1.
Position ^
Zur Terminologie: «Juristische Informatik» wird hier synonym mit «Rechtsinformatik» (RI) gebraucht.
Die Position der FJI war bei ihrer Gründung 1970 einzigartig in Deutschland: Zeitlich war sie die erste Institutionalisierung von Rechtsinformatik – zwar nur als «Forschungsstelle», aber nichtsdestoweniger von Bestand. Sie stellte eine institutionelle Verbindung zwischen Rechtswissenschaft und Informatik her. Dies entsprach der «Doppelberufung» ihres Leiters Herbert Fiedler (H.F.) als Professor für Rechtswissenschaft an der Universität Bonn und Institutsleiter in der neugegründeten Großforschungseinrichtung «Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung» (GMD) mit dem persönlichen Hintergrund der Doppelqualifikation in Rechtswissenschaft und Mathematik.
Bis jetzt gibt es dazu keine zusammenfassende Würdigung: In der Festschrift zur Emeritierung von Herbert Fiedler (1997) liegt der Schwerpunkt auf dessen Wirken in der GMD. Eine Kurzdarstellung der FJI findet sich in den Bonner Universitätsnachrichten (BUN) 1984. Neuerdings gibt es das Verdienst des Symposiums Greifswald 2008 (Universität Münster / DFG) um die Geschichte von Rechtsinformatik und Informationsrecht. Darin ist eine Darstellung von H.F. zur «Bedeutung der FJI für die Rechtsinformatik» in Vorbereitung.
2.
Konsequenzen der Position ^
Diese erlaubte es, Komponenten aus Rechtswissenschaft und Informatik zusammenzuführen, welche unterschieden blieben, aber systematisch zusammenwirkten – in Forschung und Lehre, wie in der Aufsatzreihe ihres Leiters H.F. in JuS 1970/´71 angesprochen:
Automatisierung im Recht und juristische Informatik
1. | Teil |
2. | Teil |
3. | Teil |
4. | Teil |
5. | Teil |
Die zugleich programmatische Reihe zeigt, dass nicht der Anspruch einer «creatio ex nihilo» erhoben wird, der an den Gebrauch des neuen Kunstworts «Informatik» gebunden wäre. Vielmehr wird die Thematik in der Kontinuität ihrer historischen Entwicklung dargestellt.
Ein Novum dagegen ist die hier erstmals angesprochene und so benannte Thematik eines «Informationsrechts» (im «objektiven Sinne», als Rechtsgebiet). Dieses wird hier nicht der Rechtsinformatik subsumiert, sondern (als Pendant) gegenübergestellt. Die enge Verbindung zur Rechtsinformatik wird hier nicht durch Subsumtion unter eine gemeinsame Kompromissformel erstrebt, sondern durch die Konstruktion RI i.w.S. «=» RI i.e.S. «+» Informationsrecht. So wird Rechtsinformatik (später) im Sinne eines allgemeinen wissenschaftstheoretischen Konzepts als «Integrationsdisziplin» angesprochen (H.F. in der Festschrift für R. Traunmüller im Jahre 2000).
3.
Gründungszeiten der Informatik in Deutschland ^
Die Gründungszeit der FJI (Ende 1969/Anfang 1970) war zugleich die Gründungszeit der Informatik überhaupt als Universitätsdisziplin in Deutschland. Die Gründung vollzog sich unter wesentlicher staatlicher Förderung (DV-Programme). Davon profitierte auch die FJI. Zu dieser Zeit wurde auch die GI (Gesellschaft für Informatik) als wissenschaftliche Fachgesellschaft gegründet. Der Leiter der FJI war in der GI frühzeitig engagiert (u.a. im Präsidium 1973-´76). Damals wurden Untergliederungen der GI eingerichtet: unter anderem FA (Fachausschuss) 12/13 für Informatik in Betriebswirtschaft, öffentlicher Verwaltung und Recht (vgl. dazu Wilfried Brauer in Informatik Spektrum 1998, 290). Die GI hat eine eigene Geschichtsdarstellung. Darin ist die Geschichte der «Anwendungs-»Informatikbereiche noch zu wenig ausgeprägt.
4.
Fachliche Beiträge der FJI ^
Diese können hier natürlich nicht dargestellt werden (stattdessen auch Verweis auf oben (1)). Hervorgehoben werden soll nur ein Beitrag, welcher paradigmatisch für die Position der FJI und von bleibender Bedeutung ist: Grundlegung von juris (Systemanalyse und Konzeption).
