1.
Der Wunsch der Stadt Ulm zur nachhaltigen Gestaltung der eigenen Zukunft ^
Für die Stadt Ulm ist die Digitalisierung eine der ganz großen Herausforderungen (Grand Challenges) unserer Zeit, die es auch vor Ort mit den Bürgern zu gestalten gilt. Die Stadt engagiert sich seit vielen Jahrzehnten in ganz unterschiedlichen Bereichen. Dabei verfolgt sie auch einen bürgerorientierten Ansatz auf Basis von Offenheit, Bürgerbeteiligung und Zusammenarbeit, von dem sie sich vor allem eine erfolgreiche und nachhaltige Digitalisierung der Stadt, der Stadtverwaltung und der Stadtgesellschaft verspricht. Jenseits der laufenden E-Government-Aktivitäten werden auf kommunaler Ebene in Ulm bereits Open Government und Smart Government konkretisiert und gelebt. Stadtverwaltung, Unternehmen und Bürger beschäftigen sich seit mehreren Jahren mit einem offenen LoRaWAN, Sensortechnik, offenen Datenbeständen und vielen Smart-City-Anwendungsfeldern. Bei der Einwerbung wettbewerblicher Fördermittel war die Stadt Ulm so in den vergangenen Jahren erfolgreich. Mit der Konkretisierung und dem Aufbau einer städtischen Smart Data Platform (SDP) zählt sie in Deutschland im Kontext smarter Städte und dem Internet der Dinge (IoT) zu den Vorreitern.
Die Stadt Ulm hat andere Smart City-Vorhaben aufmerksam verfolgt und sich dann für einen bürgerorientierten, offenen Ansatz mit wissenschaftlicher Begleitung entschieden. Die Verwaltungsführung und der Gemeinderat sind maßgebliche Treiber dieser Entwicklung, mit der die Stadt Ulm unter Einbindung der Bürger nachhaltig modernisiert wird. Sie wollen sicherstellen, dass die Stadt Ulm künftig in der Lage ist, mit Innovationen, Digitalisierung und IT-Dienstleistern souverän umzugehen und diese in die Organisation und in die Prozesse einzubinden. Die Bürger sollen zudem die digitale Zukunft der Stadt Ulm selbst mitgestalten können. Die Stadt verlässt sich dabei nicht nur auf externe Fördermittel, sondern investiert auch eigene Ressourcen und arbeitet gezielt mit Vereinen und Unternehmen zusammen. Mit dem Verschwörhaus gibt es seit 2016 einen zivilgesellschaftlichen Ort für Innovation und öffentliche Unordnung, der viele wertvolle Impulse in die Stadt und in die Gesellschaft bringt.
Verwaltungsführung und Gemeinderat nehmen die ihnen obliegende Verantwortung sehr ernst, die Zukunft der Stadt Ulm aktiv mitzugestalten. Sie wollen sicherstellen, dass sie die vor ihnen liegenden strategischen Entscheidungen verstehen und selbst treffen können, ohne in Abhängigkeiten von Unternehmen, Anbietern und Dienstleistern zu geraten. In diesem Beitrag stellt sich die Forschungsfrage, mit welchen Zielen, Strategien und Maßnahmen sich die Stadt Ulm zu einem bemerkenswerten Vorreiter für eine verantwortungsbewusste Digitalisierung macht. Ausgehend von den Herausforderungen der Digitalisierung und der Nachhaltigkeit wird auf die verschiedenen Ulmer Ansätze eingegangen, die für die Stadt prägend sind. Ein besonderes Augenmerk soll dabei auf die Maßnahmen zur Einbindung der Bürger und zur digitalen Nachhaltigkeit gelegt werden, mit denen die Stadt Ulm eigene Akzente setzt.
2.
