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Einschätzungen aus der argentinischen Abgeordnetenkammer zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in Parlamenten

  • Authors: Jörn von Lucke / Fotios Fitsilis
  • Category of articles: E-Government
  • Region: Argentina
  • Field of law: E-Government
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2024
  • DOI: 10.38023/fc667c33-d9ed-47ad-bf33-14b1c16fa063
  • Citation: Jörn von Lucke / Fotios Fitsilis, Einschätzungen aus der argentinischen Abgeordnetenkammer zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in Parlamenten, in: Jusletter IT 15 February 2024
Parlamente analysieren derzeit, ob sich Technologien aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) zur Erledigung bestimmter parlamentarischer Aufgaben eignen. Mit Blick auf Werkzeuge, Anwendungsbereiche, Nutzungsszenarien und Bedürfnisse werden KI-getriebene Veränderungen in Parlamenten erwartet. Der Einsatz von KI im parlamentarischen Raum ist bisher jedoch noch wenig erforscht. Der Beitrag präsentiert empirische Belege für die künftige Nutzung von KI-basierten Werkzeugen und Diensten in einem nationalen Parlament. Die Daten wurden während eines Brainstormings im Jahr 2020 und eines virtuellen Workshops im argentinischen Parlament 2022 gesammelt. Die Analyse gibt Aufschluss über die praxisnahe Priorisierung von KI-basierten Technologien im parlamentarischen Umfeld. Im Rahmen der Studie wurden die Relevanz und die Priorität von 210 Anwendungen sowie Themen rund um KI-Technologien mit Blick auf den argentinischen Nationalkongress und seine Kammern untersucht.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Aktueller Stand der Literatur
  • 3. Forschungsansatz
  • 4. Ergebnisse des Brainstormings
  • 5. Bewertungsergebnisse des argentinischen Parlaments – Der argentinische Fall
  • 6. Diskussion: Ergebnisse, Beiträge und Kommentare
  • 1. Top 10 zu Relevanz von allen Vorschlägen
  • 2. Top 10 zu Priorität von allen Vorschlägen
  • 3. Top 3 zu Relevanz für jedes Cluster
  • 7. Zusammenfassung und Ausblick
  • Literatur

1.

Einführung ^

[1]

Die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und KI-gestützten Anwendungen zur Erfüllung parlamentarischer Aufgaben besitzen sowohl für Parlamente als auch für Abgeordnete einen gewissen Reiz. Immer leistungsfähigere, textgenerierende KI könnten helfen, Gesetzesentwürfe zu skizzieren und Gesetzestexte auf hohem Niveau und rechtskonform zu formulieren, allerdings verbunden mit zahlreichen Risiken und Nebenwirkungen. KI-basierte Anwendungen haben in ihrer ganzen Breite das Potenzial, verschiedene Aufgaben des parlamentarischen Alltags zu automatisieren, etwa durch das Erkennen von Mustern und Ereignissen, das Benachrichtigen relevanter Akteure, das Erstellen von Vorhersagen, das Empfehlen von Maßnahmen, das Erstellen von Prognosen, das Einleiten von Vorsichtsmaßnahmen und sogar das Treffen von Entscheidungen ohne menschliches Zutun. All dies könnte nahezu in Echtzeit geschehen [Etscheid/von Lucke/Stroh 2020, 11–12]. Dahinter steht jedoch weder eine einzelne Technologie noch eine Sammlung von Nischenanwendungen. Vielmehr werden heute zahlreiche Technologien der KI zugeordnet [Council of Europe 2021, 8–12; Stanford University 2021]. All diese Ansätze könnten Parlamentarier in unschätzbarem Maße unterstützen und sie in die Lage versetzen, schnell und effizient fundierte Entscheidungen zu treffen. Trotz all dieser Vorteile liegt die Entscheidung über den Einsatz von KI-Technologie für parlamentarische Aufgaben stets bei den Parlamenten selbst. Sie müssen die potenziellen Vorteile gegen die ethischen und rechtlichen Erwägungen eines KI-Einsatzes und die damit verbundenen Risiken bei jedem KI-basierten Werkzeug abwägen.

[2]

Die Mitarbeiter der argentinischen Abgeordnetenkammer haben mittlerweile begonnen, sich vertieft mit den durch KI ausgelösten Veränderungen und Anwendungsfeldern auseinanderzusetzen. Durch Vermittlung des Hellenischen OCR-Teams eröffnete sich für das argentinische Parlament eine Möglichkeit, an einer laufen den Studie zu KI-basierten Anwendungsfeldern in Parlamenten teilzunehmen und so wertvolle Anregungen für die eigenen Aktivitäten zu bekommen. Auf Basis einer Liste mit 210 Vorschlägen [von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2023] und eines darauf aufsetzenden Bewertungsworkshops konnte aus argentinischer Sicht ein erstes Stimmungsbild zum Einsatz von KI in Parlamenten gewonnen werden. Eine darauf aufsetzende Analyse gibt weitere Aufschlüsse über die Priorisierung von KI-basierten Technologien im Umfeld des Parlaments. Die Analyse kann zugleich als Grundlage für die Erstellung einer Roadmap für eine nutzerorientierte Entwicklung und Implementierung von KI-basierten Lösungen herangezogen werden. Dieser Beitrag trägt die Einschätzungen, Ergebnisse und Analysen aus der argentinischen Abgeordnetenkammer zum Einsatz von KI im August 2022 zusammen. Mit Blick auf die Republik Argentinien analysiert er die am höchsten relevanten und priorisierten Vorschläge. Damit beantwortet er die Forschungsfrage, auf welche Vorschlägen und Ansätzen zur Nutzung von KI der argentinische Nationalkongress seine künftigen KI-Aktivitäten ausrichten sollte.

2.

Aktueller Stand der Literatur ^

[3]

Der Einsatz von KI in Parlamenten wird global betrachtet immer wichtiger. Die ersten aus den wenigen vorliegenden Vorstudien [Koryzis/Dalas/Spiliotopoulos/Fitsilis 2021; Fitsilis/Koryzis/Schefbeck 2022] und dem Einsatz von KI in repräsentativen Institutionen gewonnenen Erkenntnisse lassen sich durchaus übertragen und nutzen. Diese Studien haben bereits ein Rahmenwerk für den Einsatz solcher Instrumente in Parlamenten gesetzt und auf mögliche Anwendungen und Technologien für eine Implementierung hingewiesen. Andere Forscher haben die Gesetzgebung als Kernkompetenz der Parlamente genauer untersucht [Palmirani 2022; Palmirani/Liga 2022]. All dies entfaltet auf Parlamente und deren Alltag bereits ihre Wirkung. Gut strukturierte und in Bezug auf Haushaltsressourcen gut aufgestellte Parlamente sind oft besser in der Lage, auf diese Herausforderungen zu reagieren. Einige Abgeordnetenhäuser, wie etwa das Parlament von Victoria [Parliament of Victoria 2018] in Australien, haben parteiübergreifende Gruppen für KI (All-Party Group on Artificial Intelligence) gegründet und damit begonnen diese Potentiale zu untersuchen, um ihr Verständnis zu verbessern und ihre digitale Weiterentwicklung entsprechend zu planen. Im April 2021 hat die Europäische Kommission nach umfassender öffentlicher Konsultation einen Vorschlag für ein Gesetz über KI vorgelegt. Am 8. Dezember 2023 wurde eine vorläufige politische Einigung zwischen dem Europäischen Parlament und dem Rat erzielt. Der vereinbarte Text muss noch offiziell sowohl vom Parlament als auch vom Rat verabschiedet werden, um EU-Recht zu werden [Europäische Kommission 2021; Europäisches Parlament 2023b].

