Jusletter IT

Realismus statt Science-Fiction

Rezension von «Legal Tech – Die digitale Transformation in der Anwaltskanzlei»

  • Author: Gian Sandro Genna
  • Category: Recension
  • Region: Switzerland
  • Field of law: LegalTech
  • Citation: Gian Sandro Genna, Realismus statt Science-Fiction, in: Jusletter IT 21. February 2019
Mit dem Buch «Legal Tech – Die digitale Transformation in der Anwaltskanzlei» (Rheinwerk Verlag, Bonn, 2019) legen die drei deutschen Autoren Christian Solmecke, Petra Arends-Platzer und Robin Schmitt ein praxisorientiertes Werk über die laufende Digitalisierung des Anwaltsberufes vor. Ihre Botschaft: Die Digitalisierung der Advokatur findet nicht in ferner Zukunft, sondern hier und heute statt.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Inhalt
  • 3. Empfehlung

1.

Einleitung ^

[1]

Was ist schon nicht alles über die Digitalisierung des Anwaltsberufes und über das globale Phänomen LegalTech geschrieben und referiert worden. Die Publikationen und Veranstaltungen zu diesen Themen waren in den letzten Jahren kaum noch zu überblicken. Und doch hatte man bisher stets das latente Gefühl, es gehe bei der Digitalisierung der juristischen Arbeit um etwas, das irgendwann einmal in ferner Zukunft stattfinden könnte, aber noch wenig Relevanz in der Aktualität zu haben scheint. Nach der Lektüre von «Legal Tech – Die digitale Transformation in der Anwaltskanzlei» ist mit dieser Annahme nun aber endgültig Schluss. Die drei aus der anwaltlichen Praxis stammenden deutschen Autoren Christian Solmecke, Petra Arends-Platzer und Robin Schmitt zeigen gekonnt auf, dass LegalTech bereits im Hier und Jetzt stattfindet und sich – eher evolutiv, denn disruptiv – im Berufsleben der Anwälte breitgemacht hat. Ganz bewusst wählten sie für ihre rund 500-seitige Auslegeordnung einen praktischen Ansatz, der zum Mitdenken anregt und zum Mitmachen auffordert. Gespickt mit vielen Beispielen aus dem anwaltlichen Alltag, vorwiegend aus der Kölner Kanzlei der beiden Mitautoren Solmecke und Schmitt, wird dem Leser eine plastische Vorstellung davon vermittelt, was mit LegalTech abseits von schwer fassbaren Modebegriffen wie Smart-Contracts, Blockchain oder e-Discovery ganz konkret gemeint ist.

2.

Inhalt ^

[2]

Das Werk richtet sich in erster Linie an praktizierende Anwältinnen und Anwälte, was daran liegen dürfte, dass zwei der Mitautoren aus einer bekannten Deutschen Internetkanzlei stammen. Darin liegt einerseits der Reiz, andererseits aber auch die kleine Schwäche des Werkes: Ab und zu hätte man sich noch einen etwas ausführlichen Seitenblick auf andere juristische Berufszweige (Gerichte, Unternehmensrechtsdienste, Rechtsschutzversicherungen, Verwaltung etc.) sowie auf andere Kanzleien gewünscht. Doch dieser kleine Mangel wird mehr als nur aufgewogen durch ein geballtes Furioso an praktischem Handwerkszeug, das jedem Anwalt den Einstieg in die Welt der Digitalisierung erleichtert.

[3]

Die Autoren gehen von der Annahme aus, dass eine Anwaltskanzlei in erster Linie neue Mandanten gewinnen möchte und sich demzufolge die Digitalisierung vorab im Bereich des Kanzleimarketings zu Nutzen machen sollte. Der erste Hauptteil des Werks ist deshalb den modernen (sprich: digitalen) Marketing-Strategien einer Anwaltskanzlei einschliesslich der digitalen Kundenakquise gewidmet. Altbekannte Marketinginstrumente wie regelmässiger Newsletter, informative Homepage oder gar klassische Pressearbeit werden dabei ebenso ausführlich abgehandelt, wie (jedenfalls für Kanzleien) modernere Akquisemethode wie Landingpages, Blog, Social-Media (Facebook, Twitter, Instagram etc.) oder SEO (Suchmaschinenoptimierung). Gerade das Thema Landingpages dürfe vielen Lesern aus der Anwaltschaft noch wenig bekannt sein. Dabei handelt es – vereinfacht gesagt – um themenbezogene Webseiten, die optimal auf die Bedürfnisse des potenziellen Kunden abgestimmt sind. Damit lassen sich, so die Behauptung der Autoren, ganz gezielt auf dem Online-Kanal Mandanten in einem bestimmten Themenbereich akquirieren. So kann sich etwa ein Fachanwalt für Erbrecht mit einer suchmaschinenoptimierten Landingpage für Mandate in grenzüberschreitendenden Erbstreitigkeiten ins Gespräch bringen.

[4]

Ein zweiter Hauptteil des Buches beschäftigt sich mit der sogenannten «digitalen Abarbeitung». Hier zeigen die Autoren auf, wie mittels Einsatz von Software und digitalen Workflows der Alltag in der Kanzlei vereinfacht und damit die Effizienz in der Bearbeitung der Mandate gesteigert werden kann. Die entsprechenden Ausführungen sind zum Teil ziemlich technisch geprägt und daher für Personen, die nicht tagtäglich mit (deutscher) Kanzleisoftware beschäftigt sind, eher schwieriger zu verstehen. Was jedoch auch hier gefällt, ist die Tatsache, dass die Autoren nahe an der Praxis und am Anwaltsalltag bleiben: Es geht um das, was heute schon mit Software möglich ist, nicht um das, was allenfalls in Zukunft möglich sein wird. Realismus pur statt Science-Fiction.

[5]

Wer bei der Lektüre trotzdem um seinen Beruf fürchtet und glaubt, in Zukunft würden ohnehin künstliche Intelligenzen sämtliche juristische Arbeit erledigen und den Anwalt damit obsolet machen, den können die Autoren im letzten Abschnitt beruhigen. Einen Faktor werde die Digitalisierung nie ersetzen, «nämlich Sie als empathischen Menschen, der in menschlichen Dimensionen denken und handeln kann». Hier stosse die Digitalisierung an ihre Grenzen, weshalb persönliche Beratung bei komplexen und individuellen Sachverhalten durch keine Technik ersetzt werden könne.

3.

Empfehlung ^

[6]

Das Werk der beiden Autoren und der Autorin ist allen Praktikern aus der Advokatur als anregende und weiterführende Lektüre zu empfehlen. Für die (wenigen) LegalTech-Experten unter den Anwälten mag vieles davon zwar bereits geläufig und eher wenig überraschend sein. Aus Schweizer Sicht kann man zudem zahlreiche Passagen grosszügig überlesen, da sie sich detailliert mit deutschen Besonderheiten befassen. Im Übrigen aber enthält das Werk eine umfassende, anregend geschriebene Auslegeordnung zum aktuellen Stand des Irrtums von LegalTech.


Rechtsanwalt Dr. Gian Sandro Genna ist Inhaber der Anwaltskanzlei Jusonline AG in Bern und der Online-Plattform scheidungsagentur.ch. Er ist Experte für Digitalisierung und LegalTech.