Jusletter IT

IT und benchmarking der öffentlichen Verwaltungen – neue Regelungen im Grundgesetz

  • Author: Oliver Vivell
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Government, E-Justice
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Oliver Vivell, IT und benchmarking der öffentlichen Verwaltungen – neue Regelungen im Grundgesetz, in: Jusletter IT 1 September 2010
Dieser Beitrag widmet sich den, seit dem 1. August 2009 neu in Kraft getretenen Regelungen im Bereich der Verwaltungszusammenarbeit in Art. 91c GG zur Harmonisierung der Informationstechnologie in Bund und Ländern und dem in Art. 91d GG geregelten «Verwaltungsbenchmarking». In diesem Beitrag sollen die gemeinsamen Zielsetzungen beider Regelungen, insbesondere Effizienz- und Effektivitätssteigerungen in der deutschen Verwaltung, näher beleuchtet werden, sowie dabei auftretende Probleme skizziert werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der IT (Art. 91c)
  • 2.1. IT-Planungsrat
  • 3. Notwendigkeit des Art. 91c GG
  • 4. Resumée
  • 5. Literatur

1.

Einführung ^

[1]

Im Rahmen der Förderalismuskommission II wurden neue Bestimmungen zur Verwaltungszusammenarbeit, unter anderem zur Harmonisierung der IT zwischen Bund und Ländern, sowie einer Regelung über sog. «Verwaltungsbenchmarking» im Grundgesetz in den Art. 91c, Art. 91d GG kodifiziert.

[2]

Bis zum 1. August 2009 war die Informationstechnologie noch nicht im staatsorganisationsrechtlichen Teil der deutschen Verfassung verankert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Begriff der IT im Grundgesetz keine explizite Erwähnung gefunden. Ausgangspunkt der Regelungen in Art. 91c GG und Art. 91d GG war die Föderalsimuskommission II1 . Sie hatte zur Aufgabe, Lösungsvorschläge zur Entbürokratisierung und Effizienzsteigerung der Bund-Länder-Beziehungen zu erarbeiten, also zur «ebenenübergreifenden Bündelung von Verwaltungsaufgaben sowie zur Einführung von IT-Standards und IT-Systemen»2 .

[3]

Bei den Verwaltungsträgern trifft man auf einen unterschiedlichen Entwicklungsstand hinsichtlich der IT. Darüber hinaus werden für gleiche Aufgaben in den Ländern unterschiedliche Systeme eingesetzt. Unterschiedliche Systeme und vielmehr noch unterschiedliche Standards wirken einer effizienten, aber schon interoperable IT entgegen. Ein mit der Einführung des Art. 91c GG verfolgtes Ziel ist daher, die nationalen Harmonisierungs- und Interoperabilitätsbestrebungen im IT-Bereich zu verbessern.

[4]

Jedoch sind dies nicht nur die nationalen, sondern auch europäische Bestrebungen, welche die Einführung von Art. 91c GG notwendig machten. Darüber hinaus kann man für die Umsetzung von EU-Vorgaben im Bereich der IT Art. 91c Vereinfachung erhoffen. Prominentestes Beispiel für ein solches EU-Vorhaben im IT-Bereich ist die EU-Dienstleistungsrichtlinie3 , die die Mitgliedsstaaten zur Implementierung von IT- und E-Government-Prozessen4 verpflichtet hat.

[5]

Aus diesen Gründen und nach langen Beratungen mit Sachverständigenanhörungen, wurde mit Art. 91c GG ein Kooperationstatbestand zwischen dem Bund und Ländern geschaffen, da diese Ausführungsaufgaben in den Bereich der Länder fallen. Daher gibt es viele heterogene Insellösungen in den Ländern und erschwerte Interoperabilität auf vertikaler und horizontaler Ebene zwischen Bund und Ländern und Ländern unter einander. Daher ist es Zweck des Art. 91c GG die Zusammenarbeit in diesem Bereich zu vereinfachen.

[6]

Daneben wurde mit Art. 91d GG eine Vorschrift geschaffen, die als Grundlage für die Durchführung von Leistungsvergleichen – das sog. «Benchmarking» – nachhaltig fördern soll5 . Dabei ist die, ursprünglich als «Soll»-Vorschrift konzipierte Regelung, letztendlich als «Kann»-Vorschrift ausgestaltet. Einzelheiten der Durchführung können durch Vereinbarungen normiert werden, wie zum Beispiel die Bestimmung des Vergleichsgegenstandes und Methoden der Vergleichsstudien6 .