[4]

Das Europäische Parlament hat mehrere einschlägige Entschließungen im Rahmen dieser Verhandlungen zum KI Gesetz [Europäisches Parlament 2023a] verabschiedet. Zudem nutzt es aktiv KI-Lösungen, etwa in seinem Archiv zur Analyse großer Korpora archivierter Dokumente [Europäisches Parlament 2022]. Zudem haben sowohl die Parlamentarische Versammlung des Europarates [PACE 2020] als auch das Globale Parlamentarische Netzwerk der OECD [OECD 2023] Gruppen eingerichtet, die sich mit KI beschäftigen. Die brasilianische Abgeordnetenkammer hat Ulysses eingeführt, eine Plattform mit einer Reihe von KI-Tools zur Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses und zur Interaktion mit den Bürgern [Silva et al 2021; Souza et al 2021; De Almeida 2021]. Andere bestehende KI-Anwendungen setzen auf Chatbots im Parlament (Südafrika) zur Entlastung von Abgeordneten durch die Bereitstellung parlamentarischer Informationen, auf Vergleiche von Gesetzestexten, auf die Interpretation von Referenzen und auf die Ausführung von Änderungsanweisungen [IPU 2020]. Der italienische Senat führte KI-Dienste ein, die auf maschinellem und tiefem Lernen basieren. Diese Dienste umfassen die Klassifikation von Gesetzen und Änderungen, Ähnlichkeitsprüfungen und den Einsatz von Markup-Elementen (Tags). Der Zukunftsausschuss des Finnischen Parlaments hat eine „parlamentarische Anhörung“ mit KI-Instanzen zu den Themen der Agenda 2030 der Vereinten Nationen und zu den Herausforderungen beim Einsatz fortschrittlicher Technologien durchgeführt [Fitsilis 2021]. Das ist allerdings nur die „Spitze des Eisbergs“. Eine Studie aus dem Jahr 2022 hat insgesamt 39 KI-basierte Lösungen in 9 Parlamenten analysiert [Fitsilis/De Almeida 2024], und dies noch vor der offiziellen Einführung von ChatGPT.

[5]

Die Einführung von ChatGPT [Open AI 2023] durch OpenAI hat seit Ende 2022 zu einem starken Anstieg des Interesses an KI-basierten Lösungen geführt, die direkt oder indirekt Auswirkungen auf die Gesetzgebung haben. Einige Abgeordnete setzen ChatGPT beispielsweise nicht nur zum Entwurf von Grußworten und Reden im Parlament ein, sondern nutzen es auch schon als Grundlage für Gesetzentwürfe, die dann aber von den Gesetzgebern noch substanziell überarbeitet werden mussten [Maruri 2023]. Unabhängig davon, ob es sich bei generativer KI um einen Game Changer handelt, oder nicht, müssen solche Werkzeuge und die damit verbundenen Dienste von den Gesetzgebern sehr ernst genommen werden. Diese eröffnen vielfältige Assistenzdienste, die den Mitarbeitern am Arbeitsplatz eine konkrete und spürbare Entlastung bringen können, soweit sie richtig und verantwortungsvoll eingesetzt werden. In der Tat können Parlamente zu führenden Institutionen sowohl bei der Anwendung als auch bei der Regulierung von KI werden [Fitsilis 2019; Fitsilis 2021].

[6]

Der argentinische Nationalkongress (Congreso de la Nación Argentina) ist das nationale Parlament der Republik Argentinien. Als Zweikammerparlament setzt es sich aus der argentinischen Abgeordnetenkammer und dem Senat zusammen. Zur Wahrnehmung der verschiedenen parlamentarischen Funktionen werden seit Jahrzehnten auch moderne Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt. Seit 2019 widmet sich die Abgeordnetenkammer dem Prozess der digitalen Transformation, der durch die Corona-Pandemie beschleunigt wurde. Schwerpunkte dieser digitalen Modernisierung sind dabei Innovation, Transparenz und Beteiligung. Mit dem Laboratorio de Nuevas Tecnologías (DipLab: https://diplab.hcdn.gob.ar) wurde ein Labor für neue Technologien als Experimentierraum eingerichtet. Im Laboratorio sollen bahnbrechende Technologien und deren Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Gesetzgebung untersucht werden. Eine weitere Anwendung, der digitale Parlamentsmanager, ermöglicht die gemeinsame Nutzung von Informationen und die Rückverfolgbarkeit von internen Prozessen und Dokumenten in den Kammern. Während der Pandemie wurden Videokonferenzen für Parlamentssitzungen eingeführt, ohne Anwesenheitspflicht im Plenarsaal. Dies hatte dann ein neues Abstimmungssystem im Plenum sowie den breiten Einsatz digitaler Signaturen zur Folge. Parallel dazu begann die Digitalisierung der mehr als 15 Millionen seit 1854 erschienenen parlamentarischen Dokumente. Transparenz wird über Live-Übertragungen, Ausschussarchive, offene Daten und ein Engagement in sozialen Netzwerken realisiert. So werden etwa die Social-Media-Profile der Abgeordneten authentifiziert, um diese als offizielle Kommunikationskanäle zu kennzeichnen und um die Öffentlichkeit vor gefälschten Profilen zu schützen. Beteiligung wird über das Portal der offenen Gesetze realisiert, das eine Plattform (https://leyesabiertas.hcdn.gob.ar) bietet, um Gesetzesvorschläge der Abgeordneten von den Bürgern kommentieren und verbessern zu lassen. Die Stärkung barrierefreier Zugänge zum Parlament ist in diesem Zusammenhang ebenso zu erwähnen. Ziel dieser Aktivitäten ist es, ein Parlament der Zukunft zu schaffen, ein offeneres, transparenteres und integrativeres Parlament, in dem jeder Bürger einen Platz und eine Vertretung hat. Ein weiterer Meilenstein in Argentinien ist die Einführung von KI mit Parlamento Inteligente (https://diplab.hcdn.gob.ar/proyectos#parlamento-inteligente). Dazu wurde ein Latent-Dirichlet-Allokations-Algorithmus (LDA) für die Arbeit im Bereich der Gesetzgebung entwickelt. Der LDA-Algorithmus basiert auf einem Bayes‘schen Algorithmus, der es ermöglicht ähnliche Dokumente zu definieren und zu finden [Tarasewiez 2022].

[7]

Diese Zusammenstellung von Anwendungsfällen in Argentinien zeigt die aktuelle Dynamik von KI-Anwendungsfeldern auf. Zugleich liegt der argentinischen Abgeordnetenkammer bisher ein Vorgehensmodell zur systematischen Einführung von KI im parlamentarischen Arbeitsraum noch nicht vor. Zudem scheinen viele der Vorhaben das Ergebnis nicht-linearer Führungsentscheidungen zu sein. Mit Blick auf fehlendes institutionelles Wissen und eine inkonsistente Forschungsagenda versucht dieser Beitrag diese Forschungslücke zu schließen, indem eine eigene Forschungsagenda erarbeitet und die für das argentinische Parlament relevanten Top-10 und Top-3 der KI-bezogenen Maßnahmen, Ansätze und offenen Fragen bestimmt werden. Die dabei verwendete Methodik ist auf andere Parlamente übertragbar, jedoch nicht die so gewonnenen Ergebnisse.

3.

