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Legal Tech in der Praxis: Entwicklung eines Vertragsgenerators

  • Authors: Maike Schmargendorf / Hans-Martin Schuller / Daniel Dengler / Bettina Mielke / Christian Wolff
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Advanced Legal Informatics Systems and Applications, LegalTech, Innovationen-in-der-Rechtsinformatik
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2019
  • Citation: Maike Schmargendorf / Hans-Martin Schuller / Daniel Dengler / Bettina Mielke / Christian Wolff, Legal Tech in der Praxis: Entwicklung eines Vertragsgenerators, in: Jusletter IT 21. February 2019
Der nachfolgende Aufsatz liefert einen Beitrag zu Legal Tech in der Praxis. Er stellt die Entwicklung eines Vertragsgenerators dar und ordnet dieses Vorhaben in den Kontext der Legal Tech-Landschaft ein. Es handelt sich um die Entwicklung eines Tools, das die Anforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) an einen Vertragsgenerator abdeckt. Nach einer Anforderungsanalyse, bestehend aus einem qualitativen Interview mit zehn Mitarbeitern aus KMU und einer ausführlichen Marktanalyse, wurde ein Konzept entwickelt, das es ermöglicht, Vorlagen für Verträge mittels einer eigenen Annotationssyntax zu erstellen. Diese Vorlagen sind die Grundlage für die formularbasierte Generierung der Verträge. Das Tool wurde im Anschluss an die Implementierung von insgesamt 20 Personen auf Usability evaluiert. Die Auswertung des User Experience Questionnaire (UEQ) zeigte sehr positive Werte.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Einordung in die Legal Tech-Landschaft
  • 3. Anforderungsanalyse
  • 3.1. Qualitatives Interview
  • 3.2. Marktanalyse
  • 4. Konzeption
  • 5. Implementierung
  • 5.1. Verwendete Technologien
  • 5.2. Beschreibung des Tools
  • 5.3. Durchführung der Annotation
  • 6. Evaluierung
  • 7. Fazit und Ausblick
  • 8. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]

Im Software und Usability Engineering sind die Anforderungen kleiner und mittlerer Unternehmen bisher weniger stark berücksichtigt worden (Hastreiter et al. 2017). Ausgehend von der Annahme, dass aktuell kein Tool zur Vertragsgenerierung mit spezifischer Ausrichtung auf kleine und mittlere Unternehmen (KMU) existiert, stellen wir auf der Basis einer Anforderungsanalyse eine Konzeption und einen Prototyp für ein solches Tool als Praxisbeispiel für (teil-)automatisierte Dokumenterstellung und -bearbeitung im Bereich Legal Tech vor. KMU sind Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens EUR 50 Mio. erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens EUR 43 Mio. beläuft (Europäische Union 2003, S. 36).

2.

Einordung in die Legal Tech-Landschaft ^

[2]

Vertragsgeneratoren sind eine typische Erscheinungsform von Legal Tech, einem nicht fest definierten Begriff, der für alle Formen der computer- und softwarebasierten Unterstützung im rechtlichen Bereich steht und ein weites Spektrum von Anwendungen umfasst (vgl. Mielke/Wolff 2017, S. 8).

[3]

Eine bekannte Studie der Boston Consulting Group in Zusammenarbeit mit der Bucerius Law School kategorisiert Legal Tech-Anwendungen danach, ob sie die allgemeine Infrastruktur (wie etwa die Nutzung von Cloud-Diensten), den Unterstützungsbereich (Dokument-, Informations-, Wissensmanagement etc.) oder den Kern juristischer Arbeit betreffen (Veith et al. 2016, S. 4). Goodenough differenziert danach, ob der Jurist in seinem herkömmlichen Tun unterstützt wird, er bereits in Teilbereichen ersetzt werden kann oder sogar das gesamte System verändert wird (Legal Technology 1.0, 2.0 und 3.0, Goodenough 2015). Wagner 2017 nimmt das Potential zur Veränderung der juristischen Arbeit durch Legal Tech in den Blick, so gebe es Produkte, die die juristische Arbeit nicht berühren (Kategorie 1), Produkte zur Effizienzsteigerung (Kategorie 2), Produkte, die zu Veränderungen im übergeordneten Arbeitsablauf führen (Kategorie 3) und solche (Kategorie 4), die den übergeordneten Arbeitsablauf noch weitergehend ändern (Wagner 2017, S. 898).

