1.
Worum geht es? ^
Rechtsetzung einschließlich der Feststellung des Bedarfs an Rechtsetzung, Vollzug, Evaluierung mit Novellierungsbedarf, Rechtsprechung und Fortentwicklung des Rechts sind originär Prozesse, die ausschließlich in Form von Informationsverarbeitung ablaufen.1 Ein Gesetz kann also als Informationssystem betrachtet werden, unabhängig davon ob und wie informationstechnische Unterstützung erfolgt. Es liegt daher nahe, zu prüfen, ob es für diese Bereiche vorteilhaft wäre, auf den gesamten Lebenszyklus der Norm verstärkt Methoden der Entwicklung und des Einsatzes von Informationssystemen anzuwenden.
1.1.
Betrachteter Bereich ^
Die Überlegungen beziehen sich primär auf die Erstellung des Gesetzentwurfs, der dem formalen parlamentarischen Verfahren vorausgeht sowie auf die Ausarbeitung von nachgeordneten Normen. Auch Vorschläge zur Qualitätssicherung, zum Vollzug sowie zur Evaluierung und Änderung bzw. Außer-Kraft-Setzung sind enthalten. Die Betrachtung erstreckt sich also auf den gesamten Lebenszyklus eines Gesetzes, wobei das formale parlamentarische Vorgehen in das vorgeschlagene Verfahren eingebettet und damit nur mittelbar berührt ist. Das Verfahren ist z.B. in Deutschland im Bund im GG Art. 76 und 77 geregelt. In dieser Phase sind allerdings in der Praxis meist die wesentlichen Weichen für den Inhalt bereits gestellt.
1.2.
Problemfelder ^
Politikverdrossenheit und das Anwachsen populistischer Bewegungen bis hin zu faschistoiden Tendenzen sind in vielen Ländern derzeit ein ernstes Problem. Einigkeit über wirksame Mittel zu Eindämmung besteht seitens der Politik und der Politikwissenschaft nicht. Im Folgenden wird von der Arbeitshypothese ausgegangen, dass mehr Transparenz, Plausibilität und Stringenz bei der Gesetzgebung einen Beitrag zur Abschwächung dieser Tendenz leisten können. Ein weiterer Entwicklungstrend in der politischen Arbeit zeichnet sich dahingehend ab, dass Mehrheitsverhältnisse und damit Koalitionsbildungen und -vereinbarungen zunehmend schwieriger werden und auch Minderheitsregierungen zumindest auf Bundesländerebene derzeit wahrscheinlicher werden. Darüber hinaus könnte die Methode auch auf die Entwicklung von politischen Maßnahmen und Strategien über die Gesetzgebung hinaus geeignet sein.
In einer komplexen Gesellschaft heutiger Prägung ist es oft praktisch unmöglich, Gesetze durch einen gemeinsamen Grundkonsens der Gesellschaft zu legitimieren. Die Interessen und Grundwerte der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen laufen dafür oft zu sehr auseinander. Es wird sogar die Auffassung4 vertreten, dass durch Tendenzen in der heutigen Gesellschaft die vorhandene und erforderliche Vielfalt in einem schleichenden Prozess immer stärker eingeschränkt wird. Diese, für die breite Akzeptanz eines Gesetzes schwierigen Situation war Anlass für Überlegungen zur Erhöhung der Transparenz durch neue Verfahrensschritte, mit denen auch die interessierte Öffentlichkeit zur Ausarbeitung eines Gesetzes informiert und gegebenenfalls beteiligt werden kann. Auch erscheint es hilfreich, die meines Erachtens entscheidenden Entstehungsschritte für die breite Öffentlichkeit besser nachvollziehbar zu machen und damit der stark verbreiteten Politikmüdigkeit und den Vorbehalten gegenüber einem ausufernden Lobbyismus vorzubeugen bzw. verlorenes Vertrauen in die Entscheidungen der Politik zurück zu gewinnen. Die generellen Anforderungen sind in zahlreichen Arbeiten der Rechtsphilosophie und Soziologie vielfach beschrieben:
So fordert z.B. Habermas: «Der Staat dürfe Gehorsam weder befehlen noch kaufen. Er müsse seine Legitimation allein aus diskursiver Anerkennung ableiten.»5.
