1.
Einleitung ^
Dieser Beitrag basiert auf zwei von uns verfassten Studien [Kue09; KS09] und soll aufzeigen, welche Elemente aus Sicht der Interoperabilität für die behördenübergreifende Zusammenarbeit im E-Government wesentlich sind. Ferner werden Standards und deren Standardisierung im Hinblick auf Qualität und Nachhaltigkeit von Interoperabilität betrachtet. Hierzu wurden Dokumente aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und der Europäischen Union analysiert sowie ein Reihe von qualitativen Interviews mit Experten sowie Beobachtungen in der öffentlichen Verwaltung der Schweiz, deren IT-Leistungserbringer sowie einer Standardisierungsorganisation geführt. Als Rahmen für die Diskussion dient das European Interoperability Framework [EIF08]. Am Schluss wird summarisch der Stand der Interoperabilität im E-Government Schweiz geschildert.
2.
Interoperabilität ^
In der Literatur sind unterschiedliche Definitionen und Modelle zur Interoperabilität zu finden. Eine Übersicht dazu gibt [PT06]. In diesem Beitrag beziehen wir uns auf das European Interoperability Framework 2.0 (Entwurf), kurz EIF, welches spezifisch auf E-Government ausgerichtet ist und zugleich als Referenzrahmen zur Einordnung der Thematik Verwendung findet. Das EIF dient als Grundlage für die Realisierung paneuropäischer E-Government-Services (Pan-European eGovernment Services, PEGS) und beschränkt sich auf die europäische Ebene und die Mitgliedsstaaten. Ein Interoperabilitätsframework beschreibt, wie Organisationen die Gestaltung der gegenseitigen Interaktionen vereinbaren und wie Standards angewendet werden sollen. [EIF08]
Interoperabilität ist definiert als«the ability of disparate and diverse organizations to interact towards mutually beneficial and agreed common goals, involving the sharing of information and knowledge between the organizations via the business processes they support, by means of the exchange of data between their respective information and communication technology (ICT) systems». [EIF08] Im Vergleich zu früheren Definitionen ist festzustellen, dass die Aspekte der Kooperation und Koordination der Interoperabilität von Organisationen zu Lasten der Technik stärker an Bedeutung gewonnen haben. Weiter sind mit dem politischen Kontext und der rechtlichen Interoperabilität Elemente der Governance neu hinzugekommen (vgl. Interoperabilitätsebenen).
2.1.
Interoperabilitätsebenen ^
Um Interoperabilität herzustellen, müssen nach [EIF08] fünf verschiedene Interoperabilitätsebenen adressiert werden. In Abbildung 1 sind diese Ebenen dargestellt und nachfolgend kurz beschrieben:
- Politischer Kontext: Der politische Wille ist unabdingbare Voraussetzung für eine Zusammenarbeit. Gemeinsame Visionen und Ziele sind zu vereinbaren und zu verfolgen. Prinzipien wie Föderalismus und Subsidiarität werden als leitende Grundideen verstanden.
- Rechtliche Interoperabilität: Rechtliche Grundlagen für die Zusammenarbeit sind zu schaffen respektive bestehende sind entsprechend anzupassen. Prinzipien wie Zuständigkeit, Gesetzmäßigkeit, Nachvollziehbarkeit und Verfahrensvorschriften setzen Rahmenbedingungen.
- Organisatorische Interoperabilität: Abstimmung von Geschäftsprozessen und organisatorischen Zielen. Die Abstimmung erfolgt über Service Level Agreements, Operational Level Agreements, Underpinning Contracts, Vereinbarungen über die Abfolge von Bearbeitungs- und Kompetenzübergängen sowie die jeweiligen Austauschobjekte unter Wahrung des Zuständigkeitsprinzips.
- Semantische Interoperabilität: Die Bedeutung der ausgetauschten Informationen in Prozessen und Leistungen müssen von allen beteiligten Parteien gleich verstanden werden.
- Technische Interoperabilität: Technische Aspekte der Vernetzung von Systemen und Services hinsichtlich Schnittstellen, Verbindungsdiensten, Datenintegration, Middleware, Datenpräsentation und -austausch, Zugang für alle und Datensicherheit. Technische Interoperabilität wird durch die Einhaltung der entsprechenden Standards erzielt.
Um Interoperabilität zwischen Systemen zu erreichen, müssen die technische, die semantische sowie die organisatorische Interoperabilität gewährleistet sein. Hinzukommen die rechtliche Interoperabilität und der politische Kontext; diese Ebenen werden auch als Governance der Interoperabilität bezeichnet (vgl. auch [EPAN04; Tam07]). Interoperabilität setzt somit gemeinsame Ziele und der Wille zur Zusammenarbeit voraus; dies schlägt sich in E-Government-Strategien und rechtlichen Grundlagen nieder. Ferner wird die Bedeutung der semantischen Interoperabilität vor allem durch die rechtliche und organisatorische Ausgestaltung der Zusammenarbeit geprägt. Anpassungen an den Interoperabilitätsebenen zwecks behördenübergreifender Zusammenarbeit erfolgt mittels «Alignment» der jeweiligen Ebenen resp. des Kontexts. Sind bspw. Anpassungen am politischen Kontext oder der rechtlichen Interoperabilität notwendig, so sind die dafür vorgesehenen politischen resp. rechtlichen Instrumente (parlamentarischer Vorstoß, Gesetzgebungsverfahren) anzuwenden.