[4]

Klassifiziert man inhaltlich/funktional nach den Systemkomponenten, kann man Informationssysteme, bei der die Suche nach juristischer Fachinformation oder relevanten Dokumenten im Vordergrund steht, Management-Systeme (zur Verwaltung von Fällen, Dokumenten etc.), neue Vertriebskanäle für Anwälte, Systeme zur automatisierten Dokumenterstellung bis hin zu Rechtsgeneratoren, Plattformen zur außergerichtlichen Streitbeilegung oder Systeme, die eine automatisierte Rechtsdurchsetzung ermöglichen, unterscheiden (vgl. zu dieser inhaltlich motivierten Kategorisierung näher Mielke/Wolff 2017, S. 10 ff.).

[5]

Die Entwicklung eines Vertragsgenerators gehört inhaltlich zum Bereich der automatisierten Dokumenterstellung. Will man sie in die anderen Systematisierungsversuche von Legal Tech einordnen, fällt dies deutlich schwerer. Es dürfte sich um eine Anwendung im Unterstützungsbereich handeln, jedoch betrifft die Vertragsgestaltung an sich den Kern der juristischen Tätigkeit. Nach Wagner 2018 sollen Systeme zur automatisierten Dokumenterstellung in den Kategorien von Goodenough bereits zu Legal Tech 2.0 gehören, in einzelnen Einsatzbereichen sogar zu Legal Tech 3.0 (Wagner 2018, S. 30).1 Auch nach der Kategorisierung Wagners gehört die automatisierte Dokumentenerstellung hinsichtlich ihres Veränderungspotentials zu Kategorie 3 (Wagner 2017, 900).

3.

Anforderungsanalyse ^

[6]

Die Anforderungserhebung wurde mit Hilfe qualitativer Interviews mit zehn KMUs aus unterschiedlichen Branchen (u.a. Bauunternehmen, KFZ-Handwerk, Personaldienstleistungen, Softwarefirmen, vgl. Schmargendorf 2019, Kap. 3) durchgeführt. Anschließend erfolgte eine Marktanalyse einschlägiger Werkzeuge und Plattformen mit Blick auf die spezifischen Anforderungen von KMUs.

3.1.

Qualitatives Interview ^

[7]

Das Interview ist semi-strukturiert und regt mit einigen Leitfragen zu einem freien Gespräch an. Es werden Fragen rund um den aktuellen Umgang mit Verträgen gestellt, ob es bereits Erfahrung mit einem Tool zur automatisierten Dokumenterstellung gibt und welche Wünsche potenzielle Nutzer an ein solches Tool haben.

[8]

Es wurden zehn Interviews im Rahmen der Anforderungsanalyse mit Mitarbeitern aus KMU geführt (vgl. Schmargendorf 2019, Kap. 3). Trotz des rein qualitativen Charakters wurden einige Fragen von mehreren Interviewpartnern identisch beantwortet. Gemeinsam ist allen Befragten, dass sie in ihren Unternehmen für Verträge zuständig und mit der Erzeugung und Bearbeitung von Verträgen regelmäßig befasst sind. Neben Arbeitsverträgen werden insbesondere unternehmenstypische Vertragstypen genutzt. Fünf der zehn Befragten haben branchenspezifische Tools im Einsatz, die neben anderen Aufgaben, wie Angebotsverwaltung oder Bestellungen, auch Verträge generieren können. Die Struktur dieser Verträge ist i.d.R. klar definiert und ändert sich kaum. Falls dies doch der Fall sein sollte, werden die Vorlagen von den Bereitstellern der Tools erneuert und in Softwareupdates zur Verfügung gestellt. Die restlichen fünf Befragten waren mehrheitlich Agenturen oder Dienstleister. Hier ist auffällig, dass die aktuelle Arbeitsweise und demnach auch die Problemstellung nahezu identisch sind. Alle verwenden Textverarbeitungssoftware wie Word, Open Office oder Google Docs und haben Vorlagen ihrer Verträge in einem solchen Dokument hinterlegt. Wenn ein neuer Vertrag generiert werden muss, wird die Vorlagen-Datei kopiert, um die zu ändernden Stellen im Vertrag anzupassen. Dabei sind die nötigen Anpassungen oft farblich, durch Großschreibung oder durch die Kommentarfunktion der Textverarbeitungsprogramme markiert.

