1.1.
Was ist ESG? ^
Das Akronym „ESG“ steht für Environmental, Social und Corporate Governance (zu Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung). Die drei nachhaltigkeitsbezogenen Verantwortungsbereiche gehen zurück auf die UN Sustainable Development Goals («SDGs») von 2015 (UNDP, n.d.), im Rahmen derer die Vereinten Nationen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung formulierte, um die Armut zu beenden, den Planeten zu schützen und sicherzustellen, dass bis 2030 alle Menschen in Frieden und Wohlstand leben.
Die ökologische Dimension (das «E»/Environment in ESG) steht für die umweltbezogenen Nachhaltigkeitsziele und dient zur Beschreibung von Unternehmenszielen und -verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Hier geht es z. B um das vielbesagte «Net-Zero» Klimaziel, das den Ausgleich aller Emissionen eines Unternehmens verlangt (z.B. über Emissionszertifikate) (Carbon Jargon, 2022 oder Frigo et. Al. 2022). Zu den Emissionen zählen nicht nur solche, die eine Unternehmung selbst emittiert («Scope 1» und «Scope 2»), sondern auch die Emissionen der Wertschöpfungskette ihrer Produkte oder Dienstleistungen («Scope 3») (Carbon Jargon, 2022 Hall)1.
Dabei ist Nachhaltigkeit in der Unternehmensführung kein neues Thema. Bisher eher unter dem Begriff Coroporate Social Responsibilty («CSR») bekannt, bezog sich diese Terminologie aber auf Handlungsempfehlungen und Berichterstattungspflichten, ohne konkrete gesetzliche Grundlage. Aufgrund neuer gesetzlicher Vorgaben hat das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewonnen und eine neue Dimension der Rechenschaftspflichten von relevanten Akteuren erfahren (Europäischer Rat, 2022.)
Die Europäische Union (EU) hat das Ziel des Übereinkommens von Paris in eine langfristige europäische Wachstumsstrategie umgesetzt. Mit dem «Green Deal» hat die EU 2019 eine Reduktion der CO2 Emissionen um 55% bis 2030 und Kilmaneutralität bis 2050 beschlossen. Zur Erreichung dieser Ziele soll die Wirtschaft über die Finanzen in die Nachhaltigkeit gelenkt werden.
Das Klimaschutzpaket, welche die Europäische Kommission (EC) am 14. Juli 2021 («Fit for 55»-Massnahmen) erlassen hat, beinhaltet Gesetze, die helfen sollen, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen; einerseits durch Emissionsreduktionen von 55%, andererseits durch Berichterstattungsvorgaben für mehr Transparenz.
Die Tatsache, dass es rund um ESG zunehmend konkrete gesetzliche Vorgaben zur Nachhaltigkeit gibt, insbesondere was die Klimaberichterstattung anbelangt, eröffnet auch der öffentlichen Hand Chancen wenn es darum geht, das neue Nachhaltigkeitsziel im Beschaffungswesen umzusetzen.
Denn wenn Unternehmen, also auch die Anbieter als Zulieferer der öffentlichen Hand im Beschaffungswesen, entweder selbst konkreten Gesetzesvorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung unterliegen, oder das jedenfalls auf Seiten ihrer Zulieferer der Fall ist, dann können diese gesetzlichen Pflichten auch in Ausschreibungsunterlagen und den Verträgen verankert werden.
Die Gesetze, die erlassen wurden, um die ESG-Ziele zu erreichen, beinhalten sowohl konkrete Vorgaben, um zum Beispiel die Ziele des Green Deals zu erreichen, als auch Berichterstattungspflichten für Messbarkeit und Transparenz. Je nach Sektor variieren die Berichterstattungsspflichten, wie wir im Folgenden sehen werden. Daher kann es sein, dass diese je nach Sektor die direkten Lieferanten von Beschaffungsstellen, beispielsweise aus der IT-Branche, nicht verpflichten Aber auf die Sub-Lieferanten dieser könnten die Berichterstattungspflichten durchaus Anwendung finden.2 Das bedeutet, dass sich von den Sub-Lieferanten unter Umständen konkrete Zahlen in Bezug auf ESG finden würden, wenn eine Beschaffungsstelle nach diesen verlangt. Anders gesagt: Auch wenn die Gesetze rund um ESG (noch) keine direkte Wirkung auf die IT-Branche entfalten, ergeben sich die indirekte Wirkung aus den Gesetzesvorgaben für den Energie- und Rohstoffsektor, der wesentlich ist in der IT Lieferkette3 (siehe z.B. Europäische Komission, 2021a).