Forschungsansatz ^

[8]

Bei der Gesamtkonzeption der Studien wurde ein Forschungsansatz gewählt, der es erlaubt, ein breites, detailliertes und praxisnahes sowie vielfältiges und nicht einseitig perspektivisches Spektrum möglicher Anwendungsbereiche von KI in Parlamenten zu betrachten. Dabei ist zu beachten, dass sich KI-Tools technisch in mehrere Arbeitsbereiche unterteilen lassen, etwa Zusammenfassung, Klassifizierung, Stimmungsanalyse, semantische Analyse und Empfehlung. Spezifische Technologien und Algorithmen, wie NLP, BERT und GPT-X, können je nach Fall unterschiedlich eingesetzt werden. Da sich Technologien und Algorithmen jedoch rasch weiterentwickeln, wurde eine technologieunabhängige Studie als sinnvoll erachtet. Darüber hinaus sollte es bei der Studie nicht nur um die Sammlung bestehender Lösungen gehen, sondern auch um das Erfassen von Ideen für die Zukunft von Parlamenten, selbst wenn diese derzeit technisch noch nicht realisierbar zu sein scheinen. Viele dieser Ideen eignen sich als künftige Leitbilder, die zu langfristigen Visionen und gestaltungsorientierten Ansätzen weiterentwickelt werden können und die Grundlage für Folgenabschätzungen bilden [von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2022; von Lucke/Fitsilis 2023a; von Lucke/Fitsilis 2023b].

[9]

Für die offene Ideensammlung wurde die Methode des anonymen Brainstormings gewählt [Clark 1989]. Die Methode wurde in zwei Runden mit einer Gruppe von drei Experten aus Wissenschaft und parlamentarischer Praxis angewandt, die folgende Grundvoraussetzungen erfüllten: ausreichende Expertise durch Studium, eigene Forschung zum Thema, praktische Erfahrung und berufliche Fähigkeiten. Als cloudbasierte Brainstorming-Plattform wurde XLeap (https://www.xleap.net/de) eingesetzt. In der ersten Runde wurden Ideen für den Einsatz von KI-Technologien in Parlamenten breit, offen, anonym und transparent gesammelt und sortiert. In der zweiten Runde wurden die Beiträge überprüft, ergänzt und reflektiert [von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2022; von Lucke/Fitsilis 2023a; von Lucke/Fitsilis 2023b].

[10]

Für die Bestimmung des Nutzens, der Relevanz und der Notwendigkeit der generierten Vorschläge ist eine andere Methode erforderlich. Hierzu eignet sich eine Nutzwertanalyse, also ein Analyse- und Bewertungsverfahren für komplexe Entscheidungssituationen. Durch eine systematische Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung wird so die Auswahl unter verschiedenen, komplexen Lösungsalternativen erleichtert [Röthig 1998, S. 31]. Zu diesem Zweck wurde eine Nutzwertanalyse und eine XLeap-basierte Nutzwertbefragung zur Relevanz und Priorität von KI-Vorschlägen mittels zweier unterschiedlicher Fragestellungen durchgeführt. Zunächst wurde für jeden Eintrag die Relevanz des Vorschlags auf einer Likert-Skala von 0 (irrelevant) bis 10 (unbedingt erforderlich) abgefragt. Zweitens wurde die Priorität des Vorschlags mit dem Jahr der Umsetzung als Parameter abgefragt. In diesem Fall reichte die Likert-Skala von 0 (2020) bis 10 (2030). Später zu setzenden Zeitziele sowie unrealistische Vorschläge sollten von den Teilnehmern mit dem Maximalwert 10 bewertet werden. XLeap liefert die dazugehörigen Auswertungsergebnisse als Tabellen und als Grafik.

[11]

Eine weitere eigenständige und vergleichende Auswertung der Einzelergebnisse wurde von den Forschern durchgeführt. In einem letzten Schritt sind dann ausgewählte Ergebnisse aus dem Gesamtdatensatz mit der für die Digitalisierung zuständigen Führungskraft im Parlament besprochen und analysiert worden. Die Ergebnisse dieses Austausches sind ebenfalls in die Gesamtanalyse eingeflossen [von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2022; von Lucke/Fitsilis 2023a; von Lucke/Fitsilis 2023b].

4.

Ergebnisse des Brainstormings ^

[12]

Auf der Grundlage des Forschungskonzepts fand am 14. Juli 2020 eine vierstündige Online-Brainstorming-Sitzung unter Beteiligung von drei ausgewiesenen Experten statt. Insgesamt wurden 196 Beiträge gesammelt, um die Frage zu beantworten: „Wo gibt es Anwendungsfelder für KI in der Arbeit und im Umfeld von digitalen Parlamenten?“ Nach der Beseitigung von Dopplungen wurde die Zahl der Vorschläge auf 181 reduziert. Anschließend wurden die Ideen nach Themenbereichen geclustert. Im Zuge einer weiteren Überarbeitung kamen weitere Ideen hinzu. Alle Beiträge wurden erneut gesichtet, diskutiert und teilweise überarbeitet. Die endgültige Clusterung umfasste 210 Einträge, die neun Themenbereichen (Cluster) zugeordnet sind: Parlamentarier (13), Gesetzgebung (36), Parlamentarische Kontrolle und parlamentarische Diplomatie (14), Politische Bildung und Landeskultur (17), Parlamentsverwaltung, Parlamentsgebäude, Fahrdienst und Polizei (37), Parlamentspräsidium & Parlamentsdirektorate & Wahlen (19), Wissenschaftliche Dienste (13), Rahmenwerk (47), Offene Fragestellungen (14). Die Gesamtübersicht aller Vorschläge (210er Liste) wurde in einem gesonderten Beitrag als Agenda für Forschung und Entwicklung zum Einsatz von KI in Parlamenten vorgestellt und diskutiert. Diese Liste ist Grundlage für alle anschließenden Bewertungen [von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2023].

5.

Bewertungsergebnisse des argentinischen Parlaments – Der argentinische Fall ^

[13]

Etwa 2 Jahre nach dem Brainstorming-Workshop fand am 31. August 2022 in Buenos Aires ein virtueller Workshop mit Mitarbeitern des argentinischen Parlaments statt. Organisiert wurde dieser durch die argentinische Abgeordnetenkammer, die Zeppelin Universität, das Hellenische OCR-Team und das Internationale Zentrum für parlamentarische Studien, Forschung und Zukunftsforschung an der School of Government der argentinischen Universität Austral. Die in spanischer Sprache vorliegenden 210 Vorschläge wurden dabei aus Sicht des argentinischen Parlaments bewertet. Argentinien war damit nach Griechenland (2021: von Lucke/Fitsilis 2023a; von Lucke/Fitsilis 2023b) das zweite Land, in dem im Rahmen der Gesamtstudie eine solche Bewertung durchgeführt wurde. Die 14 Teilnehmer, 8 Männer und 6 Frauen, kamen aus sieben verschiedenen parlamentarischen Bereichen, darunter 7 Personen aus dem Management sowie jeweils ein Vertreter der Parlamentsverwaltung, der Pressestelle, der IT-Abteilung, der Gesetzgebungsredaktion, der internationalen Beziehungen und ein externer Berater. Auch eine Abgeordnete nahm teil, um die relevanteste Zielgruppe eines Parlaments in dieser Befragung zu vertreten. Zunächst wurde das Ziel der Bewertung vorgestellt. Anschließend bewerteten die Teilnehmer einzeln die 210 KI-bezogenen Lösungen und Ansätze für ein Parlament der Zukunft, jeweils unterteilt in die neun Cluster. Das Ausfüllen des Fragebogens erfolgte anonym, aber zeitlich parallel. Alle Teilnehmer wurden auch darüber informiert, dass sie zum Abschluss des Workshops die Ergebnisse in Form eines elektronischen PDF-Dokuments erhalten würden. Die Relevanz- und Prioritätswerte für jeden einzelnen Vorschlag wurden mit Hilfe der Moderationssoftware XLeap in dem in Abschnitt 3 erläuterten Setup erfasst und dokumentiert (Vgl. von Lucke/Fitsilis 2023a).

