Jusletter IT

Bürgerjournalismus im Datenschutz

  • Authors: Jonas Pfister / Jakob Zanol
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Data Protection, Media Law
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2019
  • Citation: Jonas Pfister / Jakob Zanol, Bürgerjournalismus im Datenschutz, in: Jusletter IT 21. February 2019
Bürgerjournalismus, als rechtlich nicht definiertes Phänomen, stellt im Zuge der Digitalisierung Juristen vor neue Herausforderungen. Insbesondere die Abwägung zwischen Presse- und Meinungsäußerungsfreiheit und dem Datenschutzrecht stellt eines der zentralen Probleme dar. Der Beitrag behandelt die Anwendung des datenschutzrechtlichen Medienprivilegs auf den «Bürgerjournalismus».

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Europarechtliche Rahmenbedingungen
  • 3. Nationale Umsetzung
  • 4. Entscheidung DSB-D123.077/0003-DSB/2018
  • 5. Konsequenz der Entscheidung
  • 6. Das öffentliche Informationsinteresse in der Praxis
  • 7. Fazit

1.

Einleitung ^

[1]

Das Phänomen «Bürgerjournalismus» ist rechtlich nicht abschließend definiert. Dies ist wohl dem Umstand geschuldet, dass es sich um einen Begriff handelt, der in anderen wissenschaftlichen Gebieten, wie den Kommunikationswissenschaften1, aber vor allem in der Praxis etabliert wurde und erst im Zuge des technologischen Fortschritts nun auch Juristen vor neue Rechtsprobleme stellt. Nach Bosshart hat sich mit fortschreitender Digitalisierung in den letzten Jahren im Internet ein Kommunikationsraum erschlossen, in dem sich die Rollen zwischen Kommunikatoren, Vermittlern und Rezipienten zusehends aufzulösen scheinen. Öffentliche Kommunikation sei längst keine Domäne mehr, die weitgehend von professionellen Akteuren aus Journalismus, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit besetzt ist ‒ im Gegenteil, ein großer Teil der im Netz auffindbaren Inhalte und Kommunikate stamme von «Laien».2

[2]

Während Engesser zwischen «User-Generated-Content», «Bürgerjournalismus», «Graswurzeljournalismus» und ähnlichen Konzepten unterscheidet3, scheint die Datenschutzbehörde in einer aktuellen Entscheidung auch einseitige bzw. wechselseitige Kommunikation in Internetforen unter gewissen Bedingungen in die Kategorie des Bürgerjournalismus einzuordnen.4 Daher drängt sich die nähere Betrachtung der Stellung des Bürgerjournalismus im Datenschutzrecht auf.

2.

Europarechtliche Rahmenbedingungen ^

[3]

Im europäischen Datenschutzregime wird nicht explizit auf das Phänomen des «Bürgerjournalismus» eingegangen. Jedoch wird der Journalismus als Teil des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit explizit angeführt und unterliegt speziellen Regelungen.

[4]

Art. 85 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO5) stellt eine Öffnungsklausel dar, welche die Mitgliedstaaten anweist, das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten nach der DSGVO mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, einschließlich der Verarbeitung zu journalistischen Zwecken und zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken in Einklang zu bringen.6 In Art. 85 Abs. 2 DSGVO wird festgelegt7, dass für die Verarbeitung personenbezogener Daten, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, durch die Mitgliedstaaten Abweichungen und Ausnahmen von bestimmten Teilen der DSGVO8 vorzusehen sind.