Durch die nachfolgend vorgeschlagenen Schritte wird auch die frühe Entstehungsphase eines Gesetzes in gewissem Umfang formalisiert und erhält insgesamt eine höhere «Legitimation durch das Verfahren»6.
2.1.
Heutige Situation ^
Unabhängig von der föderalen Ebene lässt sich die derzeitige Vorgehensweise bei der Setzung rechtlicher Normen, d.h. Gesetze, Verordnungen, Satzungen – im Folgenden Gesetze genannt – verallgemeinert wie folgt kurz beschreiben:
Eine zur Gesetzesinitiative berechtigte Organisation erstellt einen Entwurf und bringt diesen ins Gesetzgebungsverfahren ein. Der Entwurf wird in der Legislative und vorher in den Fachausschüssen diskutiert und ggf. modifiziert. Er wird auf Bundes- und Länderebene in drei Lesungen abgestimmt und, üblicherweise, angenommen, wenn er von der Regierung oder den Regierungsfraktionen eingebracht wird und abgelehnt, wenn er von der Opposition kommt. Eine zweite Kammer wie der Bundesrat macht das Verfahren noch etwas komplexer. Zusätzliche Einflussgrößen, die zu beachten sind, ergeben sich aus übergeordneten Normen; d.h. Verfassung und Verfassungsgerichtsurteile, EG-Richtlinien sowie auf Länder- und Kommunalebene Vorgaben durch eine übergeordnete Rahmengesetzgebung. Einen Einfluss hat auch das allgemeine Rechtsverständnis in der Mehrheitsgesellschaft und das Wertesystem der Regierungsfraktion bzw. der Koalitionspartner. Der Entwurf besteht aus einem weitgehend ausformulierten Text, bei dem jede ausgehandelte Änderung hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Folgeeffekte und andere Rechtsvorschriften jeweils einzeln überprüft werden muss. Hierbei werden unter Umständen unerwünschte Auswirkungen nicht erkannt.
Auf welche Art Ziele des Gesetzgebungsverfahrens festgelegt werden, ist nicht Thema dieses Beitrags. Über die Frage, welche Ziele wie identifiziert werden gibt es u.a. eine inhaltliche Brücke zu IT-Methoden, die diese Frage bearbeiten; z.B. das EU-Projekt zu «Big Data for Policy Making»7. Auch die Ausarbeitung einer der immer zahlreicher werdenden Petitionen ist als Ausgangspunkt für einen solchen Prozess denkbar.
2.2.
Vorgehensvorschlag ^
Die vorgestellten Methoden sind für sich gesehen nichts Neues. Neu an dem Vorschlag ist ihre konsequente Anwendung auf die Erstellung eines Gesetzesentwurfs.
Bei der Behandlung der Entwicklung eines Gesetzes als Projekt ist der wesentliche Unterschied, dass nicht der komplette Entwurf sofort zur Diskussion gestellt wird, sondern dass eine schrittweise systematische Verfeinerung von der Projektfindung über Grob- und Feinkonzept und die Realisierung erfolgt. Die Vorgehensweise wird in den Abschnitten 2.2. und 2.3. skizziert. Zu Beginn jeder Phase werden die Ziele entsprechend dem verbesserten Kenntnisstand detaillierter definiert. Am Ende der Phase werden die Ergebnisse – ggf. die Lösungsalternativen – im Sinne einer Qualitätssicherung auf ihre Eignung für die bei Beginn des Verfahrens definierten Ziele überprüft. Hinzu kommt eine Prüfung auf unerwünschte Nebeneffekte bestimmter Zielerreichungs-Alternativen. Falls notwendig kann auch durch die verbesserten Kenntnisse nach einem Entwicklungsstand der Zielrahmen modifiziert und die Phase erneut durchlaufen werden. Dies gilt ebenso für eine unzureichende Zielerreichung, Zielkonflikte oder erkannte unerwünschte Nebeneffekte. Durch diese Vorgehensweise wird die Komplexität Schritt für Schritt gesteigert und eine bessere Absicherung der jeweils erzielten Ergebnisse erreicht. Die Offenlegung der Entwicklungsschritte, der Lösungsalternativen auf dem jeweiligen Kenntnisstand und die Begründung der Auswahl der Alternative, mit der in die nächste Entwicklungsphase eingetreten wird, lässt erwarten, dass die konkrete Ausgestaltung des Einzelgesetzes in der Öffentlichkeit besser verstanden und akzeptiert wird. Ebenso kann die Qualität der Stellungnahmen beteiligter Kreise durch ein solches Verfahren verbesserten werden, in dem in der Alternativenauswahl auf die Argumente der abzuschließenden Phase eingegangen wird und sich die Stellungnahme für die Ergebnisse der nächsten Phase nur noch auf in dieser Phase gewonnenen neue Erkenntnisse beziehen dürfen.