Der spätere Leiter der FJI (H.F.) war lange vor Gründung der FJI in elektronischer Rechtsdokumentation engagiert. Er brachte (nach eigenen Vorarbeiten und Anstößen) dann 1970 das Gründungsprojekt von juris zur GMD. Wichtig als historisches Dokument ist u.a. ein (nie publiziertes) «Vorgutachten» 1969 für den BMJ von Fiedler/Klug/Simitis, worin der systemanalytische Teil von H.F. stammt.
In der Projektleitung des juris-Projekts (1970-´72) war der Auftraggeber BMJ selbst vertreten (Dr. J. Fabry), außerdem die GMD (H.F., zugleich FJI) und das IT-Unternehmen C-E-I-R (Dr. F. Gebhardt). Nach zwei Zwischenberichten wurde der Schlussbericht (welcher mehrfach publiziert ist) 1972 dem BMJ (Minister Jahn) übergeben. Dieser wurde die Grundlage der juris-Entwicklung. Dazu z.B.D. Strempel in der Festschrift für H.F. (1997) und H.F. in «Standort juris», Festschrift zum 10-jährigen Bestehen der (späteren) juris GmbH (1995).
5.
Initiativen und Postulate ^
Diese sind natürlich nicht beschränkt auf das Gründungsstadium der Rechtsinformatik, insbesondere:
Initiative «2. Geburt der Rechtsinformatik» (nach Stagnation) mit der
GI-Tagung «2. Geburt der Rechtsinformatik», Marburg 1993
Darin wird gefordert, die Verbindung von Rechtsinformatik und Informationsrecht zu stärken. Die Verbindung der Disziplinen wird explizit als «Integrationsdisziplin» bezeichnet.
Ein allgemeines Postulat informationeller Garantien wird erhoben. Diese sollen als ausgewogenes System verstanden werden, welches auch Sicherheit umfasst; Datenschutz soll darin «relativierend» einbezogen werden. Vgl. H.Fiedler «Informationelle Garantien für das Zeitalter der Informationstechnik» in: Tinnefeld, M.-T.; Philipps, L.; Weis, K. (Hrsg.): Institutionen und Einzelne im Zeitalter der Informationstechnik, München, Wien 1994 – Diese Initiative wurde damals kaum verstanden (wie die wenigen publizierten Reaktionen zeigen).
Beteiligung an der IRIS-Serie (Internationales Rechtsinformatik Symposion) seit ihren Anfängen 1998.
Darin wird der Anspruch der Rechtsinformatik (auch im Sinne einer Integrationsdisziplin) aufrechterhalten. Das bearbeitete Gebiet ist natürlich nicht ohne Lücken. Verhältnismäßig prominent wird die Verbindung zur Rechtstheorie aufrechterhalten. Vgl. z.B. die «Wiener Thesen» von H.F. anlässlich der IRIS 2006 in Wien.
6.
Politische Positionen und Utopien ^
In politisch bewegten Zeiten auch der Wissenschaftsentwicklung wurde hier eine implizite Politik der Nicht-Politisierung von Wissenschaft verfolgt. Auch eine Zurückhaltung gegenüber herrschenden «Bewegungen» in Deutschland könnte man anführen:
- «68er»
- «Anti-Kernkraft»
- «Anti-Volkszählung» («Zählt nicht uns, zählt Eure Tage»; Parole einer Demonstration von Volkszählungsgegnern 1987, wiedergegeben in FAZ Nr. 303 v. 30. Dezember 2006, S. Z5)
Bekämpfung staatsfeindlicher Utopien des Cyberspace, hier anlässlich der GI-Tagung «Internet für Juristen», Tübingen 1998 (darin die Utopie «no kings, no presidents, no voting» von Robert Cailliau). Kritische Publikationen von H.F. dazu wurden damals kaum beachtet.
Eine Diskussion in diesem Zusammenhang:
- «Der Staat im Cyberspace»
H.F. Informatik Spektrum 2001 (vor 9/11 ´01) - Dazu «Freiheit im Cyberspace»
A. Roßnagel Informatik Spektrum 2001 - Dagegen wiederum «Cyber-libertär?»
H.F. Informatik Spektrum 2002 - Weiterhin: «Die Utopie der libertären Informationsgesellschaft und die Zukunft des Staates»
H.F. in Festschrift für H. Reinermann 2005 - «New Government im Cyberspace?»
H.F. in «Informatiktage 2002», Tagungsband 2003. Insbesondere (S. 33):
Forderung, unter New Government nicht nur Verantwortungsfreiheit, sondern auch Verantwortlichkeit (accountability) des Einzelnen zu implementieren. (vor dem Finanzcrash 2010)
7.
Schlussfolgerungen ^
Die Rechtsinformatik besteht fort – als Integrationsdisziplin (analog zur Wirtschaftsinformatik).