Herausforderungen der Digitalisierung ^
Die Stadt Ulm befasst sich seit mehr als 60 Jahren mit der Digitalisierung. Zunächst wurde auf Großrechnersysteme zur Erledigung öffentlicher Aufgaben gesetzt und das Gebietsrechenzentrum Interkommunale Datenverarbeitung Ulm (IKD) als kommunaler Zweckverband gegründet. Dieser wurde 2002 in den Kommunale Informationsverarbeitung Reutlingen-Ulm Zweckverband (KIRU) überführt. Im Juli 2018 wurde der Betrieb in die Anstalt ITEOS überführt. Parallel dazu baute sich die Stadt Ulm eine eigene IT-Abteilung auf, um ihre Digitalisierungsvorhaben auch unabhängig vom IT-Dienstleister selbst betreiben zu können. Heute sind vor allem Electronic Government, Open Government und Smart Government zu echten Herausforderungen geworden, mit denen sich die Stadt Ulm im Rahmen der Digitalisierung auseinandersetzt.
2.1.
Herausforderung Electronic Government ^
Beim elektronisch unterstützten Regierungs- und Verwaltungshandeln (E-Government) geht es im Kern um die Gestaltung des Behördenhandelns mit Hilfe von Informationstechnik. Die Stadt Ulm setzt sich seit mehr als 25 Jahren mit dem «Internet der Systeme» und E-Government auseinander. Der frühere Erste Bürgermeister und heutige Oberbürgermeister Czisch ist einer der maßgeblichen Treiber der Entwicklung. Als Stellvertretender Verbandsvorsitzender der KIRU hat er jahrelang die E-Government Agenda in der Stadt und die der Zweckverbände im Land Baden-Württemberg geprägt. In den vergangenen Jahren standen die Neugestaltung des webbasierten Stadtportals ulm.de und der Bürgerdienste im neuen Dienstgebäude am Standort Olgastraße 66 auf der Modernisierungsagenda. Aktuelle Herausforderungen liegen in der Einführung eines elektronischen Akten- und Vorgangsbearbeitungssystems sowie in der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) bis 2022, beim Datenschutz und bei der IT-Sicherheit.
2.2.
Herausforderung Open Government ^
Das «Internet der Menschen» mit seinen gesellschaftlichen Medien (Social Media) und das «Internet der Daten» bietet Städten neuartige Möglichkeiten zur Öffnung und für Transparenz, Mitwirkung und Zusammenarbeit. Dies kann zur Stärkung von Demokratie und Bürgergesellschaft beitragen. Für die Verwaltungsinformatik eröffnet der breit interpretierbare Sammelbegriff «Open Government» Ansätze wie die inhaltliche Gestaltung von offenen Verwaltungsdaten, Transparenz 2.0, Bürgerbeteiligung 2.0, Zusammenarbeit 2.0, Informationsfreiheit, Open Innovation, offene Standards, offene Schnittstellen und den Einsatz von Open Source Software (von Lucke 2017, S. 228).
Die Stadt Ulm hat das Potential von Web 2.0 früh erkannt, gefordert und gefördert. Bereits seit 2005 setzen die Stadt Ulm und mehrere ihrer Tochtergesellschaften, allen voran die Kultureinrichtungen, auf ganz unterschiedliche Ansätze, um die Bürger zu erreichen und auf ihr Angebot über Social Media aufmerksam zu machen. Wie sich zeigte gehören in vielen Abteilungen zahlreiche Web 2.0-Dienste wie Facebook, Youtube, Twitter, Flickr und Instagram bereits zum Arbeitsalltag (Raffl/Geiger 2013). Seit 2013 setzte die Stadt Ulm zunächst im Projekt «ulm 2.0» auf eine Förderung von Kommunikation in der Stadt und eine Stärkung der Stadtgesellschaft durch Digitalisierung. Die Transparenz wird durch die Bereitstellung von Daten und Informationen für die Öffentlichkeit verbessert. Ende 2019 ist ein Positionspapier zu Open Data bei der Stadtverwaltung der Stadt Ulm jedoch noch in der internen Abstimmung. Bürger werden zudem zunehmend in politische Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Geschäftsstelle Digitale Agenda der Stadt fördert seit 2015 mit den Aktivitäten zur Zukunftsstadt Ulm 2030 eine partizipative Beteiligung der Bürger bei der Digitalisierung. Open Government ist zugleich einer der Themenschwerpunkte des 2020 zu eröffnenden Verwaltungslabors, das für offene Experimente und ein erfolgreiches Veränderungsmanagement in der Stadtverwaltung dringend benötigt wird.
