Jusletter IT

Workshop «Elektronische Rechtsetzung»

  • Author: Günther Schefbeck
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Elektronische Rechtsetzung
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2010
  • Citation: Günther Schefbeck, Workshop «Elektronische Rechtsetzung», in: Jusletter IT 1 September 2010
Der Workshop «Elektronische Rechtsetzung» behandelt neuere Entwicklungen in der informationstechnischen Unterstützung von Rechtsetzungsprozessen. Die Papierkultur wird zunehmend durch IT ersetzt und es ist ein weiterer Ausbau legistikspezifischer Anwendungen festzustellen. Die Beiträge behandeln die Standards und «Best Practice» in der elektronischen Rechtsetzung, legistische Richtlinien sowie das System AGILE.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Die Themenstellung
  • 2. Die Beiträge
  • 2.1. Standards und «best practice» in der elektronischen Rechtsetzung (Günther Schefbeck)
  • 2.2. Anforderungen an eine elektronische legistische Arbeitsumgebung (Renate Krenn-Mayer)
  • 2.3. Proaktive Informationsbereitstellung im Rechtsetzungsprozess (Doris Ipsmiller/JosefMakolm)
  • 2.4. Normative Äquivalenzen in der legistischen Entwurfsarbeit (Hannes Stefko)
  • 2.5. AGILE – an Adaptive Systems Approach to the Legislative Chain (Tom van Engers)
  • 2.6. Training für Legistinnen und Legisten in der elektronischen Rechtsetzung (WolfgangEngeljehringer)
  • 2.7. Wenn eine Verordnung ein Gesetz in Kraft treten lässt – eine untypische Inkrafttretensregelung (Martin Zach/Beate Glück)
  • 2.8. Legistische Richtlinien für Afrika und die österreichische Legistik-Tradition (Harald Hoffmann/Friedrich Lachmayer/Erich Pürgy)

1.

Die Themenstellung ^

[1]

«Elektronische Rechtsetzung» steht zum einen für die informationstechnische Unterstützung von Rechtsetzungsprozessen – also von hochformalisierten Geschäftsprozessen, die durch verfassungs- und verfahrensrechtliche Regeln gesteuert werden, welche eine tief in die Papierkultur zurückreichende Tradition aufweisen –, zum anderen für neue Umgebungen, in denen sich Rechtsetzung vollzieht, und zwar nicht nur technische, sondern auch soziale Umgebungen, die durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien geprägt sind. Österreich nimmt in der elektronischen Rechtsetzung im europäischen Rahmen eine Vorreiterrolle ein; umso mehr erscheint es geboten, die jeweils aktuellen Entwicklungen zu beobachten und zur Grundlage für den weiteren Ausbau legistikspezifischer Anwendungen zu machen.

[2]

Dieser Erwägung entsprechend, ist nunmehr bereits zum dritten Mal in das Programm des IRIS ein speziell dem Thema «Elektronische Rechtsetzung» gewidmeter Workshop aufgenommen worden. Sind im Jahr 2008 elektronische Anwendungen zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Partizipation im Rechtsetzungsprozess und 2009 die neuen Ansätze des Wissensmanagement und insbesondere der semantischen Technologien in ihrer Anwendbarkeit auf den Rechtsetzungsprozess im Mittelpunkt des jeweiligen Workshop gestanden, so liegt der Schwerpunkt im Jahr 2010 in der Auseinandersetzung mit der Frage, welche Anforderungen an die Gestaltung legistischer Arbeitsumgebungen zu richten sind und wie solche Umgebungen künftig beschaffen sein könnten. Die Funktion des Legisten bzw. der Legistin – in der österreichischen Verwaltungssprache bezeichnet dieser Begriff ja jene Menschen, in deren Verantwortung die sprachliche und formale Gestaltung der legislativen Dokumente liegt, eine Rolle, für welche beispielsweise in der deutschen Verwaltungssprache kein gleichermaßen kompakter Ausdruck existiert und auch das ansonsten so kompakte Englische nur die schwerfälligere Formulierung «legislative drafter» kennt – und die Möglichkeiten der Unterstützung, welche veränderte, von den neuen Technologien durchdrungene Arbeitsumgebungen der legistischen Tätigkeit bieten können, erfahren somit im Rahmen des Workshop besondere Beleuchtung.

[3]

Die Zielgruppe des Workshop sind all jene, die in Praxis und Theorie der Rechtsetzung wie auch in deren informationstechnischer Unterstützung wirken oder die Interesse an der Dynamik der Rechtsordnung hegen.

