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Der proaktive Staat und die Reisefreiheit

  • Author: Ralf Blaha
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Global security and proactive state
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Ralf Blaha, Der proaktive Staat und die Reisefreiheit, in: Jusletter IT 1 September 2010
Sicherheitsbehörden vernetzten sich zunehmend international und setzen proaktive Massnahmen, welche auch die Reisefreiheit beschränken können. Gegenstand dieses Beitrages ist die Beantwortung der Frage, wie weit die österreichischen Sicherheitsbehörden im Zeichen der nationalen bzw. globalen Sicherheit bei solchen proaktiven Massnahmen gehen dürfen und inwieweit man sich gegen überschiessende Massnahmen wehren kann.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Problemaufriss
  • 2. Der rechtliche Rahmen der Reisefreiheit
  • 2.1. Verfassungsmäßig gewährleistete Rechte und EU-Rechtsrahmen
  • 2.2. Sicherheitspolizeigesetz
  • 3. Die Bedeutung von IT-Infrastruktur für proaktive Maßnahmen
  • 4. Praktisches Beispiel
  • 5. Resümee
  • 6. Literatur
  • 7. Passgesetz und Flugsicherheitsgesetz

1.

Problemaufriss ^

[1]
Staaten haben – abhängig von ihrer Doktrin – seit alters her versucht, die Reisefreiheit ihrer Bürger mehr oder weniger zu beschränken. Die liberalen Demokratien vertreten dabei den Grundsatz, dass die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger nur in Ausnahmefällen einzuschränken ist.
[2]

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat eine Gegenbewegung eingesetzt: Laut Medienberichten werden Menschen im Zuge von Veranstaltungen wie z.B. G8-Treffen und Fußballmeisterschaften an der Ausreise bzw. Einreise gehindert, wenn der bloße Verdacht besteht, dass sie demonstrieren, gewalttätig werden, oder sonst unerwünscht in Erscheinung treten könnten. Die Staaten, die bis dato primär repressiv eingeschritten sind, konzentrieren sich zunehmend auf präventives bzw. proaktives Handeln.

[3]
Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen kommen intensiv Informationstechnologien zum Einsatz, vor allem bei der Datensammlung und –auswertung (z.B. die für die Einreise in die USA verpflichtete Anmeldung bei ESTA und die Übermittlung von Passagierdaten).
[4]
Gegenstand dieses Beitrages ist die Beantwortung der Frage, wie weit die österreichischen Sicherheitsbehörden im Zeichen der nationalen bzw. globalen Sicherheit bei solchen proaktiven Maßnahmen gehen dürfen und inwieweit man sich gegen überschießende Maßnahmen wehren kann.

2.

Der rechtliche Rahmen der Reisefreiheit ^

2.1.

Verfassungsmäßig gewährleistete Rechte und EU-Rechtsrahmen ^

[5]

Nach Art. 5 Abs. 1  EMRK 1 und Art. 1 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den  Schutz der persönlichen Freiheit 2 hat jeder Mensch ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Gemäß Art. 2 Abs. 2 des Vierten Zusatzprotokolls zur EMRK 3 steht es jedermann frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen. 4 Art. 2 Abs. 3 leg. cit. bestimmt, dass die Ausübung dieser Rechte keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden darf als denen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung des ordre public, der Verhütung von Straftaten, des Schutzes der Gesundheit oder der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

[6]

Nach Art. 3 Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon ( EUV ) 5 bietet die Union ihren Bürgerinnen und Bürgern einen  Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen, in dem — in Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in Bezug auf die Kontrollen an den Außengrenzen, das Asyl, die Einwanderung sowie die Verhütung und Bekämpfung der Kriminalität — der freie Personenverkehr gewährleistet ist. Nach Art. 45 Abs. 1 der Charta der Grundrechte (diese ist mit den Verträgen rechtlich gleichrangig 6) haben die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

[7]