[9]

Auch zwei der Befragten, die eine branchenspezifische Lösung für ihre Vertragsgenerierung nutzen, geben an, dass sie hin und wieder auf Textverarbeitungsprogramme zurückgreifen, da sie damit mehr Flexibilität haben und einzelne Passagen beispielsweise individualisieren können.

[10]

Im Ergebnis wurden drei Hauptprobleme identifiziert:

  1. Es kommt immer wieder vor, dass durch das Kopieren und Wiederverwenden von alten Verträgen auch deren Werte fälschlicherweise übernommen werden und somit Vertragsdaten von bestehenden Verträgen in neuen Verträgen wiederzufinden sind.
  2. Die Nutzer empfinden es als mühsam, die einzelnen Textpassagen bei jedem Vertrag im Fließtext zu suchen und anzupassen, vor allem wenn sich diese im Vertrag mehrfach wiederholen.
  3. Die Versionsverwaltung bereitet Schwierigkeiten. Es kommt durchaus vor, dass initiale Anpassungen für einen neuen Vertragspartner allgemein gültig werden, aber nicht in der ursprünglichen Vorlage angepasst werden. Dadurch kann es passieren, dass mehrere Vertragsvorlagen koexistieren, ohne dass klar ersichtlich ist, welche Änderungen die Abweichungen zur Folge hatten.
[11]

Zum Schluss wurde als wichtige Anforderungen von den meisten Interviewpartnern sowohl die Offline-Nutzbarkeit als auch die Plattform- und Programm-Unabhängigkeit genannt.

3.2.

Marktanalyse ^

[12]

In einer Marktanalyse werden bestehende Systeme untersucht, die den Nutzern die Möglichkeit geben, Verträge zu generieren. Man kann bei Systemen zur automatisierten Dokumenterstellung zwischen Benutzeroberflächen unterscheiden, die «entweder eine Auswahl anhand dynamischer juristischer Kriterien» ermöglichen und dabei gegebenenfalls bei jedem Schritt sämtliche Optionen offenlegen oder den Benutzer «mittels eines auch für Laien verständlichen dynamischen Fragenkatalogs durch den Erstellungsprozess» führen (Wagner 2018, S. 28). Darauf aufbauend wurden die untersuchten Systeme (darunter bekannte Systeme wie SmartLaw, Agreement24, Legito, KnowledgeTools, JanoLaw oder RocketLawyer, die auch an Unternehmen adressiert sind, vgl. Schmargendorf 2019, Kap. 3 und Mielke/Wolff 2017, S. 12 f.) in diese zwei Gruppen unterteilt.

[13]

Es gibt eine Reihe von Tools, die auf Grund eines festdefinierten Fragenkatalogs – abhängig vom zuvor ausgewählten Vertragstyp – einen Vertrag generieren. Alle Tools in dieser Kategorie sind Online-Plattformen, bieten Vorlagen an und leiten zum Ausfüllen durch die einzelnen Schritte. Bei keinem der folgenden Systeme ist es möglich, eigene Vorlagen einzupflegen. Somit sind sie relativ starr und die Möglichkeiten zur Vertragsgenerierung durch das Angebot an Vorlagen beschränkt. Nach dem Durchlaufen der Fragen lässt sich der fertige Vertrag herunterladen. Formate sind dabei meistens das Adobe Portable Document Format (PDF) bzw. Microsoft Word (DOCX), die Texte können mittels Textverarbeitungsprogrammen geöffnet und bearbeitet werden. Je nach Anbieter ist entweder der einzelne Vertrag oder die Nutzung der Vorlage kostenpflichtig. Ist der einzelne Vertrag kostenpflichtig, gibt es keine Möglichkeit der Wiederverwendung. Ist hingegen die Nutzung der Vorlage kostenpflichtig, so ist in der Regel eine, wenn auch oft in der Anzahl der zu erstellenden Verträgen limitierte, Wiederverwendung möglich.

