der Autorinnen die Nutzung von Visualisierungen in ihrer richterlichen Tätigkeit über einen längeren Zeitraum systematisch dokumentiert hat (vgl. Mielke/Wolff 2018). Schließlich wurden Pretests mit Deutschen und Schweizer Richtern bzw. Juristen zur Handhabbarkeit des Fragebogens durchgeführt.

3.

Aufbau des Fragebogens ^

[7]
Der Fragebogen zur Umfrage gliedert sich in zehn Abschnitte:
[8]
1. Einleitung, 2. Angaben zur richterlichen Tätigkeit, 3. Nutzung von Visualisierungen, 4. Tätigkeiten, bei denen die Befragten mit (nicht selbst produzierten) Visualisierungen zu tun haben, 5. Einsatzzweck selbst produzierter Visualisierungen, 6. Art der für Visualisierungen genutzten Medien und Geräte, 7. Adressat der Visualisierungen, 8. Sonstiges, 9. Demographisches, 10. Abschluss.
[9]
Nachfolgend werden die Fragen kurz erläutert. In Kap. 4 folgt dann eine Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse.

3.1.

Angaben zur richterlichen Tätigkeit ^

[10]
Hier wird einerseits nach der Art der Tätigkeit (Einzelrichter/-innen, Mitglied eines Kollegialgerichts, Tätigkeit in der Ausbildung oder/und Tätigkeit in der Gerichtsverwaltung) gefragt sowie danach, ob die Befragten erstinstanzlich oder in einer Rechtsmittelinstanz im Einsatz sind. Andererseits werden die Rechtsgebiete, in denen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer tätig sind, erhoben, wobei ein breites Spektrum umfasst wird (neben der ordentlichen Gerichtsbarkeit einschließlich einer Unterscheidung nach bestimmten Rechtsmaterien wie Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht auch das Verwaltungs-, Sozial-, Arbeits-, Finanz- und Verfassungsrecht). Bei diesen Fragen waren jeweils Mehrfachantworten möglich, da Richterinnen und Richter in verschiedenen Instanzen und Rechtsgebieten tätig sein können.
[11]
Diese Untersuchung findet zu einem günstigen Zeitpunkt statt, denn ab 1. Januar 2011 wurde das Zivil- und Strafprozessrecht gesamtschweizerisch in zwei Bundesgesetzen vereinheitlicht (ZPO und StPO). Früher gab es 26 verschiedene kantonale Gesetze in jedem Bereich. In den seither vergangenen sieben Jahren konnten Erfahrungen gesammelt werden und die Richter sind inzwischen mit den jeweiligen sie betreffenden Neuerungen vertraut. Im Zivilprozessrecht sind u.a. folgende Neuerungen im hiesigen Kontext von Bedeutung: Das Verfahren soll einfach und auch für Nichtjuristen nachvollziehbar sein. Außergerichtliche Streitbeilegung durch Schlichtungsverfahren oder Mediation werden gefördert. Es gibt einen Numerus Clausus der Beweismittel, wobei diese weit umschrieben werden, um die Erschließung aller relevanten Erkenntnisquellen zu ermöglichen und die technische Entwicklung zu berücksichtigen.6
[12]
Im Strafprozessrecht wurden folgende Grundsätze konkretisiert: Es gilt das Staatsanwaltschaftsmodell ähnlich wie in Deutschland und Österreich. Dadurch soll die Einheitlichkeit der Ermittlung, Untersuchung und Anklageerhebung und deren Effizienz gewährleistet werden. Es gilt eine eingeschränkte Unmittelbarkeit des Hauptverfahrens und eine hohe Regelungsdichte. Die Verteidigungsrechte wurden ausgebaut.7

3.2.

Nutzung von Visualisierungen ^

[13]
Zur Nutzung von Visualisierungen wird zunächst danach gefragt, welche Visualisierungsarten bekannt sind (Abbildung 2), es folgt eine Reihe detaillierter Nachfolgefragen, bei denen die Teilnehmer jeweils ihre eigene Nutzungsintensität für unterschiedliche Medien bzw. Typen von Visualisierungen angeben sollten (z.B. Fotos, Videos, Schaubilder, Comics, Karten etc.). Die Auswahl der Kategorien orientiert sich dabei an der Literatur zur Klassifikation und Nutzung von Visualisierungen.8

3.3.