[5]

Damit wurde den Mitgliedstaaten in Art. 85 DSGVO ein weiter Regelungsspielraum zur Privilegierung journalistischer Tätigkeit eingeräumt. Art. 85 DSGVO ist der Vorgängerbestimmung in Art. 9 der Datenschutzrichtlinie (Richtlinie 95/46/EG – DSRL9) dabei im Grundsatz sehr ähnlich. Im Vergleich zu Art. 9 DSRL wurde Art. 85 DSGVO jedoch in mehrfacher Hinsicht erweitert.10 Während Art. 9 DSRL lediglich die Verarbeitung zu journalistischen, künstlerischen oder literarischen Tätigkeiten privilegierte, erlegt Art. 85 Abs. 1 DSGVO den Mitgliedstaaten die Schaffung eines generellen Ausgleiches zwischen dem Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit und dem Recht auf Datenschutz auf. Die oben genannten Tätigkeiten, einschließlich des Journalismus, stellen dabei bloß Teilbereiche des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit dar.11

[6]

Der EuGH hatte sich in der Rechtssache «Satakunnan Markkinapörssi»12 mit der Auslegung des Art. 9 DSRL zu befassen. Dabei legte der EuGH insbesondere auch Abgrenzungskriterien zur Auslegung des «journalistischen Zwecks» fest.13 Auch nach Art. 9 DSRL waren die Mitgliedstaaten nämlich dazu aufgerufen, bestimmte Ausnahmen oder Einschränkungen in Bezug auf den Datenschutz und damit hinsichtlich des Grundrechts auf Privatsphäre vorzusehen, um dieses mit dem Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung in Einklang zu bringen.14

[7]

Nach dem EuGH sind, in Anbetracht der Bedeutung, die der Freiheit der Meinungsäußerung in jeder demokratischen Gesellschaft zukommt, die damit zusammenhängenden Begriffe, zu denen der des Journalismus gehört, weit auszulegen, die Ausnahmen und Einschränkungen jedoch in Bezug auf den Datenschutz auf das absolut Notwendige zu beschränken, um ein Gleichgewicht zwischen den beiden Grundrechten herzustellen.15

[8]

Diese Auslegung des Art. 9 DSRL durch den EuGH spiegelt sich auch in der Formulierung des Erw. 153 DSGVO wider. Demnach ist der Begriff des Journalismus weit auszulegen, «um der Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung zu tragen.»16 Einschränkungen des Datenschutzrechts haben grundsätzlich nur im notwendigen Ausmaß zu erfolgen. Dies ergibt sich bereits aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz17, sowie insbesondere auch aus der Erforderlichkeitsprüfung des Art. 85 Abs. 2 DSGVO.18

[9]

Ferner stellte der EuGH zur journalistischen Tätigkeit fest, dass diese nicht bloß Medienunternehmen vorbehalten sei, sondern die Einschränkungen und Ausnahmen des Art. 9 DSRL für jeden gelten sollten, der journalistisch tätig ist.19 Darüber hinaus schließe die Tatsache, dass diese Tätigkeit mit der Absicht verbunden ist, Gewinn zu erzielen, nicht von vornherein aus, dass sie als eine Tätigkeit angesehen werden kann, die «allein zu journalistischen Zwecken erfolgt», da ein gewisser kommerzieller Erfolg mitunter die unverzichtbare Voraussetzung für den Fortbestand eines professionellen Journalismus sei.20 Auch der verwendete «Träger»21, mit dem die Daten übermittelt werden, sei für die Beurteilung nicht ausschlaggebend.22 Der EuGH kommt zum Schluss, dass Tätigkeiten dann als journalistische Tätigkeiten eingestuft werden, wenn sie zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen, mit welchem Übertragungsmittel auch immer, in der Öffentlichkeit zu verbreiten.23

[10]

Bemerkenswert ist, dass sich die Ausführungen der Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen, welche sich sehr ausführlich mit der Judikatur des EGMR zur Freiheit der Meinungsäußerung und dem Journalismus auseinandersetzen, weitgehend nicht mehr in der Entscheidung des EuGH finden. Interessant ist dies insbesondere deshalb, weil in den Schlussanträgen die «journalistische Tätigkeit» von einem zusätzlichen Kriterium, nämlich dem Abzielen der Veröffentlichung von Informationen auf ein «öffentliches Interesse», abhängig gemacht wird.24 Die Ausführungen der Generalanwältin sollten bei der Beurteilung der journalistischen Tätigkeit nicht unbeachtet bleiben (siehe dazu unten).

3.