Entsprechend bestimmt Art. 21. Abs. 1. des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ( AEUV , ex Art. 18 EGV) 7, dass jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen  frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Union stellt sicher, dass Personen an den Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, und entwickelt eine gemeinsame Politik in den Bereichen Asyl, Einwanderung und Kontrollen an den Außengrenzen, 8 was aber die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit nicht berührt. 9 An den Außengrenzen wird schrittweise ein integriertes Grenzschutzsystem eingeführt. 10

[8]

Primär sind für die innere Sicherheit aber weiterhin die Mitgliedstaaten zuständig. Die Union soll hier eine rein subsidiäre Rolle spielen und ihre Maßnahmen auf die Bekämpfung schwerer grenzüberschreitender Kriminalität beschränkt sein. 11

[9]

Teil des Unionsrechts ist seit dem Vertrag von Amsterdam auch der  Schengen-Besitzstand. 12 Nach Art. 2 Abs. 1 des  Schengener Durchführungsübereinkommens 13 dürfen die Binnengrenzen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden. Erfordert es aber die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit, kann eine Vertragspartei nach Konsultation der anderen Vertragsparteien beschließen, dass für einen begrenzten Zeitraum an den Binnengrenzen den Umständen entsprechende nationale Grenzkontrollen durchgeführt werden. 14

2.2.

Sicherheitspolizeigesetz ^

[10]

Gemäß § 22 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz ( SPG) 15 haben die Sicherheitsbehörden gefährlichen Angriffen auf Leben, Gesundheit, Freiheit, Sittlichkeit, Vermögen oder Umwelt vorzubeugen, sofern solche Angriffe wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sie bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nur dann in die Rechte eines Menschen eingreifen, wenn eine solche Befugnis im SPG vorgesehen ist und wenn entweder andere Mittel zur Erfüllung dieser Aufgaben nicht ausreichen oder wenn der Einsatz anderer Mittel außer Verhältnis zum sonst gebotenen Eingriff steht. 16 Ein erforderlicher Eingriff in die Rechte von Menschen darf nur erfolgen, wenn er die  Verhältnismäßigkeit zum Anlass und zum angestrebten Erfolg wahrt, wobei insbesondere

  • von mehreren zielführenden Befugnissen jene auszuwählen ist, die voraussichtlich die Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt;
  • darauf Bedacht zu nehmen ist, dass der angestrebte Erfolg in einem vertretbaren Verhältnis zu den voraussichtlich bewirkten Schäden und Gefährdungen steht;
  • auch während der Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt auf die Schonung der Rechte und schutzwürdigen Interessen der Betroffenen Bedacht zu nehmen ist. 17
[11]
Das SPG enthält einige besondere Befugnisse zu proaktivem Handeln:
[12]

Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, es werde an einem bestimmten Ort eine allgemeine Gefahr für Leben oder Gesundheit mehrerer Menschen oder für Eigentum oder Umwelt in großem Ausmaß entstehen, so hat die Sicherheitsbehörde das Betreten des Gefahrenbereiches und den Aufenthalt in ihm mit Verordnung zu verbieten und die Nichtbefolgung als Verwaltungsübertretung zu erklären ( Platzverbot). 18

[13]

Weiter können die Sicherheitsbehörden einen bestimmten Ort, an dem überwiegend minderjährige Menschen in besonderem Ausmaß von auch nicht unmittelbar gegen sie gerichteten strafbaren Handlungen nach dem Strafgesetzbuch, dem Verbotsgesetz oder gerichtlich strafbaren Handlungen nach dem Suchtmittelgesetz bedroht sind, mit Verordnung zur  Schutzzone erklären und Menschen, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie solche Straftaten begehen werden, das Betreten dieser Schutzzone verbieten. 19

[14]

