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Eine höhere Form des Wählens? Chancen und Risiken von Online-Wahlhilfen

  • Authors: Jan Fivaz / Gabriela Felder
  • Category: Short Articles
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2009
  • Citation: Jan Fivaz / Gabriela Felder, Eine höhere Form des Wählens? Chancen und Risiken von Online-Wahlhilfen, in: Jusletter IT 1 September 2009
Online-Wahlhilfen wie der Wahl-O-Mat oder die Wahlkabine haben sich in den vergangen Jahren als neue, belebende Elemente bei Wahlkämpfen etabliert. Dieser Beitrag untersucht anhand der Schweizer Online-Wahlhilfe smartvote (www.smartvote.ch) welche Wählergruppen solche Online-Dienste in Anspruch nehmen und welche Auswirkungen dies auf die Wahlbeteiligung und vor allem die Wahlentscheidung hat. Basierend darauf soll abgeschätzt werden, inwiefern Online-Wahlhilfen eine Chance oder ein Risiko für moderne Demokratien darstellen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. smartvote und dessen Benutzung
  • 3. Effekte auf Wahlbeteiligung, Informationsstand und Wahlentscheid
  • 4. Fazit und Ausblick
  • 5. Literaturverweise

1.

Einleitung ^

[1]

Wahlkämpfe finden in einem immer stärkeren Umfang auch im Internet statt. Neben Webseiten von Parteien, Kandidierenden und Medien, Blogs, Foren und Chats sowie sozialen Netzwerken, Web 2.0-Seiten, Videoportalen und Podcasts konnten sich in den vergangenen zehn Jahren auch so genannte Online-Wahlhilfen1 als neuartige Informationsplattformen für etablieren und erfreuen sich einer stetig wachsenden Beliebtheit. Die ersten Online-Wahlhilfen wurden 1995 in Finnland und 1998 in den Niederlanden angeboten. Heute gibt es in Europa kaum eine Wahl bei der nicht gleich mehrere, sich konkurrenzierende Online-Wahlhilfen angeboten werden. Obschon eine beeindruckende Anzahl verschiedener Online-Wahlhilfen existiert, basieren sie alle auf ein und demselben an sich einfachen Grundprinzip: In einem ersten Schritt werden mit Hilfe eines Fragebogens die zentralen politischen Präferenzen und Positionen der Parteien und/oder Kandidierenden ermittelt und gespeichert. In einem zweiten Schritt können die Wähler basierend auf dem gleichen Fragebogen ihr eigenes politisches Profil erstellen und ihre Präferenzen mit denjenigen der Parteien oder Kandidierenden vergleichen. Auf diese Weise können sie feststellen, wer ihre individuellen Präferenzen und politischen Werte am besten repräsentiert.

[2]

Vor allem in westeuropäischen Ländern ist die Benutzung solcher Online-Wahlhilfen sprunghaft angestiegen. Anlässlich der Wahlen von 1998 wurde in den Niederlanden der Stemwijzer (www.stemwijzer.nl) 250.000 Mal benutzt. Bei den Wahlen 2006 wurde die Online-Wahlhilfe über 4.7 Millionen Mal benutzt. Hinzu kam noch, dass mit dem Kieskompas (www.kieskompas.nl) eine weitere Online-Wahlhilfe angeboten wurde, deren Dienste weitere 1.5 Millionen Mal in Anspruch genommen wurden (Walgrave et al 2008: 52). In Deutschland erreichte der Wahl-o-Mat (www.wahl-o-mat.de) – ein Ableger des Stemwijzers – ähnlich beeindruckende Benutzerzahlen. Zum ersten Mal wurde er 2002 zur Verfügung gestellt und gleich 3.6 Millionen Mal verwendet. Seither wurde er bei fast allen grösseren Wahlen online gestellt und hat mehr als 10 Millionen Benutzer angezogen (Marschall 2005: 41 und Walgrave et al 2008: 52). In Österreich wurde die Wahlkabine (www.wahlkabine.at) entwickelt und seit 2002 mehr als 2.5 Millionen Mal benutzt. Vor kurzem wurde in Form der Politikkabine (www.politikkabine.at) eine Konkurrenz-Website aufgeschaltet, die sich allerdings eher als Instrument im Rahmen der politischen Bildung versteht.