Kontext, in dem Visualisierungen auftreten ^

[14]
Anschließend sollen die Befragten angeben, in welchem Kontext Visualisierungen auftreten. Als mögliche Szenarien stehen das Aktenstudium, die Verhandlung, die Urteilsverkündung sowie die interne Kommunikation mit Kollegen zur Auswahl.

3.4.

Eigenproduktion von Visualisierungen ^

[15]

Einen weiteren Aspekt stellt die Verwendung selbst produzierter Bilder dar. Daher ist in dem Fragebogen danach gefragt, zu welchem Einsatzzweck Visualisierungen angefertigt werden. Als mögliche Zwecke sind die Verdeutlichung von Sachverhalten sowie die Darstellung rechtlicher und zeitlicher Zusammenhänge (zum Beispiel mithilfe eines Zeitstrahls) vorgegeben. Zudem steht ein Feld Sonstiges zur Formulierung von Freitextantworten zur Verfügung. Komplementär zum Einsatzzweck wird auch abgefragt, welche Medien bzw. Geräte für Visualisierungen genutzt werden. Die Befragten können dabei die jeweilige Nutzungsintensität angeben für:

  • Notizzettel/Karteikarten/Post-Its
  • Papier/Notizblock/Heft
  • Flipchart/Moderationskoffer
  • Computer/Tablets/Smartphone
  • Fotoapparat/Videokamera
  • Sonstiges (Freitextantworten).

3.5.

Adressaten selbst produzierter Visualisierungen ^

[16]
Schließlich wird auch erhoben, an welche Adressaten sich die Visualisierungen wenden: An die Erzeuger der Visualisierungen selbst (Eigengebrauch), an andere Juristen oder an Parteien bzw. nicht-juristische Beteiligte, wobei hier zwischen spezifischen Zielgruppen (Kinder, Personen mit niedrigem Bildungsgrad, Senioren oder sonstige mit der Möglichkeit einer Freitextantwort) unterschieden wird.

3.6.

Sonstiges / Demographie / Abschluss ^

[17]

Im letzten Teil der Umfrage besteht die Möglichkeit, Beobachtungen, Ideen und Anregungen mit Bezug zu Visualisierungen mitzuteilen. Abschließend werden demographische Angaben zur Berufserfahrung und dem Geschlecht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfasst. Für die Umfrage wird Anonymität zugesichert, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können aber eine Mailadresse angeben, soweit sie die Ergebnisse der Studie zugesandt bekommen wollen.

4.

Ergebnisse ^

[18]
Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse vorgestellt und interpretiert. Wir orientieren uns dabei am oben bereits vorgestellten Aufbau der Umfrage.

4.1.

Art der richterlichen Tätigkeit ^

[19]

Zu dieser Frage geben 70% der Teilnehmer an, als Einzelrichter tätig zu sein und 86% als Mitglied eines Kollegialgerichts, jeweils etwa 11% nennen Tätigkeiten in der Ausbildung bzw. in der Gerichtsverwaltung. Es besteht also zu einem erheblichen Teil eine Tätigkeit sowohl als Einzelrichter/-in als auch als Mitglied eines Kollegialgerichts. Jeweils knapp 55% geben an, erstinstanzlich bzw. in einer Rechtsmittelinstanz zu arbeiten. Hier ist die Überlappung offenbar deutlich geringer. In jedem Fall sind die Befragten ganz überwiegend in der gerichtlichen Praxis und nur zu einem kleinen Teil (auch) in der Verwaltung und der Ausbildung tätig.

[20]
Bei den Rechtsgebieten werden am häufigsten das Zivilrecht (52%), das Familienrecht (50%) und das Strafrecht (50%) genannt. Danach folgen Erbrecht (42%), Gesellschaftsrecht (37%), Arbeitsrecht (28%), Verwaltungsrecht (23%), Sozialrecht (15%), Finanzrecht (9%) und Verfassungsrecht (7%).

4.2.