Schließlich zielt eine Norm auf die Verhinderung von Gewalt bei  Sportgroßveranstaltungen ab: Ist jemand in der Vergangenheit bei einer Sportgroßveranstaltung durch gewalttätiges Handeln aufgefallen und rechtfertigen Tatsachen die Annahme, er werde im Zusammenhang mit dieser Sportgroßveranstaltung einen gefährlichen Angriff gegen Leben, Gesundheit oder fremdes Eigentum setzen, ist er zu verpflichten, zu einem bestimmten Zeitpunkt bei einer Sicherheitsbehörde persönlich zu erscheinen und über rechtskonformes Verhalten zu belehren. 20 Für die Erfassung solcher Personen ist die Speicherung ihrer Daten in der Zentralen Informationssammlung vorgesehen («Gefährderdatei»). 21

[15]

Nach Heißl darf diese Maßnahme bei verfassungskonformer Auslegung auch nur der Rechtsbelehrung dienen und die damit verbundene Freiheitsentziehung nur eine sekundäre Begleiterscheinung sein. Es bestehe jedoch die Gefahr, dass diese Bestimmung von der Behörde dafür missbraucht wird, um vermeintlich gewaltbereite Personen von Fußballstadien oder Public-Viewing-Veranstaltungen fernzuhalten. Dann jedoch könnte die Meldeauflage als Freiheitsbeschränkung gewertet werden und wäre verfassungswidrig. 22

[16]

Eine wesentliche Ausweitung der proaktiven Kompetenzen der Sicherheitsbehörden ist durch die Einführung der  erweiterten Gefahrenerforschung eingetreten: Nach § 21 Abs. 3 SPG obliegt den Sicherheitsbehörden die Beobachtung von Gruppierungen, wenn im Hinblick auf deren bestehende Strukturen und auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld damit zu rechnen ist, dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verbundener Kriminalität, insbesondere zu weltanschaulich oder religiös motivierter Gewalt, kommt. Für die Durchführung von Maßnahmen der erweiterten Gefahrenerforschung ist aber die vorherige Ermächtigung durch den Rechtsschutzbeauftragten erforderlich. 23

[17]
Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass das SPG keine Grundlage für rechtmäßige Beschränkungen der Reisefreiheit bietet.

3.

Die Bedeutung von IT-Infrastruktur für proaktive Maßnahmen ^

[18]
Effektive proaktive Maßnahmen sind nur möglich, wenn die Sicherheitsbehörden über die notwendigen Daten über mögliche Gefährdungen verfügen und ausreichend vernetzt sind, um diese rasch abrufen zu können.
[19]

Auf nationaler Ebene sind die  österreichischen Sicherheitsbehörden berechtigt, unter anderem für die erweiterte Gefahrenerforschung und die Vorbeugung wahrscheinlicher gefährlicher Angriffe sowie bei bestimmten Ereignissen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung personenbezogene Daten zu ermitteln und weiterzuverarbeiten. Weiter dürfen sie Daten, die sie bei der sonstigen Vollziehung von Gesetzen verarbeitet haben, für diese Zwecke ermitteln und weiterverarbeiten und von anderen Dienststellen Auskünfte verlangen. 24 Ob im Rahmen der erweiterten Gefahrenerforschung auch Auskünfte von Telekommunikationsunternehmen und Diensteanbietern i.S.d. E-Commerce-Gesetzes eingeholt 25 werden dürfen, ist strittig. 26 Für die proaktive Gefahrenabwehr dürfen zudem bei der Zusammenkunft zahlreicher Menschen, an öffentlichen Orten und bei nationalen oder internationalen Veranstaltungen unter Teilnahme von besonders zu schützenden Vertretern personenbezogene Daten mittels Bild- und Tonaufzeichnungsgeräten ermittelt werden. 27

[20]
Die österreichischen Sicherheitsbehörden dürfen die von ihnen ermittelten Daten nur dann an ausländische Sicherheitsbehörden weitergeben, wenn die ersuchende Sicherheitsbehörde für den Schutz des Privatlebens und der Grundfreiheiten sowie der Einhaltung des österreichischen Datenschutzstandards Sorge trägt und keine schutzwürdigen Interessen des Betroffenen oder Dritter verletzt werden. 28
[21]