[7]

Der deutschen Verwaltungstradition sind solche Vergleiche weitgehend fremd. Ziel solcher Leistungsvergleiche soll letztlich sein, die Leistungsfähigkeit der Verwaltung insgesamt zu verbessern, in dem zunächst die Services, Qualität und Kosten, der verschiedenen Verwaltungen transparent gemacht werden, um Möglichkeiten zur Effektivitäts- und Effizienzsteigerung zu ergründen7 . Wie dem Wortlaut «Bund und Länder» zu entnehmen ist, können solche Leistungsvergleiche zwischen Bundesverwaltungen und Länderverwaltungen stattfinden und öffentlich gemacht werden. Die Mitwirkung an den Leistungsvergleichen erfolgt seitens der Verwaltung freiwillig.

2.

Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bereich der IT (Art. 91c) ^

[8]

Gemäß Art. 91c Abs. 1 GG können Bund und Länder bei der Planung, der Errichtung und dem Betrieb, der für ihre Aufgabenerfüllung benötigten informationstechnischen Systeme zusammenwirken. Der Begriff «informationstechnische Systeme» ist dabei bewusst weit gefasst, um den sich (zukünftig) ergebenden Herausforderungen gerecht zu werden8 . Art. 91c Abs. 1 GG ist so gefasst, dass sich keine Verpflichtung zur Zusammenarbeit herleiten lässt. Für diese Sichtweise, spricht auch die Ausgestaltung als «Kann»-Vorschrift. Darüber hinaus bezieht sich Art. 91c Abs. 1 GG nicht nur auf das Verhältnis zwischen Bund und Ländern, sondern auch auf das Verhältnis der Länder untereinander.

[9]

In Art. 91c Abs. 2 GG wird die Kooperationsmöglichkeit von Bund und Ländern weiter konkretisiert. Es können Vereinbarungen über «einheitliche Standards und Sicherheitsanforderungen» festgelegt werden, die für die Kommunikation zwischen den informationstechnischen Systemen von Bund und Ländern notwendig sind. Hintergrundüberlegung ist, dass ein schneller, effizienter und sicherer Datenaustausch und die Vermeidung von Medienbrüchen nur durch gemeinsame Interoperabilitätsstandards gewährleistet werden kann.

[10]

Die Regelung in Absatz 3 stellt klar, dass die Länder unabhängig von einer Beteiligung des Bundes und über den Regelungsbereich des Abs. 2 hinaus, den Betrieb informationstechnischer Systeme und die Errichtung entsprechender notwendiger Einrichtungen vereinbaren können9 . Diese Vorschrift ist rein deklaratorisch, da Staatsverträge auch ohne verfassungsrechtliche Ermächtigung zwischen den Ländern geschlossen werden können10 .

[11]

Absatz 4 S. 1 regelt eine Verwaltungskompetenz des Bundes hinsichtlich der Errichtung eines Verbindungsnetzes. Näheres dazu regelt das nach Art. 91c Abs. 4 S. 2 erlassene und am 18.08.2009 ebenfalls neu in Kraft getretene «Gesetz über die Verbindung der informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder – Gesetz zur Ausführung von Artikel 91c Absatz 4 des Grundgesetzes – (IT-NetzG)». In § 2 Abs. 2 IT-NetzG ist der Begriff des Verbindungsnetzes legal definiert: Verbindungsnetz ist das informationstechnische Netz, welches die informationstechnischen Netze des Bundes und der Länder verbindet. Die Übergabepunkte zu den jeweils verbundenen Netzen werden gemeinsam vereinbart.

[12]

Aus § 6 S. 1 IT-NetzG ergibt sich, dass der Bund nicht nur für die Errichtung des Verbindungsnetzes zuständig ist, sondern auch für dessen Betrieb. Daraus wird deutlich, dass es sich bei dem Verbindungsnetz nicht um ein Netz handelt, das bis zum Endknoten Systeme miteinander verbindet, sondern die Länder durchaus ihre eigenen «internen» Netze weiter betreiben können und sollen. Die Kosten für den Aufbau und Betrieb des Verbindungsnetzes trägt der Bund, die Anschlusskosten an das Netz dagegen diejenigen, deren Netz angeschlossen wird (vgl. auch § 7 IT-NetzG).

