1.
Wissen in den öffentlichen Verwaltungen ^
[1]
Für die öffentliche Verwaltung ist Wissen zentral – es ist verteilt in Köpfen, in Akten, in Gesetzen und Rechtsvorschriften, sowie in informationstechnischen Anwendungssystemen und Datenbanken. Die öffentliche Verwaltung kann in diesem Sinn als Wissensnetz gesehen werden. Dieses Wissen hat scharfe und unscharfe Zonen, denn nur ein Teil dieses Wissens ist explizit festgelegt, gar vieles kommt implizit durch Benutzererfahrungen und in der Arbeitspraxis zur Anwendung. Der Ausdruck Dienstwissen bezeichnet dies treffend, denn er drückt eine Balance von niedergeschriebenem und in der Praxis tradiertem Wissen aus.
[2]
Wissen bewegt die Verwaltung und kommt an vielen Stellen des Geschehens ins Spiel. Auf der Makroebene betrachtet man Wissen als Ressource. Somit stehen Sammlung, Pflege und Nutzung im Vordergrund. Auf der Mesoebene geht es um Wissensflüsse und Gestaltung. Diese Sicht betrachtet Abläufe der Verwaltung und spricht das Potential an implizitem Wissen an, so auch das Potential zu Weiterentwicklung und Neugestaltung von Prozessen. Auf der Mikroebene geht es um Wissen als Hintergrund von Entscheidungen in den Verwaltungsprozessen.
[3]
Somit stellen sich in den öffentlichen Verwaltungen drei wichtige Aufgaben. Zum ersten kommt es darauf an, das Wissen abzubilden und zu speichern. Damit sind Fragen der Abbildung und Speicherung in Datenbanken, des Retrievals und des Datenaustausches angesprochen. Dann ist Wissen zu wahren und zu pflegen. In diesem Sinn ist der Managementzyklus von Wissen bedeutend: Erfassung, Pflege, Aufbereitung, Suche und Transfer (vgl. [Probst et al 1996]). Drittens, kommt eine IT-gestützte Verarbeitung von Wissen dazu. Intelligente Module erhöhen die Benutzerfreundlichkeit und können als Beitrag zu «Smart Government» gelten.
[4]
Die Literatur zum Thema Wissen und Verwaltung ist umfangreich, weshalb nur kurz Beispiele zitiert seien: für E-Government im Allgemeinen die letzten EGOV Konferenzbände [Scholl et al. 2009, Chappelet et al 2010, Wimmer et al. 2009, Wimmer et al 2010], der Konferenzband zur Fachtagung Verwaltungsinformatik und Fachtagung Rechtsinformatik [Wimmer et al 2010] bzw. zum Wissen in der Verwaltung [Traunmüller 2010, Lenk et al. 2002, Traunmüller et al. 2001, Traunmüller & Wimmer 2002, Traunmüller & Wimmer 2000] sowie die Tagungsbände zur Internationalen Konferenz «Knowledge Management in Electronic Government» 2002 – 2004 [Wimmer 2002, Wimmer 2003, Wimmer 2004].
2.
Abbildung und Speicherung von Wissen ^
[5]
Abstrakt gesehen umfasst Wissen die Gesamtheit der im menschlichen Gedächtnis fixierten Kenntnisse und Fähigkeiten, welche Individuen zur Lösung von Problemen einsetzen. Dazu zählen sowohl theoretische Erkenntnisse, Handlungsanweisungen und praktische Alltagsregeln als auch Wissen über Objekte, Personen, Ereignisse oder Beziehungen. Dies wird je nach Anwendungsgebiet konkretisiert. So finden sich spezielle Bezeichnungen mit eingeschränkter Verwendung, wie «Servicewissen» im Betrieb, «Dienstwissen» in der Verwaltung und «Domainwissen» in der Informatik.