Auf europäischer Ebene spielt das  Schengener Informationssystem (SIS) eine zentrale Rolle, ein computergestütztes Abfrage- und Erfassungssystem für die Personen- und Sachfahndung. Das SIS ist das Hauptinstrument für die grenzüberschreitende polizeiliche Fahndung und enthält nach vorsichtiger Schätzung über 10 Mio Datensätze. 29 Das SIS wurde besonders im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung um neue Funktionen erweitert; im Wesentlichen wurde ein zusätzlicher Austausch von Informationen über SIRENE infolge von Trefferfällen im SIS vorgesehen und der Kreis der Zugriffsberechtigten vergrößert. 30 Es wird vielfach als zusätzliches polizeiliches Überwachungselement und auch als « ein außer Kontrolle geratenes und zunehmend undurchschaubares Personenerfassung- und Überwachungssystem» bezeichnet. 31 Die Kommission plant, die Betriebsführung für die Systeme SIS II, VIS und EURODAC in einer Agentur zusammenzuführen, 32 was aufgrund der sich dadurch ergebenden Konzentration von Daten kritisiert wird. 33

[22]

Weiter spielt auf europäischer Ebene  Europol eine wesentliche Rolle, das als Drehscheibe für kriminalitätsbezogene Informationen konzipiert ist und regelmäßig Bewertungen mit umfassenden und vorausschauenden Analysen über Kriminalität und Terrorismus in der Europäischen Union erstellt, somit eine proaktive Strategie verfolgt. 34 Zu den Hauptaufgaben von Europol gehören das Sammeln, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und der Austausch von Informationen und Erkenntnissen sowie die Unterstützung der Mitgliedstaaten mit Erkenntnissen und Analysen bei größeren internationalen Veranstaltungen und die Erstellung von Bewertungen der Bedrohungslage und strategischer Analysen. 35 Dabei ist z.B. die Übermittlung personenbezogener Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie Daten über Gesundheit oder Sexualleben einer Person zulässig, « wenn dies unbedingt notwendig ist». 36 Der österr. Gesetzgeber war bei der Umsetzung aber restriktiver und hat untersagt, dass über die explizit genannten Datenarten hinaus personenbezogenen Daten verarbeitet werden, welche die rassische Herkunft, politische Anschauungen oder religiöse oder andere Überzeugungen erkennen lassen oder die Gesundheit oder das Sexualleben betreffen. 37

[23]

In das Europol-Informationssystem dürfen neben Daten über Straftäter und Verdächtiger auch Daten über Personen aufgenommen werden, in deren Fall « faktische Anhaltspunkte oder triftige Gründe dafür vorliegen, dass sie Straftaten begehen werden, für die Europol zuständig ist.» 38 Weiter dürfen zu Analysezwecken auch Daten von potentiellen Zeugen und Opfern, Kontakt- und Begleitpersonen sowie von Personen, die Informationen über die Straftat liefern können, verarbeitet werden. 39 Die Möglichkeiten des Einzelnen, die über ihn bei Europol gespeicherten Daten zu überprüfen und gegebenenfalls richtig stellen und löschen zu lassen, sind vorgesehen, jedoch infolge der weitgehenden Möglichkeiten zur Verweigerung derartiger Ansuchen eng begrenzt. 40

[24]

Auf internationaler Ebene übermitteln die Fluggesellschaften auf Grundlage des von der EU und den USA abgeschlossenen vorläufigen  PNR-Abkommens von 2007 41 Fluggastdaten (PNR) an das US-Department of Homeland Security (DHS). Die Vertragsparteien gehen davon aus, dass das DHS einen angemessen Schutz der aus der EU übermittelten PNR-Daten gewährleistet; in diesem Zusammenhang hat sich die EU verpflichtet, sich nicht aus Datenschutzerwägungen in die Beziehungen zwischen den USA und Drittländern betreffend des Austausches dieser Informationen einzumischen. 42

