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Responsible Governance – Ein Metamodell zur Gestaltung von Steuerungsmechanismen für die digitale Transformation von dezentralen öffentlichen Organisationen

  • Authors: Gert Lefèvre / Philipp Martin / Petra Steffens / Johannes Wolf
  • Category of articles: E-Government
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2020
  • DOI: 10.38023/5e17c6f5-6dae-48e7-8bfa-80ccb3b75c82
  • Citation: Gert Lefèvre / Philipp Martin / Petra Steffens / Johannes Wolf, Responsible Governance – Ein Metamodell zur Gestaltung von Steuerungsmechanismen für die digitale Transformation von dezentralen öffentlichen Organisationen, in: Jusletter IT 27 Mai 2020
Es wird ein Lösungsansatz zur Gestaltung von Governance für dezentrale öffentliche Organisationen auf Basis eines Metamodells beschrieben. Das Metamodell bietet eine Handreichung zur Ausgestaltung der Governance. Es wird anhand der Realisierung des bundesdeutschen Onlinezugangsgesetzes auf Basis einer «OZG-Umsetzungsfabrik» und anhand der Digitalisierung einer Kreisverwaltung und der Gestaltung digitaler Lösungen für die kreisangehörigen Gemeinden illustriert.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Vision
  • 3. Mission
  • 4. Motivation
  • 5. Handlungsfeld «Responsible Governance»
  • 6. Metamodell zur Ausgestaltung von Governance-Konzepten
  • 7. Anwendungsbeispiel 1: OZG-Umsetzungsfabrik
  • 8. Anwendungsbeispiel 2: Die Digitalisierung einer Kreisverwaltung – gelebte Praxis in Landkreis Bergstraße
  • 9. Zusammenfassung

1.

Einführung ^

[1]

Dezentrale öffentliche Organisationen finden sich sowohl im Bereich staatlicher Verwaltung, z.B. im Falle von Landes- oder Kreisverwaltungen1, als auch in anderen Bereichen staatlicher Aufgabenerfüllung, hier insbesondere im Bereich der Selbstverwaltung, wie im Falle von Sozialversicherungsträgern (z.B. Berufsgenossenschaften) oder berufsständischen Vereinigungen (z.B. Kammern). Während die Modernisierung von Verwaltungsleistungen bereits Einzelorganisationen vor große Herausforderungen stellt, potenziert sich diese Komplexität im Falle dezentraler Organisationen. Dies erfordert die Schaffung von Prozessen und Strukturen zur Beherrschung der organisatorischen Komplexität und zur flexiblen und wirtschaftlichen Realisierung digitaler Lösungen.

[2]

In diesem Papier wird ein Lösungsansatz für die Entwicklung einer Governance für dezentrale öffentliche Organisationen beschrieben. Der Lösungsansatz basiert auf einem Metamodell, das den verschiedenen Maßgaben Rechnung trägt, die der digitalen Transformation einer Gesamtorganisation zu Grunde liegen. Das Metamodell bietet eine Handreichung für Entscheider, die vor der Herausforderung stehen, die Governance für ihre Organisation auszugestalten.

2.

Vision ^

[3]

Damit eine verantwortungsbewusste Transformation für dezentrale öffentliche Organisationen gelingt, muss sie sich an einer übergeordneten Vision orientieren, die die an der digitalen Transformation beteiligten Menschen klar in den Fokus rückt. Die Vision bietet der Gesamtorganisation ein gemeinsames Zielbild, das einerseits als Richtschnur und andererseits als Kommunikationswerkzeug fungiert. Dieses Zielbild soll die einzelnen autonomen Organisationseinheiten dazu motivieren, die gemeinsamen Kräfte zu bündeln, die für die digitale Transformation der Gesamtorganisation benötigt werden; gleichzeitig soll es einen ersten Handlungsrahmen abstecken, d. h. einen Korridor an Werten und Handlungsoptionen definieren, innerhalb dessen die gemeinsame Transformation stattfindet. Beispiel einer Vision für digitale Leistungserbringung in föderierten verteilten (öffentlichen) Organisationen ist das Zukunftsbild einer modernen Verwaltung, das sich im E-Government-Aktionsplan 2016–2020 der EU findet. So heißt es darin:

Die Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen in der Europäischen Union sollten bis 2020 offene, effiziente und inklusive Einrichtungen werden, die grenzübergreifende, personalisierte, nutzerfreundliche und – über alle Abläufe hinweg – vollständig digitale öffentliche Dienste für alle Menschen und Unternehmen in der EU anbieten. Die Innovationspotentiale des digitalen Umfelds sollten dabei ausgeschöpft werden, um die Interaktion mit einzelnen Interessengruppen und anderen öffentlichen Einrichtungen zu erleichtern.2

3.