Nationale Umsetzung ^

[11]

In Österreich wurde Art. 85 DSGVO in § 9 Datenschutzgesetz (DSG)25 umgesetzt. § 9 Abs. 1 DSG sieht für Verarbeitungsvorgänge durch Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinne des Mediengesetzes (MedienG)26 zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes eine Ausnahme von Teilen der DSGVO sowie des gesamten DSG vor. Gemäß § 9 Abs. 2 DSG finden, soweit dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen, weite Teile der DSGVO auf die Verarbeitung, die zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, keine Anwendung. Anders als § 9 Abs. 1 DSG, welcher eine pauschale Ausnahme dieser Tätigkeiten von weiten Teilen des Datenschutzrechts festlegt, sieht § 9 Abs. 2 DSG eine Erforderlichkeitsprüfung vor.27

4.

Entscheidung DSB-D123.077/0003-DSB/2018 ^

[12]

Die österreichische Datenschutzbehörde war vor kurzem mit der Frage des Anwendungsbereichs des Medienprivilegs befasst. Im Wesentlichen lag folgender Sachverhalt der Entscheidung zugrunde:

[13]

Person A hat einen User account auf dem Webportal des Unternehmens B, welches auf diesem Webportal regelmäßig Artikel zu verschiedenen Themen publiziert. Person A postet unter einem dieser Artikel ein Posting/User-Kommentar, begehrt jedoch nach einiger Zeit von Unternehmen B die Löschung dieses Kommentars. Das (Medien-)Unternehmen B verweigert dies.

[14]

Während die Tätigkeit des Medienunternehmens unstrittig unter das Medienprivileg des § 9 Abs. 1 DSG fiel, war im Verfahren zu klären, ob auch das Posting eines Users unter dieses Privileg fallen sollte. Dabei führte die Datenschutzbehörde aus, dass nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Satakunnan Markkinapörssi28 von einem weiten Begriff der «journalistischen Zwecke» auszugehen sei und Handlungen bereits dann als journalistische Tätigkeiten angesehen werden, wenn sie zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten.29

[15]

Auch wenn sie zunächst ausführt, dass das Medienprivileg in § 9 Abs. 1 DSG nach dem Wortlaut der Bestimmung nur Medienunternehmen oder Mediendiensten zugänglich ist, kommt die Datenschutzbehörde zum Schluss, dass im Hinblick auf die EuGH-Rechtsprechung, § 9 Abs. 1 DSG nicht nur Medienunternehmen und Mediendiensten vorbehalten sein kann und lediglich der «journalistische» Verarbeitungszweck für die Anwendbarkeit entscheidend sei.

[16]

Das Privileg gemäß § 9 Abs. 1 DSG muss vielmehr nach «unionsrechtlichem Verständnis» ausgelegt werden und kann im Lichte der Rechtsprechung des EuGH auch «Bürgerjournalismus» umfassen (beispielsweise Internet-Diskussionsforen), der den Zweck der einseitigen oder wechselseitigen Kommunikation von Ideen, Meinungen und Informationen verfolgt.

[17]

Im Ergebnis erklärt sich die Datenschutzbehörde für unzuständig, da § 9 Abs. 1 DSG die Anwendung von Kapitel VI DSGVO ausschließt, welches die Bestimmungen über die unabhängigen Aufsichtsbehörden enthält. Darüber hinaus führt sie aus, dass das Privileg nach § 9 Abs. 1 DSG auch die Anwendung der Bestimmungen von Kapitel III DSGVO, welches die Betroffenenrechte regelt, ausschließt und somit auch das Recht der betroffenen Person auf Löschung nach Art. 17 DSGVO nicht in Betracht kommt.

[18]

Die Schlussfolgerung der Datenschutzbehörde führt nun dazu, dass die Person, die auf dem Webportal einen User-Kommentar hinterlässt, dessen Löschung nicht mehr verlangen kann, weil der Kommentar als Ausdruck von «Bürgerjournalismus» durch das Medienprivileg des § 9 Abs. 1 DSG «geschützt» ist.