1.2.
Das neue Nachhaltigkeitsziel im revidierten Schweizer Beschaffungsrecht ^
Das revidierte Bundesgesetztes über das Beschaffungswesen (BöB) sowie die revidierte Verordnung über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB) sind am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Die Revision hat zu einem Paradigmenwechsel im Schweizer Beschaffungswesen geführt, der im Rahmen der Vergabe nicht mehr nur dem wirtschaftlichen, sondern auch den volkswirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel verlangt (Art. 2 lit. a BöB/IVöB). Dementsprechend sollen auch die konkreten Vergabeanforderungen so ausgestaltet sein, dass sie das Kriterium der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Aufgrund der expliziten Erwähnung der Nachhaltigkeit im Zweckartikel kann die Nachhaltigkeit nicht nur bei den Zuschlagskriterien (Art. 29 BöB), sondern auch bei den technischen Spezifikationen (Art. 30 BöB) und bei den Eignungskriterien (Art. 27 BöB) berücksichtigt werden (BKB 2022). Im Rahmen der zwingenden Teilnahmebedingungen (Art. 12 BöB) müssen gewisse Mindeststandards in Bezug auf die ökologische und sozialen Nachhaltigkeit sogar zwingend eingehalten werden.4
Dass Nachhaltigkeit nicht «nur» gesetzlich verankert und in den Ausschreibungskriterien zu berücksichtigen ist, sondern von den potentiellen Lieferanten anhand belastbarer Kriterien nachzuweisen ist, sieht das neue Vergaberecht zwar nicht explizit vor. Sofern aber in der Ausschreibung Nachhaltigkeitsanforderungen auf Basis von allgemeinen Standards gestellt werden, kann ein ungenügender Nachweis dieser ein belastbares Ausschlusskriterium sein (BVGe B-5897/2022).5
In der Praxis werden solche Nachweise in Bezug auf die Nachhaltigkeit eher selten eingefordert,6 da deren Einforderung und Überprüfung mit Aufwand verbunden ist. Nichtsdestotrotz sind Nachweise und Transparenz ratsam und bisweilen notwendig, um das neue Nachhaltigkeitsziel auch effektiv einfordern zu können und überprüfbar zu machen. Diesem Ziel kommen die handfesten gesetzlichen Anforderungen an Nachhaltigkeitsberichterstattung entgegen, die sich auf EU-Ebene verdichten. Denn Dank der gesetzlichen Berichterstattungspflichten bzgl. Nachhaltigkeit (und der normierten Angaben auf Basis derer die Berichterstattung zu erfolgen hat), können Lieferanten konkret verpflichtet werden. Dies sowohl im Rahmen der Ausschreibungskriterien als auch bei Abschluss der Verträge. Damit wird Nachhaltigkeit definierbar und als Lieferantenpflicht konkret vereinbar.
2.
Gesetzliche Grundlagen und Verpflichtungen rund um ESG ^
Zur Erreichung der EU-Klimaziele, und der Reduktion der CO2-Emissionen um 55% bis 2030 und Kilmaneutralität bis 2050 soll «die Wirtschaft» über die Finanzen in die Nachhaltigkeit gelenkt werden (Europäische Kommission,2021). Dazu wird auf EU-Ebene ein Set an Gesetzen erlassen, das die Unternehmen u.a. zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet (siehe dazu auch vorhergehend, 1.1) und deren ökologischen Fussabdruck in Zahlen nachweisbar und belastbar machen soll (Europäische Kommission, 2023).
Hinzu kommen nationale Gesetze, beispielsweise in der Schweiz zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Belange, oder das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die ebenfalls Berichterstattung über ESG-Parameter zum Inhalt haben.