2.3.
Anwendung der Grundzüge des Projektmanagements ^
Um die Vorteile der o.a. Vorgehensweise nachvollziehen zu können, ist notwendig, auf die für den Vorschlag wesentlichen Eigenschaften des Projektmanagements (PM) einzugehen. PM wird in verschiedenen Bereichen, ursprünglich zur Erstellung komplexer technischer Systeme durch mehrere Mitarbeiter, eingesetzt (Paradebeispiel: Mondlandung). In der öffentlichen Verwaltung wird es für deren eigene Zwecke häufig bei Veränderungsprozessen und der Entwicklung von Informationssystemen verwendet. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist der Ansatz, das Projekt sowohl zeitlich in einzelne Phasen zu unterteilen als auch zur parallelen Bearbeitung verschiedener Aspekte in diesen Phasen in Teilprojekte und Arbeitspakete zu untergliedern. Ein wesentlicher Aspekt des PM ist auch die Reduktion des Projektrisikos durch schrittweises Vorgehen und Überprüfung der Zielkonformität der einzelnen Zwischenschritte.
Hierbei ist zu beachten, dass der Projektbegriff, der vielfach inflationär verwendet wird, hier nur im Sinne der engen Definition eines Projekts im PM zu verstehen ist.
2.3.1.
Problemlösungszyklus ^
In jeder Phase des Projekts wird der klassische Problemlösungszyklus durchlaufen, wie er bereits bei Daenzer8 beschrieben wird. Ziel ist es, dass jeweils am Ende des Zyklus das Problemwissen und die Ergebnisse einen höheren Genauigkeitsgrad bzw. einen höheren Grad der Operationalisierung erreichen. Im Idealfall werden dabei jeweils auch Alternativen entwickelt, die unterschiedliche Lösungsansätze z.B. bei Zielkonflikten bereitstellen. Am Ende des Zyklus steht jeweils die Auswahlentscheidung über die weitere Vorgehensweise. Auswahlkriterien sind die Ziele, die zu Beginn der Phase festgelegt worden waren. Sollte sich bei der Überprüfung zeigen, dass damit die gewünschten Ziele nicht erreicht werden oder unauflösbare Zielkonflikte entstehen, so kann bzw. muss eine Überprüfung des Ziel-/Wertesystems erfolgen und die Phase mit den modifizierten Anfangsbedingungen erneut durchlaufen werden. Ein Zyklus verläuft wie folgt:
- Zielsuche
- Situationsanalyse
- Zielsetzung
- Lösungssuche
- Synthese
- Analyse
- Alternativen-Auswahl
- Bewertung
- Entscheidung
Die Entscheidung am Ende der Phase führt zur nächsten Phase, in der unter Anwendung des in der Vorphase gewonnenen Wissens die nächste Konkretisierungsgrad des Projekts erfolgt. Falls die vorausgehende Bewertung keine zufriedenstellende Lösung ergibt, wird die Phase, wie o.a. erneut durchlaufen.
2.3.2.