[3]

Doch trotz der stattlichen Anzahl solcher Wahlhilfen im Internet und deren grosser und stetig wachsender Anzahl von Benutzern hat sich die Wissenschaft – insbesondere die Politikwissenschaft – bislang kaum mit diesem Thema auseinandergesetzt. So ist nur wenig darüber bekannt, welche Wählergruppen solche Wahlhilfen benutzen und welche Effekte diese Benutzung auf die Wahlbeteiligung, den Kenntnisstand und die Wahlentscheidung der Wahlberechtigten haben. Es wurde bislang noch viel zu wenig untersucht, ob solche Online-Wahlhilfen für moderne Demokratien eher als Chance oder als Risiko zu betrachten sind. Nachfolgend soll versucht werden, einige dieser Fragen zu beantworten. Dabei stützt sich dieser Beitrag auf die vorläufigen Ergebnisse eines 2005 gestarteten Forschungsprojektes, dass sich umfassend mit der Benutzung der Schweizer Online-Wahlhilfe smartvote (www.smartvote.ch) auseinandergesetzt hat.2

2.

smartvote und dessen Benutzung ^

[4]

smartvote kann als die am weitesten entwickelte Online-Wahlhilfe betrachtet werden (Fivaz und Schwarz 2007).3 Verantwortlich dafür ist das komplexe Schweizer Wahlsystem bzw. die darin enthaltenen Möglichkeiten der Wahlberechtigten ihren Wahlzettel individuell zu gestalten, indem sie z.B. Wahlvorschläge der Parteien anpassen, einzelne Kandidierende kumulieren (d.h. ihnen zwei Stimmen geben) oder panaschieren (d.h. ihre Stimmen auf verschiedene Parteien/Listen verteilen). Dies hat ein gemischtes Wahlsystem zur Folge, das neben parteizentrierten Aspekten sich auch stark auf einzelne Kandidierende ausrichtet. So standen beispielsweise den Wahlberechtigten im Kanton Zürich anlässlich der National- und Ständeratswahlen 2007 jeweils 34 Stimmen zur Verfügung, die auf nicht weniger als 29 Listen und insgesamt 804 Kandidierende frei verteilt werden konnten. Aus diesem Grund erstellt smartvote wahlweise Positionsvergleiche zwischen einzelnen Wahlberechtigten und ganzen Parteien oder einzelnen Kandidierenden. Daher werden bei smartvote auch die Positionen aller Kandidierenden durch eine Online-Befragung direkt erhoben und nicht nur die Positionen der Parteien erfasst. Hinzu kommt noch, dass je nach Wahlkreis (Kanton) kleinere Unterschiede bezüglich des Wahlsystems und der zur Wahl antretenden Parteien möglich sind, die ebenfalls bei der Ausgestaltung von smartvote berücksichtigt worden sind.

[5]

Diese starke Ausrichtung an den Details des Schweizer Wahl- und Parteiensystems hat sich denn auch stark in den Nutzungszahlen niedergeschlagen. smartvote wurde bei den National- und Ständeratswahlen 2003 zum ersten Mal angeboten und rund 250'000 Mal benutzt. Bei den Wahlen 2007 stieg diese Zahl auf 940.000. Darin sind jedoch noch etliche Mehrfachzählungen enthalten. Gemäss einer bereinigten Benutzerstatistik haben 2007 rund 375'000 Wähler die Dienste von smartvote in Anspruch genommen, was einem Anteil von rund 15% der sich effektiv an den Wahlen beteiligenden Wahlberechtigten entspricht.