2.1.
EU-Gesetzgebung ^
Auch wenn in diesem Beitrag nicht alle Gesetze im Detail adressiert werden können, sollen hier einige Beispiele aus EU- und nationaler Gesetzgebung genannt werden. Das Set an Regularien spannt sich gewissermassen wie ein Schirm auf und deckt alle Wirtschaftssektoren, von Finanzindustrie über produzierende Industriezweige ab (Pettingale et al.,2022).
Zielsetzung und Anforderungen an die Berichterstattung folgen bei allen Gesetzen denselben Prinzipien mit dem Ziel, «Greenwashing» zu verhindern, also den Versuch, sich vordergründig ein «grünes» oder nachhaltiges Image zu geben, ohne ensprechende Massnahmen umzusetzen:
- Indem Reporting standardisiert, Zahlen belastbar, vergleichbar und verfügbar gemacht werden.7
- Die jeweiligen Gesetze enthalten spezifische Reportingstandards, es kann aber auch ein anderer Ansatz gewählt werden; wenn gar nicht Bericht erstattet wird, wäre dies zu erklären («comply or explain») und es kann auch Bussen zur Folge haben.
- Inhaltlich liegt der Fokus momentan auf Berichterstattung in Bezug auf Nachhaltigkeit und Klima. Längerfristig ist das Ziel, alle ESG-Faktoren davon zu erfassen.
- Unternehmen müssen im Sinne der «doppelten Wesentlichkeit» berichten: Einerseits sind die Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt und die Gesellschaft zu beschreiben, andererseits ist darzulegen, wie sich ändernde Nachhaltigkeitsaspekte auf das Unternehmen auswirken.
- Zunehmend rückt auch die ganze Lieferkette in den Fokus. Es zeichnet sich eine Pflicht ab, bei der Berichterstattung die gesamte Lieferkette mit einzubeziehen. Nicht nur, weil eine umfassende Klimabilanz (inklusive Scope-3 Emissionen), diese notwendigerweise mit umfassen muss, sondern auch weil es ganz spezifische Gesetze mit entsprechenden Pflichten gibt.
- Mittels delegierter Rechtsakte sollen zudem sektor-spezifische Anforderungen hinsichtlich Reporting erstellt werden.
- Die Nachhaltigkeitsinformationen müssen in einem deutlich gekennzeichneten Abschnitt des Lageberichts des Unternehmens veröffentlicht werden, der öffentlich zugänglich sein muss.
- Sowohl Unternehmen aus der Industrie als auch Finanzwirtschaft müssen diesen Reportingpflichten nachkommen.
- Diese Pflichten sind momentan auf «grosse» Unternehmen anwendbar, perspektivisch sollen aber auch kleinere / KMUs erfasst werden (Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, Pressemitteilung, 28. November 2022).
2.1.1.
Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, CSRD) ^
Was die Industrieunternehmen anbelangt, ist als erstes die «Richtlinie 2022/2464 hinsichtlich der Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen» zu nennen (auf englisch «Corporate Sustainability Reporting Directive» [CSRD] genannt), die grosse Unternehmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung verpflichtet. Die von der Richtlinie erfassten Unternehmen müssen Angaben machen über Geschäftsstrategie, Widerstandsfähigkeit des Geschäftsmodells und Risikomanagement in den Bereichen Klimawandel und biologische Vielfalt, sowie über soziale Faktoren wie Arbeitsbedingungen, Gleichberechtigung, Nichtdiskriminierung, «Diversity und Inclusion», Menschenrechte.
2.1.2.
Taxonomieverordnung 2020/852 ^
Diese Berichterstattung erfolgt basierend auf einer weiteren EU-Vergabe, der EU-Verordnung 2020/852 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (im folgenden -Taxonomie-Verordnung genannt).Mit der Taxonomie-Verordnung wurde ein Klassifizierungssystem für ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten erschaffen, das Unternehmen und Investor*innen die Möglichkeit geben soll, Transparenz über ihre nachhaltigen Aktivitäten zu schaffen, indem sie definiert, was überhaupt als «nachhaltige Wirtschaftstätigkeit» definiert werden kann (Europäische Kommission,2021b).