Projektphasen ^
Bei der Entwicklung vor allem von IT-Systemen wird das Projekt in die in der nachstehenden Tabelle dargestellten Phasen unterteilt (sogenanntes Wasserfallmodell). Dabei ist anzumerken, dass dies bei der reinen Softwareentwicklung in jüngerer Zeit durch agile Methoden ersetzt wird. Nach Meinung des Autors sind diese jedoch für die Entwicklung von Gesetzesentwürfen nicht geeignet. Den Projektphasen sind die bei der Erstellung eines Gesetzesentwurfs zu erfüllenden Aufgaben zugeordnet.
In den Phasen 1 und 2 ist der Aspekt der Festlegung der Ziele und Randbedingungen (d.h. Werte der Mehrheitsfraktion(nen), übergeordnete Normen, internationale Verträge u.v.m.) dominierend. In den nachfolgenden Phasen ist der Schwerpunkt eher bei der Operationalisierung dieser Ziele bzw. Methoden zur Zielerreichung. Dabei ist am Ende jeder Phase eine Überprüfung der Zielerreichung und Einhaltung der Randbedingungen, ein wesentliches Entscheidungskriterium für die Festlegung des weiteren Vorgehens.
In einem Gesetzgebungsverfahren entspricht dies einer Diskussion des Handlungsbedarfs und der strategischen Ziele. Rahmen- und Grenzbedingungen werden im Grobkonzept zusammengestellt, als Requirements in einem Lastenheft formuliert und diskutiert. Ebenso erfolgt eine erste Abschätzung der Eignung für die Zielerreichung und alternative Wege zur Zielerreichung.
Das Feinkonzept entspricht der Ausformulierung der Lösung(salternativen). Die ausgewählte Variante legt die Eigenschaften des Feinkonzepts in einem Pflichtenheft fest. Diese Phase ist für den Einsatz der Vollzugssimulation zur Überprüfung von unerwünschten Nebenwirkungen, Mitnahmeeffekten und Umgehungsreaktionen geeignet.
Bezeichnung der Phase | Aufgabe/Ergebnis | ||
1. | Projektvor- /Findungs-Phase | → | Feststellung Handlungsbedarf/Initiative |
2. | Grobkonzeption | → | Ziele, Begründung, grobe Lösungsskizze, «Lastenheft» |
3. | Feinkonzeption | → | Ausarbeitung, «Pflichtenheft», Migrationskonzept |
4. | Realisierung | → | Ausarbeitung, Lesungen, Beschluss |
a. Textfassung | → | Textfassung, Qualitätssicherung | |
b. Organisation | → | Durchführungsbestimmungen, Definition IT-Unterstützung | |
5. | Einführung | → | Publikation Durchführungsbest. Rollout IT-Unterstützung |
6. | Nutzung | → | Vollzug |
7. | Evaluierung | → | Evaluierung: Zielerreichung und Kosten |
8. | Lebenszyklus-Abschluss | (Konsequenz aus Evaluierungsergebnis) | |
a. Anpassung | → | Novellierung | |
b. Stilllegung | → | Aufhebung |
Tabelle 1: Anwendung des Wasserfallmodells auf ein Gesetzesvorhaben
Die Realisierungsphase wird begleitet von der Qualitätssicherung, in der (letztmalig) die Eignung der ausgewählten Realisierung zur Erreichung der Ziele überprüft wird.
2.3.3.
Zu vermeidende Fehler ^
Allerdings haben sich im Laufe der Jahre gerade bei IT-Projekten und Organisationsentwicklungsprojekten in der Praxis einige Schwächen eingebürgert, die bei einer Übertragung auf die «Gesetzgebung als Projekt» nicht übernommen werden sollten, da ihre Auswirkungen noch wesentlich schädlicher sind, als dies bei den genannten Projekten der Fall ist:
1) Phasenende als Entscheidungspunkt
Es wird meist nicht (mehr) beachtet, dass am Ende jeder Phase eine grundsätzliche Entscheidung steht, welche der entwickelten Alternativen weiter verfolgt wird. In den meisten IT-Projekten werden, teilweise aus Zeit- und Kostengründen, auch nicht mehrere Alternativen ausgearbeitet. Das Phasenende hat oft nur noch einen formalen Charakter. Aber eigentlich auch dort bestehen die Alternativen Abbruch, Richtungsänderung oder Zieländerung des Projekts oder erneutes Durchlaufen der letzten Phase, weil ein unbefriedigendes Ergebnis d. h. keine ausreichende Zielerreichung mit dem vorliegenden Ergebnis der Phase möglich ist.