[14]

Neben den reinen Frage-Antwort-Tools gibt es auch anders aufgebaute Systeme zur Automatisierung von Verträgen. So werden z.B. Lückentextformulare genutzt, in denen teilweise fest definierte Varianten zum Ausfüllen der Lücken, teilweise aber auch Felder zur Freitexteingabe vorgesehen sind. Einige Tools ermöglichen es, eigene Vorlagen einzupflegen oder diese mindestens zu erweitern. Mit Ausnahme eines Tools wird nur die Nutzung auf Online-Plattformen angeboten. Die Nutzung erfordert somit eine aktive Internetverbindung sowie die Zustimmung, dass die Verträge und Vorlagen auf Seiten des Service-Anbieters persistent gespeichert werden. Zudem können eigene, bereits bestehende Verträge nicht auf einfache Art importiert und in Vorlagen transformiert werden. Lediglich ein Tool gibt dem Nutzer ohne aktive Internetverbindung die Möglichkeit, Verträge zu annotieren. Das Tool unterstützt allerdings nur Windows-Betriebssysteme und erfordert Microsoft Word, da es keine eigenständige Software, sondern lediglich ein Plug-In für dieses Programm ist.

4.

Konzeption ^

[15]

Die Gestaltung der Annotationssyntax und ihrer Realisierung in der Benutzerschnittstelle orientiert sich dabei an den von Burghardt 2014 entwickelten Usability Patterns für Annotationswerkzeuge. Diese wurden zwar am Beispiel von Annotationswerkzeugen in der Linguistik entwickelt, lassen sich aber auf andere Anwendungsfelder wie Legal Tech übertragen, vgl. dazu im Detail Schmargendorf 2019, Kap. 2. Insgesamt lassen sich 21 der 26 von Burghardt 2014 entwickelten Patterns auch auf die Annotationsproblematik bei der Erstellung und Veränderung von Vertragsvorlagen bzw. von konkreten Vertragsdokumenten anwenden.

[16]

Ausgangspunkt für die Gestaltung von Systemfunktionalität und Benutzerschnittstelle sind die Hauptaufgaben Erstellung von Vertragsvorlagen aus bestehenden Verträgen und Erarbeitung konkreter Verträge auf der Basis der Vorlagen.

[17]

Die auf das Funktionalitätsspektrum eigens zugeschnittene Annotationssprache umfasst folgende Elemente:

  • Variablen als Platzhalter für die anzupassenden Daten eines Vertrags (Firmenname, Adresse etc.) sowie Auswahlanweisungen bei feststehender Werteauswahl für eine Variable
  • Bedingungen (@if, @unless) zur Wahl von Alternativen
  • Anweisungen zur Textstrukturierung (Paragraphen, Dokumenthierarchie)
  • Referenzen / Querverweise, um zwischen Vertragsteilen / Paragraphen verweisen zu können
  • Gender Helper für die korrekte sprachliche Realisierung des Vertrags
[18]

Um typische Fehler wie die Übernahme falscher Daten aus Bestandsverträgen zu vermeiden, wurde eine formularbasierte Vertragserzeugung konzipiert, in der Daten für die verschiedenen Variablen eines Vertrags eingetragen werden können. Diese werden dann automatisch für alle entsprechend annotierten Positionen im Vertragsdokument übernommen. Das Formular wird mit Hilfe von Standard-Interaktionselementen generiert (z.B. Drop-Down-Boxen für Auswahlfelder).

[19]

Die Konzeption der Benutzerschnittelle erfolgte in mehreren Schritten, wobei zunächst ein einfacher Webseiten-Entwurf (Wireframe) erzeugt wurde. Im Zentrum steht dabei die parallele Darstellung der drei Sichten auf den Vertrag: Vertragsmuster mit Annotationen (Variablen etc.) – Formular, in das die Werte eingetragen werden können – WYSIWYG-Sicht des auf dieser Basis generierten Vertrags. Die gleichzeitige Darstellung von Vertragsmuster (Template, Quellcode), Formular zur Eintragung der variablen Daten und Vorschau auf den damit erzeugten Vertrag soll die Gebrauchstauglichkeit erhöhen (etwa im Vergleich zur Serienbrief-Funktion in Textverarbeitungsprogrammen wie Microsoft Word).