2.3.
Herausforderung Smart Government ^
«Smart Government» steht für ein intelligent vernetztes Regierungs- und Verwaltungshandeln, das die Möglichkeiten smarter Objekte und der sie umschließenden cyberphysischen Systeme zur effizienten wie effektiven Erfüllung öffentlicher Aufgaben nutzt. Es wird vom Internet der Dinge und vom Internet der Dienste geprägt (von Lucke 2017, S. 229). Die Stadt Ulm setzt sich bereits seit 2015 mit dem Internet der Dinge, der Funktechologie LoRaWAN, Smart Government, Smart Cities und smarten Daten auseinander. Diese Ansätze wurden zu den Leitthemen der Ulmer Wettbewerbsbeiträge zur Zukunftsstadt und zukunftskommune@bw gemacht. 2018 hat Ulm als einzige Stadt in Süddeutschland den Zuschlag zur Phase III beim Bundeswettbewerb «Zukunftsstadt 2030» erhalten, um sich mit Fragen einer bürgergetriebenen Digitalisierung und digitaler Nachhaltigkeit auseinander zu setzen. 2019 wurde Ulm zudem vom BMI als Modellkommune für das Ziel «Smart Cities made in Germany» ausgewählt. Ulms Ehrgeiz liegt darin, mit den smarten Möglichkeiten die Bevölkerung in den Wohngebieten und die Stadtverwaltung zu erreichen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Digital-Kreativen im Verschwörhaus, der regionale Digital Hub für die Wirtschaft und die großen Netzwerke und Vereine wie etwa die Initiative.Ulm.digital.
3.
Nachhaltigkeit in Zeiten der Digitalisierung ^
Die Stadt Ulm steht in den kommenden Jahren jenseits der Digitalisierung vor weiteren großen Herausforderungen. Der mit dem demographischen Wandel einhergehende Fachkräftemangel nicht nur im öffentlichen Sektor, die Integration von Geflüchteten oder die hohe Verschuldung öffentlicher Haushalte werden die Gestaltungs- und Entscheidungsspielräume der Stadt verringern. Um auch in Zukunft die heutige Breite und Tiefe an öffentlichen Leistungen mit zunehmend geringeren Budgets und weniger Personal aufrecht erhalten zu können, müssen richtungsweisende Entscheidungen getroffen und Projekte mit nachhaltiger Wirkung für Stadt, Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft angestoßen werden (Etscheid/von Lucke/Meigel 2018, S. 22). Die Nutzung der sich durch Innovation und Digitalisierung bietenden Möglichkeiten erlaubt in vielen Bereichen erhebliche Steigerungen der Effizienz und Effektivität. Zwar ermöglichen digitale Lösungen in vielen Fällen eine Bereitstellung zu geringen Grenzkosten. Diese erfordern aber zunächst erhebliche Investitionen in Entwicklung und Implementierung. Insofern ist es wichtig, diese Investitionen zu tätigen, solange die Spielräume vorhanden sind. Die im Rahmen der Zukunftsstadt Ulm 2030 gemachten Erfahrungen zeigen, dass durch den gezielten Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in Verbindung mit analogen Wegen und Techniken durchaus Abläufe optimiert, Services verbessert und Kosten gesenkt werden können. Dieser Argumentation folgend ist die nachhaltige Entwicklung digitaler Ansätze ein Ankerpunkt für die Ulmer Ansätze. Im Fokus steht die Lösung identifizierter Herausforderungen und Probleme anstelle der Implementierung von Techniken als Selbstzweck. In den Ulmer Vorhaben wird untersucht, inwiefern sich digitale Technik zur konkreten Problemlösung oder Schaffung von Mehrwerten eignen und welche Entwicklungen hierfür nötig sind (Etscheid/von Lucke/Meigel 2018, S. 22–23).