Mission ^

[4]

Zur Realisierung der Vision bedarf es strategischer Einzelziele, die den Handlungsrahmen der Vision weiter konkretisieren und eine Überführung in Programm- und Projektstrukturen erlauben. Beispiele dafür sind im Kontext des E-Government-Aktionsplan der EU das Prinzip «digital by default», das im Kern besagt, dass öffentliche Verwaltungen ihre Dienstleistungen vorzugsweise digital erbringen, oder die Realisierung des «once only principle», das im Kern besagt, dass Personen und Unternehmen der öffentlichen Verwaltung dieselben Informationen nur einmal übermitteln.3

4.

Motivation ^

[5]

Motiviert werden die Ziele durch existierende Schwachstellen, die der digitalen Transformation im Wege stehen. Dabei lassen sich viele der Hindernisse auf drei Problemklassen zurückführen:

  • Prozessvielfalt. Häufig werden Prozesse mit gleicher Zielsetzung in den Einzelorganisationen auf verschiedene Art durchgeführt. Infolge dieser Prozessheterogenität sind übergreifende Geschäftsprozesse und Kooperationsmodelle für die Gesamtorganisation, z.B. realisiert durch Shared Services, nur schwer realisierbar.
  • Heterogene IT-Landschaften. Oftmals finden sich in den dezentralen Einheiten historisch gewachsene IT-Infrastrukturen und Insellösungen, die zueinander nicht interoperabel sind und unterschiedliche Qualitätsniveaus aufweisen.
  • Unterschiedliche Arbeitskulturen und organisatorische Voraussetzungen. In den Einzelorganisationen finden sich häufig unterschiedliche Wissensstände der Mitarbeiter, unterschiedliche Entscheidungs- und Umsetzungsgeschwindigkeiten oder unterschiedliche Arten der Mitarbeiterführung. Bei den Anspruchsgruppen, die von der Gesamtorganisation ein einheitliches Service-Niveau erwarten, führt dies zu Unverständnis.
[6]

Neben den offensichtlichen technischen Herausforderungen, wie bspw. inkompatible Schnittstellen und Datenmodelle, stehen der digitalen Transformation dezentraler öffentlicher Organisationen demnach vor allem Schwachstellen im Bereich der Organisation und Steuerung entgegen. Die Schaffung eines strukturellen Rahmens für die Ausgestaltung von Führung, von Aufbauorganisation und von Prozessen zur Unterstützung und Realisierung der übergeordneten Vision ist die Aufgabe von Governance.

5.

Handlungsfeld «Responsible Governance» ^

[7]

Eine «Responsible Governance» mit dem Ziel der digitalen Transformation dezentraler öffentlicher Organisationen hin zu einer verantwortungsbewussten digitalen Gesamtorganisation adressiert technische, organisatorische und mitarbeiterbezogene Aspekte ganzheitlich. Dies erfordert neue Governance-Konzepte, die Partizipation, Konsensbildung und klare Aufgabenteilung ermöglichen, um der Komplexität der unterschiedlichen Einflussfaktoren und Stakeholder-Bedarfe gerecht zu werden.

[8]

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um den steigenden Anforderungen an Wirtschaftlichkeit, Umsetzungsgeschwindigkeit und Qualität digitaler Leistungserbringung gerecht zu werden, ist eine stärkere organisatorische und technologische Konvergenz zwischen den dezentralen Einheiten der Gesamtorganisation. Dies erfordert von den dezentralen Einheiten ein neues Selbstverständnis als virtuelle Gesamtorganisation, das Aufbrechen alter gedanklicher Silos, sowie ein einheitliches Bewusstsein für die organisationsübergreifenden Herausforderungen auf Basis übergreifender Kommunikation in der Gesamtorganisation.

[9]

Die verantwortungsbewusste Digitalisierung zeigt sich hier in Transformationsprozessen, die die bestehende Governance einer gewachsenen Organisation nicht als untauglich abstempelt und zu ersetzen versucht, sondern im Gegenteil maßvoll und, den Bedürfnissen der beteiligten Menschen Rechnung tragend, schrittweise neue Konzepte und Ideen umsetzt.

6.