[6]

Doch welche Wählergruppen benutzen smartvote? Noch vor wenigen Jahren stellte die Frage, ob die selektive Nutzung des Internets zu einer digitalen Spaltung der Gesellschaft – dem so genannten «digital divide» – führe, den zentralen Aspekt der Diskussion über Gefahren und Risiken der elektronischen Demokratie dar (Norris 2001 und Grönlund 2004). Heute sieht man dies wesentlich gelassener. Zwar existieren tatsächlich deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bezüglich der Internetnutzung, aber die ausserordentlich starke Verbreitung der Internetnutzung – in der Schweiz nutzen heute bereits gegen 80% der Bevölkerung das Internet (Bundesamt für Statistik 2008) – hat dazu geführt, dass diese Unterschiede allmählich geringer ausfallen und in einigen Jahren kaum noch relevant sein werden.

[7]

Bei der Benutzung von Online-Wahlhilfen zeigt sich ein grundsätzlich ähnliches Bild, wobei die Unterschiede zwischen den verschiedenen Benutzergruppen noch deutlicher ausfallen als bei der generellen Internetnutzung. Dies wird durch eine Reihe von Studien von Belgien über Deutschland und die Schweiz bis Litauen bestätigt (Marschall 2005, Trechsel 2007 und Walgrave et al 2008). Die wohl aussagekräftigsten Befunde können jedoch der Schweizer Wahlstudie (Selects) zu den Wahlen 2007 entnommen werden.4 Diese hat in ihren repräsentativen Nachwahlbefragungen unter anderem erhoben, ob die Befragten smartvote benutzt haben oder nicht. Somit können zum ersten Mal überhaupt auf einer für alle Wahlberechtigten repräsentativen Basis Vergleiche bezüglich der soziodemografischen Struktur zwischen smartvoten-Benutzern und Wahlberechtigten angestellt werden (vgl. Tabelle 1).

  Stimmberechtigte (in %) smartvote-Benutzer (in %)
Männer 41.5 56.5
Frauen 58.5 43.5
     
18-24jährige 6.9 20.5
25-34jährige 12.0 25.6
35-44jährige 20.0 22.0
45-54jährige 16.8 13.9
55-64jährige 17.0 11.7
65-74jährige 14.9 4.2
über 75jährige 12.4 2.1
     
Niedriger Bildungsabschluss 14.4 9.1
Mittlerer Bildungsabschluss 59.4 45.3
Hoher Bildungsabschluss 26.2 45.6
     
N = 4'371 / Quelle: Selects 2007    
[8]

Der typische Benutzer von Online-Wahlhilfen ist somit männlich, jung, gut ausgebildet und verfügt über ein relativ hohes Einkommen. Allerdings kann anhand von Daten aus direkten Befragungen der smartvote-Benutzer aus den Jahren 2003 und 2007 geschlossen werden, dass sich auch hier der «digital divide» zu schliessen begonnen hat. So lag der Anteil an Benutzerinnen 2003 noch bei 24% und stieg 2007 auf 44%. Auch bezüglich der Alters- und Einkommensstruktur gleichen sich die smartvote-Benutzer zusehends den Verhältnissen unter den Wahlberechtigten insgesamt an.

3.

Effekte auf Wahlbeteiligung, Informationsstand und Wahlentscheid ^

[9]

Die Schweiz weist im internationalen Vergleich eine sehr geringe Wahlbeteiligung auf. So lag diese 2007 bei nur etwas mehr als 48%. Hatte man zunächst die Hoffnung gehegt, durch die Einführung von E-Votingsystemen die Wahlbeteiligung steigern zu können, so sah man sich bald enttäuscht. Bei ersten Testläufen in der Schweiz und in Grossbritannien konnten keine signifikant höhere Wahlbeteiligungen nachgewiesen werden (Norris 2004a und 2004b). Bezogen auf die Schweiz wurde das Potenzial für eine Erhöhung der Wahlbeteiligung auf 1.7 bis 9% geschätzt (Bundeskanzlei 2004). Diese eher ernüchternden Ergebnisse ergeben – zumindest für die Schweiz – durchaus einen Sinn. Die Schweiz kennt seit Jahren die Möglichkeit der brieflichen Stimmabgabe. Inzwischen wird der überwiegende Teil der Stimmen auf diese Weise abgegeben. Für Schweizer Wähler bietet das E-Voting somit kaum Verbesserungen, da es im Vergleich zur brieflichen Stimmabgabe keine Zeit- und Kostenersparnis mit sich bringt. Es ist vielmehr der Akt des Auswählens (Informationsbeschaffung und -verarbeitung sowie Entscheidungsfindung) als der eigentliche Akt des Wählens (Stimmabgabe), der für die Wahlberechtigten aufwändig ist – vor allem im Hinblick auf das vorangehend bereits beschriebene Schweizer Wahlsystem. Genau an dieser Stelle setzt smartvote an. smartvote bietet eine Möglichkeit die Kosten der Informationssuche und -verarbeitung zu senken, indem man innerhalb von wenigen Minuten die Positionen von hunderten von Kandidierenden analysieren und sich eine provisorische Wahlliste zusammenstellen kann. Insofern wäre es möglich, dass smartvote auch zu einer höheren Wahlbeteiligung führen könnte (Jeitziner 2004).