Insbesondere der BMBF-Wettbewerb Zukunftsstadt wirkt in der Stadt Ulm bereits als Katalysator, der die Entwicklung und Implementierung von nachhaltigen digitalen Lösungen beschleunigt. Dies soll im folgenden Abschnitt am Beispiel der Einbindung der Bürger, der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, den Reallaboren, der Datenethikrichtlinie und der IoT-Datenplattform aufgezeigt werden.
4.1.
Partizipative Einbindung der Ulmer Bürger ^
Die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger Ulms gehört zu den Grundideen einer partizipativen Stadtentwicklung in Zeiten der Digitalisierung. Die Ulmer Bürger sollen die Möglichkeit bekommen, so der Wille von Oberbürgermeister Czisch, sich aktiv mit eigenen Ideen und Vorschlägen zur Digitalisierung der Stadt einzubringen, ehe der Gemeinderat der Stadt Ulm nach ausreichender fachlicher Beschäftigung die relevanten Entscheidungen zur Umsetzung, zum Haushaltsplan und zum Stellenplan trifft.
Allerdings erwies sich in Ulm die Erschließung neuer Themen der Digitalisierung nur mit eigenen Haushaltsmitteln als sehr schwierig. Mit der Einstellung eines Koordinators für die Digitale Agenda 2013 wurde die Entscheidung getroffen, dass sich die Stadt verstärkt um Fördermittel von Land, Bund und EU in wettbewerblichen Verfahren bemüht. Zugleich wurde die Bereitschaft signalisiert, sich bei Erfolgen mit einer eigenen Finanzierung einzubringen. Seit 2015 stellt die Stadt Ulm mit ihren ausgewählten Partnern eine Reihe an Förderanträgen, die von den Zuwendungsgebern allesamt positiv beschieden wurden. Kern aller Anträge war eine partizipative Einbindung der Ulmer Bürger: Zukunftsstadt (BMBF: Phase I 2015; Phase II 2016; Phase III, 2018), Zukunftskommune@bw (IM BW: 2017), Digital Hub (WM BW: 2018) und Smart Cities (BMI: 2019).
In der ersten Phase des Wettbewerbs zur Zukunftsstadt 2030 (Juli 2015 bis April 2016) stand die Entwicklung einer ganzheitlichen und nachhaltigen Vision für das zukünftige digitale Leben in Ulm gemeinsam mit der Bürgerschaft im Vordergrund. Hierzu wurden unter Einbindung von Partnern aus der Wirtschaft, Verwaltung und der Wissenschaft Bürgerworkshops in sechs Themenfeldern durchgeführt. Bürger konnten ihre Vorstellungen in den nachfolgenden Diskussionen einbringen. Zusammen mit der Onlinebeteiligung wurden in dieser Phase mehr als 400 Ideen und Vorschläge für die Zukunftsstadt Ulm 2030 gesammelt, die sehr breit gestreut waren (von Lucke/Geiger 2016; Stadt Ulm 2018, S. 3).
Diese Ergebnisse bildeten die Grundlage für die Arbeit in der Projektphase II der Zukunftsstadt Ulm von Januar 2017 bis Juni 2018. Aus allen Ideen der sechs Themenfelder wurden die vielversprechendsten Ansätze identifiziert, die weiterverfolgt werden sollten. In Workshops mit Experten, Bürgern und Stadtverwaltung sowie in der Bürgerwerkstatt im Februar 2018 wurden die Ideen zur Frage «Wie kann die Stadt Ulm mit digitalen Mitteln lebenswerter und nachhaltiger werden?» konkretisiert und in realistische Umsetzungskonzepte überführt. Anhand eines Bewertungsschemas wurden die vier Anwendungsfelder Mobilität, Demographie/Alter, Bildung und Verwaltung ausgewählt, um sie in Phase III weiter zu verfolgen. Bereits zum Abschluss der zweiten Phase konnten erste prototypische Umsetzungen für ihren Einsatz in Phase III getestet werden. Die beiden bisherigen Bereiche Wirtschaft und Kultur werden nicht weiter im Rahmen der BMBF-Förderung Zukunftsstadt, sondern in den parallellaufenden Projekten Digital Hub und UlmStories.de weiterbearbeitet (Etscheid/von Lucke/Meigel 2018; Stadt Ulm 2018, S. 3).