Metamodell zur Ausgestaltung von Governance-Konzepten ^

[10]

Um für eine Gesamtorganisation neue Governance-Konzepte zu entwickeln und diese mit bestehenden Strukturen zu vereinbaren, muss eine Abstraktionsebene gefunden werden, die es erlaubt, die Komplexität der digitalen Transformation soweit zu reduzieren, dass Handlungsbedarfe und Implikationen leicht an alle Stakeholder kommuniziert werden können. Der in diesem Papier vorgestellte Lösungsansatz versucht, diese generischen Anforderungen in einem Metamodell abzubilden, welches zur Ausgestaltung von konkreten Governance-Konzepten herangezogen werden kann.

[11]

Das Metamodell geht von einem abstrakten Transformationsprozess aus, der die wichtigsten Aufgabenbereiche der digitalen Transformation abbildet. Den Aufgabenbereichen werden Stakeholder und Umfelder zugeordnet, aus denen sich typischerweise konkrete Anforderungen an die Gestaltung der digitalen Leistungserbringung ergeben. Aus diesen Anforderungsclustern werden virtuelle Funktionseinheiten abgeleitet, die eine Verortung von Verantwortlichkeiten im Transformationsprozess ermöglichen. Die Verortung konkreter Aufgaben und Verantwortlichkeiten unterstützt maßgeblich die Ausgestaltung konkreter Governance-Konzepte und der dazu notwenigen Instrumente.

[12]

Das Metamodell adressiert möglichst universell die typischen Schwachstellen und Herausforderungen bei der digitalen Transformation von dezentralen öffentlichen Organisationen. Es fokussiert auf eine Konvergenz zwischen den dezentralen Einheiten und bietet einen Ansatz, um bestehende Mechanismen zu integrieren, Lücken zu identifizieren und die eigenen Governance-Konzepte entsprechend der organisationsspezifischen Anforderungen weiterzuentwickeln. Eine einfache visuelle Darstellung des Metamodells unterstützt die Kommunizierbarkeit dieses komplexen Themas (s. Abbildung 1).

 

 

Abbildung 1: Metamodell der «Responsible Governance»

[13]

Das Metamodell umfasst die vier Ebenen Transformationsprozess, Stakeholder und Umfeld, generische Funktionseinheiten und Governance-Instrumente. Die Gesamtheit der Modellelemente bietet einen konzeptionellen Rahmen für alle organisatorischen Strukturen und Maßnahmen, sowie für alle technischen Konzepte und Vorgaben, um die Vision moderner Leistungserbringungsprozesse und die damit verbundenen Ziele in einer dezentralen öffentlichen Organisation zu realisieren.

[14]

Der im Metamodell dargestellte Transformationsprozess umfasst typische Aufgaben der digitalen Transformation. Er soll als abstrakte Blaupause verstanden werden, die für die individuellen Anwendungsfälle entsprechend ergänzt und angepasst werden kann.

 

Aufgabe Aufgabenbeschreibung
Gesetzesmonitoring Der rechtliche Raum ist kontinuierlich zu beobachten und die sich daraus ergebenden organisatorischen und technischen Anforderungen in den Transformationsprozess einzuspeisen.
eGovernment Impulse, die sich aus dem Anspruch und der Umsetzung einer organisationsweiten Digitalisierung ergeben, sind an Politik und Verwaltung zurückzuspiegeln.
Innovations-Management Innovationstreiber, z.B. bedingt durch neue Entwicklungsparadigmen wie DevOps, sind zu identifizieren, zu prüfen und möglichst schnell und iterativ umsetzen (z.B. im ersten Schritt im Testbetrieb in Modernisierungswerkstätten).
Harmonisierung Methodische Ansätze zur Harmonisierung von Prozessen und Leistungen sind organisationsspezifisch zu definieren, Möglichkeiten zur Partizipation und Konsensbildung zu etablieren und auf dieser Basis die Konvergenz von Fachprozessen und IT voranzutreiben.
Kooperationen Möglichkeiten zur Kooperation zwischen den dezentralen Einheiten sind zu identifizieren und geeignete Formate festzulegen (z.B. Shared Services).
Beschaffung Beschaffungsaktivitäten sind unter maximaler Nutzung von Synergiepotenzialen und unter gezieltem Einsatz von Rahmenverträgen strategisch für die Gesamtorganisation auszulegen.
PMO Einzelprojekte sind, insbesondere unter Berücksichtigung kritischer Akzeptanzfaktoren der Einzelorganisationen, zu unterstützen und zu steuern.
Qualitätssicherung Nach Aufgreifen von Transformationsimpulsen muss für alle nachfolgenden Schritte im Transformationsprozess eine Qualitätssicherung auf Grundlage von organisationsweiten Standards erfolgen.
Lifecycle Management Ebenso ist ein Lifecycle Management zu etablieren, das Entstehung, erforderliche Anpassungen und Ablösung von Digitallösungen systematisch und vorausschauend über alle Prozessschritte hinweg steuert.
Reifegradanalyse Im Rahmen der Reifegradanalyse sind Bestands- und andere Lösungen, die für Digitalisierungsvorhaben eingesetzt werden sollen, auf Grundlage organisationsweiter Standards (z.B. Schnittstellenfestlegungen) zu prüfen, um so Investitionssicherheit zu gewährleisten.
Bereitstellung Fertige IT-Lösungen werden nach definierten Abläufen in den Betrieb überführt.
Betrieb Der Betrieb von IT-Lösungen erfolgt je nach organisationsspezifischen Maßgaben, z.B. in einer Private Cloud.