[20]

Da die Anzahl der zu verwaltenden Verträge bei KMUs i.d.R. überschaubar ist, konnte auf eine Datenbank-Anbindung verzichtet werden. Alle Informationen werden daher dateibasiert in einer eigenen Ordnerstruktur verwaltet. Auf dieser Basis erfolgt auch eine einfache Versionierung der Verträge.

5.

Implementierung ^

[21]

Im Folgenden wird die Implementierung erläutert. Die konkrete Umsetzung orientiert sich dabei an den Zielen agiler Softwareentwicklung (peer review des Codes, kleine Iterationen, frühzeitig funktionsfähige Software).

5.1.

Verwendete Technologien ^

[22]

Das Tool wurde mit dem JavaScript-Framework ember (https://www.emberjs.com) in Kombination mit dem Framework Electron (https://electronjs.org) bzw. mit dem Package ember-electron (https://github.com/felixrieseberg/ember-electron) implementiert. Dabei wurde mit ember das Frontend erstellt und mit Electron die Kommunikation mit dem Dateisystem und der Annotations-Engine implementiert. Zur Gestaltung wurde auf die Libary ui-kit (https://getuikit.com/docs/introduction) zurückgegriffen.

[23]

Ember ist ein Framework für Web-Apps. Die persistente Speicherung von Daten wird damit üblicherweise durch die Anbindung an eine Datenbank realisiert. Da jedoch das Tool eine Desktop-Anwendung ist und möglichst einfach – auch offline – zu nutzen sein soll, sollte das persistente Speichern von Daten nicht in einer Datenbank erfolgen. Stattdessen wurden Anpassungen durchgeführt, damit das Tool auf das Dateisystem zugreifen und selbstständig Ordner- und Dateistrukturen erstellen kann. Durch das Auswählen eines lokal geteilten, übergeordneten Ordners ist ein kollaborativer Zugriff von mehreren Nutzern im KMU möglich.

5.2.

Beschreibung des Tools ^

[24]

Für die zwei Hauptaufgaben des Tools, das Annotieren eigener Verträge, um Vorlagen zu erstellen, und das Generieren von Verträgen, indem die Vorlagen mit den Daten zum Vertragspartner und -gegenstand gefüllt werden, gibt es jeweils eine Ansicht. Die Annotationsansicht ist in drei Spalten geteilt (vgl. Abbildung 1). Ganz links befindet sich ein Textfeld für den Vertragstext mit der Annotation, mittig die Vorschau der Variablen in einer formularbasierten Ansicht und rechts die Live-Vorschau für den fertigen Vertrag. Die Ansicht für die Generierung der Verträge ist nur zweispaltig, da das oben beschriebene Textfeld aus der Annotationsansicht in diesem Teil des Prozesses nicht notwendig ist und somit fehlt. Als dritte Hauptansicht ist die Vertragsverwaltung zu sehen.

[25]

In Abbildung 2 sieht man die Benutzerschnittelle für das Bearbeiten eines Datensatzes auf der Basis eines ausgewählten Vertragsmusters. Hier findet sich links das Formular, in das die relevanten Vertragsdaten eingegeben werden, rechts sieht man in der Vorschau das auf dieser Basis generierte Vertragsdokument. Abbildung 3 zeigt die Benutzerschnittstelle für die Vertragsverwaltung, wo die Benutzerin ein neues Vertragsmuster laden kann und sieht, welche Datensätze bzw. konkreten Verträge auf der Basis dieser Vorlage im System existieren.

 

Abbildung 1: Annotationsansicht

Abbildung 2: Bearbeiten von Datensätzen für einzelne Verträge

Abbildung 3: Vertragsverwaltung

5.3.

Durchführung der Annotation ^

[26]

Die Annotation erfolgt in der ersten Version rein textuell durch eine eigens konzipierte Annotationssyntax (s. o. Kap. 4). Diese Syntax ermöglicht mehrere Optionen. Zum einen ist es möglich, Texte unterschiedlich zu gestalten und zu strukturieren. So gibt es neben reinem Fließtext verschiedene Hierarchie-Level von Paragraphen. Außerdem erlaubt es die Annotationssyntax, ganze Absätze in Abhängigkeit von Auswahlmöglichkeiten anzuzeigen. Gibt der Nutzer beispielsweise an, dass es sich bei einem Vertragspartner um einen Mann handelt, kann die Vorlage automatisch die korrekten geschlechtsspezifischen Ausdrücke anzeigen. Auch die Nummerierung von Paragraphen ist dynamisch gesetzt. Das Verschieben von Paragraphen ändert somit automatisch die Indexierung und gegebenenfalls abhängige Referenzen auf die richtigen Werte.