[10]

Erste Untersuchungen ergeben jedoch ein ambivalentes Bild. Einerseits spricht das soziodemografische Benutzerprofil von smartvote gegen einen ausgeprägten positiven Effekt. Denn unter den smartvote-Benutzern sind genau jene Bevölkerungsgruppen überrepräsentiert, die bereits heute auch unter den Wählenden überrepräsentiert sind. Einzig bei den jüngeren Wahlberechtigten scheint es ein gewisses Potenzial zu geben, ansonsten werden von smartvote überwiegend jene Bevölkerungsgruppen angesprochen, die bereits ein überdurchschnittliches politisches Interesse und eine überdurchschnittliche Wahlbeteiligung aufweisen (Bühlmann et al 2003). Anderseits haben bei Benutzerbefragungen rund 40% der Benutzer angegeben, dass smartvote sie entscheidend zur Wahlteilnahme motiviert hat. Darauf basierend kann geschätzt werden, dass rund 5% der insgesamt Wählenden positiv durch smartvote beeinflusst worden sind (Fivaz 2008). Besonders wichtig ist auch, dass dieser positive Effekt bei Frauen und jungen (18-34jährigen) Wählern besonders ausgeprägt war. Selbstverständlich müssen diese Schätzungen mit grösster Vorsicht und Skepsis behandelt werden, sie zeigen aber in der Tendenz auf, dass von der Benutzung von smartvote positive Effekte auf die Wahlbeteiligung ausgehen, auch wenn diese noch nicht exakt quantifiziert werden können.

[11]

Wichtiger als die Frage nach dem Effekt auf die Wahlbeteiligung ist jedoch die Frage nach dem Effekt auf die Wahlentscheidung. Wie bereits erwähnt, haben 2007 rund 15% der Wählenden die Dienste von smartvote in Anspruch genommen, doch inwiefern wurden sie dabei auch in ihrer Wahlentscheidung beeinflusst? Eine Studie zu einer belgischen Online-Wahlhilfe ist zum Schluss gekommen, dass die Wähler diese vorwiegend als Spielerei empfunden haben oder sie allenfalls als Testinstrument benutzt haben, um nach der Stimmabgabe zu überprüfen, ob sie für die «richtige» Partei gestimmt haben oder nicht. Somit war der direkte Einfluss auf die Wahlentscheidung äusserst gering (Walgrave et al 2008). Die Antworten aus den Befragungen der smartvote -Benutzer zeigen hingegen ein vollkommen entgegengesetztes Bild. Mehr als 66% der Benutzer gaben an, dass smartvote sie in ihrer Wahlentscheidung massgeblich beeinflusst hat. Wiederum waren Frauen (70%) und jüngere Wahlberechtigte (ca. 72.%) von diesem Effekt deutlich stärker betroffen (Fivaz 2008).5 Wie lassen sich nun diese unterschiedlichen Ergebnisse aus Belgien und der Schweiz erklären? Die Erklärung dürfte in den unterschiedlichen Wahlsystemen liegen. In Belgien können Wähler lediglich eine Parteiliste wählen. Sie können ihre Präferenzen für einzelne Kandidierende nicht auf dem Wahlzettel anbringen. Zudem tritt im Vergleich mit der Schweiz eine deutlich geringere Anzahl Parteien überhaupt zur Wahl an. In der Schweiz hingegen ermöglicht das komplexe Wahlsystem – wie bereits beschrieben – den Wählern ihre individuellen Präferenzen sehr detailliert auszudrücken und sie können aus mehreren hundert Kandidierenden auswählen. Vor diesem Hintergrund scheint es plausibel, dass die belgischen Wähler ihre Online-Wahlhilfe eher als Spielerei oder Testinstrument betrachtet haben, während die Schweizer Wähler in smartvote eine echte Dienstleistung im Hinblick auf ihre Entscheidungsfindung gesehen haben.