[14]

Bei der Bewertung der 210 Vorschläge wurde von den Teilnehmern jeweils ein Nutzwert für die Relevanz und einer für die Priorität abgefragt. Für beide Parameter wurde eine Werteskala (Likert-Skala) von 0 bis 10 verwendet. Jede dieser Werteskalen kann somit mit unterschiedlichen, aber geeigneten Einheiten verknüpft werden. Die erste Frage lautete: »Bewerten Sie die Vorschläge nach ihrer Relevanz«. Die Relevanz misst den Grad der Wichtigkeit des Vorschlags auf einer Skala von 0 (irrelevant) über 5 (relevant) bis 10 (unbedingt erforderlich). Darüber hinaus wurden die Teilnehmer gebeten, Lösungen, die sie nicht verstanden oder deren Anwendung sie nicht für gerechtfertigt hielten, mit der niedrigsten Punktzahl zu bewerten.

[15]

Was die Ergebnisse des Workshops in der argentinischen Abgeordnetenkammer betrifft, so erreichten die durchschnittlichen Bewertungen der Vorschläge Werte von 2,27 bis 8,79 auf einer Skala von 0 bis 10. Die fünf am höchsten bewerteten Vorschläge (Top 5) erhielten eine Note von 8,60 oder besser. Kein einziger Vorschlag (0,0 %) erreichte eine Bewertung mit einer Punktzahl von 9,0 oder besser. 34 Vorschläge (16,1 %) wurden mit 8,0 oder besser bewertet. Der für die Relevanzskala prägende Cut-off-Punkt von 7,5 und besser wurde von 65 der 210 Vorschläge (30,9 %) erreicht. Überraschenderweise wurden 197 von 210 Vorschlägen (93,8 %) mit einem Wert von über 5,0 (relevant) und 209 (99,5 %) mit einem Wert von über 2,5 beurteilt. Diese Ergebnisse und die Auswertung der Teilnehmermeinungen unterstreichen ein hohes Interesse an KI für die zukünftigen Arbeitsabläufe des argentinischen Nationalkongresses. Insgesamt gab es aus dieser Bewertung ein wertvolles Feedback sowohl für die Vorschläge als auch für die Forschungs- und Entwicklungsagenda des Forschungsteams.

[16]

Die zweite Frage lautete: »Bewerten Sie die Vorschläge nach Priorität«. Die Frist für die Priorität kann mit einem Jahr als Datum festgelegt werden. In diesem zweiten Fall reicht die Skala von 0 (31.12.2020) über 5 (31.12.2025) bis 10 (31.12.2030), die in ein konkretes Datum umgerechnet werden kann. Vorschläge, die aus Sicht der Teilnehmer gar nicht umgesetzt werden sollten, können mit dem Maximalwert von 10 bewertet werden. Die Empfehlungen für die Umsetzung dieser Vorschläge sehen einen Umsetzungszeitraum zwischen Januar 2024 und Januar 2030 vor. Damit handelt es sich um Zeiträume, die zum damaligen Zeitpunkt im August 2022 alle noch in der Zukunft lagen.

[17]

Ausgewählte Ergebnisse des argentinischen Falles wurden am 12. Oktober 2023 im Rahmen eines weiteren Workshops mit dem zuständigen Generaldirektor für Innovation, Planung und neue Technologien besprochen und analysiert. Die Ergebnisse dieses Austausches flossen ebenfalls in die Gesamtanalyse ein.

6.

Diskussion: Ergebnisse, Beiträge und Kommentare ^

[18]

Nach Abschluss des Workshops liegt dem argentinischen Nationalkongress nun eine eigener Datensatz mit einer eigenen umfassenden Bewertung möglicher Einsatzfelder für KI im parlamentarischen Raum vor. Erstmals wurden vorläufige Ergebnisse auf der 45. Versammlung der Interparlamentarischen Weltunion (IPU) im Oktober 2022 in Ruanda vorgestellt. Für die vorliegende Analyse der Ergebnisse wurden drei Querschnitte aus dem gesamten Datensatz gezogen. Erstens werden die Top 10 der als am relevantesten bewerteten Vorschläge (Kapitel 6.1 – Tabelle 1) zusammengestellt. Betrachtet wird, welche Fragen beantwortet werden müssen und welche Projekte unbedingt umgesetzt werden sollten. Zweitens werden die Top-10-Vorschläge mit der höchsten Priorität (Kapitel 6.2 – Tabelle 2) zusammengestellt. Dargestellt wird, welche Vorhaben am schnellsten umgesetzt werden sollten. Drittens werden für die neun Themencluster die jeweiligen Top-3-Optionen (sortiert nach Relevanz, Kapitel 6.3 – Tabelle 3) diskutiert. Diese Aufbereitung eröffnet einen Überblick über alle Themenbereiche und welche Prioritäten in den einzelnen Clustern gesetzt werden.

1.

Top 10 zu Relevanz von allen Vorschlägen ^

[19]

Die Bewertungen der Vorschläge durch die Teilnehmer aus dem argentinischen Parlament unterstreichen ein hohes Interesse an Themen der KI im parlamentarischen Alltag. Die Top 10 aller 210 Vorschläge haben eine Relevanzbewertung von 8,27 oder besser auf einer Skala von 0 bis 10 erhalten.

    Relevanz
0..10
Priorität
31.12.20–31.12.30
Nr Vorschlag ↓Ø SA Ø SA
7,01 [15.-] KI-basierte intelligente Dokumentensuche in der Parlamentsbibliothek und im ePublikationsraum von Bibliothek/Wissenschaftlicher Dienste 8,79 0,15 31.12.2025 0,28
5,01 [216.-] Reale KI-Assistenten für Behinderte (z.B. Lese- und Navigationshilfen) in den Räumen des Parlaments 8,67 0,18 08.09.2024 0,27
4,01 [85.-] Transparenz durch (Linked) Open Data 8,63 0,15 10.03.2024 0,20
1,01 [52.-] KI-basierte Untertitelung in Echtzeit bei Reden der Abgeordneten im Parlament 8,63 0,16 23.07.2024 0,27
8,01 [153.-] Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit 8,60 0,14 08.04.2024 0,13
5,02 [226.-] Virtuelle KI-Assistenten für Behinderte (z.B. Lese- und Navigationshilfen) auf den Webseiten des Parlaments 8,60 0,23 30.09.2024 0,26
5,03 [6.-] KI-basierte Übersetzungsdienste in Echtzeit bei TV-Auftritten/Video-Auftritt/Video-Konferenz/Diplomatie/Webinare/Seminare/Konferenzen (Babelfisch) 8,47 0,19 10.03.2025 0,23
3,01 [188.-] Entwicklung von KI-basierten Counter-Fake-News-Technologien 8,40 0,16 20.06.2024 0,23
8,02 [103.-] Sicherstellung einer zweckadäquaten Datenqualität 8,33 0,17 30.04.2024 0,11
8,03 [84.-] KI-Gesetz zur Regulierung des Einsatzes von KI
(#1 Allgemein, #2 Öffentlicher Sektor, #3 Parlament)
8,27 0,15 08.04.2025 0,19

Tabelle 1: Top-10-Multikriterientabelle, sortiert nach Relevanz (Argentinien)

[20]