 

Tabelle 1: Aufgaben im Transformationsprozess

[15]

In den einzelnen Prozessabschnitten nehmen Stakeholder direkt Einfluss auf die beschriebenen Aufgaben. Die wichtigsten Stakeholder sind die dezentralen Organisationseinheiten (OEs), die Synergien nutzen möchten, sowie die verschiedenen Anspruchsgruppen, die öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen. Weitere wichtige Stakeholder sind IT-Hersteller und Dienstleister, mit denen ggf. strategische Partnerschaften bestehen. Daneben gibt es noch mindestens vier zusätzliche Akteursgruppen bzw. Umfelder und Anforderungsquellen:

  • Politik und Verwaltung: der Gesetzgeber mit zu erfüllenden rechtlichen Vorgaben
  • Modernisierungsthemen: technologische Trends und Digitalisierungsthemen im Public Sector
  • Produkte und Reifegrade: die bereits eingesetzten IT-Produkte und ihre Einhaltung vorgegebener Qualitätskriterien
  • IT-Infrastruktur: die vorhandene IT-Infrastruktur mit ihren Basiskomponenten und Betriebsplattformen
[16]

Zur Aussteuerung der Stakeholder und Umfelder und zur Wahrnehmung der Aufgaben im Transformationsprozess können eine Reihe von Funktionseinheiten abstrakt beschrieben werden.

 

Funktionseinheit Aufgabenbeschreibung
eGov Office Verantwortet Compliance und Positionierung, stellt in der Organisation Transparenz bzgl. der gesetzlichen Anforderungen und deren Fristen her und sichert die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen.
InnoHubs Betreiben systematisches Technologie-Scouting und tragen Digitalisierungsimpulse in die Gesamtorganisation. Setzen sich als «Centers of Excellence» (CoE) für schnelle Lösungen aus dem Labor ein und evaluieren und pilotieren in Modernisierungswerkstätten neue Trends.
Demand Group Steuert die Harmonisierung von Prozessen und Digitalisierungsprodukten. Berät bei Geschäftsentscheidungen aus technologischer Perspektive, speist Digitalisierungsimpulse in die Organisationsstrategie ein und konsolidiert die Anforderungen der beteiligten dezentralen Organisationseinheiten.
Digitalagentur Sichert einen einheitlichen Qualitätsstandard in der Projektdurchführung, legt allgemeingültigen Entwicklungsrahmen und -richtlinien fest und steuert auf dieser Grundlage die besten am Markt verfügbaren Dienstleister und Hersteller aus.
Prüfstelle Im Sinne einer «Zulassungsstelle» prüft sie IT-Lösungen, bevor sie zum Einsatz kommen. Sie fungiert als Informationsinstanz und Berater für die dezentralen Organisationseinheiten bzgl. der Nutzung von Produkten und der Einhaltung vorgegebener Standards und Leitlinien.
Betriebs-Center Fungiert als einheitlicher Ansprechpartner für alle Betriebsfragen, stellt den reibungslosen Betriebsablauf sicher und macht Vorgaben für den sicheren Betrieb von Anwendungen und Basiskomponenten.

 

Tabelle 2: Generische Funktionseinheiten zur Wahrnehmung der Transformationsaufgaben

[17]

Zur Unterstützung der generischen Funktionseinheiten existieren eine Vielzahl verschiedener Governance-Instrumente. Diese lassen sich grob in vier Bereiche unterteilen.