Nutzung von Visualisierungen ^

[21]

Bei der Frage zur Nutzung von Visualisierungen ergibt sich folgendes Bild (Abbildung 2):

Abbildung 2: Balkendiagramm aus Google Forms zur Bekanntheit von Visualisierungen

[22]
Fotos sind den Beteiligten zu 94% bekannt, gefolgt von Plänen (82%), Videos und Filmen (74%), Karten (71%), Schaubildern und Diagrammen (62%) sowie Comics (3%).
[23]

Die nachfolgenden Fragen beziehen sich auf die Nutzungsintensität bei den verschiedenen Visualisierungstypen, wobei es hier um die nicht selbst produzierten Visualisierungen geht. Die Kategorie Schaubilder und Diagramme wird weiter unterteilt in logische Bilder, Diagramme und Tabellen. Tabelle 1 gibt die Ergebnisse der Umfrage wieder.

  (Intensität: 1 = nie, …, 7 = täglich)
Visualisierung 1 2 3 4 5 6 7
Fotos 11,1% 27,4% 29,9% 20,5% 7,7% 2,6% 0,9%
Videos/Filme 31,6% 41% 17,9% 9,4% 0% 0% 0%
Logische Bilder 20,5% 42,7% 11,1% 16,2% 5,1% 3,4% 0,9%
Diagramme 36,8% 41% 6% 5% 0% 0,9% 0,9%
Tabellen 5,1% 23,9% 21,4% 14,5% 20,5% 10,3% 4,3%
Comics/Cartoons 95,7% 4,3% 0% 0% 0% 0% 0%
Karten 15,4% 35,9% 14,5% 23,9% 5,1% 4,3% 0,9%
Pläne/Skizzen 11,1% 25,6% 19,7% 29,1% 8,5% 5,1% 0,9%

Tabelle 1: Nutzungsintensität für unterschiedliche Visualisierungstypen

[24]

Deutlich wird, dass Fotos, Tabellen, Pläne/Skizzen und Karten zu den Visualisierungstypen gehören, für die auch relativ hohe Werte in den Nutzungskategorien 4 bis 7 auftreten. Fasst man zusammen, wie viele der Befragten die Nutzungshäufigkeit auf einer Skala von 1 (nie) bis 7 (täglich) ab Stufe 4 für die verschiedenen Visualisierungstypen angeben, kommt man zu folgender Reihung: Tabellen liegen mit knapp 50% vor Plänen/Skizzen (ca. 44%), Karten (ca. 34%), Fotos (ca. 32%), Logischen Bildern (26%), Videos/Filmen (ca. 9%) und Diagrammen (knapp 7%). Comics und Cartoons bilden das Schlusslicht. Interessant ist dabei allerdings, dass immerhin fünf Teilnehmer (4%) ihre eigene Nutzungsintensität nur der zweitniedrigsten Kategorie zuordnen (also häufiger als nie), immerhin ein höherer Wert als bei der zunächst abgefragten Bekanntheit des Visualisierungstyps. Dabei dürfte der Unterschied kaum daraus resultieren, dass bei der Frage nach der Bekanntheit aus Vereinfachungsgründen lediglich Comics und bei der Frage nach der Nutzung Comics und Cartoons genannt sind. Bei den anderen Kategorien ergeben sich hingegen (nachvollziehbar) meist höhere Werte für den Bekanntheitsgrad als für die Nutzungsintensität, etwa wenn 94% der Befragten angeben, dass sie Fotos aus ihrem beruflichen Umfeld kennen, aber über 11% angeben, sie nie zu nutzen. Weniger nachvollziehbar erscheint hingegen der Umstand, dass nur 20,5% der Teilnehmer angeben, dass sie nie logische Bilder benutzen, aber gleichzeitig nur 62,4% der Befragten Schaubilder und Diagramme aus ihrem beruflichen Umfeld bekannt sind. Hier war möglicherweise nicht hinreichend klar, dass sich logische Bilder auch unter den Begriff Schaubilder fassen lassen.

4.3.