[19]

Die Auslegung nach «unionsrechtlichen Verständnis» welche durch die Datenschutzbehörde vorgenommen wird, stellt nach nationaler Terminologie eine Analogie dar, weil das Medienprivileg auf einen Sachverhalt angewendet wird, welcher nach dem klaren Wortlaut nicht umfasst sein sollte, nämlich auf den «Bürgerjournalismus».

[20]

Zu überlegen ist, ob das gleiche Ergebnis auch ohne Analogie, also innerhalb des Wortlauts des § 9 Abs. 1 DSG, zu erreichen gewesen wäre.

[21]

Hier muss hervorgehoben werden, dass § 9 Abs. 1 DSG den persönlichen Anwendungsbereich zunächst nicht beschränkt (Argument: «Verarbeitung von personenbezogenen Daten durch Medieninhaber, Herausgeber, Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes im Sinne des Mediengesetzes») und bloß das Erfordernis, dass die Verarbeitung «zu journalistischen Zwecken des Medienunternehmens oder Mediendienstes» zu erfolgen hat, zu einer Beschränkung auf «klassische Medien» führt.

[22]

So wäre es durchaus denkbar, den zugrundeliegenden Sachverhalt so zu deuten, dass Person A mit dem Posting journalistischen Zwecken des Medienunternehmens bzw. Mediendienstes diente oder aber, dass die Verarbeitung des Postings (Speicherung und Zurschaustellung auf der Homepage – hosting) durch das Medienunternehmen erfolgte und dessen eigenen journalistischen Zwecken diente.

[23]

Letztere Deutung setzt auch nicht voraus, dass der betroffenen Person ihre Betroffenenrechte aufgrund ihrer eigenen (vermeintlichen) journalistischen Handlung verweigert werden. Schließlich streitet Person A in der Entscheidung die Schutzwürdigkeit der Kommentare generell ab. Eine Deutung innerhalb des Wortlautes mag daher im entscheidungsgegenständlichen Sachverhalt zum gleichen Ergebnis führen, würde jedoch die Divergenz der EuGH-Rechtsprechung zur nationalen Umsetzung des Art. 85 DSGVO in § 9 Abs. 1 DSG nicht lösen, da typische Fälle des Bürgerjournalismus weiterhin nicht von § 9 DSG umfasst wären (bspw. Blogger ohne Gewinnabsicht).

5.

Konsequenz der Entscheidung ^

[24]

Die Auslegung der Datenschutzbehörde ist vermutlich eine Reaktion auf die umfassende Kritik zur Vorgängerbestimmung, die häufig als zu eng empfunden wurde.30 Eine Besserstellung von Unternehmen, die mit der journalistischen Tätigkeit kommerzielle Zwecke verfolgen, gegenüber «Bürgerjournalisten» ist nicht wünschenswert. Damit erscheint die Auslegung der Datenschutzbehörde durchaus als Schritt in die richtige Richtung. Nach der Rechtsprechung des EuGH sollten auch Fälle des Bürgerjournalismus, wie zum Beispiel das Filmen und Hochladen von (vermeintlichen) polizeilichen Übergriffen datenschutzrechtlich privilegiert werden.31

[25]

Es stellt sich die Frage, ob das Unangewendet-Lassen eines Teiles der Bestimmung des § 9 Abs. 1 DSG tatsächlich zur Konformität mit den europarechtlichen Vorgaben führt. Hier sind vor allem die Folgen dieser Auslegung zu bedenken. Die Generalanwältin Kokott verweist in den Schlussanträgen zur Rechtssache Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia auf die vom EGMR herausgearbeiteten essentiellen Kriterien, die vorliegen müssen, damit es sich um «journalistische Zwecke» handelt, wobei es im Wesentlichen darauf ankommt, ob sich die vermittelten Informationen auf ein legitimes Interesse der Öffentlichkeit an diesen Informationen beziehen.32 Dies wäre jedenfalls dann gegeben, wenn sich die Informationen auf eine tatsächlich geführte öffentliche Debatte beziehen.33

[26]