[6]
Allgemeine Grundlage ist die Speicherung von Wissen. Speicherfähigkeit ist dann gegeben, wenn Wissen formalisiert, explizit und womöglich exakt und vollständig ist. Durch Formalisierung wird die Darstellung von Wissen erleichtert, wobei es für Formalisierung eine weite Bandbreite gibt. Eine niedrige Ausformung von Formalisierung wird durch altbekannte Strukturierungstechniken wie Gliederung, Fußnoten und Querverweise erreicht. Ein Beispiel dafür sind Web-Links. Eine Formalisierung mittleren Grades sind Semantische Netze, welche inhaltliche Zusammenhänge darzustellen vermögen. Dafür stehen als Beispiele Thesaurusprogramme zum Aufsuchen von ähnlichen Begriffen. Regeln und Ontologien wiederum spiegeln Wissen mit hohem Formalisierungsgrad wider. Mit ihnen wird automatische Wissensverarbeitung möglich, was in Potential (und Komplexität) über das Management von Wissen hinausgeht.
[7]
Das verwendete technische Instrumentarium ist weit. So sind unter dem Gesichtspunkt der Speicherung von Information Repositorien des Wissens wie Datenbasen und Dokumenten Management Systeme zu nennen. Das zur Speicherung komplementäre Problem ist das Wiederfinden von Information. Daher werden Suche und Navigation durch Mechanismen wie etwa Register, Verweise, Hyperstrukturen und Ontologien unterstützt. Ein besonderes Problem ist die Übermittlung von Information, weil bei Anwendungen im Web Daten gleichsam ihre Bedeutung in Beschreibungen mit sich tragen müssen. Deshalb wurden für den Austausch von Information Verfahren zur Datenbeschreibung entwickelt. Eine solche «Tag»-orientierte Metasprache ist XML (Extensibler Markup Language) [Harold & Means 2004]. Sie dient als Industriestandard für den Austausch komplex strukturierter Dokumente wie Berichte, Akten, Multimediaobjekte usw. Dazu kommt als Erweiterung RDF (Resource Definition Framework) [Hitzler et al 2008] als Möglichkeit einer weitergehenden Strukturierung.
3.
Wissensmanagement, -verarbeitung, Entscheidungsunterstützung ^
[8]
Das Management von Wissen ist bedeutungsvoll, denn Wissen unterliegt, wie jede andere knappe Ressource, den Grundsätzen einer vorausschauenden Bewirtschaftung. Das Management von Wissen hat beim Lebenszyklus des Wissens anzusetzen. So beginnt das Management der Ressource «Wissen» mit der Erhebung des Wissensbedarfes, mit einer Feststellung von Lücken im Wissensangebot und einer Artikulation von Problemen seitens der Wissensbenutzer. Im systematischen Vorgehen sind weitere Schritte zur Erfassung und Pflege. Dem schließen sich Aufbereitung und Integration an (vgl. [Probst et al 1996]. Der Nutzung gilt besonderes Augenmerk, denn Auffinden und Verteilen von Wissen sind kritische Punkte in jeder Institution. Letztlich führt Wissensmanagement zum Aufbau eines Gedächtnisses der Institution. Ein solches institutionalisiertes Wissensmanagement ist ein alter Traum, der nunmehr angesichts neuer Technikpotentiale Gestalt annimmt. Organisationen aller Art machen sich mit Verve daran, in ihr intellektuelles Kapital zu investieren.
[9]
Decision Support Systeme (DSS) sind Softwaremodule, um bestimmte Klassen von Entscheidungen zu unterstützen. Dazu gehören die meisten Planungsmodelle, wobei–wie folgendes Beispiel aus einer Stadtverwaltung zeigen möge–eine Vielzahl von Lösungsmodellen zum Einsatz kommt: Statistiken (Verbrauchszahlen), Tabellenkalkulationen (Budgetplanung), Optimierungen (Standortverteilung), Simulationen (Verkehrsbelastung). Bei hohem Formalisierungsgrad werden automatische Verarbeitungsschritte möglich, wofür Expertensysteme und Softwareagenten typische Anwendungen sind.