Die EU-Taxonomie enthält derzeit sektorspezifischen, technischen Prüfkriterien für 70 Aktivitäten zur Eindämmung des Klimawandels und 68 Aktivitäten zur Anpassung an den Klimawandel. Wenn die EU Taxonomie in diesem Zusammenhang von nachhaltigen Tätigkeiten spricht, dann sind damit gemäss Art. 3 a solche Wirtschaftstätigkeiten gemeint, die einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung von mindestens einem der Umweltziele aus Art. 98 leisten, Gleichzeitig gilt aber gemäss Art. 3 b, dass keines dieser Ziele wesentlich beeinträchtigt werden darf und soziale Mindeststandards erfüllt sein müssen (Art. 18);
So können diejenigen Unternehmen, die die in nachhaltige Aktivitäten investieren wollen, auf Basis dieser Kriterien Investitionsentscheidungen treffen. Von der Taxonomie-Verordnung sind allerdings nicht alle Unternehmen erfasst, die unter der CSRD berichten müssen (Niederdrenk & Kopp, 2021).9
2.1.3.
Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) ^
Als Beispiel für eine Berichterstattungspflicht der Finanzindustrie zu nennen ist die EU-Verordnung 2019/2988 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (Sustainable Finance Disclosure Regulation, im Folgenden SFDR genannt).
Die SFDR verpflichtet die Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbranche, sowohl auf Unternehmens-, als auch auf Produktebene offenzulegen, inwiefern sie nachhaltig sind. So soll der den Geldfluss in nachhaltige Aktivitäten in der gesamten EU gefördert werden, indem klarer dargelegt wird, welche Wirtschaftstätigkeiten am meisten zur Erreichung der Umweltziele beitragen. Finanzseitig setzt die SFDR Standards zur Offenlegung von Nachhaltigkeitsinformationen bzw. der Integration von ESG-Faktoren insgesamt sowohl für Finanzmarktteilnehmer selbst, als auch in Bezug auf ihre Produkte.
Bemerkenswert ist insofern, dass die Nachhaltigkeitsindikatoren unter der SFDR den Parametern der EU-Taxonomien entsprechen. Kein Wunder, denn die Finanzinstitute sind ja zur Berichterstattung auf eben diese Informationen durch die Industrieunternehmen angewiesen.
2.1.4.
Lieferkettengesetz (Corporate Sustainability Due Dilligence Directive, CSDDD) ^
Das EU-Parlament hat im Juni 2023 die Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit, «Corporate Sustainability Due Dilligence Directive» («CSDDD») verabschiedet. Der genaue Gesetzeswortlaut wird nun mit den Mitgliedstaaten verhandelt. Die Richtlinie wird voraussichtlich 2025 in Kraft treten.
Die Lieferketten-Richtlinie verlangt von Unternehmen, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Menschenrechte – und die Umwelt entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu ermitteln. Dabei geht die CSDDD insofern einen Schritt weiter als die bisherigen Berichterstattungspflichten, als sie die Unternehmen nicht nur verpflichtet, Risiken zu identifizieren, sondern auch Strategien zur Risikominderung nachzuweisen, diese zu überwachen und einen Jahresbericht zu erstellen, der die Bemühungen und Ziele im Bereich der Sorgfaltspflichten abdeckt.
Die CSDDD sieht deutlich weiter gehende Sorgfaltspflichten vor, als die im Schweizer Obligationenrecht neu eingegangenen Bestimmungen zur Berichterstattung (siehe nachfolgend, Kapitel 3.2). So konzentrieren sich die Schweizer Bestimmungen zu den Sorgfaltspflichten auf Unternehmen in spezifischen Sektoren und im Bereich Rohstoffhandel. Die CSDDD gilt hingegen für alle Unternehmen ab einer bestimmten Grösse. Trotz des eingeschränkten Geltungsbereichs der Berichterstattungspflichten in der Schweiz betreffen diese neuen Sorgfaltspflichten Grossunternehmen mit hohen Umsätzen und damit Unternehmen, die einen grossen Einfluss auf die Wertschöpfung in der Schweiz haben (Meyer et al., 2023).