2.

Die Beiträge ^

2.1.

Standards und «best practice» in der elektronischen Rechtsetzung (Günther Schefbeck) ^

[4]

Standardisierung ist ein charakteristisches Merkmal der Institutionalisierungsphase im Lebenszyklus neuer Technologien. Zwar stehen der Standardisierung in der elektronischen Rechtsetzung die Komplexität und Spezifität legislativer Prozesse entgegen, jedoch werden zumindest in zunehmendem Maße Standardwerkzeuge für die Entwicklung individueller Lösungen verwendet, und aus «best practice»-Beispielen der elektronischen Rechtsetzung können Referenzmodelle als Orientierungsmaßstab für solche Lösungen gewonnen werden. Schließlich werden auch im internationalen Rahmen zumindest «soft standards» für die Legistik zu entwickeln sein, und zwar nicht nur für deren technologische Unterstützung (etwa in der Formatierung oder Benennung), sondern auch für die legistische Entwurfsarbeit selbst: die Implementierung solcher struktureller, inhaltlicher und prozeduraler Standards wird wiederum durch Standardformate, -editoren und -workflowsysteme unterstützt werden. «Legistische Richtlinien», die heute oft als unverbindliche Handreichung für die legistische Arbeit verstanden werden, können so technisch implementiert und in ihrer Anwendung dadurch schließlich, wenn politisch durchsetzbar, auch erzwungen werden; dies mag zwar von manchen als Einschränkung, aber ebenso auch als Entlastung des Legisten bzw. der Legistin verstanden werden.

2.2.

Anforderungen an eine elektronische legistische Arbeitsumgebung (Renate Krenn-Mayer) ^

[5]

Der legistischen Tätigkeit kommt eine unverzichtbare Mittlerrolle zwischen informeller politischer Intention und formalisierter staatlicher Willensbildung zu, indem sie jene in eine für diese geeignete Form übersetzt und dabei gleichzeitig die systematische Integration eines zu erlassenden Rechtsaktes in die Rechtsordnung im Auge hat. Legistinnen und Legisten bedürfen daher gleichermaßen sprachlicher und logischer Kompetenz wie umfassenden Wissens über die legistische Technik sowie über Struktur und Inhalt der Rechtsordnung. Aus diesen Erfordernissen ergeben sich Anforderungen an künftige elektronische Arbeitsumgebungen, die bei deren Entwicklung zu berücksichtigen sein werden.

2.3.

Proaktive Informationsbereitstellung im Rechtsetzungsprozess (Doris Ipsmiller/JosefMakolm) ^

[6]

Wie könnte die legistische Arbeitsumgebung der Zukunft aussehen? Sie wird die legistische Tätigkeit in noch umfassenderer Weise als heute elektronisch unterstützen, indem sie über die Unterstützung des formalen Geschäftsprozesses hinaus die legistische Entwurfs- und Redaktionsarbeit in eine Wissensumgebung einbetten wird, welche aus den individuell und organisational verfügbaren Informationsressourcen proaktiv fallspezifisches Wissen konstituiert. Die semantischen Technologien, die dies ermöglichen werden, sind vorhanden – es gilt, sie in der elektronischen Rechtsetzung zu implementieren.

2.4.

Normative Äquivalenzen in der legistischen Entwurfsarbeit (Hannes Stefko) ^

[7]

Normative Äquivalenzen zu erkennen, zu gestalten und zu prüfen, ist eine zentrale Aufgabe in der legistischen Tätigkeit. Bereits mit existierenden semantischen Technologien können interne und externe Äquivalenzen mit einem gewissen Schärfegrad gefunden werden. Dabei werden Texte in grammatikalische Strukturen zerlegt und zu vordefinierten Wortgruppen referenziert. Durch statistisches Auswerten der Wortgruppen können erste Äquivalenzen erkannt werden. Mit Regeln werden Wortgruppen miteinander verbunden, um komplexere sprachliche Muster identifizieren und über deren Ähnlichkeiten Äquivalenzen entdecken zu können. Lernende Regelwerke können noch komplexere sprachliche Muster erkennen und Äquivalenzen auffinden. Neue technologische Ansätze reifen noch in den Labors: Sie basieren auf Studien über Texte, die mit UML 2 (Unified Modeling Language) modelliert und in Symbolen abgeleitet worden sind. Diese Symbole weisen ähnliche Eigenschaften auf wie die im alten China (bis 221 v. Chr.) entwickelten Schriftzeichen (kanji). Die Graphik der Symbole soll ihre einfache Erkennung – auch durch nicht hoch auflösende Kameras – erlauben, mächtige Kombinationsmöglichkeiten mit einfach interpretierbarer Semantik verbinden und binäre, kompakte Speicherung auf digitalen Medien zulassen, was den Vorteil einfacher Langzeitarchivierung böte. Die Rückführung sprachlicher Muster auf Symbole könnte diesen Ansatz für das Erkennen von Äquivalenzen in der legistischen Entwurfsarbeit prädestiniert erscheinen lassen.