Ohne bestimmte Kriterien, mithilfe derer die journalistische Tätigkeit von anderen Arten der Veröffentlichung von Informationen abgegrenzt werden kann, würde mit jedem Posting, jedem Tweet und jedem Kommentar in einem Webforum ein «journalistischer Zweck» verfolgt, da diese stets zum Zweck haben, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Diese Auslegung der journalistischen Tätigkeit und der weitreichenden Privilegierung des § 9 Abs. 1 DSG, würde das Recht auf Datenschutz folglich nicht mehr ausreichend berücksichtigen.34 Möglicherweise setzt die Datenschutzbehörde das Vorliegen dieser Kriterien im gegebenen Fall als unstrittig voraus, was aus der Entscheidung jedoch nicht klar hervorgeht, weil nicht eigens auf den Inhalt des Postings eingegangen wird. Zentral scheint vielmehr zu sein, dass das Posting einer unbestimmten Anzahl an Personen zugänglich ist.35

[27]

In der deutschen Kommentarliteratur zu Art. 85 DSGVO werden verschiedene Kriterien der journalistischen Tätigkeit aufgestellt. Diese orientieren sich an der Rechtsprechung des EGMR und jener des (dt.) BGH.

[28]

An Kriterien finden sich hier: die meinungsbildende Funktion sowie der im Vordergrund stehende journalistisch-redaktionelle Gehalt des Beitrages36, die journalistische Sorgfalt37, sowie ein Mindestmaß an Bearbeitung38. Mit Bezugnahme auf die Rechtsprechung des dt. BGH soll eine Datenverarbeitung nur dann journalistischen Zwecken dienen, wenn die meinungsbildende Wirkung der Tätigkeit prägender Bestandteil und nicht nur «schmückendes Beiwerk» ist.39

[29]

Das Unterscheidungsmerkmal der Medientätigkeit in der Rechtsprechung des EGMR, welches auch von der Generalanwältin in den Schlussanträgen zur Rechtssache Satakunnan Markkinapörssi40 als das zentrale Abgrenzungskriterium angeführt wird, ist die Aufgabe der Medien, Informationen und Meinungen von öffentlichem Interesse zu vermitteln, um jene Funktion des «öffentlichen Wachhundes» (public watchdog) einzunehmen.41 Ob Informationen einem solchen (legitimen) öffentlichen Informationsinteresse dienen, ergibt sich laut der Generalanwältin etwa aus einer tatsächlich darüber geführten öffentlichen Debatte42 sowie Themen, die ihrer Natur nach Fragen des öffentlichen Interesses sind, wie öffentlich geführte Gerichtsverfahren43, die Transparenz des politischen Lebens44 oder Informationen über die Ideen und Einstellungen sowie das Verhalten politischer Führungspersönlichkeiten45.46 Hinsichtlich personenbezogener Berichterstattung soll insbesondere auch die berechtigte Erwartung der Person, dass ihre Privatsphäre respektiert wird, zu berücksichtigen sein.47

[30]

Dieses (legitime) öffentliche Informationsinteresse, dem die journalistische Tätigkeit dient, darf jedoch nicht als Anlass genommen werden, um unter dem Deckmantel einer strengen inhaltliche Prüfung des Inhalts Zensur durch staatliche Stellen zuzulassen, weshalb das fehlende öffentliche Interesse nur in Fällen festgestellt werden darf, in denen dieses offensichtlich ist.48 Zu berücksichtigen ist hier die Zielsetzung der Veröffentlichung, welche anhand objektiver Umstände geprüft wird.49

6.

Das öffentliche Informationsinteresse in der Praxis ^

[31]

Unlängst ließ der Rapper T-Ser durch das Hashtag #nichtmituns in den sozialen Medien aufhorchen. Der Musiker und seine Kollegen wurden in einem Wiener Park von der Polizei kontrolliert. Laut dem Rapper geschah dies aus rassistischen Motiven. Die Exekutive dementierte die Vorwürfe und sprach von regulären Schwerpunktkontrollen.50 Der Vorfall wurde gefilmt und anschließend im Internet publiziert. Wie Polizeisprecher Paul Eidenberger gegenüber der Presse bekannt gab, wurde kurze Zeit später die Einreichung einer Beschwerde bei der Datenschutzbehörde geprüft. Als Grund dafür wurde die Verletzung des Datenschutzes der Exekutivorgane wegen der Veröffentlichung der Videos genannt.51