8.
Literatur ^
Fiedler, Herbert, Automatisierung im Recht und juristische Informatik (Aufsatzreihe) (1970/71).
1. Teil: Grundbegriffe der elektronischen Informationsverarbeitung in ihrer juristischen Anwendung. Juristische Schulung, S. 432-436 (1970).
2. Teil: Datenverarbeitung und Automatisierung in der öffentlichen Verwaltung. Juristische Schulung, S. 552-556 (1970).
3. Teil: Elektronische Rechtsdokumentation und juristische Informationssysteme. Juristische Schulung, S. 603-607, (1970).
4. Teil: Datenverarbeitung als Hilfsmittel für Gesetzgebung und Rechtspflege. Juristische Schulung, S. 67 (1971).
5. Teil: Perspektiven der Automatisierung im Recht und der juristischen Informatik. Juristische Schulung, S. 228 (1971).
Fiedler, Herbert, Die Forschungsstelle für juristische Informatik und Automation, in: Bonner-Universitäts-Nachrichten (BUN) Nr. 154, S. 9-12 (1984).
Fiedler, Herbert, Informationelle Garantien für das Zeitalter der Informationstechnik, In: Tinnefeld, M.-T.; Philipps, L.; Weis, K. (Hrsg.), Institutionen und Einzelne im Zeitalter der Informationstechnik Reihe Sicherheit in der Informationstechnik, S. 147-158, München, Wien (1994).
Strempel, Dieter, Herbert Fiedlers Anstöße zur juristischen Datenverarbeitung aus der Perspektive des Bundesministeriums der Justiz. In: Lenk / Reinermann / Traunmüller, Informatik in Recht und Verwaltung – Entwicklung, Stand, Perspektiven. Festschrift für Herbert Fiedler zur Emeritierung. Bd. 17 der Schriftenreihe Verwaltungsinformatik. Heidelberg, S. 145-152 (1997).
Brauer, Wilfried, Informatik, Recht und Verwaltung: Vielfältige und enge Beziehungen. In: Informatik Spektrum Bd. 21, S. 290 (zur Festschrift für Herbert Fiedler) (1998).
Fiedler, Herbert, juris – Die Anfänge Zu den Grundlagen einer erfolgreichen Entwicklung. In: Herberger, M.; Berkemann, J.; stellvertretend für den Sachverständigenrat der juris GmbH (Hrsg.), Standort juris, Festschrift zum 10 jährigen Bestehen der juris GmbH (Herbst 1995), Saarbrücken, S. 39-46 (1996).
Fiedler, Herbert, Informationelle Garantien für das Zeitalter der Informationstechnik, In: Tinnefeld, M.-T.; Philipps, L.; Weis, K. (Hrsg.), Institutionen und Einzelne im Zeitalter der Informationstechnik Reihe Sicherheit in der Informationstechnik, München, Wien, S. 147-158 (1994).
Fiedler, Herbert, New Government im Cyberspace? In: Gesellschaft für Informatik e.V. (GI)(Hrsg.) in Zusammenarbeit mit der COMPUTER ZEITUNG/Konradin Verlagsgruppe, Informatiktage 2002 – Fachwissenschaftlicher Informatik-Kongress, Grasbrunn, S. 29-33 (2003).
Fiedler, Herbert, Der Staat im Cyberspace. In: Informatik Spektrum, S. 309-314, Heidelberg 2001; dazu: Arndt Bode (Hauptherausgeber) Editorial: Informatik staatstragend? S. 277 (2001).
Roßnagel, Alexander, Freiheit im Cyberspace, in: Informatik Spektrum Bd. 25, S. 33-38, Heidelberg (2002).
Fiedler, Herbert, Cyber-libertär? – Nach dem 11. September –. In: Informatik Spektrum, Heidelberg S. 215–219 (2002).
Fiedler, Herbert, Informationelle Garantien für eine vernetzte Welt. In: Reinermann, H. (Hrsg.), Neubau der Verwaltung – Informationstechnische Realitäten und Visionen Schriftenreihe Verwaltungsinformatik, Bd. 11, Heidelberg, S. 81-89 (1994).
Fiedler, Herbert, Die Utopie einer libertären Informationsgesellschaft und die Zukunft des Staates
in: Klewitz-Hommelsen, Bonin (Hrsg.), Die Zeit nach dem E-Government, Reihe E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors Bd. 2, LIT Verlag, Münster, S. 67-74 (2005).
Herbert, Fiedler, Em. Professor, Universität Bonn
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Adenauerallee 24-42, 53113 Bonn, DE
herbert.fiedler@gmd.de