Unter den zehn wichtigsten Vorschlägen für die argentinische Abgeordnetenkammer, die aufgrund ihrer hohen Relevanz unbedingt umgesetzt werden sollten, befinden sich sieben konkrete Vorschläge (1,01; 3,01; 4,01; 5,01; 5,02; 5,03 und 7,01) und drei geforderte Rahmenbedingungen (8,01; 8,02; 8.03). Oberste Relevanz besitzt ein Vorschlag für eine KI-basierte intelligente Dokumentensuche in der Parlamentsbibliothek und im elektronischen Publikationsraum von Bibliothek und Wissenschaftlichen Diensten. Erarbeitete Inhalte, Berichte und Gesetze sollen rasch gefunden werden. Dieser Vorschlag fügt sich gut in die laufende Digitalisierungsstrategie von Parlament und Bibliothek ein, alle Dokumente für Abgeordnete, Mitarbeiter und die Öffentlichkeit leicht zugänglich zu erschließen. An zweiter Stelle findet sich der Vorschlag, reale KI-Assistenten für Behinderte mit Lese- und Navigationshilfen in den Räumen des Parlaments einzurichten. Dieser Vorschlag passt zur allgemeinen Strategie des Parlaments, der Öffentlichkeit einen barrierefreien Zugang zu allen Unterlagen zu eröffnen. Eine hohe Akzeptanz dieses Ziels, das auf einer langen Tradition aufsetzt, führt zu einer hohen Bewertung des Vorschlags durch die Teilnehmer. Auch der an dritter Stelle sich befindende Vorschlag zu mehr KI-basierter Transparenz durch vernetzte offene Daten basiert auf einer Roadmap, die die Parlamentsverwaltung schon länger umsetzt und dadurch nach eigener Einschätzung gute Verbesserungen im Angebot bereits erreicht hat. An vierter Stelle findet sich eine in Echtzeit erfolgende KI-basierte Untertitelung von Reden der Abgeordneten im Parlament, mit der sich die Zugänglichkeit ebenfalls substanziell verbessern würde. Diese politische Priorisierung erklärt auch die hohe Zustimmung zu Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit (Platz 5), zu KI-basierten Assistenzdiensten für Menschen mit Behinderungen auf den Webseiten des Parlaments (Platz 6) und zu KI-basierten Übersetzungsdiensten (Platz 7). Auf dem achten Platz befindet sich die Entwicklung von KI-basierten Ansätzen zur Bekämpfung von Fehlinformationen und Fälschungen (Fakenews). Gefälschte Texte und Mitschnitte haben im politischen Alltag in Argentinien bereits Probleme erzeugt. Funktionierende Lösungen zur frühzeitigen Identifikation solcher zersetzenden Nachrichten werden breit begrüßt. Dies erklärt auch den Wunsch KI zu nutzen, um eine zweckadäquate Datenqualität im parlamentarischen Alltag zu erzielen. An zehnter Stelle haben die Teilnehmer den Vorschlag zu einem KI-Gesetz gesetzt, mit dem der Einsatz von KI in Staat und Verwaltung reguliert werden soll, um in einem geordneten Rahmen mit KI arbeiten zu können.

2.

Top 10 zu Priorität von allen Vorschlägen ^

[21]

In Bezug auf die Priorität, die im engen Zusammenhang mit den Umsetzungserwartungen steht, ist festzustellen, dass die Teilnehmer im August 2022 die Zieltermine in die Jahre zwischen Januar 2024 und Januar 2030 legten, was einem Zeitraum von sechs Jahren entspricht und somit innerhalb eines überschaubaren Planungshorizonts liegt. Der Termin der nächsten Parlamentswahlen im Oktober 2023 könnte dabei eine Rolle gespielt haben. Der Maximalwert von 10 Jahren (2030) wurde selten als Zielvorgabe gewählt. Lediglich bei drei Vorschlägen ([96.-] Überwachungsstaat, [13.-] Autonome Fahrzeugflotte, [22.-] smarte Dienstwaffe) liegen die Bewertungen im Schnitt oberhalb von 8,0 beziehungsweise nach dem 01.01.2029. Hier scheint es eine starke Ablehnung gegeben zu haben. Die Standardabweichungen liegen zwischen 0,06 und 0,33. Lediglich 10 Abweichungen weisen einen Wert von 0,30 oder mehr auf (4,8%) und deuten damit eine abweichende Einschätzung an. Dennoch hält sich die Abweichung innerhalb der Kohorte in Grenzen. Je niedriger der Wert, desto näher liegen die Einschätzungen der Experten beieinander.

    Relevanz
0..10
Priorität
31.12.20–31.12.30
Nr Vorschlag ↓Ø SA Ø SA
1,02 [137.-] Verlässliche Abstimmungssysteme (durch KI-Technologien) im Plenum und in Ausschüssen 8,25 0,23 22.01.2024 0,25
9,01 [139.-] Definition des „Smartes Parlament“-Konzepts, was gehört hinzu? 8,07 0,17 26.01.2024 0,10
4,01 [85.-] Transparenz durch (Linked) Open Data 8,63 0,15 10.03.2024 0,20
4,04 [27.-] Intelligente, KI-basierte Suchfunktionen im Frontend der Webseite des Parlaments 7,81 0,20 10.03.2024 0,21
8,07 [3.-] Durch repräsentative Funktion kann das Parlament viele erreichen 8,13 0,17 08.04.2024 0,13
8,01 [153.-] Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit 8,60 0,14 08.04.2024 0,13
8,02 [103.-] Sicherstellung einer zweckadäquaten Datenqualität 8,33 0,17 30.04.2024 0,11
8,10 [154.-] Klare Rechenschaftsstrukturen 8,00 0,17 25.05.2024 0,13
4,06 [82.-] KI-basierte Öffnung von Parlamenten im Sinne von Open Government: https://www.openingparliament.org/ 7,50 0,20 09.06.2024 0,19
6,01 [223.-] Sollte man Abgeordnete generell einen Remote Zugang (aus der Ferne) zum Parlament und zu Abstimmungen erlauben? (möglich durch 5G-Netze) 8,06 0,23 09.06.2024 0,26

Tabelle 2: Top-10-Multikriterientabelle, sortiert nach Priorität (Argentinien)

[22]

Unter den 10 wichtigsten Vorschlägen für die argentinische Abgeordnetenkamm, die mit zeitlicher Priorität (bis Juni 2024) rasch umgesetzt werden sollen, befinden sich fünf konkrete Vorschläge (1,02; 4,01; 4,04; 4,06; 6,01), vier Rahmenbedingungen (8,01; 8,02; 8,07; 8,10) und eine offene Frage (9,01). Oberste Priorität haben verlässliche Abstimmungssysteme im Plenum und in den Ausschüssen. Entsprechende Systeme für Abgeordnete waren während der Corona-Pandemie befristet bereits im Einsatz, damals allerdings noch ohne Einbindung von KI-Technologien. Diese Ansätze könnten heute zu mehr Verlässlichkeit, Transparenz und Geschwindigkeit beitragen. Hoher Bedarf besteht auch darin, die Leitbilder, Ansätze und Technologien hinter dem Schlagwort „Smartes Parlament“ zu konkretisieren, um das Parlament transparenter, inklusiver und effizienter zu machen. Zur Transparenz soll auch (Linked) Open Data beitragen, etwa indem eine KI vorhandene offene Datenbestände erfasst, vernetzt und mit einem großen Sprachmodell in verständlicher Sprache erschließt. Eine KI-gestützte Suchfunktion auf der Startseite der Parlamentswebsite kann für weitere Entlastung sorgen, weil auch diese eine qualitativ hochwertige und schnelle Beantwortung von Anfragen eröffnet. Weitergedacht könnte eine KI nahezu in Echtzeit die Aktivitäten, Reden und Abstimmungen der Abgeordneten aufbereiten. Dies erweitert die Reichweite des Parlaments und der Abgeordneten und verstärkt so Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit des politischen Handelns. KI kann zugleich dazu beitragen, sowohl die gestellten Abfragen als auch die generierten Antworten signifikant zu verbessern. Dazu bedarf es allerdings einer zweckadäquaten Datenqualität und -quantität sowie klarer Rechenschaftsstrukturen innerhalb des Parlaments, wenn mit Hilfe von KI-Daten und Informationen aus dem Nationalkongress veröffentlicht werden. In diesem Sinne kann KI viel zur Öffnung eines Parlaments beitragen. All diese Überlegungen und hohen Bewertungen passen gut zur aktuellen Open Government Strategie des argentinischen Parlaments [Honorable Cámara de Diputados de la Nación 2021], das sich als Vorreiter für Offenheit positioniert hat.