Kontext, in dem Visualisierungen genutzt werden ^

[25]

Bei der Frage, bei welchen Tätigkeiten die befragten Richterinnen und Richter mit Visualisierung zu tun haben, weisen das Aktenstudium sowie die interne Kommunikation mit Kollegen die stärksten Werte auf, wobei das Aktenstudium die einzige Kategorie ist, in der auch die höchste Nutzungsintensität (täglich) einen positiven Wert mit 8% aufweist. Insgesamt geben 59% der Befragten auf der Skala 1 (nie) bis 7 (täglich) für die Tätigkeit Aktenstudium die Werte 4 und mehr an, für die interne Kommunikation mit Kollegen entfallen auf diese Häufigkeitskategorien etwas über 30%, für den Kontext Verhandlung etwas über 20%. Lediglich fünf Teilnehmer geben die Häufigkeitskategorien 4 bis 7 für die Situation Urteilsverkündung an. Diese Tendenz zeigt sich auch, wenn man sich ansieht, wie hoch der Anteil der Richterinnen und Richter ist, die in den jeweiligen Situationen nie mit Visualisierungen zu tun haben: Über 70% der Befragten haben bei der Urteilsverkündung nie damit zu tun, für die Situation Verhandlung geben dies nur 24% an, für die interne Kommunikation liegt der Anteil bei 12%, beim Aktenstudium ist der Prozentsatz am niedrigsten. Nur zwei Teilnehmer (1,7%) geben an, beim Aktenstudium nie mit Visualisierungen zu tun zu haben.

4.4.

Eigenproduktion von Visualisierungen ^

[26]
In den Abschnitten 5 bis 7 des Fragebogens wird nach selbst produzierten Visualisierungen gefragt. Da hier zu erwarten ist, dass Richterinnen und Richtern selbst produzierte Visualisierungen seltener nutzen, wurde dafür eine Antwortskala von 1 (nie) bis 5 (häufig) vorgegeben.

4.4.1.

Einsatzzweck ^

[27]
Für die Frage nach dem Einsatzzweck selbst gefertigter Visualisierungen ergeben sich für alle drei genannten Möglichkeiten (Verdeutlichung von Sachverhalten, Darstellung rechtlicher Zusammenhänge sowie Darstellung zeitlicher Zusammenhänge) hohe Nutzungswerte. Insgesamt werden Visualisierungen stärker zur Verdeutlichung von Sachverhalten und zur Beschreibung zeitlicher Zusammenhänge herangezogen, etwas weniger intensiv zur Erläuterung rechtlicher Zusammenhänge. Für die Häufigkeitskategorien 3 bis 5 ergeben sich für die Darstellung zeitlicher Zusammenhänge und die Verdeutlichung von Sachverhalten jeweils ein Anteil von über 55%. Für die Darstellung rechtlicher Zusammenhänge geben ca. 36% der Befragten an, dass sie selbst produzierte Visualisierungen mit einer Häufigkeit von 3 und mehr verwenden. Aber selbst für diesen Aspekt geben nur 23% der Befragten an, dass sie selbst produzierte Visualisierungen dafür nie nutzen.
[28]

Im Feld Sonstiges nennen die Teilnehmer als zusätzliche Einsatzmöglichkeiten unter anderem die spielerische Nutzung von Visualisierungen («Zeitvertreib»), die Rolle von Visualisierungen in der militärischen Führungsausbildung (möglicherweise ein Schweizer Spezifikum), den Einsatz zur Strukturierung von Beratungen, die Nutzung von Excel-Tabellen für die Darstellung finanzieller Verhältnisse, die Nutzung von Tabellen mit Berechnungsmöglichkeiten sowie die Nutzung der Tabellenfunktion von MS Word für eigene persönliche Notizen.

4.4.2.

Genutzte Medien ^

[29]

Bei den genutzten Medien liegen Papier, Notizblock, Heft mit sehr hohen Nutzungsdaten klar vorne. Lediglich 8% geben an, diese Medien nicht für Visualisierungen zu nutzen, 75% nennen die Häufigkeitskategorien 3 bis 5. Danach folgen kleinteilige papiergebundene Trägermedien wie Notizzettel, Karteikarten und Post-Its, die ca. 29% nie verwenden und für die knapp 49% eine Nutzungshäufigkeit von 3 bis 5 nennen. Flipcharts bzw. Moderationskoffer kommen dagegen deutlich seltener zum Einsatz – immerhin 73% der Befragten geben an, sie niemals zu verwenden, knapp 12% nennen die Häufigkeitskategorien von 3 bis 5. Auch die Nutzung elektronischer Geräte wie Computer, Tablet oder Smartphone ist mittlerweile verbreitet. Zwei Drittel setzen sie für Visualisierungen ein, davon knapp 43% mit der Häufigkeit 3 bis 5, 10% von allen verwenden sie mit der höchsten Intensitätsstufe. Ein gutes Drittel (34%) gibt an, solche Geräte niemals für diesen Zweck zu nutzen. In der ergänzenden Freitext-Frage werden als weitere Medien «Modelle» genannt sowie ausgedruckte Excel-Tabellen. Als Geräte werden zusätzlich Beamer und Visualizer erwähnt.