[32]

Folglich stellt sich die Frage, ob der erstmalige Upload der Videos als Handlung zu «journalistischen Zwecken» zu beurteilen ist. Die Besonderheit dabei ist, dass die Publikation weder durch ein Medienunternehmen noch durch einen Mediendienst erfolgte. Die inhaltliche Verantwortung für die Veröffentlichung lag alleine beim Uploader. Bei zu enger Auslegung des § 9 Abs. 1 DSG wäre die Publikation daher nicht privilegiert und die Datenschutzbehörde hätte zu prüfen, ob eine Verletzung des Datenschutzrechts vorliegt. Da die Veröffentlichung nicht durch ein Medienunternehmen bzw. einen Mediendienst erfolgt, jedoch das oben genannte public watchdog-Kriterium erfüllt ist, handelt es sich um einen Fall des «Bürgerjournalismus»: Der User, der das Video hochlädt, vermittelt Informationen und Meinungen von öffentlichem Interesse. Vermeintliche rassistisch motivierte Übergriffe der Staatsgewalt sind geradezu ein Paradebeispiel für ein Thema, an dem ein legitimes öffentliches Informationsinteresse besteht und sollten daher nicht auf Grundlage des Datenschutzrechts unterbunden werden können.

[33]

Da zum Teil Bilder und Videos mit Effekten und Filtern bearbeitet wurden, um die Polizisten zu verhöhnen, könnte man diesbezüglich das legitime öffentliche Informationsinteresse hinterfragen.52 In diesen Fällen liegt mitunter ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Exekutivorgane vor, der die durch die public-watchdog-Funktion legitimierte Eingriffsintensität überschreitet. Freilich muss die Prüfung, ob dieses Interesse vorliegt, anhand objektiver Kriterien erfolgen und darf darüber hinaus nur dann negativ ausfallen, wenn das Fehlen eines solchen öffentlichen Informationsinteresses offensichtlich ist.53

[34]

Die Verknüpfung der journalistischen Tätigkeit mit dem öffentlichen Informationsinteresse führt jedoch konsequenterweise auch dazu, dass mit dem Wegfall des legitimen Interesses der Öffentlichkeit an der Verfügbarkeit der Information, auch das entsprechende Medienprivileg der nationalen Umsetzung wegfallen muss. Das Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Öffentlichkeit am Zugang zu (personenbezogenen) Informationen und dem Recht auf Datenschutz der betroffenen Person kann sich durch Zeitablauf ändern wodurch die ursprünglich rechtmäßige Verarbeitung von personenbezogenen Daten im Laufe der Zeit nicht mehr den datenschutzrechtlichen Bestimmungen entsprechen mag.54 Auch der EGMR scheint von der Möglichkeit eines Wegfalls des entsprechenden Informationsinteresses durch Zeitablauf auszugehen.55

7.

Fazit ^

[35]