3.

Top 3 zu Relevanz für jedes Cluster ^

[23]

Bei der Betrachtung der beiden Top-10-Rankings fällt eine breite Durchmischung der Vorschläge aus allen Clustern auf. Aus diesem Grund werden in diesem Abschnitt die Top 3 für jedes der neun Cluster betrachtet (Tabelle 3). Anzumerken ist, dass bei der Auswahl der Top 3 nach Relevanz und gegebenenfalls dann nach der geringsten Standardabweichung Rücksicht genommen wurde. Auf diese Weise konnten für jedes Cluster eindeutig drei Vorschläge ausgewählt werden, die sich für eine eingehende Analyse auch aus parlamentarischer Sicht eignen.

[24]

Das erste Cluster (Parlamentarier) umfasst 13 Vorschläge. Besonders hohe Bewertungen (Tabelle 3) erhielten eine KI-basierte Untertitelung der Reden der Abgeordneten im Parlament in Echtzeit (8,63), verlässliche Abstimmungssysteme im Plenum und in den Ausschüssen (8,25) sowie der Einsatz von Text Analytics (7,63). Gründe für diese Einschätzungen liegen in der leichteren Zugänglichkeit von Inhalten für die Bevölkerung, wenn die wörtliche Rede direkt an einem Bildschirm auch mit Buchstaben dargestellt und abgelesen werden können. Verlässliche Abstimmungssysteme wurden während der Corona-Pandemie bereits genutzt, wurden danach aber wieder deaktiviert. Zudem gibt es bereits erste Erfahrungen mit einem Textanalyse-Pilotprojekt im Parlament.

[25]

Das zweite Cluster enthält Anwendungsbereiche in der Gesetzgebung und umfasst 36 Vorschläge (von Lucke/Fitsilis/Etscheid 2022). Hohe Bewertungen (Tabelle 3) erhielten die intelligente Prüfung von Gesetzgebungsvorschlägen auf mögliche Auswirkungen auf andere Vorschriften (8,19), eine KI-basierte geschlechtersensitive Analyse von Texten mit der Generierung von Verbesserungsvorschlägen (8,13) und eine KI-basierte Abstimmungsüberwachung als Mittel gegen Manipulationen bei Abstimmungen der Parlamentarier oder gegen Einflüsse fremder Mächte durch IT-Sabotage (8,13). Gründe für diese Einschätzungen liegen darin, dass die bisherige Wahrnehmung dieser drei Aufgaben mit hohem zeit- und arbeitsintensivem Aufwand verbunden ist, dass diese Aufgabenfelder im Rahmen der Gesetzgebung konkrete Sorgen umschreiben, mit denen sich die Teilnehmer im Alltag auseinandersetzen, und dass die Entwicklung KI-basierter Lösungen dem Kongress nützlich wären.

[26]

Das dritte Cluster um parlamentarische Kontrolle und parlamentarische Diplomatie enthält 14 Vorschläge. Zu den Top 3 dieses Clusters (Tabelle 3) gehören die Entwicklung von KI-gestützten Technologien zur Bekämpfung von Fake-News (8,40), eine KI-basierte Medienanalyse von Social Media und möglichen Fake-News (8,07) sowie KI-basierte Maßnahmen zur Reduktion des Bias und jeglicher Formen von Diskriminierung mit Vorschlägen zu deren Beseitigung (7,67). Gründe für diese Bewertungen liegen in Erfahrungen, die einzelne Abgeordnete in Social Media bereits gemacht haben, sowie dem Anspruch an das Parlament, sich als Garant für Wahrheit und Demokratie zu positionieren. Zwar gab es noch keine Projekte, die sich diesen Herausforderungen konkret stellten, aber Anspruch und Ehrgeiz sind klar erkennbar.

[27]

Das vierte Cluster mit Themen der staatsbürgerlichen Bildung und Landeskultur umfasst 17 Vorschläge. Die drei wichtigsten Vorschläge dieses Clusters (Tabelle 3) fordern verstärkte Transparenz im KI-Einsatz durch (Linked) Open Data (8,63), eine Stärkung von digitalen Kompetenzen und kritischer Reflexion als Bildungsziel für breite Bevölkerungsschichten (8,19) sowie den Aufbau eigener Kapazitäten zu KI bei Parlamentsangestellten und Abgeordneten (8,19). Vor dem Hintergrund, dass die Bevölkerung mit KI-Technologien schneller umzugehen lernt als die Politik oder das Parlament, erscheint es aus Sicht der Teilnehmer sinnvoll zu sein, auf Transparenz als wichtigen Pfeiler zu setzen und KI in Aus-, Fort- und Weiterbildung zu verankern.

[28]

Das fünfte Cluster um Parlamentsverwaltung, Parlamentsgebäude, Fahrdienst und Parlamentspolizei enthält 37 Vorschläge. Zu den drei am höchsten bewerteten Vorschlägen (Tabelle 3) gehören KI-basierte reale Assistenten für Menschen mit Behinderung (etwa Lese- und Navigationshilfen) in den Räumen des Parlaments (8,67), KI-basierte virtuelle Assistenten für behinderte Menschen auf parlamentarischen Webseiten (8,60) und KI-basierte Übersetzungsdienste, die bei TV-Auftritten oder Konferenzen in Echtzeit für eine fehlerfreie wie leicht verständliche Übersetzung sorgen (8,47). KI-basierte Assistenten auf dem Smartphone oder einem Audioguide vereinfachen den Zugang zu Räumen und Themen mit Hilfe von Lese- und Navigationshilfen sowie leicht verständlichen Zusammenfassungen. Personen mit Mobilitätsbeschränkungen profitieren davon besonders, wenn ihnen so ein einfacher Zugang und Touren in den Räumlichkeiten des Parlaments überhaupt erst ermöglicht wird. KI-basierte Assistenten vereinfachen zudem den Zugang zu aktuellen komplexen Themen, mit denen sich der Nationalkongress auseinandersetzt. KI-basierte Übersetzungsdienste helfen, Sprachbarrieren zu überwinden, auch wenn Mehrsprachigkeit kein akutes Thema der argentinischen Abgeordnetenkammer ist.

[29]

Das sechste Cluster rund um das Parlamentspräsidium, Parlamentsdirektorate und Wahlen umfasst 19 Vorschläge. Zu den drei wichtigsten Vorschlägen (Tabelle 3) gehören der Fernzugang für Abgeordnete zum Parlament und zu Abstimmungen (8,06), die Erkennung und zeitnahe Reaktion auf durch generative KI erzeugte Fake-News (7,56) und Video-Deep-Fakes zu Abgeordneten (7,38). Während der Corona-Pandemie gab es 2020 zeitlich befristet einen digitalen Fernzugang für Abgeordnete zu Abstimmungen. Nach dessen Einstellung besteht jedoch weiterhin der Wunsch, einen solchen Zugang aus der Ferne wieder zu eröffnen. Zudem waren Fake-News und Video-Deep-Fakes bereits vor dem Workshop Bestandteile des politischen Diskurses. Im Vorfeld der Parlamentswahlen im Oktober 2023 hat sich dieses Problem seitdem noch weiter verstärkt.