[27]

Neben den strukturellen Regeln gibt es die Möglichkeit, verschiedene Arten von Variablen und Bedingungen für Formulierungen innerhalb des Textes zu setzen. Die Variablen können mit kurzen Textpassagen, die im Formular einfache Input-Felder darstellen, belegt werden oder ganzen Absätzen, die als Textbereiche gezeigt werden. Auch eine Auswahl, bei der die möglichen Optionen bereits im Template festgelegt werden und später über eine Dropdown-Liste ausgewählt werden, ist möglich.

6.

Evaluierung ^

[28]

Um die Gebrauchstauglichkeit des Werkzeugs zu evaluieren, erfolgte eine Nutzerstudie mit 20 Teilnehmern. Die Usability und der Ease of Use wurden unter anderem mittels des User Experience Questionnaire (UEQ, Laugwitz et al. 2008) ermittelt. In diesen Nutzertests wurden die Probanden in drei verschiedenen, aber thematisch aufeinander aufbauenden Szenarien gebeten, Verträge zu generieren und zu annotieren. Im Anschluss an jedes Szenario wurde zudem auch ein Single Ease of Use Questionnaire (Sauro, 2012) durchgeführt, in dem die Nutzer die Schwierigkeit der Aufgabe selbst einschätzen konnten. Um Fehler in der Konzeption der Nutzertests frühzeitig zu erkennen, gab es mit drei der 20 Teilnehmer Pretests. Das Feedback dieser Pretests war jedoch so positiv und die gewünschten Verbesserungen so minimal, dass bei der Auswertung alle 20 Testergebnisse zusammengefasst und die Pretests als vollwertige Versuche genutzt werden konnten. Im Anschluss an die Bearbeitung der Szenarien wurden die Probanden gebeten, sowohl den UEQ als auch einen Fragebogen zur Selbsteinschätzung ihrer technischen Affinität (Affinity for Technology Interaction Scale, Franke et al. 2017) zu beantworten.

[29]

Die Auswertung des UEQ zeigt, dass das Tool von den Probanden positiv eingestuft und als hochwertig angesehen wird. In jedem der sechs einzelnen Teilbereiche erzielt es mindestens gute, in den Bereichen Attraktivität, Effizienz und Steuerbarkeit sogar exzellente Ergebnisse.

Abbildung 4: Benchmark UEQ

[30]

Die Affinity for Technology Interaction Scale zeigt einen durchschnittlichen Wert von 3,84 (bei einem Höchstwert von 6). Dies deutet darauf hin, dass sich die Probanden als eher technisch affin einschätzen.

[31]

In einem allgemeinen Fragebogen geben alle Probanden an, dass sie das Tool als hilfreich und nützlich erachten. Die Frage, ob sie sich vorstellen können, das Tool in ihrer aktuellen Beschäftigung zu nutzen, bejahen die berufstätigen Probanden mit Ausnahme einer Probandin. Diese gibt an, dass sich die Anschaffung des Tools aufgrund der geringen Anzahl an Verträgen im Unternehmen nicht lohne.

[32]

Für die Auswertung wurden themenbezogene Aussagen der Probanden transkribiert und nach Kategorien zusammengefasst. Die Rückmeldungen sind zum größten Teil positiv. Ein Ergebnis der Nutzertests ist besonders erfreulich: Obwohl es sich bei dem Tool um eine Spezialsoftware mit einer rein textuellen Eingabeform handelt, merkten die Nutzer mehrheitlich an, dass die Nutzung des Systems Spaß (joy of use) macht und leicht verständlich ist. Positiv bewertet wurde dabei vor allem die direkte Darstellung der Auswirkung von Annotationen in der Vertragsvorschau (vgl. Schmargendorf 2019, Kap. 6). Ein Großteil der Verbesserungsvorschläge aus dem Nutzertest konnte für die finale Version des Vertragsgenerators bereits umgesetzt worden.

7.