 

Instrument Beschreibung
Gremien und Arbeitsgruppen Gremien sind zuständig für Entscheidungsfindung und Beschlüsse; Arbeitsgruppen übernehmen die inhaltliche Erarbeitung von Entscheidungsvorlagen. Bestimmte Rollen werden benötigt, um zentrale Aufgaben zu übernehmen, bspw. CIO, Unternehmensarchitekt, Lösungsarchitekt, etc.
Steuerungs- und Entwicklungs-prozesse Wichtige Abläufe im Rahmen der Governance sind als Prozesse zu definieren, wie z.B. die Bewertung und Priorisierung von Digitalisierungsvorhaben oder die Zertifizierung von Software-Systemen.
Standards und Leilinien Standards und Leilinien umfassen die Vorgaben, nach denen Lösungen zu gestalten und zu realisieren sind. Dabei muss immer zwischen dem Raum für Individualentwicklungen einerseits und der Kompatibilität zu gesetzten Vorgaben anderseits abgewogen werden. Hilfreich sind in diesem Zusammenhang organisationsweit abgestimmte Rahmenkonstrukte, wie bspw. eine IT-Referenzarchitektur, ein IT-Sicherheitskonzept, etc.
Werkzeuge und IT-Unterstützung IT-Werkzeuge ermöglichen die effiziente Umsetzung der Governance durch Funktionen zur niederschwelligen Kollaboration und zur Herstellung von Transparenz zwischen allen beteiligten Einheiten. Geeignete IT-Plattformen unterstützen die Verzahnung des Innovationsprozesses mit einem Wissensmanagement, einem gemeinsamen Anforderungsmanagement, etc.

 

Tabelle 3: Governance-Instrumente

[18]

Das Governance-Metamodell umfasst die notwendigen technischen, organisatorischen und regulatorischen Elemente, um die Transformation einer dezentralen öffentlichen Organisation ganzheitlich zu betrachten. Dabei besteht die Herausforderung für die Transformationsmechanismen darin, die richtige Balance zu finden zwischen zentraler Steuerung und dezentraler Flexibilität und der damit verbundenen Geschwindigkeit. Insbesondere sind die Forderungen nach Transparenz einerseits und Flexibilität und Geschwindigkeit andererseits in Einklang zu bringen.

[19]

Das Metamodell dient dabei als Blaupause und ist je nach konkreten Zielsetzungen und Schwerpunkten der Digitalisierung und je nach Rahmenbedingungen der dezentralen Organisation und ihrer autonomen Einheiten anzupassen und zu ergänzen. Ein solchermaßen zugeschnittenes Modell bildet dann die Grundlage, auf der eine Organisation, ihre Innovationsprozesse gestalten, Rollen und Aufgaben definieren, Elemente der behördeninternen Aufbau- und Ablaufstruktur anpassen, Gremien- und Entscheidungsstrukturen etablieren und technische Werkzeuge bereitstellen kann.

[20]

Im Folgenden soll der bedarfsgerechte Zuschnitt des Metamodells und sein Einsatz anhand von zwei Anwendungsfällen beispielhaft illustriert werden: zum einen anhand der Realisierung des bundesdeutschen Onlinezugangsgesetzes4 auf Basis einer «OZG-Umsetzungsfabrik»; zum anderen anhand der Digitalisierung einer Kreisverwaltung und der synergetischen Gestaltung digitaler Lösungen für die kreisangehörigen Gemeinden. Es wird gezeigt, wie das Metamodell in der Praxis zur Gestaltung von Governance-Konzepten für eine konvergente Transformation von dezentralen öffentlichen Organisationen eingesetzt werden kann.

7.

Anwendungsbeispiel 1: OZG-Umsetzungsfabrik ^

[21]

Grundlage dieses fiktiven Anwendungsbeispiels für das Metamodell ist die OZG-Umsetzung des Leistungskatalogs einer halböffentlichen Organisation mit hoheitlichen Aufgaben. Das Ziel ist es, das bestehende Leistungsportfolio der Organisation auf den «Prüfstand» zu stellen und durch entsprechende IT-Unterstützung zu modernisieren. Dabei gilt es, mögliche Synergien zu realisieren, um wirtschaftliche und nutzerorientierte Angebote zu entwickeln. Zu Beginn des Vorhabens steht ein recht umfangreiches Leistungsportfolio, aber kein Paket einheitlicher Standards in der Leistungserbringung. Es existiert kein effizientes Innovationsmanagement um die Leistungserbringung kontinuierlich zu optimieren. Dazu kommt eine dezentrale Organisationsstruktur ohne übergreifende, durchsetzungsfähige Governance, so dass sich in den autonomen Organisationseinheiten kaum einheitliche Standards etablieren lassen. Eine geringe Nutzer-Akzeptanz (Erwartungen) und neue rechtliche Rahmenbedingungen (Dringlichkeit) wie eben das OZG erhöhen den Handlungsdruck enorm.