[30]

Das siebte Cluster rund um die Wissenschaftlichen Dienste und die parlamentarische Bibliothek enthält 13 Vorschläge. Die Top 3 dieses Clusters (Tabelle 3) beinhalten eine KI-basierte Dokumentensuche in der Parlamentsbibliothek und dem E-Publikationsraum der wissenschaftlichen Dienste (8,79), die den Zugang zu relevanten Dokumenten vereinfacht, zweitens KI-basierte Maßnahmen gegen Fake-News (8,21), die solche sicher erkennen und für den öffentlichen Diskurs als „gefälscht“ markieren, und KI-basierte Document Intelligence Lösungen (7,86), die Metadaten zu Dokumenten erzeugen und hinterlegen. Insgesamt wird es als wichtig erachtet, wissenschaftliche Evidenz in den parlamentarischen Prozessen zu hinterlegen und diese für Entscheidungen auch zu nutzen. KI-Technologien verfügen über vielfältige Möglichkeiten, auf diesem Wege parlamentarische Prozesse zu verbessern. Diese gilt es schrittweise zu erschließen.

[31]

Im achten Cluster finden sich 47 Vorschläge, die für die Gestaltung eines Rahmenwerks für den Einsatz von KI in Parlamenten relevant sind. Darunter befinden sich Leitbilder, Anwendungsfelder, Einsatzbereiche und relevante Grenzen. Zu den Top 3 des Rahmenwerks (Tabelle 3) gehören Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit des Einsatzes von KI im parlamentarischen Raum (8,60), die Sicherstellung einer zweckadäquaten Datenqualität (8,33) und ein KI-Gesetz zur Regulierung des Einsatzes von KI (8,27). Die Gründe für diese Bewertung liegen in der hohen Bedeutung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die unbedingt erforderliche Akzeptanz von KI in parlamentarischen Prozessen, in den bekannten Schwierigkeiten im Umgang mit Daten bei unzureichender Datenqualität sowie die bisher nicht erfolgte Regulierung des Einsatzes von KI im argentinischen Nationalkongress.

[32]

Im neuen Cluster mit den offenen Fragen wurden 14 Fragen zusammengetragen. Zu den drei am Höchsten gerankten offenen Fragestellungen (Tabelle 3) gehören die offene Frage, was inhaltlich zur Definition eines smarten Parlaments hinzugehört (8,07), eine Reflexion über die Grenzen des Einsatzes von KI im Parlament (8,07) und eine breite Diskussion über die ethischen Aspekte des Betriebs von KI-basierten Systemen im parlamentarischen Umfeld (8,00). Indem untersucht wird, was ein smartes Parlament ausmacht, lässt sich besser verstehen, wie Parlamente verbessert werden können, um den Bedürfnissen und Interessen der Bürger, der Abgeordneten und der Gesetzgebung besser gerecht zu werden. Dies kann zu einer effektiveren Regierungsführung und besseren Ergebnissen für die Gesellschaft insgesamt führen. Der Einsatz von KI im Parlament muss in Bezug auf seine Wirksamkeit, Genauigkeit und mögliche Verzerrungen Grenzen haben. Daher ist es wichtig, diese Einschränkungen bereits bei der Implementierung von KI im Parlament und dessen Vorfeld angemessen zu berücksichtigen. Die ethischen Aspekte gilt es dabei nicht aus dem Auge zu verlieren.

    Relevanz
0..10
Priorität
31.12.20–31.12.30
Nr Vorschlag ↓Ø SA Ø SA
1,01 [52.-] KI-basierte Untertitelung in Echtzeit bei Reden der Abgeordneten im Parlament 8,63 0,16 23.07.2024 0,27
1,02 [137.-] Verlässliche Abstimmungssysteme (durch KI-Technologien) im Plenum und in Ausschüssen 8,25 0,23 22.01.2024 0,25
1,03 [74.-] Einsatz von Text Analytics 7,63 0,21 22.10.2024 0,17
2,01 [20.-] Intelligente Prüfung von Gesetzgebungsvorhaben auf Wechselwirkungen mit weiteren Regelungen 8,19 0,18 08.09.2024 0,27
2,02 [170.-] KI-basierte geschlechtersensitive Analyse von Texten mit Verbesserungsvorschlägen 8,13 0,15 09.12.2024 0,31
2,03 [66.-] KI-basierte Abstimmungsüberwachung als Mittel gegen Abstimmungsbetrug der Parlamentarier oder gegen Einfluss fremder Mächte (IT-Sabotage, IT-Betrug, Hack) 8,13 0,20 18.05.2025 0,30
3,01 [188.-] Entwicklung von KI-basierten Counter-Fake-News-Technologien 8,40 0,16 20.06.2024 0,23
3,02 [65.-] KI-basierte Medienanalyse: Kommunikation: Social Media bezogene Datenanalyse und Counter-fake-Nachrichtentechnologien 8,07 0,14 13.11.2024 0,21
3,03 [165.-] KI-basierte Maßnahmen zur Reduktion des Bias/Diskriminierung mit KI-basierten Vorschlägen zur Beseitigung (Bias-Reduktion und Counter-Balancing per KI) 7,67 0,18 23.09.2024 0,26
4,01 [85.-] Transparenz durch (Linked) Open Data 8,63 0,15 10.03.2024 0,20
4,02 [94.-] Bildung: Stärkung digitaler Kompetenzen und kritischer Reflexion 8,19 0,18 10.03.2025 0,21
4,03 [201.-] Wichtiger Punkt: Kapazitätsbildung bezüglich KI bei Parlamentsangestellten sowie Abgeordneten 8,19 0,18 01.07.2024 0,24
5,01 [216.-] Reale KI-Assistenten für Behinderte (z.B. Lese- und Navigationshilfen) in den Räumen des Parlaments 8,67 0,18 08.09.2024 0,27
5,02 [226.-] Virtuelle KI-Assistenten für Behinderte (z.B. Lese- und Navigationshilfen) auf den Webseiten des Parlaments 8,60 0,23 30.09.2024 0,26
5,03 [6.-] KI-basierte Übersetzungsdienste in Echtzeit bei TV-Auftritten/Video-Auftritt/Video-Konferenz/Diplomatie/Webinare/Seminare/Konferenzen (Babelfisch) 8,47 0,19 10.03.2025 0,23
6,01 [223.-] Sollte man Abgeordnete generell einen Remote Zugang (aus der Ferne) zum Parlament und zu Abstimmungen erlauben? (möglich durch 5G-Netze) 8,06 0,23 09.06.2024 0,26
6,02 [221.-] Erkennung von KI-basierten Fake-Texten und zeitnahe Reaktion – Einsatz von GPT-3: Texte stammen aus Textgenerator, der auf dem Machine-Learning-Modell GPT-3 basiert, Was wiederum übersetzt heißt: Eine sogenannte künstliche Intelligenz (KI) kann jetzt Texte ausspucken, die Sie und ich für das Werk eines Menschen halten würden 7,56 0,24 23.04.2026 0,26
6,03 [222.-] Bewusste Verfälschung eines Videos: Deep-fake virtueller Abgeordneter in Videokonferenz! (→ Deep-fake Gegenmaßnahmen) Beispiel: https://www.welt.de/vermischtes/prominente/article138565662/Boehmermann-katapultiert-sich-in-den-Medien-Olymp.html 7,38 0,22 09.12.2026 0,28
7,01 [15.-] KI-basierte intelligente Dokumentensuche in der Parlamentsbibliothek und in ePublikationsraum von Bibliothek/Wissenschaftlicher Dienste 8,79 0,15 31.12.2025 0,28
7,02 [174.-] KI-basierte Maßnahmen gegen „Fake-News“ 8,21 0,19 06.06.2025 0,26
7,03 [210.-] KI-basierte Document Intelligence Lösungen (AI Document Analysis) 7,86 0,15 11.05.2026 0,24
8,01 [153.-] Transparenz, Erklärbarkeit und Nachvollziehbarkeit 8,60 0,14 08.04.2024 0,13
8,02 [103.-] Sicherstellung einer zweckadäquaten Datenqualität 8,33 0,17 30.04.2024 0,11
8,03 [84.-] KI-Gesetz zur Regulierung des Einsatzes von KI
(#1 Allgemein, #2 Öffentlicher Sektor, #3 Parlament)
8,27 0,15 08.04.2025 0,19
9,01 [139.-] Definition des „Smartes Parlament“-Konzepts, was gehört hinzu? 8,07 0,17 26.01.2024 0,10
9,02 [97.-] Reflexion über die Grenzen des Einsatzes von KI im Parlament 8,07 0,19 20.02.2025 0,17
9,03 [136.-] Ethische Aspekte des Betriebs von KI-basierten Systemen 8,00 0,20 11.05.2025 0,23