[12]

Selbstverständlich wäre es nun interessant zu wissen, ob es Parteien oder Kandidierende gegeben hat, die besonders von dieser Beeinflussung der Wähler durch smartvote profitiert haben. Diesbezüglich sind jedoch im Augenblick noch keine Aussagen möglich. Zwar haben die smartvote-Benutzer deutlich häufiger linksstehende Parteien gewählt, als dies die übrigen Wähler getan haben, aber daraus lässt sich noch nicht ablesen, ob sie dies auf Grund der Informationen, die sie bei smartvote erhalten haben oder auf Grund anderer Einflussfaktoren getan haben. Ähnlich verhält es sich mit einer Reihe von weiteren Aspekten (vgl. Tabelle 2).

  Stimmberechtigte (in %) smartvote-Benutzer (in %)
Sehr interessiert an Politik 15.4 30.4
Eher interessiert an Politik 45.2 48.2
Eher nicht interessiert an Politik 27.0 19.0
Gar nicht interessiert an Politik 12.4 2.4
35-44jährige 20.0 22.0
45-54jährige 16.8 13.9
55-64jährige 17.0 11.7
     
Geringe politische Kenntnisse 17.6 15.3
Eher geringe politische Kenntnisse 29.9 16.8
Mittlere politische Kenntnisse 26.9 25.2
[13]

Offenbar unterscheiden sich smartvote-Benutzer nicht nur anhand ihres Wahlentscheids deutlich von den übrigen Wählern. Aus der Tabelle 2 geht zudem hervor, dass sie sich deutlich stärker für Politik interessieren und über bessere politische Kenntnisse verfügen. Darüber hinaus orientieren sie sich weitaus weniger an spezifischen Parteien, was sich an dem überdurchschnittlich hohen Anteil an Wechselwählern und Wählern, die ihre Stimmen auf mehrere Parteien verteilen, zeigt. Allerdings kann bei all diesen Merkmalen anhand der im Augenlick vorliegenden Daten kein kausaler Zusammenhang mit der Benutzung von smartvote belegt werden. Es ist somit z.B. nach wie vor unklar, ob smartvote seine Benutzer dazu verleitet hat, vermehrt Wechselwähler zu werden, oder ob es einfach so ist, dass sich Wechselwähler generell stärker für ein Instrument wie smartvote interessieren als die übrigen Wähler.

[14]

Im Zusammenhang mit der Einführung von E-Votingsystemen, aber auch bezüglich der Benutzung von Online-Wahlhilfen ist immer wieder die Befürchtung geäussert worden, dass solche elektronischen Plattformen dazu führen könnten, dass der Akt des Wählens und die davorliegende Entscheidungsfindung nicht mehr genügend gewürdigt würden. Wähler würden zu einem voreiligen und unüberlegten «instant voting» verleitet werden. Auch bestünde die Gefahr, dass sich die Wähler zu «couch potato voter» entwickeln könnten, die ohne soziale Interaktionen alleine vor dem Computer sitzend ihre Wahlentscheidung fällen würden. Solch übertriebene Befürchtungen sind bezüglich E-Voting und Online-Wahlhilfen ebenso Fehl am Platz wie die übersteigerten Erwartungen bezüglich der Segnungen der modernen Kommunikationsmittel für die heutigen Demokratien (z.B. bezüglich der Erhöhung der Wahlbeteiligungen). Anhand der smartvote-Benutzerbefragungen kann gezeigt werden, dass smartvote eine Reihe von wünschenswerten Effekten auf seine Benutzer gehabt hat. 85% der Benutzer haben angegeben, dass sie Dank smartvote ihre Wahlentscheidung auf einer deutlich besseren Informationsbasis gefällt haben, die Beantwortung des Fragebogens hat immerhin 49% der Benutzer dazu gebracht, sich mit politischen Themen auseinander zu setzen, die sie sonst nicht beachtet hätten und 47% bzw. 56% haben auf Grund der Benutzung von smartvote weitere Informationen zu politischen Sachthemen bzw. Parteien oder Kandidierenden gesucht. Während smartvote auch 68% seiner Benutzer motiviert hat sich in politischen Diskussionen mit Freunden oder Bekannten zu engagieren (Fivaz 2008).