[22]

Die Aufgaben im Zusammenhang mit der Digitalisierung ganzer Leistungsportfolios lassen sich nur als Gesamtorganisation bewältigen. Die Realisierungs- und Lebenszykluskosten redundanter Insellösungen sind schlichtweg zu hoch. Gemeinsame Lösungen benötigen aber gemeinsame Standards wie bspw. eine übergreifende Governance für Portfoliosteuerung und Produktmanagement. Daher rührt der Gedanke einer Umsetzungsfabrik. Diese soll möglichst viele der sich wiederholenden Aufgabenstellungen im Transformationsprozess als wiederverwendbare Standards etablieren.

[23]

Das Governance-Metamodell kann bei dieser komplexen Aufgabe helfen, den Problemraum einzugrenzen und mögliche Lösungsräume zu identifizieren. Für die Gestaltung der Governance für die OZG-Umsetzungsfabrik muss das Metamodell zunächst «getailored», d. h. für den konkreten Anwendungsfall angepasst werden. Für die OZG-konforme Gestaltung einer einzelnen Verwaltungsleistung wird ein fünfstufiger Prozess zu Grunde gelegt. Die fünf wesentlichen Prozessschritte werden, wie in Abbildung 2 gezeigt, im Modell verortet.

 

 

Abbildung 2: Anwendungsbeispiel OZG-Umsetzungsfabrik

[24]

Für jede der Modellebenen lassen sich nun eine Reihe spezifischer Fragen ableiten, deren Antworten wichtige Impulse für die Ausgestaltung der mit den einzelnen Prozessschritten verbundenen Governance bieten. Die folgende Tabelle zeigt eine Auswahl wichtiger Fragestellungen.

 

Modellebene Wichtige Fragestellungen
Stakeholder und Umfeld Welche Stakeholder sind zu beteiligen und auszusteuern?Welche Anforderungen ergeben sich aus dem Umfeld?
Funktionseinheiten Welche Funktionseinheiten verantworten die Gestaltung des Prozessschritts?Welche Funktionseinheiten verantworten die Steuerung des Prozessschritts?Welche Schnittstellen zwischen den Funktionseinheiten sind zu definieren?Wie sollten die Funktionseinheiten ausgestaltet werden?
Governance-Instrumente Welche Arbeitsgruppen werden zur Erfüllung der Aufgabe benötigt?Welche Gremien werden zur Entscheidungsfindung und Legitimation benötigt?Welche existierenden Arbeitsgruppen und Gremien passen dazu? Wie müssen sich diese ggf. verändern?Welche Prozesse sind zur Erfüllung der Aufgabe zu definieren?Welche Standards und Leitlinien werden benötigt?Welche IT-Unterstützung wird zur Erfüllung der Aufgabe benötigt?

 

Tabelle 4: Ausgewählte Fragestellungen für die Anpassung des Metamodells

[25]

Durch die Beantwortung der Fragen lassen sich Lösungsräume eröffnen, Lösungsalternativen aufzeigen und zur Diskussion stellen und so insgesamt Transparenz im Transformationsprozess herstellen. Über die verschiedenen Ebenen können technische, organisatorische und mitarbeiterbezogene Aspekte ganzheitlich adressiert werden. Das Metamodell unterstützt somit die Entwicklung einer «Responsible Governance» als Basis der OZG-Umsetzungsfabrik.

8.

Anwendungsbeispiel 2: Die Digitalisierung einer Kreisverwaltung – gelebte Praxis in Landkreis Bergstraße ^

[26]

In der vorhandenen funktional geprägten Aufbaustruktur war die Kreisverwaltung von Kreis Bergstraße (Hessen, Deutschland) nicht in der Lage, sich den übergreifenden Herausforderungen der Verwaltungsdigitalisierung zu stellen. Sowohl die Komplexität als auch die Notwendigkeit, vorhandene Prozesse nicht einfach nur zu optimieren, sondern diese auch grundlegend zu reorganisieren, also diese geradezu neu «digital» zu denken, war nur mit einem aufbauorganisatorischen Schachzug zu bewerkstelligen. «Moderne Verwaltung» als Begriff für eine neu eingerichtete Zentralabteilung erschien als Begriff abstrakt genug, um Zuständigkeitsabgrenzung in dezentralen Silos zu überwinden.