Im Österreichischen Recht erscheint die derzeitige Umsetzung des Art. 85 DSGVO in § 9 DSG nicht ausreichend differenziert. Zunächst ist zu hinterfragen, ob das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit mit dem Recht auf Datenschutz durch die generelle/pauschale Ausnahme von weiten Teilen des Datenschutzrechts «in Einklang» gebracht werden kann.56 Darüber hinaus zeigt sich, dass ein großer Teil der journalistischen Tätigkeit, wie sie durch den EuGH und die DSGVO definiert wird57, nicht vom Wortlaut der Bestimmung erfasst ist, welcher lediglich eine Verarbeitung zu «journalistischen Zwecken des Medienunternehmens und Mediendienstes» privilegiert. Es fehlt die Privilegierung des Bürgerjournalismus. Die Entscheidung der DSB begegnet diesem Problem durch eine Ausweitung des personellen Anwendungsbereiches unter Bezugnahme auf die weite Definition der journalistischen Tätigkeit durch den EuGH. Nun gilt es jedoch zu bedenken, dass die Ausweitung der weitreichenden und pauschalen Privilegierung des § 9 Abs. 1 DSG auf jede Tätigkeit mit dem Zweck Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten58, dazu führen würde, dass beinahe jede Veröffentlichung von Informationen (Online-Kommentare, etc.) vom Medienprivileg umfasst wäre. Aus diesem Grund sollten bei der Anwendung des § 9 Abs. 1 DSG Kriterien zur Abgrenzung von journalistischer Tätigkeit und sonstigen Veröffentlichungstätigkeiten angewandt werden. Bei der Ermittlung dieser Kriterien kann auf die umfangreiche Rechtsprechung des EGMR zurückgegriffen werden. Dieser hebt insbesondere die Funktion der Medien als public watchdog hervor und prüft die Abwägung von Datenschutzrecht und der Freiheit der Meinungsäußerung primär anhand des öffentlichen Informationsinteresses.59 Wenngleich eine strenge Prüfung des Informationsinteresses bei der Frage nach der Privilegierung nicht erfolgen sollte60, hätte die Verknüpfung der journalistischen Tätigkeit an ein solches öffentliches Informationsinteresse konsequenterweise auch zur Folge, dass der Wegfall eines solchen Interesses auch zum Wegfall der Privilegierung führen würde und die betroffene Person ihr Recht auf Löschung nach Art. 17 Abs. 1 DSGVO durchsetzen könnte.