4.

Fazit und Ausblick ^

[15]

Abschliessend können die zentralen Aussagen des vorliegenden Beitrages wie folgt zusammengefasst werden: Online-Wahlhilfen werden von einem wachsenden Kreis von Wählern benutzt. In der Schweiz haben 2007 bereits 15% der an den Wahlen teilnehmenden Wähler die Online-Wahlhilfe smartvote konsultiert und sie nehmen die ihnen zur Verfügung gestellten Informationen ernst. Bei 66% der Benutzer hat smartvote die Wahlentscheidung massgeblich beeinflusst! Darüber hinaus hat smartvote seine Benutzer dazu gebracht, sich intensiver mit den Wahlthemen und den sich zur Wahl stellenden Parteien und Kandidierenden zu befassen. Allerdings können die Effekte auf das politische Interesse, die politischen Kenntnisse und die Wahlentscheidung (dahingehend in welche Richtung die Wähler beeinflusst wurden) anhand des vorliegenden Datenmaterials noch nicht exakt bestimmt werden. Auch die Effekte auf die Wahlbeteiligung sind noch unklar. Zwar gibt es eindeutige Hinweise auf einen positiven Zusammenhang, weiterhin offen ist jedoch das konkrete Ausmass des Einflusses von smartvote auf die Wahlbeteiligung.

[16]

Zur Zeit ist es noch unklar, wie gross die Chancen und Risiken im Detail sind, die von Online-Wahlhilfen ausgehen. Klar ist jedoch, dass sich smartvote und die anderen Online-Wahlhilfen in den nächsten Jahren inhaltlich und bezüglich Nutzungsreichweite weiterentwickeln werden. Bei den Wahlen für den StudentInnen-Rat der Universität Bern wurden 2005 und 2007 testweise smartvote und das E-Votingsystem verknüpft. Die Studierenden konnten sich somit zunächst auf smartvote eine Liste aus Kandidierenden zusammenstellen und diese dann per Mausklick in das E-Votingsystem importieren und dort wählen. Diese Testläufe haben zu beeindruckenden Ergebnissen geführt: einerseits hat sich die Wahlbeteiligung nahezu verdoppelt, andererseits ist es zu massiven Verschiebungen bei den Parteistärken gekommen, wobei auch hier unklar ist, in welchem Umfang dies auf die Benutzung von smartvote zurückzuführen ist. Nicht zuletzt angesichts dieser Testläufe und des beachtlichen Erfolgs von smartvote bei den National- und Ständeratswahlen 2007 wurden die verfassungsmässigen und wahlrechtlichen Aspekte von Online-Wahlhilfen in einer Studie umfassend abgeklärt (Rütsche 2008). So werden in der Studie auch rechtliche und verfahrensmässige Standards genannt, die von Online-Wahlhilfen zu erfüllen sind, um Missbräuchen vorzubeugen (z.B. Transparenzvorschriften bezüglich der verwendeten Methoden, der Trägerschaft und der Finanzierung sowie die Gleichbehandlung aller Parteien und Kandidierenden, die zu einer Wahl zugelassen sind). Trotz dieser Studie bedarf es weiterer rechtswissenschaftlicher Abklärungen – zumal die meisten Online-Wahlhilfen heute gegen eine oder mehrere der genannten Anforderungen verstossen – und es bedarf auch weiterer politikwissenschaftlicher Abklärungen. Insbesondere die Frage, inwiefern die Benutzung von Online-Wahlhilfen die Entscheidungsfindung der Wähler beeinflusst, muss noch genauer abgeklärt werden. Darauf weist auch eine wegweisende politikwissenschaftliche Studie hin, die sich mit der Auswirkung der unterschiedlichen Mittel und Wege der Informationsbeschaffung und -verarbeitung auf die Wahlentscheidung befasst und dabei empfiehlt insbesondere die neue Möglichkeit der Online-Wahlhilfen im Auge zu behalten (Lau und Redlawsk 2006).