Tabelle 3: Top-3-Multikriterientabelle für alle neun Cluster, sortiert nach Relevanz (Argentinien)

[33]

Die visuelle Clusteranalyse zeigt für jedes der neun Cluster eine gewisse Verklumpung von Vorschlägen, auch wenn jedes Cluster eine unterschiedliche Anzahl von Vorschlägen hat und jede Verklumpung anders aussieht. Konkret ist eine gewisse Korrelation zwischen Relevanz und Priorität zu erkennen. Nachdem sich wiederholenden Muster sollten Vorschläge mit höherer Priorität schneller umgesetzt werden. Projekte mit niedrigerer Priorität wird mehr Zeit für die Umsetzung eingeräumt. Insgesamt ist eine enge Clusterung für Werte zwischen 2–9 (Relevanz) und 3–9 (Priorität: Ende 2023–Ende 2029) zu beobachten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt des Workshop (August 2022) der Zeitwert 1,66 bereits erreicht war, und dass es sich nur um die Eindrücke aus einem einzigen Workshop handelt.

7.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[34]

Parlamente, die sich aktiv mit künstlicher Intelligenz auseinandersetzen, können ihre eigenen Kompetenzen stärken und früh von den so gewonnenen Erkenntnissen profitieren. Die große Mehrheit der Nachzügler wird dagegen noch eine Weile auf kommerzielle Produkte in einem begrenzten Markt warten müssen. Derzeit bedarf es also noch umfangreicher Forschungsarbeit. Die Legislative muss insofern entschlossener darüber nachdenken, wie künstliche Intelligenz im parlamentarischen Umfeld eingesetzt werden kann und welche Grenzen dabei zu beachten sind. Bei Bedarf sollte sie regulierend eingreifen und zur Entwicklung eigener KI-basierter Systeme beitragen. In dieser Hinsicht können die von einem internationalen Team entwickelten Leitlinien zur Einführung und Nutzung künstlicher Intelligenz im parlamentarischen Arbeitsumfeld von besonderem Wert sein [Fitsilis/von Lucke/Mikros/Ruckert/de Oliveira Lima/Hershowitz/Todd/Leventis 2023].

[35]

Argentinien ist das erste lateinamerikanische Land und der zweite Staat weltweit, in dem sich Akteure rund um das nationale Parlament in einem Workshop mit der Relevanz und Priorisierung von KI-basierten Technologien im parlamentarischen Umfeld auseinandergesetzt hat. Dabei profitierten die Akteure in Buenos Aires zunächst von einem kreativen Forschungsansatz um das griechische OCR-Team, einer breiten Liste mit 210 Vorschlägen und zahlreichen Diskussionen mit Verwaltungsmitarbeitern und Abgeordneten. Workshop, Ergebnisse und anschließende Diskussionen über KI-Strategien und Umsetzungsmaßnahmen entfalten dann ihre Wirkungen. In Verbindung mit einem Austausch mit der internationalen Forschungsgemeinde und Parlamenten anderer Staaten besteht nun die Chance, auf der Grundlage solider institutioneller Informationen eine gemeinsame KI-Agenda für Parlamente in Lateinamerika und in internationalen Gremien zu formulieren. Hier bietet sich eine Zusammenarbeit mit dem Parlament von Griechenland und dem kanadischen Unterhaus an, da dort vergleichbare Workshops bereits durchgeführt worden sind. Die bisher gesammelten Ergebnisse, die noch detailliert analysiert werden müssen, zeigen allerdings durchaus signifikante Unterschiede auf.

[36]

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Vertreter der argentinischen Abgeordnetenkammer die Relevanz von KI für das parlamentarische Arbeitsumfeld erkannt haben und ausgewählte Vorschläge mittelfristig umsetzen wollen. Hochpriorisiert werden Vorschläge, die zur gelebten Parlamentskultur passen und laufende Vorhaben (Leichter und barrierefreier Zugang zum Parlament, Bekämpfung von Fake News) und Programme (Open Government: Transparenz) sinnvoll ergänzen. Diese Ergebnisse aus dem argentinischen Parlament sind sicherlich auch in der parlamentarischen Tradition Argentiniens begründet und möglicherweise schon deswegen nicht allgemein übertragbar. Mit Hilfe vergleichbarerer Workshops können andere Parlamente aber selbst herausfinden, ob, wo und welche KI-basierten Anwendungen relevant sind und zeitnah Empfehlungen für die Politik und die parlamentarische Praxis ableiten. Solche Workshops mit europäischen, asiatischen und australisch-ozeanischen Parlamenten sind derzeit in Vorbereitung.

[37]

Mit dieser Analyse liegen nun mehrere Vorschläge für konkrete Umsetzungsmaßnahmen auf dem Tisch des Nationalkongresses, die teils den Erwartungen entsprechen, teils aber auch überraschend sind. Das neu zusammengesetzte Parlament, das aus den Parlamentswahlen am 22. Oktober 2023 hervorgegangen ist, hat nun die einmalige Gelegenheit, zum ersten Mal in der argentinischen Geschichte die Regeln der Mensch-Maschine-Interaktion festzulegen. Obwohl KI-relevante Themen nicht Bestandteil der politischen Debatte waren, muss abgewartet werden, ob das künftige Parlament den Erwartungen der Gesellschaft standhalten und die digitale Transformation zu einem echten „Parlament der Zukunft“ konstruktiv fortsetzen wird oder ob andere Schwerpunkte gesetzt werden.

[38]

Insgesamt können die Zusammenstellung der Vorschläge und die Bewertungen dazu beitragen, Forschungsschwerpunkte zu identifizieren und aufzuzeigen, in welchen Bereichen dringend KI-basierte Innovationen zur Steigerung der Effizienz parlamentarischer Institutionen benötigt werden. In den kommenden Jahren wird sich zeigen, welche dieser Ansätze tatsächlich an Bedeutung gewinnen und wie rasch sich der argentinische Nationalkongress damit auseinandersetzen wird. Wenn erst einmal Lösungen verfügbar sind und sich in der Praxis bewähren, könnten viele andere Parlamente davon profitieren.

[39]

Allerdings muss politisch abgeklärt werden, ob dies im Hinblick auf nationale digitale Souveränität erstrebenswert und technisch umsetzbar sowie ethisch vertretbar ist. Angesichts begrenzter Budgets könnte ein gemeinschaftlicher Ansatz zur Einführung von KI in Parlamenten überzeugender sein. Diese Option erfordert jedoch vertrauenswürdige Partner, die einen cloudbasierten Ansatz mit verschiedenen KI-Lösungen unterstützen und nicht aus Furcht vor Manipulation dämonisieren. Mit Blick auf die bestehenden sprachlichen Barrieren sowie die kulturellen und politischen Affinitäten wäre eine Kooperation im KI-Bereich zwischen den lateinamerikanischen Staaten erstrebenswert, die die Republik Argentinien durchaus initiieren könnte.

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