2) Vernachlässigung der Projektfindungsphase
Bereits die Einführungsphase erhält in vielen Fällen nicht die notwendige Aufmerksamkeit: Vor der Entscheidung über einen formalen Projektstart bzw. vor der Erstellung einer Ausschreibung ist eine Findungsphase erforderlich. Bei IT-Projekten wird dieser Aspekt vernachlässigt bzw. gar nicht wahrgenommen, weil der Bedarf durch externe Einflüsse offensichtlich ist. In der deutschsprachigen Projektliteratur wurde er in der Vergangenheit auch selten behandelt. J.A. Senn9 behandelt diesen Aspekt und nennt diesen Schritt «request clarification». Bei der Formulierung eines Gesetzes ist die Phase von größter Bedeutung, da sie die wesentlichen politischen Weichenstellungen enthält.
3) Keine Einbeziehung der späten Projektphasen
Die späten Projektphasen werden vernachlässigt bzw. gar nicht berücksichtigt: Insbesondere das Migrationskonzept vom vorherigen Zustand zum Zustand mit dem neuen Projektergebnis wird in den Überlegungen zur Realisierung zu wenig beachtet und der erforderliche Aufwand wird unterschätzt. Die Nutzung und insbesondere die Evaluierung und die daraus folgenden Konsequenzen werden meist überhaupt nicht in die Überlegungen und in die Projektplanung einbezogen.
3.1.
Ansatzpunkte der Methode ^
Der Vorschlag selbst setzt auf drei Ebenen der Entwicklung eines Gesetzes an:
1) Strategische Ebene
Anwendung der in Abschnitt 2.3. beschriebenen «Projekt-Philosophie», die sicherstellt, dass die im Detail entwickelten Ergebnisse mit den ursprünglichen generellen Zielsetzungen (noch) verträglich sind.
2) «Werkzeug-» Ebene
Einsatz von Methoden und Hilfsmitteln, die bei der Entwicklung von Informationssystemen üblich sind. Ihr besteht eine Vielfalt von Möglichkeiten, die teilweise unverändert verwendbar sind und teilweise auf die speziellen Bedürfnisse der Gesetzgebung anzupassen sind; in diesem Bereich ist sicher noch einige Forschung- und Entwicklungsarbeit zu leisten, um die Vorteile der Vorgehensweise voll auszuschöpfen.
3) Operative Ebene
Durch die strukturierte Vorgehens- und die Betrachtungsweise als Informationssystem von Beginn an ergeben sich gut definierte Ansatzpunkte für die Möglichkeit der IT-Unterstützung und der Prozessoptimierung auf Vollzugsebene.
3.2.1.
Strategische Ebene ^
Nach Max Weber lassen sich vier Handlungstypen der Politik differenzieren: Zweckrational, wertrational, affektuell und traditional. Alle Handlungstypen sind mit unterschiedlicher Intensität in der heutigen Politik vorhanden. Die Ziel- und Requirement-Definition ist bei allen Typen eine adäquate Vorgehensweise.
Die dokumentierten Zielvorgaben des Feinkonzepts erlauben eine objektive Evaluierung und ggf. die Erkenntnis der Notwendigkeit eines Novellierungsbedarfs.