[25]
Die Annahme dieses angemessenen Schutzes basiert auf einem dem Abkommen beiliegenden Schreiben der USA an die EU, in welchem zugesichert wird, dass das DHS die Daten ausschließlich zum Zwecke der Verhütung des Terrorismus und schwerer grenzüberschreitender Straftaten sowie der Verhaftung von flüchtigen Kriminellen verwendet und in eigenem Ermessen nur an US-Regierungsbehörden mit Aufgaben im Bereich der Strafverfolgung, der öffentlichen Sicherheit oder der Terrorismusbekämpfung weitergibt; aber auch die Weitergabe an Drittstaaten ist zulässig. Die Flugpassagiere können aus diesem Abkommen keinerlei Rechte ableiten. 43
[26]

Wie auch schon das zuvor mit der Kommission abgeschlossene Abkommen, entspricht auch dieses weitestgehend den Vorstellungen der USA, zumal die Weitergabe der Daten an US-Behörden möglich ist, die im Hinblick auf die Verwendung der Daten gegenüber der EU keinerlei Zusicherungen abgegeben haben. Auch die ursprüngliche Absicht der Kommission, die Verwendung der Daten im Rahmen zukünftiger Profiling-Systeme zu verhindern, wurde nicht verwirklicht. 44

4.

Praktisches Beispiel ^

[27]

Im Jahre 2009 wurde einer Gruppe von Deutschen, die in Straßburg an einer gegen die NATO gerichteten Demonstration teilnehmen wollten, die Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verweigert. 45 Rechtliche Grundlage dieses Vorgehens war das deutsche Passgesetz, welches die Untersagung der Ausreise erlaubt, wenn der ausreisewillige Deutsche die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet.

[28]

Eine solche Vorgehensweise wäre grundsätzlich im Wege der Entziehung des Reisepasses nach dem Passgesetz auch nach österreichischem Recht möglich. In der Judikatur des VwGH kommen Passentziehungen vor dem Hintergrund von Verurteilungen nach dem Suchtmittelgesetz 46 oder dem Verbotsgesetz 47 vor. Fälle, in denen österreichischen Staatsbürgern ihre Pässe wegen der beabsichtigten Teilnahme an Demonstrationen im Ausland entzogen wurden, gibt es – soweit für den Verfasser überblickbar – derzeit nicht.

[29]
Die österreichische Rechtslage hat für den Bürger den Vorteil, dass die Abnahme des Reisepasses nicht ad hoc vor Ort an der Grenze erfolgen kann, sondern einen vollstreckbaren Bescheid voraussetzt. Einer Passentziehung muss daher – wenn sie rechtmäßig erfolgen soll – ein mit Rechtschutzmöglichkeiten (Berufung, Bescheidbeschwerde) versehenes Verfahren vorangehen. Es ist davon auszugehen, dass derartige Fälle von Passentziehungen einer Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts nicht standhalten würden, da der VwGH die Rechtmäßigkeit von Passentziehungen streng anhand des Vorliegens schwerwiegender Verurteilungen prüft.
[30]
Sollte jemandem der Reisepass ohne vorangegangenes Entziehungsverfahren nach dem Passgesetz abgenommen werden, kann er gegen diese Rechtsverletzung infolge der Ausübung unmittelbar sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Maßnahmenbeschwerde beim zuständigen Unabhängigen Verwaltungssenat erheben.

5.

Resümee ^

[31]

Die europäische Integration und insbesondere das Schengen-System haben die Staatsgrenzen innerhalb der EU zu Binnengrenzen gemacht; zuletzt wurde im Stockholmer Programm für ein sicheres und offenes Europa wieder das Recht der EU-Bürger auf Freizügigkeit innerhalb der EU hervorgehoben. 48

[32]

Im Gegenzug sind neue Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eingeführt worden. 49 Die IT-gestützte grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit ermöglicht es den Sicherheitsbehörden, die Bewegungsfreiheit von Personen, die als potentiell gefährlich betrachtet werden, zu beschränken. Dies ist vor allem im Zuge großer internationaler Veranstaltungen (z.B. G8-Treffen, NATO-Gipfel, sportliche Großereignisse) in Verbindung mit der temporären Aussetzung der Schengen-Erleichterungen effektiv möglich. Wesentliche Voraussetzung dafür ist der unkomplizierte Austausch der entsprechenden Datensätze über die betroffenen Personen, für den die Voraussetzungen gegeben sind. Die Notwendigkeit der Vernetzung der Datenbanken der nationalen Sicherheitsbehörden für die innere Sicherheit wird auch im Stockholmer Programm betont. 50