2.2.
Anschauungsmodell ^
Interoperabilität ist aus übergeordneten Zielen abzuleiten, die sich in Prinzipien (Anforderungen) für Interoperabilität manifestieren. Die Interoperabilität wird durch eine Menge von aufeinander abgestimmten Interoperabilitätselementen konstituiert, welche durch die fünf Interoperabilitätsebenen definiert sind. Ziele und Prinzipien sind durch den politischen Kontext sowie die rechtliche und organisatorische Interoperabilität implizit oder explizit definiert. Standards adressieren primär die technische, teilweise aber auch die semantische Ebene der Interoperabilität; dies bezieht sich ebenfalls auf eine Menge von Standards je Interoperabilitätselement. Ferner stellen Interoperabiltätselemente Handlungsfelder für die weitere Standardisierung dar. Um Interoperabilität nachhaltig zu gewährleisten, sind die Interoperabilitätsebenen, insbesondere Ziele und Prinzipien sowie Standards, in einem Lebenszyklus kontinuierlich zu pflegen (Plan, Do, Check, Act, PDCA-Zyklus). Siehe Abbildung 2.
2.2.1.
Ziele und Prinzipien ^
Ziele und Prinzipien bilden die Grundlage für die Interoperabilität in Form von Richtlinien für die Implementierung von Systemen und Prozessen sowie für Entscheidungen in Organisationen. Ziele sind explizit oder implizit in Strategien oder Roadmaps enthalten. Die Prinzipien zeigen möglichst explizit Anforderungen an die Interoperabilität auf und können eine oder mehrere Interoperabilitätsebenen betreffen. Das EIF definiert zehn Prinzipien, die sich den Themen «Politikgestaltung», «Benutzeranforderungen», «Ziele für die Verwaltung» und «Professionalität» zuordnen lassen.
2.2.2.
Standards ^
Standards – als von einer Instanz verabschiedete Normen – beschreiben technische und semantische Aspekte der Interoperabilität. Im Kontext ihrer Anwendung bilden sie die Grundlage für die Interoperabilität und beschreiben als Menge zusammengefasst Interoperabilitätselemente. Diese sind generisch, jedoch können je nach E-Government-Architektur unterschiedliche solcher Interoperabilitätselemente identifiziert werden. Die in unserer Untersuchung [KS09] betrachteten Interoperabilitätselemente im E-Government Schweiz und die dazugehörigen eCH-Standards1 sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Interoperabilitätselement | eCH-Standards |
Geschäftsmodell E-Government Schweiz | eCH-0077 |
Generische Verwaltungstätigkeit | eCH-0039, eCH-0077 |
Portale und Portalverbund | eCH-0049, eCH-0073, eCH-0088 |
Lebenslagen und Unternehmenssituation | eCH-0049 |
Leistungsvertrag und Dokumentation | eCH-0039, eCH-0070, eCH-0073, eCH-0074, eCH-0075, eCH-0079 |
Governance und Pflege von Standards | eCH-0001, eCH-0003, eCH-0088 |
2.2.3.
Standardisierung ^
Im Sinne von «Good Documents Must Be Maintained» müssen Standards einem kontinuierlichen Pflegeprozess unterliegen, der einem PDCA-Zyklus folgt. Governance und Pflege von Standards in ihrem Lebenszyklus sind wesentlich, um die Interoperabilität eines Systems über den Verlauf der Zeit aufrechtzuerhalten. Die Qualität und somit letztlich die Akzeptanz von Standards müssen durch den Standardisierungsprozess sichergestellt werden. Konzeptionelle und technische Weiterentwicklungen sollten sich in Standards niederschlagen, damit die Interoperabilität gewährleistet wird und gleichzeitig Innovationen via Standards ihren Weg in die Systeme finden. Dadurch sollen lokale, nicht standardisierte Weiterentwicklungen verhindert werden. Die Pflege und Weiterentwicklung von Standards hat kontinuierlich zu erfolgen.
Die Verbreitung (Umsetzung und Verbindlichkeit) von Standards ist kritisch für den Erfolg; in den untersuchten Fällen bestand keine Organisationsgewalt zur Durchsetzung von Standards. Vereinzelte Ausnahmen bilden rechtliche Verankerungen von Standards in Verordnungen. Qualitative, d.h. insbesondere aktuelle und pragmatische Standards scheinen eine bessere Verbreitung zu finden. Neu hinzugekommen sind Forderungen nach einem professionellen Change Management und Release Management für Standards (bspw. im Meldewesen, bei Statistikdaten). Jüngste Antworten hierauf sind Plattformen, die den Austausch mit verschiedenen Stakeholdern in der Standardisierung fördern sollen.2
3.