2.1.

IT-Planungsrat ^

[13]

Für eine Zusammenarbeit bezüglich IT zwischen Bund und Ländern ist durch denVertrag zur Ausführung von Art. 91c GG Gebrauch gemacht und ein entsprechender Staatsvertrag entworfen worden, welcher sich im Moment in der Ratifizierung der Länder befindet11 . Der Entwurf des Staatsvertrages (StaatsV-E), sieht in § 7 Abs. 1 vor, dass ein sogenannter IT-Planungsrat eingerichtet wird. Diesem soll die Aufgabe der Koordinierung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern in IT Angelegenheiten zukommen (vgl. § 1 Abs. 1 S 1 StaatsV-E) unter anderem die Festlegung der gemeinsamen Standards für die auszutauschenden Datenobjekte, Datenformate und Standards für Verfahren, die zur Datenübertragung erforderlich sind, sowie IT-Sicherheitsstandards (vgl. § 3 Abs. 1 S. 1 StaatsV-E).

[14]

Die Zusammensetzung des IT-Planungsrats sieht vor, dass ihm neben dem Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik (dem «Bundes-CIO»), je ein für die IT zuständiger Abgesandter der Länder als stimmberechtigtes Mitglied angehören soll (§ 1 Abs. 2 S. 3 Staatsvertragentwurf). Daneben sollen drei Vertreter der Gemeinden und Gemeindeverbände, sowie der Bundesbeauftragte für Datenschutz, an den Sitzungen des IT-Planungsrates beratend teilnehmen können.

[15]

Nach §§ 1 Abs. 7, 3 Abs. 2 StaatsV-E entfalten Beschlüsse des IT-Planungsrats hinsichtlich Interoperabilitäts- und Sicherheitsstandards verpflichtende Bindungswirkung, sofern die Zustimmung des Bundes und einer Mehrheit von 11 der 16 Bundesländern, welche mindestens zwei Drittel ihrer Finanzierungsanteile nach dem Königsteiner Schlüssel abbildet, vorliegt. So gefasste Beschlüsse sind verpflichtend in den Verwaltungsräumen, innerhalb der vom IT-Planungsrates gesetzten Fristen, umzusetzen.

[16]

Empfehlungen für die öffentliche Verwaltung kann der IT-Planungsrat mit einfacher Mehrheit der anwesenden Mitglieder aussprechen.

3.

Notwendigkeit des Art. 91c GG ^

[17]

Die Regelungen des Art 91c GG muss vor dem Hintergrund des Verbots der Mischverwaltung gesehen werden. Das Verbot der Mischverwaltung ist im vertikalen Verhältnis zwischen Bund und Ländern relevant und besagt, dass eine Verwaltungsaufgabe, grundsätzlich entweder in den Hoheitsbereich des Bundes, oder dem der Länder fällt12 . Dabei weist die staatliche Komptenzordnung ein rechtsstaatliches Fundament auf und bringt es durch Zuweisung von Verantwortung zum Ausdruck13 . Allerdings beinhaltet das Verbot der Mischverwaltung kein Verbot der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. Die Grenze dieser Zusammenarbeit findet sich in der Kompetenzordnung des Grundgesetzes.

[18]

Fraglich ist, ob die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder als verbotene Mischverwaltung auf dem Gebiet des E-Governments zu qualifizieren ist. Nach der klassischen und oft zitierten Speyerer Definition14 ist E-Government «die Abwicklung geschäftlicher Prozesse im Zusammenhang mit Regieren und Verwalten (Government) mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechniken über elektronische Medien». Grundsätzlich werden Sachentscheidungen nicht von E-Government berührt. Es geht aber zu weit, E-Government jeglichen Einfluss auf Sachentscheidungen zu nehmen15 , weil nicht bei der Entscheidung auch der vorherige Entscheidungsfindungsprozess berücksichtigt werden muss. Zumindest die abstrakte Möglichkeit der Beeinflussung von Sachentscheidungen durch Software, etwa durch Assistentengestützte «Antwortkorridore» oder den Ausschluss von inkompatiblen Teilnehmern16 . In seiner «Hartz-IV» Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die Möglichkeit eines Verlustes von Entscheidungsspielräumen durch softwarebedingte Vorgaben bestehen kann17 .