4.5.

Adressaten selbst produzierter Visualisierungen ^

[30]
Bei der Frage nach den Adressaten selbst produzierter Visualisierungen wird deutlich, dass der Eigengebrauch die wichtigste Nutzungsform ist. Hier entfallen allein 29 bzw. 39% der Nennungen auf die höchste bzw. die zweithöchste Häufigkeitskategorie. Dies entspricht mehr als zwei Dritteln der Befragten. Daneben spielen andere Juristen als Adressaten eine wichtigere Rolle als Parteien und andere nicht-juristische Beteiligte, die im Vergleich deutlich seltener genannt werden. Die weiteren abgefragten spezifischen Zielgruppen (Kinder, Personen mit niedrigen Bildungsstatus sowie Senioren) sind offenbar erheblich seltener Adressaten selbst produzierter Visualisierungen. Kinder werden insgesamt nur von 19%, Personen mit niedrigem Bildungsstatus von 31% sowie Senioren von 29% der Befragten als mögliche Adressaten von Visualisierungen benannt. Als weitere Personenkreise nennen die Befragten bei Sonstigen: Fremdsprachige Personen, Praktikanten/Lernende, Techniker, Unfallbeteiligte u.a. Außerdem wird angemerkt, dass man in einer Rechtsmittelinstanz kaum direkte Kontakte hat, weshalb offenkundig die meisten Adressatentypen keine Rolle spielen.

4.6.

Abschließende Freitext-Frage ^

[31]
Bei der abschließenden Freitext-Frage wird mehrfach auf die Nutzung von Beamern hingewiesen. Ein interessanter Aspekt ist dabei der Hinweis auf die bei Vergleichsverhandlungen als besonders hilfreich eingeschätzte Nutzung von Beamern, um visualisierte Rechnungsaufstellungen laufend dem Stand der Diskussion anzupassen. Hingewiesen wird außerdem auf die Verwendung von Excel-Tabellen zur Unterhaltsberechnung sowie auf die Nutzung von Fotos und Videos in Strafverfahren sowohl bei der Vorbereitung von Verhandlungen als auch in der Verhandlung als Vorhalt gegenüber den Beschuldigten. Außerdem wird das Visualisierungsformat der Mindmaps gesondert erwähnt (in der Systematik der Umfrage wäre es den logischen Bildern zuzurechnen, wurde aber als spezifischer Typus nicht explizit erwähnt).

4.7.

Demographische Angaben ^

[32]
Jeweils etwa ein Drittel der Befragten gibt an, zwischen zehn bis einschließlich 19 bzw. 20 bis einschließlich 29 Jahre Berufserfahrung aufzuweisen. 19% der Befragten haben 30 und mehr Jahre Berufserfahrung, 15% der Befragten weniger als zehn Jahre. 61% der Befragten sind männlich, 39% weiblich.

5.

Fazit ^

[33]

Es lässt sich festhalten, dass die meisten Visualisierungstypen (mit Ausnahme von Comics) der weit überwiegenden Mehrheit der an der Umfrage teilnehmenden Richterinnen und Richter aus ihrem beruflichen Umfeld bekannt sind. Damit ist klar, dass Visualisierungen zum Arbeitsalltag von Richterinnen und Richtern gehören. Visualisierungen spielen also in der Praxis eine weit größere Rolle als in der juristischen Forschungs- bzw. Fachliteratur, die Ergebnisse von Mielke/Wolff 2005 dürften 2018 nicht wesentlich anders ausfallen, wenn auch in neueren Zeitschriftenpublikationen grafische Darstellungen nach Eindruck der Autoren zunehmen.

[34]
Weiterhin zeigt sich, dass Richterinnen und Richter am meisten beim Aktenstudium und bei der internen Kommunikation mit Kollegen mit Visualisierungen zu tun haben. Selbst produzierte Visualisierungen werden hauptsächlich zum Eigengebrauch genutzt und dienen vor allem zur Verdeutlichung von Sachverhalten und zur Beschreibung zeitlicher Zusammenhänge, seltener zur Darstellung rechtlicher Zusammenhänge.