[33]
Die österreichischen Sicherheitsbehörden gehen – soweit für den Verfasser überblickbar – bei Maßnahmen, welche die Einschränkung der Reisefreiheit der österreichischen Staatsbürger zur Folge haben, mit Augenmaß vor. Reisepässe werden nur in gravierenden Fällen entzogen; proaktives Handeln ist nur innerhalb klar umrissener Grenzen möglich. Der einzelne Bürger hat jedoch kaum effektive Maßnahmen in der Hand, um zu verhindern, dass seine Daten ohne sachliche Rechtfertigung in einschlägigen nationalen und internationalen Datenbanken gespeichert werden. Dieser weitgehend durch das Wesen der sicherheitsbehördlichen Tätigkeit bedingte Umstand macht es umso wichtiger, dass die Sicherheitsbehörden mit den von ihnen ermittelten Daten umsichtig umgehen. Der im letzten Jahrzehnt zunehmend zu beobachtende Trend, immer mehr Daten zu sammeln, wobei dann im Anlassfall der Öffentlichkeit spektakulär vor Augen geführt wird, dass bei der Auswertung der Daten offenbar gravierende Fehler gemacht werden, 51 ist wohl nicht der richtige Weg.

6.

Literatur ^

d’Arcy, O’Hanlon, Orszag, Shapiro, Steinberg, Protecting the Homeland 2006/2007, The Brookings Institute, Washington D.C. (2006).
von Bogdandy/Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht 2. Auflage, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg (2009).
Eberhard/Weichselbaum, Verfassungsrechtliche Probleme der Schutzzonenregelung gemäß § 36a Sicherheitspolizeigesetz, Zeitschrift für Verwaltung S. 674 (2005).
Europol, Welche Rolle spielt Europol dabei?,  www.europol.europa.eu/index.asp?page=facts_de&language=de (abgerufen 20. Januar 2010).
Heißl, Recht auf persönliche Freiheit und präventive Maßnahmen gegen Hooligans, Zeitschrift für Verwaltung S. 168 (2008).
Heußner, Informationssysteme im europäischen Verwaltungsverbund, Mohr Siebeck, Tübingen (2007).
Kleine Zeitung, Grazer in USA wie Terrorist behandelt, Kleine Zeitung Ausgabe 20. Januar 2010, Graz S. 12 (2010).
Krempl, Zentralisierung von EU-Fahndungsdatenbanken in der Kritik, c’t News-Meldung vom 12. Juli 2009,  www.heise.de/ct/meldung/Zentralisierung-von-EU-Fahndungsdatenbanken-in-der-Kritik-Update-6037.html (aufgerufen 20. Januar 2010) (2009).
Laufer, Ausreiseverbote für Nato-Gegner mit teils «haarsträubenden» Begründungen, Telepolis-Meldung vom 2. April 2009,  www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30064/1.html (abgerufen 20. Januar 2010) (2009).
Roundtable, Sicherheitspolizei und Datenschutz, JusIT S. 2 (2008).
Spiegel Online, Misslungener Terroranschlag auf Northwest Airlines 253,  www.spiegel.de/thema/misslungener_terroranschlag_auf_northwest_airlines_253/ (abgerufen 20. Januar 2010).
Twaroch, Staatsgrenzen, ihre Bedeutung für Österreich als Nationalstaat und als Mitgliedsland der EU, Zeitschrift für Verwaltung S. 9 (2006).
U.S: Department of Homeland Securityhttps://esta.cbp.dhs.gov/esta (abgerufen 20. Januar 2010).