[27]

Im Sinn des in diesem Papier vorgestellten Governance-Metamodells wurden dabei die Aufgaben eines «eGov Office» in einer zentralen Einheit angesiedelt. Diese gibt den Anschub für digitale Innovationen und unterstützt durchgängig die fachliche Umsetzung. Auf diese Weise kann die Umsetzung der Digitalisierungsstrategie (erarbeitet in zwei Strategieworkshops mit der obersten Führungsebene) unmittelbar, übergreifend und nachhaltig gestaltet und realisiert werden. Mit der Bündelung von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz für die digitale Transformation realisiert die Abteilung «Moderne Verwaltung» das organisatorische Kongruenzprinzip. Mit der Ansiedlung der Rollen CDO und CIO nimmt die Abteilung im Vergleich zu dem im Metamodell skizzierten eGov Office jedoch eine weitreichendere Rolle wahr und wird ggü. der tradierten Aufbauorganisation deutlich aufgewertet. Durch die Nähe zur Behördenleitung wird ein Höchstmaß an Handlungssicherheit und zugleich deutlich mehr Agilität bei der Anpassung der Digitalisierungsstrategie und den damit korrespondierenden Maßnahmen erreicht.

[28]

Die fachlichen Amtsleitungen bleiben bei der Zentralisierung von Transformationsaufgaben verantwortlich für ihre Fachprozesse und deren Digitalisierung. Sie wirken in einem operativen Steuerungsteam mit, das im Sinne des Metamodells die Aufgaben der Demand Group wahrnimmt: Es bündelt Bedarfe, identifiziert Potentiale für gemeinschaftliche Entwicklungen und verfügt über das notwendige Methodenwissen, um den Transferprozess systematisch zu koordinieren.

[29]

Die Pläne und die innerbehördlichen Vereinbarungen zur Digitalisierung sind in einem Masterplan und in einer Roadmap dokumentiert5. Das strategische Monitoring und behördenweite Entscheidungen erfolgen durch das Strategische Steuerungsteam (Behördenleitung plus oberster innerer Führungskreis). Dieses Konstrukt sichert einen optimalen Transfer zwischen der Ebene der Steuerungsprozesse, der fachlichen Leistungserstellungsprozesse und den Digitalisierungsmaßnahmen. Im Sinne einer «Digitalagentur» wurde ein Project Management Office (PMO) eingerichtet. Dort stehen speziell dafür ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung, die sich verschiedener Governance-Instrumente bedienen. Das PMO wendet Methoden des Projektprogramm-Managements, des Multiprojektmanagements und des Prozessmanagements an; zur Standardisierung des Vorgehens wurden 70 Muster für wiederkehrende Arbeitsschritte im Digitalisierungsprozess bereitgestellt. Dieser Musterkatalog ist Teil einer Modernisierungsvereinbarung zwischen der Behördenleitung und der Beschäftigtenvertretung.

[30]

Ein weiteres Governance-Instrument stellt die Zielarchitektur dar, die Facherfahren, Dienste für eGovernment und Betriebsinfrastrukturen systematisch clustert und ein flexibles Rahmenwerk für vernetzte Lösungen bietet.

[31]

Die in Kreis Bergstraße realisierten Governance-Elemente ermöglichen die Realisierung eines kontinuierlichen Innovationsprozesses. Zum einen fungiert die neu geschaffene Organisationseinheit «Moderne Verwaltung» als eGov Office und Impulsgeber für neue Innovationschancen; für die Zukunft ist geplant, sie um einen InnoHub zu erweitern und somit Digital Natives als Ideengeber zu gewinnen. Zum anderen wurde als zentrales Governance-Instrument ein agiler Strategieprozess implementiert, der regelmäßig die Umsetzung der strategischen Ziele evaluiert und diese an aktuelle Rahmenbedingungen anpasst6.

[32]

Die am Metamodell angelehnten Governance-Strukturen wurden erfolgreich in Projekten zur behördeninternen Digitalisierung eingesetzt, z.B. für die Fallbearbeitung in der Arbeitsagentur. Erste Projekte einer interkommunalen Zusammenarbeit wurden für die gemeinsame Nutzung von Geodateninfrastrukturen (GDI Südhessen) und zur Umsetzung der INSPIRE-Richtlinie7 initiiert.

[33]

Durch eine am Metamodell orientierten Transformationsstruktur und entsprechender Digitalisierungsprozesse wird in den Projekten innerbehördlich und interkommunal ein hoher digitaler Reifegrad erreicht.

9.

Zusammenfassung ^

[34]

In diesem Papier wurde der Ansatz einer Responsible Governance beschrieben, die darauf abzielt, die digitale Transformation dezentraler öffentlicher Organisationen als kontinuierlichen Innovationsprozess zu gestalten und zu implementieren. Vorgestellt wurde ein Governance-Metamodell, das als Blaupause für öffentliche Institutionen dienen kann, um Aufgabenbereiche und Governance-Prozesse, erforderliche Funktionseinheiten, und organisatorische sowie technische Governance-Instrumente zu definieren und zu realisieren.