Fazit und Ausblick ^

[33]

Der Vertragsgenerator wurde insgesamt klar positiv bewertet. Die Probanden konnten mit dem Tool leicht umgehen und empfanden auch die rein textuelle Annotation der Verträge als gut verständlich. Als nächster Schritt erfolgt ein langfristiger Test mit verschiedenen KMUs, der die weitere Entwicklung begleiten soll. Es sind mehrere Iterationen bis hin zur Marktreife geplant.

[34]

Ein Vorteil des Werkzeugs ist die Möglichkeit, auf der Basis von Musterverträgen einen «eigenen» Vertragsgenerator betreiben zu können, der plattformübergreifend und zur Offline-Nutzung verfügbar ist, was Anforderungen der KMUs entspricht. Die Vertragsanpassung erfolgt dabei nach den Vorstellungen des Anwenders, wobei die juristisch notwendigen Inhalte aus vorhandenen Verträgen übernommen werden.

8.

Literatur ^

Burghardt, Manuel (2014), Engineering Annotation Usability: Towards Usability Patterns for Linguistic Annotation Tools. Diss. phil. Medieninformatik, Universität Regensburg. Online: https://epub.uni-regensburg.de/30768/.

Europäische Union (2003), Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, (2003/361/EG), Amtsblatt der EU L 124/36.

Franke, Thomas/Attig, Christiane/ Wessel, Daniel (2017), Assessing Affinity for Technology Interaction – The Affinity for Technology Interaction (ATI) Scale, Arbeitspapier, Universität Lübeck/Technische Universität Chemnitz, doi: 10.13140/RG.2.2.28679.50081.

Goodenough, Oliver (2015), Legal Technology 3.0. Huffington Post vom 2. April 2015, https://www.huffingtonpost.com/entry/legal-technology-30_b_6603658.

Hastreiter, Isabella/Heckner, Markus/Wilhelm, Thomas/Wolff, Christian (2017), Software und Usability Engineering und User Experience in kleinen und mittleren Unternehmen, in: Burghardt, Manuel/Wimmer, Raphael/Wolff, Christian/Womser-Hacker, Christa (Hrsg.), Mensch und Computer 2017 – Workshopband, Gesellschaft für Informatik e.V., Regensburg, S. 473–476.

Laugwitz, Bettina/Held, Theo/Schrepp, Martin (2008), Construction and Evaluation of a User Experience Questionnaire, Paper presented at the Symposium of the Austrian HCI and Usability Engineering Group.

Mielke, Bettina/Wolff, Christian (2017), E-Justice, Justiz 3.0 und Legal Tech – eine Analyse, in: Jusletter IT 18. Mai 2017.

Sauro, Jeff (2012), 10 Things to Know About the Single Ease Question (SEQ), (30. Oktober 2012), Retrieved from https://measuringu.com/seq10/.

Schmargendorf, Maike (2019), Konzeption, Umsetzung und Evaluation eines Generators für Verträge für kleine und mittlere Unternehmen, Masterarbeit, Universität Regensburg, Lehrstuhl für Medieninformatik, Januar 2019.

Veith, Christian/Bandlow, Michael/Harnisch, Michael/Wenzler, Hanolf/Hartung, Markus/Hartung, Dirk (2016), How Legal Technology will Change the Business of Law, Boston Consulting Group, Boston und Bucerius Law School, Hamburg, http://www.bucerius-education.de/fileadmin/content/pdf/studies_publications/Legal_Tech_Report_2016.pdf.

Wagner, Jens (2017), Legal Tech und Legal Robots in Unternehmen und den diese beratenden Kanzleien, BB 2017, 898–905.

Wagner, Jens (2018), Legal Tech und Legal Robots: Der Wandel im Rechtsmarkt durch neue Technologien und künstliche Intelligenz, Springer Gabler, Wiesbaden.

  1. 1 Für die hier erstellte Anwendung ist das sicher zu hoch gegriffen. Möglicherweise ist aber auch die einfache und deshalb gern herangezogene Einteilung von Goodenough (vgl. den Wikipedia-Artikel zu legal technology, https://de.wikipedia.org/wiki/Legal_Technology) zu wenig aussagekräftig, um Legal Tech-Anwendungen sinnvoll zu gliedern. Zur beliebig erscheinenden Verwendung von Versionsnummern siehe Mielke/Wolff 2017, S. 7.