 



Rolf Blaha, Rechtsanwalt, Domplatz 1, 9020 Klagenfurt am Wörthersee Österreich AT
blaha@edvrecht.at;  www.edvrecht.at .

 


7.

Passgesetz und Flugsicherheitsgesetz ^

[34]
Nach § 14 Abs. 1 Z. 4 bzw 5 öst. Passgesetz 52 ist die Ausstellung oder Änderung eines Reisepasses unter anderem dann zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde. Gemäß § 15 Abs. 1 PassG ist ein Reisepass auch nachträglich zu entziehen, wenn Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen. Ein vollstreckbar entzogener Reisepass ist seinem Inhaber nach § 15a Abs. 1 Z. 1 PassG abzunehmen.
[35]
Gemäß § 3 Abs. 1 Flugsicherheitsgesetz 53 sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, den Zutritt eines Menschen zu einem Zivilluftfahrzeug oder zu einem Sicherheitsbereich von seiner Bereitschaft abhängig zu machen, seine Kleidung und sein Gepäck kontrollieren zu lassen, und ihm im Falle seiner Weigerung den Zutritt zu untersagen.. In weiterer Folge kann der Zutritt versagt werden, wenn eine Waffe, Kriegsmaterial, Munition, Schieß- oder Sprengmittel oder ein anderer, durch Verordnung des Bundesministers für Inneres als besonders gefährlich bezeichneter Gegenstand mitgeführt wird oder sich im aufgegebenen Gepäck befindet (§ 3 Abs. 2 Flugsicherheitsgesetz).
[36]
Dass Passgesetz bietet somit auf Basis des recht unbestimmten Begriffs der «Gefährdung der äußeren oder inneren Sicherheit der Republik Österreich» eine rechtliche Grundlage für die Beschränkung der Reisefreiheit.
  1. 1 BGBl. Nr. 1958/210 idF. BGBl. III Nr. 1998/30.
  2. 2 BGBl. Nr. 1988/684 idF. BGBl. I Nr. 2008/2.
  3. 3 BGBl. Nr. 1969/434 i.d.F. BGBl. III Nr. 1998/30.
  4. 4 Ähnlich Art. 13 Abs. 2 der UN-Erklärung der Menschenrechte.
  5. 5 Abl. C 115, 13 vom 9. Mai 2008.
  6. 6 Art. 6 Abs. 1 EUV.
  7. 7 Abl. C 115, 47 vom 9. Mai 2008.
  8. 8 Art. 67 Abs. 2 AEUV.
  9. 9 Art. 72 AEUV.
  10. 10 Art. 77 Abs. 1 lit. c AEUV.
  11. 11 Monar in  von Bogdandy/Bast, Europäisches Verfassungsrecht2 (2009) 761.
  12. 12 Abl. L 176, 1 vom 10. Juli 1999.
  13. 13 BGBl. III Nr. 1997/90.
  14. 14 Art. 2 Abs. 2 SDÜ.
  15. 15 BGBl. Nr. 1991/566 i.d.F. BGBl. Nr. I 2008/131.
  16. 16 § 28a Abs. 3 SPG.
  17. 17 § 29 SPG.
  18. 18 § 36 SPG.
  19. 19 § 36a SPG; kritisch im Hinblick auf die finale Determinierung  Eberhard/Weichselbaum, Verfassungsrechtliche Probleme der Schutzzonenregelung gemäß § 36a Sicherheitspolizeigesetz, ZfV 2005, 674.
  20. 20 § 49c SPG.
  21. 21 § 57 Abs. 1 Z. 11a SPG.
  22. 22 Heißl, Recht auf persönliche Freiheit und präventive Maßnahmen gegen Hooligans, ZfV 2008, 168.
  23. 23 § 91c Abs. 3 SPG.
  24. 24 § 53 Abs. 1 bis 3 SPG.
  25. 25 § 53 Abs. 3a SPG.
  26. 26 Roundtable Sicherheitspolizei und Datenschutz, JusIT 2008:  Kunnert verneint die Zulässigkeit, verweist aber auf den Erlass des Bundesministers für Inneres vom 28. Januar 2008, GZ 94.762/101-GD/08, der von der Zulässigkeit ausgeht.
  27. 27 § 54 Abs. 5 bis 7 SPG.
  28. 28 § 8 Polizeikooperationsgesetz, BGBl. I Nr. 1997/104 i.d.F. BGBl. I Nr. 2009/132.
  29. 29 Heußner, Informationssysteme im europäischen Verwaltungsverbund (2007) 113 ff.