2.2.
In der Schweiz: Verordnung zur nichtfinanziellen Berichterstattung ^
Wenn man nun das Schweizer Gesetz zur nichtfinanziellen Berichterstattung unter die Lupe nimmt, überrascht es nicht, dass hier die Themen und Parameter der Berichterstattung entsprechend ausgestaltet sind. Die Verordnung zur nichtfinanziellen Berichterstattung, die als Gegenvorschlag zur Konzerverantwortungsinitiative vom Bundesrat erlassen wurde (Verordnung vom 30. März 2022 über die Berichterstattung über Klimabelange) erstreckt sich auf die bekannten „ESG-Themenbereiche“ Umwelt und CO2-Ziele, Soziales, Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung. Die Pflichten zur nichtfinanziellen Berichterstattung wurden in die Art. 964 a-c des Schweizer Obligationenrechts aufgenommen.
Der zweite Bereich der Berichterstattung (Art. 964 j-l OR) betrifft spezifisch Rohstoffunternehmen und erlegt diesen Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten in den Bereichen „Konfliktmineralien“ und „Kinderarbeit“ auf; wie in Punkto Fokus nationaler Gesetzgebung eingangs angedeutet, erstrecken sich die Berichtspflichten hier auch auf die Wertschöpfungskette.10 Das Ziel dieser Berichtspflichten ist auch hierzulande, «Green Washing» entgegenzuwirken, also eine verlässliche Basis für Investitionen und Finanzdienstleistungen zu schaffen und mittels Standardisierung und Harmonisierung der Berichterstattung in ESG belangen, eine Erhöhung der Rechts- und Investitionssicherheit herbei zu führen (siehe EFD, 2022, S.4).11
3.
Umsetzung des neuen Nachhaltigkeitsziels im Rahmen der öffentlichen Beschaffung ^
Der Geltungsbereich der oben genannten Gesetze ist sektorspezifisch und findet nicht auf jeden Lieferanten bzw. Anbieter Anwendung. Die Schweizer Beschaffungsbehörden sind als nicht-EU Organe natürlich nicht direkt von den Gesetzen betroffen. Wenn eine Schweizer Behörde Im Rahmen der IT-Beschaffung einen neuen Software Dienstleister auswählen möchte, dann finden etwaige EU-Gesetze nur dann potentiell Anwendung, wenn dessen Muttergesellschaft im einem EU-Land ist und der lokale Anbieter zur Erfüllung deren Reportingpflichten beitragen muss. Inhaltlich untersteht ein IT-Anbieter weder der CSRD noch der SFDR, und auch nicht den Schweizer Anforderungen zur nichtfinanziellen Berichterstattung. Aber in mittelbarer Wirkung der bereits jetzt existierenden Gesetze sind die Chancen gross, dass ein hiesiger Softwaredienstleister die relevanten Zahlen oder mindestens nachhaltigkeitsbezogene Angaben eben doch, jedenfalls in Teilen, liefern kann. So untersteht der Stromanbieter des IT-Dienstleisters möglicherweise bereits der CSRD ( Geiger et al., 2022)12. Die Berichterstattung in der EU muss für den Energiesektor bereits auf Basis der EU-Taxonomie erfolgen. Dementsprechend ist es plausibel, dass auch ein kleiner IT-Dienstleister, der einen grossen Stromanbieter für ein Rechenzentrum hat, von diesem die relevanten Zahlen erfragen kann. So liegt es bisweilen nahe, dass ein Lieferant von in der IT-Branche erforderlichen Rohstoffen sowohl unter der CSDDD auf EU-Ebene als auch gemäss Schweizer Vorschriften zur Berichterstattung verpflichtet sind, zumal wenn diese als Konfliktmineralien gelten.
