1.
Ausgangslage ^
In der juristischen Recherchepraxis sind Gesetzeskommentare von hervorragender Bedeutung: Neben dem (aktuellen) Gesetzestext stellen sie im deutschsprachigen Raum den wohl wichtigsten Recherchebehelf dar. Der Systematik des jeweiligen Gesetzes folgend, kommentieren die Autoren die einzelnen Rechtsvorschriften und arbeiten die dazugehörige Literatur sowie Judikatur ein [Stitic/Winter 2006, 8].
Für Rechtsdatenbanken lag es nach der Erschließung von Gesetzestexten, Judikatur sowie Zeitschriftenliteratur somit nahe, vor einigen Jahren damit zu beginnen, den Bereich der so genannten «Online-Kommentare» stark zu forcieren. Unterscheiden müssen wir in diesem Zusammenhang vor allem zwischen zwei verschiedenen Typen der online abrufbaren Gesetzeskommentare: den so genannten «statischen Online-Kommentaren», die jeweils (nur) so aktuell sind wie das ihnen zu Grunde liegende Print-Produkt; und den «hybriden Online-Kommentaren» andererseits, die online meist aktueller sind als das zu Grunde liegende Print-Werk, da elektronisch Aktualisierungen der Kommentierung erfolgen, noch bevor eine neue Print-Auflage erscheint.
2.
Geschicktes Marketing ^
Betrachtet man die Art und Weise, mit der Online-Kommentare von den jeweiligen Anbietern (am bekanntesten sind die RDB Rechtsdatenbank sowie LexisNexis) vermarktet werden, so erkennt man schnell dass eine tiefergehende Betrachtung des angebotenen Online-Produktes durchwegs unterbleibt:
- «Die digitalen Werke sind stets auf dem aktuellsten Stand.» heißt es da beispielsweise auf der Webseite1 der RDB Rechtsdatenbank zu ihrem Produkt «Online-Bibliothek». Betrachten wir vor diesem Hintergrund das Flaggschiff der Online-Bibliothek, den Rummel-Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch: Wie die überwiegende Zahl der heute abrufbaren Online-Kommentare, sei es bei der RDB oder bei LexisNexis, handelt es sich auch hier um ein «statisches» Werk: Die Kommentierung des § 879 ABGB im Rummel-Kommentar [Rummel 2000] stammt – online wie im Print – aus dem Jahr 2000. Schon beim Print-Produkt wird man es hier tunlichst vermeiden, von «aktuell» zu sprechen, und höchstens die «aktuelle Auflage» ins Treffen führen. Umso größere Gewissensbisse könnte man haben, bei einem online abrufbaren Text aus dem Jahr 2000, bei einer dynamischen Materie wie dem Recht, vom «aktuellsten Stand» zu sprechen.
- «Bücher wälzen war gestern!» wird als weiteres Kaufargument auf der genannten Internet-Seite vorgebracht. Diese – bei den Betrachtern einer Rechtsdatenbanken-Website mit Sicherheit mehrheitsfähige – Aussage ist aus vielerlei Gründen zutreffend, lenkt aber gleichzeitig von der wichtigsten eigentlichen Frage ab: Wie wurde – auf Basis eines Printproduktes – ein Gesetzeskommentar für die Online-Nutzung adaptiert? Es entbehrt in diesem Zusammenhang nicht einer gewissen Ironie, dass Kristin Hanusch-Linser, damalige Geschäftsführerin der RDB Rechtsdatenbank, bereits im Jahr 2001 beteuerte «Es reicht nicht mehr, einmal Gedrucktes ins Netz zu stellen.» [Hanusch-Linser 2001, 69].
3.
Fehlende kritische Betrachtung ^
Niemand wird daran zweifeln, dass uns jedes funktionstüchtige Auto schneller von A nach B transportieren kann als ein Fußmarsch. Diese Erkenntnis hindert die Durchschnittskäufer jedoch nicht daran, Automodelle akribisch genau zu betrachten, um Kriterien entwickeln zu können, was ein gutes von einem schlechten Auto unterscheidet.
Genauso bietet jeder Online-Kommentar gegenüber dem Printprodukt enorme, völlig unstrittige Vorteile. Die Verfügbarkeit eines online abrufbaren Inhaltes spielt in einer völlig anderen Liga als jene eines gedruckten Werkes. Dieser Umstand hat zwar den Weg geebnet für den Siegeszug des Internet, gleichzeitig darf er aber nicht herangezogen werden, um eine kritische Betrachtung von Online-Inhalten von vornherein zu unterlassen.
4.
Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung und Evaluierung ^
Ein vermeintliches «Online ist immer gut.»-Killerargument darf nicht verhindern dass Online-Kommentare einer kritischen Betrachtung und Bewertung unterzogen werden. Unterstrichen wird diese These meines Erachtens durch den Umstand, dass Online-Kommentare für die Kunden kostspielige Anschaffungen darstellen. Wer bei Online-Kommentaren Preisangaben sucht, sucht zwar oft vergeblich. Anbieter wie Kunden halten sich meist bedeckt, zugestanden wird lediglich, dass die angebotenen Produkte «nicht billig» sind. So notwendig eine kritische Betrachtung akademisch sein mag, so muss man die Situation zuletzt auch realistisch sehen: Nachdem alle Online-Kommentare zur Zeit exklusiv bei einem Datenbankanbieter angeboten werden, sind die Folgen einer kritischen Betrachtung durch die Benutzer für die Anbieter leider marginal.
5.
Literatur ^
Hanusch-Linser, Kristin, Die Regel von der Ausnahme oder: Öffentliches Recht für jedermann und doch nicht ganz. In: Feldner u.a. (Hrsg.), Chaos Control, Manz, Wien, 67-70 (2001).
Rummel, Peter (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 1. Band, 3. Auflage, Manz, Wien (2000).
Stitic, Ivo, Winter, Michael, Juristische Medienkompetenz, Manz, Wien (2006).
Anton Geist, Projektassistent, Arbeitsgruppe Rechtsinformatik (DEICL/AVR), Universität Wien
anton.geist@univie.ac.at;http://rechtsinformatik.univie.ac.at
- 1 www.rdb.at/produkte/bibliothek.html , abgerufen am 11.2.2010.