5.

Literaturverweise ^

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Fivaz, Jan (2008): Impact of «smart-voting» on Political Participation; Disskussionspapier präsentiert am Civic Education and Political Participation Workshop an der Université de Montréal vom 17. bis 19. Juni 2008; Montreal.
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Jeitziner, Bruno (2004): Wahlen im Internetzeitalter. Informationsvermittler als politische Berater von Wählern und Politikern; in: Schaltegger, Christoph A. und Schaltegger, Stefan C. (Hrsg.): Perspektiven der Wirtschaftspolitik. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. René L. Frey; Zürich; S. 47-64.
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Trechsel, Alexander H. (2007): Inclusiveness of Old and New Forms of Citizens’ Electoral Participation; in: Representation; 43 (2); S. 111-121.
Walgrave, Stefaan; van Aelst, Peter und Nuytemans, Michiel (2008): Do the Vote Test: The Electoral Effects of a Popular Vote Advice Application at the 2004 Belgian Elections; in: Acta Politica; 43; S. 50-70.

 



Jan Fivaz, NCCR Democracy - Project «smart-voting»
Universität Bern - Kompetenzzentrum für Public Management (KPM)
Schanzeneckstrasse 1, Postfach 8573, 3001 Bern, CH, fivaz@nccr-democracy.uzh.ch
Gabriela Felder, Center for Democracy Aarau ZDA - University of Zurich - NCCR Democracy
Villa Blumenhalde, Küttigerstrasse 21, 5000 Aarau, CH, gabriela.felder@zda.uzh.ch

 

  1. 1 Eine eindeutige Namensgebung hat sich weder im Deutschen noch im Englischen durchgesetzt. So werden solche Webseiten auf Deutsch als «Online-Wahlhilfen», «Wahltests» oder «Wahlhelfer» bezeichnet, während im Englischen Bezeichnungen wie «voting indicator» oder «voting advice application» verwendet werden.
  2. 2 Es handelt sich dabei um das Projekt IP16 «smart-voting», das im Rahmen des National Centre of Competence in Research (NCCR) «Challenges to Democracy in the 21st Century» an den Universitäten Bern, Lausanne und Zürich sowie am European University Institute (EUI) in Florenz durchgeführt wird (www.nccr-democracy.uzh.ch/nccr/knowledge_transfer/ip16).
  3. 3 Eine detaillierte Beschreibung von smartvote findet sich in einer Online-Publikation des Berkman Center for Internet & Society der Harvard University (vgl. Thurman und Gasser 2009: http://cyber.law.harvard.edu/publications/2009/Switzerland_case_studies).
  4. 4 Vgl. www.selects.ch.
  5. 5 Auch die Parteien und Kandidierenden in der Schweiz gehen davon aus, dass smartvote die Wahlentscheidung von Wahlberechtigten massiv beeinflusst. So erklärt sich auch, dass 2007 mehr als 85% der Kandidierenden den smartvote-Fragebogen beantwortet haben! Zudem versuchten die Parteileitungen die Kandidierenden zu möglichst einheitlichen, der Parteiposition entsprechenden Antworten zu bewegen (indem sie «Hinweise» zur Beantwortung des Fragebogens verteilten). Auch dies ein Anzeichen, dass man von Seiten der Parteileitungen smartvote ernst nimmt. Im Rahmen der wissenschaftlichen Kandidierendenbefragungen gab rund ein Drittel der Kandidierenden an, solche «Hinweise» erhalten zu haben. Allerdings wurden sie kaum befolgt. Entscheidend waren für die Kandidierenden nach wie vor ihre eigenen Ansichten (Ladner et al 2008a und Ladner et al 2008b).