Für die Gestaltung von Ausschreibungen und Verträgen ergibt sich aus all den geschilderten Gesetzesanforderungen die Chance, diese mit ganz konkreten Kriterien bezüglich Nachhaltigkeit zu versehen und Lieferanten auf konkrete gesetzliche Vorgaben zu verpflichten. Diese sind branchenspezifisch zu formulieren. Dazu braucht es Kenntnis der bestehenden Gesetzeslandschaft. Nach einer ausführlichen Analyse der spezifischen Industrie, also beispielsweise IT-Branche und deren Klima- / Lieferkettenberichterstattungspflichten, können konkrete Vertragspflichten formuliert werden. Im Falle der IT-Branche sind diese von eher mittelbarer Geltung. Aber sie lassen sich dennoch vertraglich festlegen. Beispielsweise damit, dass die Kennzahlen des Energielieferanten des Rechenzentrums eines IT-Dienstleisters geliefert werden müssen. Denn dieser Energielieferant wiederum muss seine Zahlen gemäss CSRD auf Basis der EU-Taxonomie bekannt geben. Des Weiteren lässt sich vertraglich festhalten, dass die Anbieter in Bezug auf die eigene Lieferkette die Anforderungen von Art. 964j-l OR zu Konfliktmineralien und Kinderarbeit einhalten müssen, beispielsweise bei der Beschaffung von Rohmaterialien zur Chip-Herstellung. Entsprechendes lässt sich als Ausschreibungskriterium festlegen.
Zusätzlich bietet es sich für die öffentliche Hand (sowie sämtliche Unternehmen) an, in die Verträge mit den eigenen Zulieferern eine Pflicht zur Einhaltung sämtlicher nachhaltigkeitsbezogenen Unternehmensziele (wie z.B. Klimaziele) aufzunehmen und diese Verpflichtung auch auf ihre Unterlieferanten auszudehnen. Das Prinzip der sog. „Back-to-Back“ Spiegelung vertraglicher Pflichten entlang der Lieferkette und der Risikoabwälzung auf Zulieferer lässt sich sowohl für kommerzielle Risiken, als auch in Bezug auf die Einhaltung von Nachhaltigkeitskriterien abbilden. Die eigenen Klimaziele an die eigenen Lieferanten weiter zu geben und sie auch auf deren Lieferanten auszuweiten, ist zur Einhaltung der eigenen Klimaziele erforderlich. Denn ein Unternehmen oder eine Behörde kann nur dann «net zero» sein, wenn es auch die eigenen Lieferanten sind.13
Zudem sei der Vollständigkeit halber erwähnt, dass es neben den gesetzlichen Verpflichtungen auch Zertifizierungen (Beschaffungskonferenz des Bundes BKB,2021)14 eine verlässliche Grösse für die Angaben eines Unternehmens zur Nachhaltigkeit sein können, also auch diese als Vertragspflichten aufgenommen werden können, wobei auch wieder Branchenkenntnis und ein umfassendes Verständnis der existierenden Zertifizierungen15 und deren Verlässlichkeit16 erforderlich sind (siehe dazu auch Beitrag von Lara Biehl).
Die obigen Ausführen haben gezeigt, dass die gesetzlichen Vorgaben Möglichkeiten zur konkreten Formulierung vertraglicher Pflichten und auch Ausschreibungsunterlagen bieten. Dies schafft Rechtssicherheit für beide Seiten kann bei öffentlichen Beschaffungen das Beschwerderisiko mindern.