4.2.
Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Wirtschaft ^
Im Rahmen ihrer Digitalisierungsprojekte setzt die Stadt Ulm nicht nur auf eine Unterstützung durch ITEOS als kommunalen IT-Dienstleister, andere IT-Beratungshäuser und das eigenen Personal. Sie kann auch auf eine gestaltungsorientierte wissenschaftliche Begleitforschung zurückgreifen, die den Prozess und die Verantwortlichen begleitet und immer wieder Impulse und Anregungen zur Weiterentwicklung gibt. Eine solche Vorgehensweise entspricht nicht einer klassisch empirischen Begleitforschung, bei der Aktivitäten von Wissenschaftlern nur beobachtet, beschrieben und erklärt werden, bei der jedoch niemals in das Projekt eingegriffen werden darf. Vielmehr handelt es sich um eine gestaltungsorientierte Begleitforschung, in der die begleitenden Wissenschaftler auch inhaltliche Anregungen einbringen. Ergänzend wird ganz bewusst auf Universitäten und Hochschulen als gestaltende Partner in den Vorhaben gesetzt, um einen Transfer von innovativen Lösungen in die Verwaltungspraxis zu sichern.
4.3.
Ulmer Reallabore: Verschwörhaus, Mobilitäts-, Demographie- und Verwaltungslabor ^
Die Reallabore der dritten Phase der Zukunftsstadt Ulm (2019-22), insbesondere das Verschwörhaus, das Mobilitätslabor, das Demographielabor und das Verwaltungslabor, bereichern die Stadt mit «digitalen Bolzplätzen» zum Üben. In Bürgerkonferenzen werden deren Ergebnisse der Ulmer Bevölkerung künftig vorgestellt. Aus dem Bürgerdialog zur Zukunftsstadt Ulm 2030 entstand bereits 2015 relativ rasch die Idee, einen Kreativraum für die Zivilgesellschaft aufzubauen, der als Innovationsraum für die Verwaltung wirken soll. Bereits 2016 wurde das Verschwörhaus (http://www.verschwoerhaus.de) als ein Ort der kreativen Unordnung gegründet. Hier können Bürgerinnen und Bürger ohne starre Vorgaben und in Eigenregie Ideen entwickeln, Dinge ausprobieren und sich untereinander vernetzen. Das Verschwörhaus spricht insbesondere Ulmer und zivilgesellschaftliche Entwickler in der Region Ulm an, sich an der Entwicklung bürgerschaftlicher IT-Lösungen zu beteiligen (Kress 2019). 2020 ist das Verschwörhaus als feste Institution etabliert und im Rahmen der dritten Projektphase ein Ort für die digitale Community, ein Experimentierfeld, ein Ort der Begegnung, des Wissens und des digitalen Ehrenamts. Unterstützung gibt es der von Data Love/Ulm-API-Community und der Open Knowledge Foundation aus Berlin. In der zweiten Phase der Zukunftsstadt wurden Prototypen entwickelt und getestet wie etwa die Erklärcafés, in denen gemeinsam Erklärvideos unter offener Lizenz produziert wurden (https://www.youtube.com/user/UlmFilme/videos). Mittelfristig soll eine bürgerschaftliche Community geschaffen werden, die sich regelmäßig mit Open Government und Smart Government auseinandersetzt. Mit dem Bildungslabor wird ein flankierendes Bildungsangebot mit innovativen Formaten entlang der Bildungskette (Kindergarten über Erwachsenenbildung bis zur Altenbildung) entstehen, um Bürger als Motor und Gestalter einzubinden und dabei kritische Aspekte, Herausforderungen und Chancen zu thematisieren. Damit soll eine Citizen Science Community aufgebaut werden, in der Bürger Wissen schaffen (Stadt Ulm 2018, S. 4–6).