  1. 1 Mersch, Mediengesetzliche Eckpunkte für den Bürgerjournalismus, in: Berka/Holoubek/Leitl-Staudinger BürgerInnen im Web, Bd 14 der Schriftenreihe Recht der elektronischen Massenmedien REM (2016), S. 18.
  2. 2 Bosshart, «Bürgerjournalismus» im Web: Kollaborative Nachrichtenproduktion auf dem Prüfstand, Herber von Halem, Köln 2017, S. 11.
  3. 3 Engesser, Die Qualität des partizipativen Journalismus im Web, Springer, Wiesbaden 2013, S. 33.
  4. 4 DSB vom 13. August 2018, DSB-D123.077/0003-DSB/2018.
  5. 5 Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) ABl 2016/119, 1.
  6. 6 Art. 85 DSGVO; vgl. auch Erw. 153 DSGVO.
  7. 7 Sog. «eigentliche» Öffnungsklausel; vgl. Pötters, in: Gola, Datenschutz-Grundverordnung: VO (EU) 2016/679 Kommentar, 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 14; Öhlböck in: Knyrim, DatKomm Praxiskommentar zum Datenschutzrecht – DSGVO und DSG (2018), Art. 85 Rz. 19.
  8. 8 Kapitel II-VI und IX der DSGVO.
  9. 9 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, Abl L 1995/281, 31.
  10. 10 Pötters, in: Gola, Datenschutz-Grundverordnung: VO (EU) 2016/679 Kommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 2.
  11. 11 Vgl. Art. 85 Abs. 1 DSGVO.
  12. 12 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008.
  13. 13 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 57f
  14. 14 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 53f.
  15. 15 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 55.
  16. 16 Erw. 153 DSGVO.
  17. 17 Vgl. Erw. 4 DSGVO; Schulz/Heilmann, in: Gierschmann/Schlender/Stentzel/Veil, Datenschutz Grundverordnung, Bundesanzeiger Verlag, Köln 2018, Art. 85 Rz. 60.
  18. 18 Arg: «wenn dies erforderlich ist, um das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten mit der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit in Einklang zu bringen» (Art. 85 Abs. 2 DSGVO).
  19. 19 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 58.
  20. 20 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 59.
  21. 21 Umfasst auch «das Internet» (daher besser wohl: «Medium»).
  22. 22 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 60.
  23. 23 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 61, 62.
  24. 24 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07 Rz. 66 ff.
  25. 25 Bundesgesetz zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz – DSG) StF: BGBl. I Nr. 165/1999.
  26. 26 Bundesgesetz vom 12. Juni 1981 über die Presse und andere publizistische Medien (Mediengesetz – MedienG) StF: BGBl. Nr. 314/1981.
  27. 27 Hierzu bereits ausführlich: Krempelmeier, Sind die datenschutzrechtlichen Privilegien des § 9 DSG unionsrechtswidrig?, jusIT 2018, 5, S. 188
  28. 28 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008.
  29. 29 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 62.
  30. 30 Vgl. Hattenberger/Hoi, Ein «Medienprivileg» für alle und für alles?, in: Jahnel (Hrsg.), Jahrbuch Datenschutzrecht, NWV Verlag, Wien 2014, S. 266 m.w.N.
  31. 31 Dazu näher unten.
  32. 32 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07 Rz. 7.
  33. 33 Ibidem.
  34. 34 So auch Thiele, DSB: Medienprivileg für Online-Forum und Postings, jusIT, 2018, 6, S. 250
  35. 35 DSB vom 13. August 2018, DSB-D123.077/0003-DSB/2018.
  36. 36 Specht/Bienemann, in: Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, Handkommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 13.
  37. 37 Buchner/Tinnefeld, in: Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung/BDSG, Kommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 19.
  38. 38 Buchner/Tinnefeld, in: Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung/BDSG, Kommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 24.
  39. 39 BGH, 23. Juli 2009, VI ZR 196/08, BGHZ 181, 328; vgl. Pötters, in: Gola, Datenschutz-Grundverordnung: VO (EU) 2016/679, Kommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 8.
  40. 40 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07, Rz. 66.
  41. 41 EGMR 13585/88 vom 26. November 1991 («Observer and Guardian»), Rz. 59a.
  42. 42 EGMR 31457/96 vom 11. Januar 2000 (News Verlag GmbH), Rz. 54.
  43. 43 Ibidem.
  44. 44 EGMR 58148/00 vom 18. Mai 2004 (Editions Plon), Rz. 44.
  45. 45 EGMR 69698/01 vom 10. Dezember 2007 (Stoll), Rz. 118 ff.
  46. 46 Siehe SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07, Rz.73.
  47. 47 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07, Rz.74; EGMR 59320/00 vom 24. Juni 2004 (von Hannover), Rz. 51.
  48. 48 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07, Rz. 78.
  49. 49 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07, Rz. 85.
  50. 50 derStandard, Rapper T-Ser: «Vertraue Gesellschaft tausendmal mehr als der Exekutive» (2018) https://derstandard.at/2000089616978/Rapper-T-Ser-Vertraue-der-Gesellschaft-tausendmal-mehr-als-der (alle Websites zuletzt aufgerufen am 15. Januar 2019).
  51. 51 Die Presse, Rassismusvorwurf: Wiener Polizei prüft Befassung der Datenschutzbehörde (2018) https://diepresse.com/home/panorama/wien/5517482/Rassismusvorwurf_Wiener-Polizei-prueft-Befassung-der.
  52. 52 Auf eine Analyse zur Kunstfreiheit bzw. zu urheberrechtlichen Aspekten wird hier verzichtet.
  53. 53 SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07 Rz. 78; vgl. dazu auch EGMR 93113 vom 27. Juni 2017 (Satakunnan Markkinapörssi Oy and Satamedia Oy v. Finland), Dissenting opinion of judges Sajó and Karakas, Rz. 32.
  54. 54 EuGH C-131/12 vom 13. Mai 2014 (Google Spain und Google), Rz. 93.
  55. 55 EGMR 60798/10 vom 28. September 2018 (M.L. und W.W), Rz. 98.
  56. 56 Buchner/Tinnefeld, in: Kühling/Buchner, Datenschutz-Grundverordnung/BDSG, Kommentar 2. Aufl. (2018), Art. 85 Rz. 2, 32.
  57. 57 EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008; Erw. 153 DSGVO.
  58. 58 Vgl. EuGH C-73/07 vom 16. Dezember 2008, Rz. 62 zum Begriff der «journalistische[n] Zwecke».
  59. 59 Vgl. EGMR 13585/88 vom 26. November 1991, («Observer and Guardian») Rz. 59a.
  60. 60 Vgl. SA Kokott 8. Mai 2008, C-73/07 Rz. 78.