2.5.

AGILE – an Adaptive Systems Approach to the Legislative Chain (Tom van Engers) ^

[8]

Auf die Verbindung und zugleich Spannung zwischen legistischer Konzeptualisierung einerseits und organisationaler Implementierung andererseits fokussiert das im Jahr 2008 aufgenommene, auf vierjährige Dauer angelegte Projekt AGILE (Advanced Governance of Information services through Legal Engineering). Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Technologien der normativen Wissensrepräsentation die Umsetzung der legislativen Dynamik in die Veränderung von Geschäftsprozessen unterstützen können. Dabei wird besonders auf legislative Standards wie CEN/MetaLex eingegangen.

2.6.

Training für Legistinnen und Legisten in der elektronischen Rechtsetzung (WolfgangEngeljehringer) ^

[9]

Für den Erfolg der elektronischen Unterstützung des Rechtsetzungsprozesses ist die Vermittlung der für den Einsatz der elektronischen Werkzeuge notwendigen Fertigkeiten gleichermaßen wichtig wie die Erzeugung von Akzeptanz der zum Einsatz gelangenden Systeme bei den legistisch Arbeitenden. Beiden Zielen dient Training, das sich nicht nur der «klassischen» Kursform, sondern auch der innovativen Form des individuellen elektronischen Lernens bedienen kann. Ein solches, auf dem ECDL-Konzept basierendes E-Learning-Werkzeug ist in der Parlamentsdirektion auch im Rahmen der Implementierung des Systems «E-Recht» entwickelt worden.

2.7.

Wenn eine Verordnung ein Gesetz in Kraft treten lässt – eine untypische Inkrafttretensregelung (Martin Zach/Beate Glück) ^

[10]

Welch diffizile formale Probleme – mit materieller Wirkung – die legistische Tätigkeit kennt und wie sie in weiterer Folge die Rechtsdokumentation zu bewältigen hat, wird anhand eines Beispiels aus dem Sozialversicherungsrecht gezeigt: Konkret wird erläutert, wie die – auch im Hinblick auf den Stufenbau der Rechtsordnung – «untypische» Inkrafttretensregelung, dass das Inkrafttreten von Gesetzesbestimmungen von der Erlassung einer Verordnung abhängig gemacht wird, in ein technisches Rechtsdokumentationssystem integriert werden kann, solange die Verordnung noch nicht erlassen ist, und wie vorzugehen ist, wenn die Verordnung dann erlassen wird. Außerdem wird anhand einer Inkrafttretensregelung einer Richtlinie des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger auf das Inkrafttreten von Inkrafttretensbestimmungen eingegangen.

2.8.

Legistische Richtlinien für Afrika und die österreichische Legistik-Tradition (Harald Hoffmann/Friedrich Lachmayer/Erich Pürgy) ^

[11]

Zum Abschluss des Workshop schließt sich der thematische Kreis zur Entwicklung legistischer Standards: Im Rahmen eines UN-Projektes für Parlamente in Afrika sind von einer italienischen Expertengruppe legistische Richtlinien für Personen, die in Afrika in die Gesetzgebung involviert sind, ausgearbeitet worden. Dieser Text ist modern konzipiert und international im Diskurs mit einigen Parlamenten abgestimmt worden. Er umfasst 48 einzelne Richtlinien, die aus der Sicht der Rechtsinformatik kommentiert und überdies in Beziehung zu den derzeit für die Rechtsetzung des Bundes anwendbaren Legistischen Richtlinien des Bundeskanzleramtes-Verfassungsdienst gestellt werden. Möglicherweise sind die Legistischen Richtlinien für Afrika ein relevanter Impuls für die aktuelle Legistik-Diskussion.

 



Günther Schefbeck, Abteilungsleiter Parlamentsdirektion, Abteilung «Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik»
Dr. Karl Renner-Ring 3, 1017 Wien AT
guenther.schefbeck@parlament.gv.at