Fallbeispiel E-Government Schweiz ^
E-Government Schweiz basiert auf einer durch die politischen Behörden getragenen, gemeinsamen Strategie [ISB07]. Im E-Government Schweiz bleibt Interoperabilität aber ein implizites Thema. Es fehlen eine klare übergreifende, organisatorische Vision, eine explizite Definition von Interoperabilität sowie deren Ziele und Prinzipien wie sie im EIF beschrieben sind. Ebenso fehlen Aussagen zur internationalen Integration, welche hinsichtlich Interoperabilität in der E-Government-Architektur Schweiz berücksichtigt werden sollte. Andererseits bestehen explizite Standards zur behördenübergreifenden Zusammenarbeit. Weiter sind verschiedene Vorgaben der Interoperabilitätselemente weit fortgeschritten. Standards zum Leistungsverzeichnis und zur Dokumentation der Leistungen haben im Vergleich einen konzeptionell ausgereiften Stand erreicht, hingegen wurden generische Verwaltungsverfahren als Interoperabilitätselement noch nicht vertieft behandelt. Portale und Portalverbund sind einem großen Wandel unterworfen. Standards zur Governance und Pflege stehen im Entwurfsstadium; diese Thematik befindet sich im europäischen Umfeld ebenfalls in Entwicklung. Gemäß [GK08] wird in den nächsten zwei Jahren in den Bereichen Standards und Koordination der größte Handlungsbedarf im E-Government Schweiz gesehen.
4.
Konklusion ^
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass abgeleitete Ziele und Prinzipien aus Strategien für die Anforderung an und für die Definition von Interoperabilität wesentlich sind. Konkrete Ziele und Prinzipien der Interoperabilität sind in Strategie- und Architekturdokumenten explizit zu machen. Dadurch werden Interoperabilitätselemente und Handlungsfelder für zukünftige Standardisierungen aufgezeigt sowie der Fortschritt und die Maturität von Interoperabilität messbar. Eine nachhaltige Interoperabilität bedingt einen kontinuierlichen Pflegeprozess, der dem Lebenszyklus von Standards folgt. Dadurch sollen Qualität und Akzeptanz sichergestellt werden. Standardisierungsorganisationen bieten darüber hinaus – sofern sie in der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft gut verankert sind – eine wichtige Plattform für die thematische Koordination sowie einen effektiven Wissensaustausch zwischen den Akteuren.
5.
Literaturverzeichnis ^
[EIF08] European Interoperability Framework 2.0 (Entwurf). European Commission, IDABC, 2008. – URL: http://ec.europa.eu/idabc/en/document/7728 (01.04.09)
[EPAN04] EPAN, European Public Administration Network, eGovernment Working Group: Key Principles of an Interoperability Architecture. Brussels, 2004. – URL: www.epractice.eu/en/library/281244 (01.04.09)
[GK08] Golder, L; Kopp, L; et al.: Die Zeit ist reif für ein koordiniertes „E-Government 2.0“. Schlussbericht zur Studie Verwaltung und E-Government. gfs.bern. Bern, 2008.
[ISB07] Informatikstrategieorgan Bund ISB. E-Government-Strategie Schweiz. Bern, 2007.
[KS09] Kühn, A.; Spichiger, A.: eCH Interoperabilitätsansatz, Vergleichsstudie 2008. Studie im Auftrag des ISB. Bern, 2009.
[Kue08] Kühn, A.: Standards im E-Government. Schlussbericht. Pilotstudie im Auftrag von eCH. Bern, 2009.
[PT06] Peristeras, V.; Tarabanis, K.: The Connection, Communication, Consolidation, Collaboration Interoperability Framework (C4IF) for Information Systems Interoperability. In: International Journal of Interoperability in Business Information Systems (IBIS), Vol. 1, 2006, No. 1, 61-72.
[Tam07] Tambouris, E.; Tarabanis, K.; Peristeras, V.; Liotas, N.: Study on Interoperability at Local and Regional Level. Prepared for the European Commission. 2007 – URL: www.epractice.eu/en/library/281708 (01.04.09)
Andreas Kühn, Reinhard Riedl, Andreas Spichiger, Kompetenzzentrum Public Management und E-Government, Berner Fachhochschule, Morgartenstrasse 2a, Postfach 305, CH-3000 Bern 22
andreas.kuehn@bfh.ch ,andreas.spichiger@bfh.ch ,reinhard.riedl@bfh.ch
- 1 eCH-Standards: http://www.ech.ch .
- 2 Vgl. SEMIC.EU (http://www.semic.eu) oder XRepository (http://www.xrepository.deutschland-online.de).