Bibliographie ^
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Eidgenössisches Finanzdepartement EFD. (2022, 30. März). Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange, Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens. www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/73998.pdf
Meyer, N., Legler, V., Gailhofer, P., Schmitt, L., & Keller, T. (2023). Auswirkungen der CSDDD auf Schweizer Unternehmen, Standortattraktivität und Wettbewerb. Vertiefte Analyse zuhande des BJ und SECO. www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/85536.pdf
Geiger, S., Veser, M., Amhof, K., & Caputo, M. P. (2022). EU-Offenlegungspflichten im Nachhaltigkeitsbereich und Schweizer Investitionen im Energiebereich. Studie im Auftrag des Bundesamt Für Energie BFE. https://pubdb.bfe.admin.ch/de/publication/download/10880
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Europäische Kommission. (2023, July 31). The Commission adopts the European Sustainability Reporting Standards. European Commission. https://finance.ec.europa.eu/news/commission-adopts-european-sustainability-reporting-standards-2023-07-31_en
Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union. (2022, November 28). Rat gibt endgültiges grünes Licht für die Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen [Pressemitteilung]. https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2022/11/28/council-gives-final-green-light-to-corporate-sustainability-reporting-directive/
Carbon Jargon. (2022, November 18). 100% Renewables. https://100percentrenewables.com.au/publications/carbon-jargon-your-guide-to-net-zero/
Pettingale, H., Kuenzer, J., Reilly, P., De Maupeou, S., & FTI Consulting. (2022, April 4). EU Taxonomy and the Future of Reporting. The Harvard Law School Forum on Corporate Governance. https://corpgov.law.harvard.edu/2022/04/04/eu-taxonomy-and-the-future-of-reporting/
UNDP. (n.d.). Sustainable development goals. United Nations Development Programme. https://www.undp.org/sustainable-development-goals
Niederdrenk, L., & Kopp, M. (2021). Ein Meilenstein für mehr Nachhaltigkeitstransparenz: Was eine konsistente EU-Taxonomie erreichen kann. In WWF Deutschland. https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/Unternehmen/ein-meilenstein-f%C3%BCr-mehr-nachhaltigkeitstransparenz.pdf
Paula Zimmermann ist Politologin und Rechtsanwältin, Senior Adviser / Partnerin und Mitglied der Geschäftsleitung bei Laux Lawyers AG.
- 1 Emissionen, die «Upstream» durch den Einkauf (von Gütern) verursacht werden (z.B. je nach Geschäftsfeld Rohstoffe, Businessreisen), wie auch solche, die durch den Verkauf «Downstream» entstehen (z.B. Lieferungen, Finanzinvestitionen).
- 2 Für die Bedeutung von Sub-Lieferanten bzw. siehe Beitrag von Lara Biehl in diesem Band.
- 3 Für die Bedeutung der Lieferketten siehe auch Beitrag von Lara Biehl in diesem Band.
- 4 Siehe zu den obligatorischen Mindestanforderungen in Bezug auf Nachhaltigkeit auch den Beitrag von Lara Biehl in diesem Band.
- 5 So das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 5. April 2023, B-5897/2022 zu der Anforderung an den Nachweis eines «genügenden Umweltmanagementsystems» auf Basis einer ISO14001-Zertifizierung.
- 6 Siehe auch Beitrag von Lara Biehl in diesem Band.
- 7 Unternehmen, die der CSRD unterliegen, müssen nach den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) berichten. Die Standards bauen auf internationalen Standardisierungsinitiativen auf und wurden von der EFRAG (früher European Financial Reporting Advisory Group) entwickelt, einem unabhängigen Gremium, in dem verschiedene Interessengruppen vertreten sind. Die Standards decken das gesamte Spektrum an Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen ab, einschließlich Klimawandel, biologischer Vielfalt und Menschenrechten. Sie liefern den Anlegern Informationen, um die Nachhaltigkeitsauswirkungen der Unternehmen, in die sie investieren, zu verstehen. Sie berücksichtigen auch die Diskussionen mit dem International Sustainability Standards Board (ISSB) und der Global Reporting Initiative (GRI), um ein hohes Maß an Interoperabilität zwischen den EU-Standards und den globalen Standards zu gewährleisten und eine unnötige Doppelberichterstattung der Unternehmen zu vermeiden. Die Angaben sind als Teil des Jahresberichts, digital vorzulegen, perspektivisch sollen sie über einen sogenannten European Single Access Point („ESAP“), eine EU Datenbank öffentlich zugänglich sein. Die SFDR-Stufe 1 verlangt von Finanzinstituten in der EU allgemeine, prinzipienbasierte Angaben zu ESG-bezogenen Aktivitäten sowohl bezüglich die Sektoren, in die sie investieren, als auch über ihre Portfoliounternehmen, zu machen. Die SFDR-Stufe 2 beinhaltet technische Kriterien zur Bewertung von negativen Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit auf Produktebene („adverse sustainability impacts statement“). In der Schweiz muss das Reporting qualitative und quantitative (sämtliche Treibhausgasemissionen sowie deren Berechnungsgrundlage, um die Vergleichbarkeit zu ermögliche) finanziellen Parameter betreffend CO2 Zielen und deren Erreichung mittels Business Model, Strategie, Investitionen und Risikomanagement enthalten.