Die Transparenz der «Projektdokumentation» erleichtert auch die historische Auslegung.10
Außerdem ist die Zieldefinition hilfreich bei der Prüfung, ob ein fehlender Tatbestandssachverhalt auf eine planwidrige Lücke oder ein bewusstes Auslassen des Gesetzgebers zurückzuführen ist.11
Die Offenlegung der Randbedingungen, Werte und Ziele zu Beginn einer Phase und die Bewertung der Zielerreichung bei der Alternativenauswahl am Ende einer Phase tragen erheblich zur Transparenz des Verfahrens bei. Insbesondere in der Projektfindungsphase und der Grobkonzeption ist die Entwicklung und Motivation des Gesetzesentwurfs auch für den Laien nachvollziehbar. In diesen Phasen können auch die Beiträge der Lobbyisten in transparenter Weise eingebracht werden. Dadurch ist der in Abschnitt 2.2. beschriebene Problemkreis «Transparenz und Akzeptanz» der durch die Verkleinerung der gemeinsamen Wertebasis in einer pluralistischen Gesellschaft entsteht, besser berücksichtigt. Daraus folgt: In einer komplexen modernen Gesellschaft, in der die Wertevorstellungen nicht mehr homogen sind, ist es besonders wichtig, die einer Gesetzgebung zu Grunde liegenden Werte nicht nur für den Rechtswissenschaftler transparent zu machen. Der Autor stellt die Hypothese auf, dass eine offengelegte, klare Werte-Grundlage eher akzeptiert wird, auch wenn sie nicht (völlig) deckungsgleich mit den eigenen Wertvorstellungen ist. Ein Nebeneffekt für die Werte-Integrationsdiskussion kann sein, wie weit in der Gesellschaft vorhandene Wertesysteme in das bestehende überkommene Werte- und Rechtssystem integrierbar sind. Auch besteht die Möglichkeit, dass der Werte-Konsens in einem bestimmten Politiksegment (zum Beispiel Verbraucherschutz) breiter ist, als dies über alle Gesetzgebungsbereiche hinweg in ihrer ganzen Breite der Fall wäre. Zuletzt wird durch diese Transparenz die Bildung von Koalitionen durch mehrere Regierungspartner oder von Minderheitsregierungen leichter auf eine rationale Basis gestellt; ein Vorteil, der nach den derzeitigen Trends im Wählerverhalten von wachsender Bedeutung sein dürfte. Nach Meinung des Autors besteht die Aussicht, dass durch die Ziel- und Werte-Transparenz die schrittweise – öffentliche – Entwicklung des Ergebnisses aus den offen gelegten Ziel- und Wertesystemen des Gesetzgebers das offenbar derzeit schwindende Vertrauen in demokratische Prozesse wieder gestärkt wird. In einer Gesellschaft mit zunehmend komplexeren Wirkungszusammenhängen, die von der Bevölkerung nicht in allen Einzelheiten nachvollzogen werden können, ist die Ausbildung dieses Vertrauens nach den Überlegungen von Luhmann12 ein wichtiger Aspekt der Politik-Akzeptanz.
Die ausschließliche Begründung der Entwicklung durch offengelegte Ziele erschwert eine «hidden Agenda» (z.B. bei Lobbyismus) und legt auch die Aspekte offen, für die kein bzw. nur eingeschränkter gesellschaftlicher Grundkonsens existiert. Durch die operative Festlegung der Anforderungen werden Zielkonflikte und unerwünschte Nebeneffekte mit einer größeren Wahrscheinlichkeit deutlich und vermutlich auch eher akzeptierbar, als dies bei einer rein textuellen Entwicklung und Diskussion wahrscheinlich wäre. Die klare Strukturierung und die Offenlegung der Ziele und der Ergebnisse der verschiedenen Projektphasen ergeben eine «Legitimation durch das Verfahren»13.
Die Realisierung umfasst – ggf. als Teilprojekte – die Ausgestaltung der nachgeordneten Vorschriften, der Übergangsregelung und gegebenenfalls der informationstechnischen Unterstützung. Insbesondere können die Ergebnisse des Feinkonzepts als gesicherte Grundlage für die Ausschreibung in Form eines Lastenheftes für eine wie auch immer geartete informationstechnischen Unterstützung genutzt werden.
3.2.2.