Im Mobilitätslabor wird mit sensorgestützten Techniken für nachhaltige und intermodale Mobilitätsformen im Stadtbereich experimentiert. GPS- und Bewegungssensoren ermöglichen etwa eine validere und konstantere Datenbasis für die Förderung des Radverkehrs oder für den Ausbau von Lastenrädern im Logistikbereich. Flankierend sollen datenschutzkonforme Sensoren zur Verkehrsmengenzählung im Stadtraum installiert und laufend Steuerungsdaten für eine nachhaltige Stadtplanung gewonnen werden (Stadt Ulm 2018, S. 5 & 8–9). In Ulm besteht momentan noch keine Möglichkeit sich über smarte Lösungen in einer Wohnung zu informieren. Mit dem Demographielabor soll in einer neuen Musterwohnung gezeigt und von Bürgern auch getestet werden, wie sich Ambient Assisted Living Lösungen mit der LoRaWAN-Technik kombinieren lassen und so die Lebensqualität verbessert wird. Die Musterwohnung wird ein großer Gewinn für die Stadt sein, da sie den Transfer guter Lösungen in das eigene Heim vieler Ulmer beschleunigen kann (Stadt Ulm 2018, S. 4 & 7–8). Ein neu einzurichtender Kreativraum für die Stadtverwaltung wird als Verwaltungslabor vom The Open Government Institute konzipiert und begleitet. Das Verwaltungslabor wird den Mitarbeitern der Ulmer Stadtverwaltung als eigener Raum für Innovation und Umordnung zur Verfügung stehen. Aus dem Labor heraus sollen zwölf neue Themenfelder dauerhaft in der Stadt etabliert werden. Derzeit werden lohnenswerte Themen identifiziert, anschließend wissenschaftliche Impulse gegeben und neue Erkenntnisse evaluiert.
Zur Verbreitung all dieser Aktivitäten wird ein Schaufenster der Digitalisierung mit vorbildhaften Lösungen aus Ulm zu Sensoren, Aktoren, LoRaWAN, The Things Network und Prototypen in einem eigenen Schauraum vorgestellt. Am Münsterplatz 25 wird im Januar und Februar 2020 ein innovativer Veranstaltungsraum und Erlebnisraum für die interessierte Bürgerschaft und sonstige Öffentlichkeit eingerichtet.
4.4.
Datenethikrichtlinie ^
Im Rahmen des Vorhabens Zukunftsstadt Ulm gilt es auch ein Datenethikkonzept vorzulegen. Nach reiflicher Reflektion ist zwischen der Begleitforschung und der Stadt Ulm vereinbart worden, auf Basis der Smart City Charta der Stadt Eindhoven (2017), den ethischen Leitplanken für die Entwicklung Darmstadts zur Digitalstadt (2019) und dem Gutachten der Datenethikkommission der Bundesregierung (2019) einen ersten Aufschlag (Lübbert/von Lucke 2019) vorzulegen. Bestandteile dieses Impulses sind Vorgaben zur Privatsphäre, zu Open Data, zur Datenweitergabe, zur Datensouveränität, zur demokratischen Kontrolle, zur Transparenz, zur IT-Sicherheit, zur Gemeinwohlverpflichtung, Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung und zur Evaluierung. 2020 wird der Entwurf mit der Stadtverwaltung, den Bürgern und dem Gemeinderat diskutiert, um auch deren Feedback, Erwartungen und Impulse mit einzubinden. Erst dann soll eine Datenethikrichtlinie der Stadt Ulm vom Gemeinderat beschlossen werden.
4.5.