6.

Literatur ^

Boehme-Neßler, Volker (2017), Die Macht der Algorithmen und die Ohnmacht des Rechts. Wie die Digitalisierung das Recht relativiert, NJW 2017, S. 3031–3037.

Hahn, Tamara/Mielke, Bettina/Wolff, Christian (2014), Klassifikation von Darstellungsformen in der Rechtsvisualisierung. In: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transparenz, Tagungsband des 17. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2014, Österreichische Computer Gesellschaft & Erich Schweighofer, Wien, S. 491–502.

Heddrich, Jürgen/Sachs, Lothar (2017), Angewandte Statistik. Methodensammlung mit R. 15., überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Spektrum, Berlin/Heidelberg.

Heddier, Marcel/Heide, Tobias/Knackstedt, Ralf (2012), Research Portal Multisensory Law und YourResearchPortal.com. In: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter (Hrsg.), Transformation juristischer Sprachen, Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2012, Österreichische Computer Gesellschaft, Wien, S. 373–380.

Matell, Michael S./Jacoby, Jacob (1971), Is there an Optimal Number of Alternatives for Likert Scale Items? Study I: Reliability and Validity, Educational and Psychological Measurement, 31(3), S. 657–674.

Mielke, Bettina/Walser Kessel, Caroline/Wolff, Christian (2017), 20 Jahre Rechtsvisualisierung – Bestandsaufnahme und Storytelling. In: Schweighofer, Erich/Kummer, Franz/Hötzendorfer, Walter/Sorge, Christoph (Hrsg.), Trends und Communities der Rechtsinformatik, Tagungsband des 20.Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2017, Österreichische Computer Gesellschaft & Erich Schweighofer, Wien, S. 377–386.

Mielke, Bettina/Wolff, Christian (2005), Visualisierungsformate im Recht. In: Schweighofer, Erich/Liebwald, Doris/Augeneder, Silvia/Menzel, Thomas (Hrsg.), Effizienz von e-Lösungen in Staat und Gesellschaft, Aktuelle Fragen der Rechtsinformatik 2005, Boorberg, Stuttgart et al. 2005, S. 618–626.

Mielke, Bettina/Wolff, Christian (2018), Tagebuchstudie zum Einsatz von Visualisierungen in der richterlichen Praxis, in diesem Band.

Röhl, Klaus F./Ulbrich, Stefan. (2007), Recht anschaulich. Visualisierung in der Juristenausbildung, Herbert von Halem Verlag [edition medienpraxis, Bd. 3], Köln.

  1. 1 https://docs.google.com/forms (alle Websites abgefragt am 2. Januar 2018).
  2. 2 http://www.svr-asm.ch/de/index.htm.
  3. 3 https://www.coe.int/t/dghl/cooperation/cepej/evaluation/2016/STAT/default.asp.
  4. 4 Die nach Rensis Likert benannten Likert-Skalen dienen dazu, in Fragebogen Antwortmöglichkeiten zu einer Frage mit einer Ordinalskala zu erfassen, vgl. Hedderich/Sachs 2017, 23.
  5. 5 Siebenstufige Likert-Skalen wurden für die Fragen verwendet, bei denen zu erwarten war, dass die Teilnehmer stärker differenzieren können (Frage nach dem Vorkommen von Visualisierungen und dem jeweiligen Kontext allgemein), während die fünfstufigen Skalen bei den spezielleren Fragen genutzt wurden, wie z.B. nach dem Zweck selbst produzierter Visualisierungen. Zu Frage der optimalen Item-Zahl in Likert-Skalen vgl. Matell/Jacoby 1971.
  6. 6 Zur Revision des schweizerischen Zivilprozessrechts siehe BBl 2006 7221 ff., insb. S. 7240.
  7. 7 Zur Revision des schweizerischen Strafprozessrechts siehe BBl 2005 1085 ff., insb. S. 1110.
  8. 8 Vgl. Hahn/Mielke/Wolff 2014, S. 492 ff.; Heddier/heide/Knackstedt 2012, S. 373 ff.; Mielke/Walser Kessel/Wolff 2017, S. 379 f., Röhl/Ulbrich 2007, S. 53 ff.