Werkzeug-Ebene ^
Neben der der Projektmanagement-Methode selbst ist die Verwendung von einzelnen Methoden der Informationssystem-Entwicklung sinnvoll. Dadurch werden Möglichkeiten und Effizienz der systematischen und vollständigen Prüfung der Ergebnisse der jeweiligen Projektphase verbessert. Im Einzelnen seien genannt (Aufstellung nicht abschließend):
- Datenanalyse und -modellierung, Analyse bestehender Vorschriften
- Prozessanalyse und -optimierung
- Story telling und Erstellung von Use Cases, Simulationsmodelle
- Walk through
- Methodische Qualitätssicherung
- Methoden der Requirement-Erhebung und des Requirement-Managements
- Reverse Engineering
Die Beschreibung all dieser Methoden im Einzelnen und ihrer Vorteile würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Die Vorteile werden vom Autor aufgrund seiner Projekterfahrungen bei einigen der Methoden als Arbeitshypothese nur unterstellt und wären durch ihren Einsatz in diesem Anwendungsfall zu verifizieren.
Ein weiterer Vorteil ist die Erstellung eines Projektstrukturplans, der das Projekt logisch und zeitlich gliedert und eine systematische Vorgehensweise einschließlich der Qualitätssicherung sicherstellt. Für die Gesetzgebung wäre es wohl effektiv, wenn man für die einzelnen Rechtsgebiete Projektstrukturpläne als Templates erstellt, die dann nur noch mit den jeweiligen Inhalten aufgefüllt werden müssen. Insbesondere kann für jede Projektphase ein Teilprojekt «Akzeptanz» und «Durchsetzbarkeit und Vollzug» sowie eine Analyse der Auswirkungen und des Zielgruppenverhaltens unter den neuen Rahmenbedingungen eingerichtet werden.
3.2.3.
Operative Ebene ^
Die Projektstruktur ergibt aus den Ansätzen zur Erarbeitung des Feinkonzeptes sowie aus den dabei erhaltenen Ergebnissen strukturierte Möglichkeiten zur Entwicklung von optimalen Abläufen und Unterstützungsmöglichkeiten durch Informationstechnik. Dies ermöglicht eine Lösung mit möglichst geringem Vollzugsaufwand für die Betroffenen. Ansätze hierfür sind unter anderem:
- Datenanalyse und –Strukturierung, Analyse vorhandener Vorschriften
- Prozessanalyse und –Optimierung
- Prozesssimulation
Durch die Methodik und Einbeziehung der Nachbargebiete der zu entwickelnden Rechtsmaterie in die Überlegungen werden Möglichkeiten für die Realisierung von One-Stop-Lösungen oder sogar No-Stop-Lösungen14 bereits in der Entwurfsphase des Gesetzes besser erkennbar.
4.
Fazit ^
Da diese Methode derzeit (noch) nicht in der vorgeschlagenen Form angewendet wird, sind die aufgeführten Vorteile zwar plausibel aber hypothetisch. Nach Meinung des Autors dürften sie für die Akzeptanz des Gesetzgebungsverfahrens als politischer Prozess in einer zunehmend inhomogenen Gesellschaft von großem Wert sein.
Bei der Realisierung des vorgestellten Vorschlages und der Überprüfung der Vorteile sind verschiedene Disziplinen betroffen: Rechtwissenschaften, insbesondere Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie, Politikwissenschaft, Informationswissenschaft und Informatik-Methoden. Verwaltungswissenschaft und technische Informatik sind bei der Gestaltung des Vollzugs ebenfalls zu betrachten. Bei der Folgenabschätzung kommen auch Volks- und Betriebswirtschaft ins Spiel.
Die Methode dürfte Anknüpfungspunkte für mehrere neue Aspekte bei der Gesetzgebung bieten; für die neuen Verfahren des Big-Data gestützten Policy-Making ebenso wie für die Entwicklung von No-stop- Government-Lösungen und für eine effizienten Vollzug durch mit dem Gesetzt integral entwickelte IT-Unterstützung und ggf. Prozesse sowohl intern für die Verwaltung als auch für die betroffenen Unternehmen/Bürger. Ferner sehe ich bei der Methode gute Ansatzpunkte für eine Bürgerbeteiligung; auf diesen Aspekt wird in dem Beitrag nicht näher eingegangen, da dies den Rahmen des Beitrags sprengen würde.
