Rechtsinformatik i.w.S. wird hier verstanden als Integrationsdisziplin aus Rechtsinformatik i.e.S. «+» Informationsrecht.
Rechtsinformatik i.e.S. befasst sich als Disziplin angewandter Informatik mit der IKT-gestützten Implementierung von Recht mit deren Theorie und Methoden. In diesem Sinne war Rechtsinformatik auch schon vorhanden vor dem Gebrauch der (neuen) Kunstworte «Informatik» und «Rechtsinformatik» (bzw. «Juristische Informatik»). Vgl. z.B. H.F., «Rechenautomaten als Hilfsmittel der Gesetzesanwendung (Einige grundsätzliche Bemerkungen)» 1962; diese Arbeit wurde gelobt schon von N. Luhmann, in «Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung» 1966 (S. 31 N.5). Rechtsinformatik steht daher in einer bereits längeren Tradition, gemeinsam auch mit Verwaltungsinformatik; es kann nicht der Anspruch einer «creatio ex nihilo» mit dem Auftauchen des Worts «Informatik» erhoben werden.
Ein Novum war dagegen das Konzept «Informationsrecht» (im objektiven Sinne, als Rechtsgebiet) anlässlich der systematischen Bedeutung der IKT-gestützten Implementierung von Recht. Dieses wurde damals (H.F., Aufsatzreihe JuS 1970/'71) der Rechtsinformatik (i.e.S.) nicht subsumiert, sondern gegenübergestellt - insbesondere dann als Recht der IKT-gestützten Implementierung von Recht.
Erst später wurde die Rechtsinformatik i.w.S. explizit als «Integrationsdisziplin» angesprochen, insbesondere unter dem Motto «Differenzierung und Integration in der Wissenschaftsentwicklung»; H.F. in der Festschrift für Roland Traunmüller (2000).
Etwa zugleich mit einem Paradigmenwechsel der IKT (vom exklusiven Instrument weniger Mächtiger zur Jedermann-Technik und allgemeinen Lebensgrundlage) wurde eine zeitweilige Stagnation der Rechtsinformatik registriert. Daher Initiative «Zweite Geburt der Rechtsinformatik» (H.F., R. Traunmüller u.a., GI-Tagung Marburg 1993). Forderung eines (ausgewogenen) Systems «Informationeller Garantien» (H.F., 1993/1994).
Rechtsinformatik wurde weiterentwickelt für die Zeit einer «Informationsgesellschaft». Thema war auch «Staat und Recht im Cyberspace». Bekämpft wurde eine Utopie «no kings, no presidents, no voting» (von Cailliau, bei der GI-Tagung Tübingen 1998). Insbes. H.F. kritisierte eine «libertäre» Dogmatik (vor dem 9/11 2001 und dem Bankencrash 2008).
Mit der Entwicklung der Verwaltungsinformatik gibt es viele Gemeinsamkeiten und Überschneidungen (vgl. nur das Thema «IKT-gestützte Implementierung von Recht»!). Andererseits existiern eine eigenständige Tradition der Verwaltungswissenschaften, später die Entwicklungen zu «E-Government», «E-Governance», usw.
Angesichts dieser Entwicklungen kommt einer (neuen) historischen Betrachtungsweise ein großes Verdienst zu (u.a. Initiative ITM Münster / DFG / Thyssen-Krupp Stiftung Greifswald). Als elementare Forderung wäre zu erheben die nach einer gemeinsamen «Timetable» für die verschiedenen Entwicklungsstränge in Rechts- und Verwaltungsinformatik.
Gegenwärtig sind gemeinsam die Fragen zur Disziplinbildung einer Integrationsdisziplin (vgl. die Analogie der Wirtschaftsinformatik).
Hinweise: Vgl. in diesem Band den Beitrag von R. Traunmüller, sowie das Schriftenverzeichnis von H.F. Zur Terminologie: «Juristische Informatik» wird hier synonym mit «Rechtsinformatik» (RI) gebraucht.
Herbert Fiedler, Em. Professor, Universität Bonn
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät, Adenauerallee 24-42, 53113 Bonn, DE
herbert.fiedler@gmd.de