[35]

Das Metamodell kann herangezogen werden, um Governance-Modelle mit bspw. folgenden Schwerpunkten zu erarbeiten:

  • Bestimmung des organisationsweiten und -übergreifenden künftigen digitalen Leistungsportfolios
  • Harmonisierung der Kernprozesse
  • Sicherstellung einer wirtschaftlichen Umsetzung von Projekten und Programmen durch systematische Nutzung von Wiederverwendungs- und Konsolidierungspotenzialen
  • Durchsetzung von Qualitätsmerkmalen digitaler Leistungen, z.B. Standards für IT-Sicherheit oder für User Experience Design
  • Verbindliche Festlegung von Architektur- und Entwicklungsparadigmen, z.B. Microservice-basierte Architekturen und agile Entwicklungsansätze (z.B. Scrum)
  • Durchsetzung von Betriebsmodellen, z.B. Entwicklung Cloud-geeigneter Komponenten
  • Etablierung organisationsweiter Rollen und Gremien, z.B. CDO und Anwendergremien zur Sicherstellung der Anwenderakzeptanz
[36]

Das Metamodell ist je nach konkreten Zielsetzungen und Schwerpunkten der Digitalisierung und je nach Rahmenbedingungen der dezentralen Organisation und ihrer autonomen Einheiten anzupassen und zu ergänzen. Ein solchermaßen zugeschnittenes Modell bildet dann die Grundlage, auf der eine Organisation ihre Innovationsprozesse gestalten, Rollen und Aufgaben definieren, Elemente der behördeninternen Aufbau- und Ablaufstruktur anpassen, Gremien- und Entscheidungsstrukturen etablieren und technische Werkzeuge bereitstellen kann.

[37]

Anhand zweier Fallbeispiele wurde die Anwendung des Metamodells illustriert: der «OZG-Umsetzungsfabrik» für die Digitalisierung aller Verwaltungsleistungen entsprechend dem Onlinezugangsgesetz und anhand der Digitalisierung der Kreisverwaltung von Kreis Bergstraße. Dabei wurde gezeigt, wie das Metamodell helfen kann, neue für den Transformationsprozess erforderliche Aufbau- und Ablaufstrukturen zu konzipieren, White Spots im Leistungs- und Digitalisierungsportfolie zu identifizieren und ein organisationsweites Verständnis für die Anforderungen und Ziele der Digitalisierung zu schaffen.

[38]

Das vorgestellte Governance-Metamodell stellt eine Abstraktion von Konzepten dar, die in verschiedenen praktischen Transformationsprojekten verteilter öffentlicher Organisationen entwickelt und angewendet wurden. Im Zuge der weiteren Ausarbeitung sollte das Modell im Lichte theoretischer Governance-Konzepte, wie sie insbesondere im Kontext agiler Entwicklung entstanden sind, reflektiert und speziell für Bereiche mit dezentraler Ressourcenverantwortung und unvollständig ausgeprägten zentralen Steuerungseinheiten bzw. Steuerungsbedarfen weiterentwickelt werden.

  1. 1 Der dezentrale Charakter einer öffentlichen Organisation kann sich sowohl in der Binnensicht, z.B. durch den Ämteraufbau, als auch im Zusammenspiel von Körperschaften, z.B. der einzelnen Gemeinden im Falle einer Kreisverwaltung, manifestieren.
  2. 2 EU-eGovernment-Aktionsplan 2016-2020. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52016DC0179. Abgerufen am 27. August 2019. S. 2.
  3. 3 Ebd., S. 3–4.
  4. 4 Gesetz zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz – OZG). Dieses besagt: «Die Interaktion zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Unternehmen mit der Verwaltung soll in Zukunft deutlich schneller, effizienter und nutzerfreundlicher werden.» (https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz-node.html. Abgerufen am 11. Dezember 2019).
  5. 5 Vgl. Lefèvre/Steffens/Wieland, Die digitale Transformation im Kreis Bergstraße. Der Landkreis 89 (2019), Nr.5 (266-267).
  6. 6 Vgl. Köhl/Lefèvre/Steffens/Wieland, Die digitale Transformation einer Kreisverwaltung: Erfahrungen aus dem Kreis Bergstraße. In: Schweighofer/Kummer/Saarenpää (Hrsg.) Internet of Things. Tagungsband des 22. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2019, Editions Weblaw & Erich Schweighofer, Bern 2019 (419-424).
  7. 7 Richtlinie 2007/2/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2007 zur Schaffung einer Geodateninfrastruktur in der Europäischen Gemeinschaft (INSPIRE) (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex:32007L0002. Abgerufen am 11. Dezember 2019).