In Anbetracht der Vielzahl der berührten Disziplinen kann dieser erste Beitrag noch kein geschlossenes Bild liefern. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung der vorgeschlagenen Methoden und ihrer Vorteile. Es liegt bei den verschiedenen Fachdisziplinen, die hier beschriebene Methoden und deren Vorteile aus Sicht des Autors aus der Binnensicht der Fachdisziplin zu überprüfen, zu vertiefen und ggf. zu korrigieren.
- 1 Schilling, Peter, Tiefgreifendes Umdenken in Politik und Führungsebene ist ein Erfolgsfaktor der Verwaltungsmodernisierung; In: Schweighofer/Kummer/Hötzendorfer (Hrsg.), Abstraktion und Applikation – Tagungsband des 16. Internationalen Rechtsinformatik Symposions (IRIS 2013) und http://www.jusletter-it.eu Österreichische Computergesellschaft (IRIS 2013) Wien, Austria: Österreichische Computergesellschaft und http://www.jusletter-it.eu. Folien: http://moderne-verwaltung.de/fach_lang/FLNR0030a.ppsx.
- 2 Engelhardt, Hans A., † 2008, MdB, 1982–1991 Bundesminister der Justiz: «Die Gesetzesproduktion muss, ähnlich wie die Industrieproduktion, noch stärker als bisher einer Qualitäts-, Erforderlichkeits- und Erfolgskontrolle unterworfen werden.».
- 3 Schilling, Peter, Wieviel Informationsmanagement braucht die öffentliche Verwaltung? In: Rätz/Breidung/Lück-Schneider/Kaiser/Schweighofer (Hrsg.), FTVI und FTRI: Digitale Transformation: Methoden, Kompetenzen und Technologien in der Verwaltung, Dresden, GI-Edition – Lecture Notes in Informatics (LNI), P-261, S. 51–61, Bonn: Köllen Verlag und subs.emis.de/LNI/Proceedings/Proceedings261/P-261.pdf#page=52, Folien http://moderne-verwaltung.de/fach_lang/FLNR0034a.ppsx.
- 4 Bauer, Thomas, Die Vereindeutigung der Welt – über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt, 9. Aufl., Stuttgart 2018.
- 5 Zitiert nach Röhl, Klaus F., Rechtssoziologie-online; https://rechtssoziologie-online.de/kapitel-16grose-hypothesen-der-rechtssoziologie/%C2%A7-95entwicklungshypothesen/iii-die-entwicklungstheorien-von-luhmann-und-habermas/ (30.10.19).
- 6 Luhmann, Niklas. Legitimation durch Verfahren, Frankfurt/M, 2013, – gute Zusammenfassung in https://sozialtheoristen. de/2008/07/15/legitimation-durch-verfahren-niklas-luhmann-1969/ (30.10.19).
- 7 Big Policy Canvas https://www.bigpolicycanvas.eu/ (30.10.19).
- 8 Daenzer, Walter F. (Hrsg.), Systems Engineering. Leitfaden zur methodischen Durchführung umfangreicher Planungsvorhaben. 5. Aufl. Zürich 1987.
- 9 Senn, James A., Analysis And Design Of Information Systems, 2. Aufl. McGraw Hill Publishing Comp. New York 1989, zitiert nach Schilling, Peter, Erfolgsfaktoren für die Durchführung von DV/Tul-Projekten in der öffentlichen Verwaltung, in: Maack/Goller/Müller-Hedrich (Hrsg.), Verwaltungsmanagement, Handbuch für Öffentliche Verwaltungen und Öffentliche Betriebe, Loseblattsammlung Lieferung April 1991; http://www.moderne-verwaltung.de/fach_lang/FLNRxx05.pdf.
- 10 Gemäß Definition bei Horn, Norbert, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie Verlag C. F. Mueller GmbH, Heidelberg, 2016 Rn. 179.
- 11 Gemäß Definition bei Horn, Norbert, a.a.O. Rn. 185.
- 12 Luhmann, Niklas, Vertrauen – ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 5. Auflage, Konstanz und München 2014.
- 13 Luhmann, Niklas, FN 6.
- 14 Brüggemeier, Martin/Lenk, Klaus, Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug – Better Regulation zwischen Go-Government und No-Government, Baden-Baden 2011.