  30. 30 Siehe VO  2004/871/EG vom 29. April 2004 .
  31. 31 Zitiert nach  Heußner, Informationssysteme im europäischen Verwaltungsverbund (2007) 111 FN 640.
  32. 32 Mitteilung der Kommission vom 24. Juni 2009, Legislativpaket zur Errichtung einer Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen, KOM(2009) 292 endg. im Bereich Freiheit, Sicherheit und Recht.
  33. 33 www.heise.de/ct/meldung/Zentralisierung-von-EU-Fahndungsdatenbanken-in-der-Kritik-Update-6037.html (zuletzt besucht am 20. Januar 2010).
  34. 34 www.europol.europa.eu/index.asp?page=facts_de&language=de (zuletzt besucht am 20. Januar 2010).
  35. 35 Art. 5 Abs1 des Beschlusses des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol), 2009/371/JI.
  36. 36 Art. 15 Abs. 2 des Beschlusses des Rates vom 24. November 2009 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen einschließlich des Austauschs von personenbezogenen Daten und Verschlusssachen, 15138/09.
  37. 37 § 33 Abs. 8 Bundesgesetz über die polizeiliche Kooperation mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und dem Europäischen Polizeiamt (Europol), (EU – Polizeikooperationsgesetz, EU-PolKG), BGBl. I. 2009/132.
  38. 38 Art. 12 Abs1 des Beschlusses des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol), 2009/371/JI.
  39. 39 Art. 14 Abs1 des Beschlusses des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol), 2009/371/JI.
  40. 40 Siehe Art. 30 ff., insbesondere Art. 30 Abs5 des Beschlusses des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol), 2009/371/JI bzw §§ 16 ff. EU-PolKG.
  41. 41 Abkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdaten (Passenger Name Records – PNR) und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das United States Department of Homeland Security (DHS) (PNR-Abkommen von 2007), Abl. L 204, 18 vom 4. August 2007.
  42. 42 Punkt 6 PNR-Abkommen von 2007.
  43. 43 Punkt 9 zweiter Absatz PNR-Abkommen von 2007.
  44. 44 So  Shapiro, in d’Arcy et al, Protecting the Homeland 2006/2007 (2006) 62, abrufbar unter http://books.google.at.
  45. 45 www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30064/1.html (zuletzt besucht am 20. Januar 2010).
  46. 46 VwGH 13.1.1992, Zl. 91/19/0137; VwGH 1. Februar 1989, Zl. 88/01/0251.
  47. 47 VwGH 18. 5. 2001, Zl. 2000/18/0086; VwGH 24. März 1998, Zl. 96/18/0475.
  48. 48 The Stockholm Programme – An open and secure Europe serving and protecting the citizens 2. Dezember 2009, 13.
  49. 49 Vgl.  Twaroch, Staatsgrenzen, ihre Bedeutung für Österreich als Nationalstaat und als Mitgliedsland der EU, ZfV 2006, 9.
  50. 50 The Stockholm Programme – An open and secure Europe serving and protecting the citizens 2. Dezember 2009, 37 ff.
  51. 51 Siehe die Berichterstattung nach dem vereitelten Anschlag, auf den Northwest-Airlines-Flug 253, zB Spiegel Online, http://www.spiegel.de/thema/misslungener_terroranschlag_auf_northwest_airlines_253/ (zuletzt besucht am 20.1.2010).
  52. 52 BGBl. Nr. 1992/839 i.d.F. BGBl. I Nr. 2009/135.
  53. 53 BGBl Nr. 1992/824 i.d.F. 2009/52.