[19]

Die Form der Mischverwaltung ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn einerseits ein besonderer sachlicher Grund vorliegt und es sich zum anderen, um eine eng umgrenzte Verwaltungsmaterie handelt. Von einem besonderen sachlichen Grund kann in diesem Zusammenhang hinsichtlich Effizienzgewinnen und Effektivitätssteigerungen durch Harmonisierung der IT zwischen Bund und Ländern noch ausgegangen werden. Aber es wäre vermessen, ja ein Widerspruch zu dem Begriff, wenn man von einem engen Anwendungsfeld bei dem Begriff E-Government sprechen würde.

[20]

Aus diesem Grund war eine dementsprechende Regelung der Materie im Rahmen des Art. 91c GG notwendig, um hierfür den entsprechende rechtlichen Rahmen zu schaffen.

4.

Resumée ^

[21]

Die neueingeführten Artt. 91c und 91d GG sind positiv zu bewerten. Insbesondere Art. 91c GG ist ein dringend notwendiger Schritt in Richtung Harmonisierung und Standardisierung im Bereich IT und E-Government. Es ist zu hoffen, das sich die Abstimmungen zwischen Bund und Ländern, bzw. Ländern untereinander deutlich verbessert.

[22]

Hinsichtlich der Regelung des Art 91d GG zum «Benchmarking» ist die Idee generell zu begrüßen. Jedoch bleibt abzuwarten, wie sehr Verwaltungen in Bund und Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden. Da die Regelung lediglich als «Kann»-Vorschrift ausgestaltet ist, bleibt abzuwarten als wie effektiv sich diese Regelung erweisen wird. Auch besteht keine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für die Regelung dieser Materie im Grundgesetz, vielmehr hätte man auch auf einfachgesetzlichem Wege eine Regelung treffen können. Insoweit widerspricht dieser Ansatz, dass das Grundgesetz lediglich als Grund und Rahmenordnung dienen soll.

5.

Literatur ^

Epping, Volker; Hillgruber, Christian (Hersg), Beck’scher Online-Kommentar zum Grundgesetz, 5. Auflage, München (2009).
Huber, Peter, Das Verbot der Mischverwaltung – de constitutione lata et ferenda, in: DÖV Heft 20, S. 844-851 (2008).
Selmer, Peter, Die Föderalismusreform II – ein verfassungsrechtliches monstrum simile, in: NVwZ Heft 20,1255-1262 (2009).
Siegel, Thorsten , IT im Grundgesetz, in NVwZ Heft 18, 1128-1131 (2008).
Von Lucke, Jörn; Reinermann, Heinrich, Speyerer Definition von Elektronic Government,http://www.foev-speyer.de/ruvii/SP-EGov.pdf, abgerufen am 28.12.2009.



Oliver Vivell, Dissertant an der Univeristät Wien, oliver@vivell.info;http://www.vivell.info

  1. 1 Vgl. BT-Drs. 16/3885 und BR-Drs. 913/06.
  2. 2 Vgl. Themensammlung zur Föderalismusreform II, BT-Drs. 16/3885, 3.
  3. 3 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376/36 v. 27.12.2006.
  4. 4 Vgl. Anforderungen in Artt. 8, 28ff.
  5. 5 BT-Drs. 16/12401, 8.
  6. 6 Suerbaum in: Epping/Hillgruber, Beck’scher Kommentar zum GG, Art. 91d GG Rn. 4.
  7. 7 BT-Drs. 16/12401, 8.
  8. 8 BT-Drs. 16/12410, 8.
  9. 9 BT-Drs. 16/12410, 9.
  10. 10 Vgl. z.B. Heckmann, Stellungnahme in der Sachverständigenanhörung Rechtsausschuss des BT vom 04.05.2009, 12.
  11. 11 Komm-Drs. 174, 81ff.
  12. 12 Vgl. Huber – «Das Verbot der Mischverwaltung – de constitutione lata et ferenda», DÖV 2008, 844ff.
  13. 13 BverfG, NVwZ, S. 183, (186) - Verfassungswidrige Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften.
  14. 14 www.foev-speyer.de/ruvii/SP-EGov.pdf , abgerufen am 28.12.2009.
  15. 15 Siegel, NVwZ, S. 1128, 1129.
  16. 16 Siegel, NVwZ, S. 1128, 1129.
  17. 17 BverfG, NVwZ, S. 183, (186) - Verfassungswidrige Hartz IV-Arbeitsgemeinschaften.