- 8 Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sowie vier weitere Umweltziele wie z.B. Übergang zur Kreislaufwirtschaft.
- 9 Die EU-Kommission geht davon aus, dass mit den bislang getroffenen Regelungen rund 40 Prozent aller börsennotierten Unternehmen im Euroraum (und damit 80 Prozent direkter Treibhausgasemissionen) unter Taxonomiegesichtspunkten betrachtet werden könnten; Die Taxonomie-Verordnung deckt derzeit die Sektoren Forst- , Landwirtschaft, Energie- / Wasserversorgung, Verkehr, Information und Kommunikation und Baugewerbe ab.
- 10 Die Kriterien zur Berichterstattung wurden anhand den Empfehlungen der «Task-Force climate related financial disclosures» (TCFD) der G20 Staaten etabliert, womit ein seit 2017 anerkannter und international etablierter Standard zur Klimaberichterstattung aufgegriffen und in Gesetzesform gegossen wurden. Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens zur Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange, S. 8.
- 11 Unternehmen welche in der Schweiz die Berichterstattung unterlassen oder sogar Falschangaben in den Berichten über nicht finanzielle Belange veröffentlichen, riskieren nach Art. 325ter Strafgesetz buch eine Busse von 100‘000 CHF. Bei Fahrlässigkeit beträgt die Busse noch 50‘000 CHF. Weit einschneidender können dabei jedoch die daraus resultierenden Reputationsschäden und Vertrauensverluste von Investoren und Konsumenten sein.
- 12 Mit der CSRD werden weitaus mehr Rohstoffhändler und Energieversorger in der EU einer Pflicht zur Erstellung eines Nachhaltigkeitsberichts unterstehen, da unter CSRD die Kotierungsvoraussetzung wegfällt und der Schwellenwert von 500 auf 250 Mitarbeitende reduziert wird. In der Schweiz werden voraussichtlich ebenfalls die meisten der (untersuchten) Energieversorger und alle Finanzinstitute künftig der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht unterstehen.
- 13 Das heisst wenn es keine «Scope 3-Emmissionen» gibt und der CO2-Ausstoss auch entlang der Lieferkette «netto null» ist.
- 14 Siehe hierzu Schweizer Eidgenossenschaft, Beschaffungskonferenz des Bundes BKB, Nachhaltige Beschaffung, Empfehlungen für die Beschaffungsstellen des Bundes, Juni 2021, Ziffer 2.1.3 «Eignungskriterien Formulieren Sie bei umweltrelevanten Beschaffungen auch umweltbezogene Eignungskriterien, wie z.B. eine spezielle technische Kompetenz oder ein spezielles ökologisches Know-how, das mit entsprechenden Zertifikaten bzw. Unterlagen nachgewiesen werden kann.»
- 15 So zum Beispiel die Science Based Targets Initiative (SBTi), https://sbti.go-for-impact.ch/, nicht zu verwechseln sind Zertifizierungen, die wie die hier genannte, mittels derer die Klimaziele eines Unternehmens definiert und deren erfolgreiche Erreichung bestätigt werden, mit den CO₂-Zertifikaten, die zur Reduktion der eigenen CO2 Bilanz eingekauft werden können.
- 16 In Punkto Verlässlichkeit hat der Zertifikatsmarkt angesichts Kritik an Marktplätzen wie Verra und Southpole eingebüsst, und auch die ETH-Studie mit Auswertung von 2000 Klimaschutzprojekten kommt zu dem Schluss, dass nur 12% der Zertifikate tatsächlich zu Emissionsreduktion führen, weshalb es bei Angaben zur CO2 Kompensation durch Lieferanten ratsam ist, auch eine Zertifizierung der eingekauften Klimazertifikate (z.B. der WWF Gold Standard) festzulegen. ETH-Studie abrufbar unter: https://www.research-collection.ethz.ch/bitstream/handle/20.500.11850/620307/230706_WP_full_vf.pdf?sequence=9&isAllowed=y.