IoT-Datenplattform ^
In dem vom Land Baden-Württemberg geförderten Vorhaben Zukunftskommune@bw soll unter anderem eine IoT-Datenplattform als zentrale Infrastruktur für einen urbanen Datenraum aufgebaut werden, die bei der Erfassung, Aufbereitung und Nutzung der von den Sensoren generierten smarten Daten helfen soll. Diese offen konzipierte Plattform soll ab 2020 den «Ulmer Urbanen Datenraum» erschließen, ein digitales urbanes Ökosystem für alle Reallabore schaffen, zur Vernetzung mit Bürgern und Wirtschaft beitragen und nutzergenerierte Innovationen beflügeln. All dies soll zu einer verstärkten Nutzung von urbanen Daten, einem technisch abgesicherten Datenschutz, verbesserter Datenqualität, Interoperabilität und zur Normung der urbanen Datenbestände beitragen. Parallel wird mit den Bürgern und dem Datenschutzbeauftragten zu diskutieren sein, welche Grenzen bei Datenerfassung und Datenverwertung zu setzen sind.
5.
Fazit: Zukunftsstadt Ulm als Vorreiter ^
Die Stadt Ulm konnte sich mit ihren Bürgern über den Wettbewerb Zukunftsstadt ein eigenes Profil für Digitalisierung und Nachhaltigkeit erarbeiten. Nun gilt es mit der dritten Phase der Zukunftsstadt Ulm 2030 sowie der Zukunftskommune@bw und der Smart City Ulm nachzuweisen, dass die Umsetzung von Visionen und Plänen weder die Stadt noch die Stadtverwaltung und erst recht nicht die Stadtgesellschaft überfordert, sondern neue Handlungsspielräume ermöglicht, die Lebensqualität in der Region verbessert und neue Arbeitsplätze schafft. Erfolgsentscheidend in Ulm sind eine fundierte Kenntnis der Potentiale der Stadt, der Aufbau nachhaltiger Strukturen für Zivilgesellschaft und Zusammenarbeit sowie eine mutige Führung in der Verwaltung. Verantwortungsbewusste Digitalisierung bedeutet von Anfang an die Bürger bewusst in die Entwicklung einzubinden und deren Impulse auch in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Städte, die dies in der Vergangenheit nicht angemessen getan haben, müssen mit größeren Widerständen und einem Scheitern rechnen. Letztendlich sind es eben die Bürger vor Ort, die dauerhaft mit den Folgen der Digitalisierung zu leben haben.
6.
Literatur ^
Datenethikkommission: Gutachten der Datenethikkommission der Bundesregierung, BMI/BMJ, Berlin 2019.
Etscheid, Jan/von Lucke, Jörn/Meigel, Sabine, Wettbewerb Zukunftsstadt Ulm – Pläne für 2030+ – Abschlussbericht der zweiten Phase mit den Ergebnissen der Begleitforschung, Stadt Ulm und The Open Government Institute, Ulm und Friedrichshafen 2018.
Kress, Nele., Rethinking Smart Cities – An Empirical Study of the Urban Laboratory «Verschwörhaus» in Ulm (Germany) and its Potentials for a Community-driven Smart Transition, Masterthesis, Universität Leipzig, Leipzig 2019.
von Lucke, Jörn, Internet-Trends bringen neue Fragestellungen für die Rechts- und Verwaltungsinformatik, in: IRIS 2017 Tagungsband, Band 326, Wien 2017, S. 225–232.
von Lucke, Jörn/Geiger, Christian, Schlussbericht Zukunftsstadt Ulm Vision 2030, Stadt Ulm und The Open Government Institute, Ulm und Friedrichshafen 2016.
Lübbert, Leonie und von Lucke, Jörn, Vorschlag für ein Datenethikkonzept, The Open Government Institute, Zeppelin Universität, Friedrichshafen 2019.
Raffl, Celina/Geiger, Christian, Web 2.0 in der Stadt Ulm – Ergebnisse der Begleitforschung, The Open Government Institute, Friedrichshafen 2013.
Stadt Darmstadt, Ethische Leitplanken für die Entwicklung Darmstadts zur Digitalstadt, Darmstadt 2019.
Stadt Eindhoven, Smart Society Charter-IoT Architecture principles & guidelines, Eindhoven 2017.
Stadt Ulm, Wettbewerb Zukunftsstadt Vision 2030+, Urbane Reallabore (3. Phase), Stadt Ulm 2018.