[10]
Wissensbasen enthalten Wissen über das Anwendungsgebiet, vor allem in Form von Fakten (Daten) und Regeln. Die Darstellung von Wissen in symbolischer Form bedient sich verschiedener Formalismen. So dienen Eigenschaftslisten zur Darstellung von Fakten, während Regeln eine Ausführung von Zustandsänderungen als Folge erfüllter Bedingungen einleiten. Komplexe Realzusammenhänge werden mit Ontologien abgebildet (vgl. z.B. [Hitzler et al 2008]), während Frames zur Darstellung stereotyper Situationen dienen. Inferenzmaschinen bringen das in Regeln und Prozeduren gespeicherte Wissen in die konkrete Problemlösung ein, worauf später beim Thema Expertensystemen im Recht eingegangen wird.
4.
Wissensarten in den öffentlichen Verwaltungen ^
[11]
Inhaltlich stellt sich die Frage nach den Wissensarten der Verwaltung. Eine erste grobe Einteilung ist eine dreigliedrige in Register, Normen und Managementinformation. Diese grundsätzliche Einteilung fächert sich dann in verschiedene Zweige auf. Zum Beispiel umfasst die Kategorie Register eine große Zahl verschiedener Datenbanken, die vom Einwohnermeldewesen bis hin zu Grundstücksdatenbanken und Handelsregistern reichen.
[12]
Bei näherer Betrachtung weitet sich das Bild, denn das Ausmaß steuerungsrelevanter Gestaltungsfelder für Politik und Verwaltung ist prinzipiell sehr groß. Es umfasst alles, womit das Verwaltungshandeln ständig umzugehen hat, so das eigene Handeln, Zustände die Verwaltung selbst betreffend, die Umwelt und die Grenzen des eigenen Handelns [Lenk et al 2002, Traunmüller & Wimmer 2002]. Der konkrete Umfang wird davon abhängen, welche relevanten Gestaltungsaufgaben identifiziert werden. Die Vielzahl benötigter Informationen für den Handlungs- und Entscheidungsbedarf ist beachtlich, hier seien nur einige Beispiel aufgezählt [Traunmüller et al 2001, Lenk et al 2002]:
- Handlungsauftrag und entsprechende Erwartungen
- Lage von Institution und Außenwelt
- Kennzahlen aus Controlling, Ergebnisse von Evaluierung und Umfragen
- Wissen aus Arbeitsprozessen und Bürgerkontakten
- Kreis der Betroffenen (Institutionen und Personen) und Gruppeninteressen
- Handlungsraum gegeben durch Rechtsvorschriften, Regelungen
- Handlungsmöglichkeiten und Direktiven, Zugriff auf Ressourcen
- Effektivität und Kontrollmöglichkeit von Anweisungen
- Auswirkungen von Entscheidungen
[13]
In den nachfolgenden Kapiteln 5 und 7 werden verschiedene vorhin angesprochene Facetten des Wissensmanagements anhand zweier Anwendungsbeispiele aus der öffentlichen Verwaltung verdeutlicht.
5.
Beispiel Individualisierte Fallbehandlung ^
[14]
Die «Produktion» der Verwaltungsentscheidung ist durch eine Abfolge von Wahlakten gekennzeichnet. Es empfiehlt sich also, die Verwaltungsentscheidung als Prozess zu betrachten. Meist können solche Prozesse als Routinebearbeitung oder als individualisierte Fallbehandlung betrachtet werden; beide Kategorien stellen sozusagen das Hauptgeschäft der Verwaltungen dar. Routinebearbeitung ist im Regelfall streng festgelegt und kann daher in ihrem Ablauf weitgehend formalisiert und teilweise automatisiert werden. Im Grunde handelt es sich um strukturierte Prozesse, die durch die kontinuierliche Wiederholung gleichartiger Arbeitsschritte gekennzeichnet sind. Sie lassen allenfalls ein geringfügiges Auswahlermessen des Bearbeiters zu [Lenk et al 2002, Traunmüller et al 2001]. Ein Beispiel dafür ist das Einwohnermeldewesen. Werden Sach- oder Rechtslage komplexer, dann ist der Übergang zur individualisierten Fallbehandlung gegeben, wofür als Beispiel die Behandlung eines Einkommenssteueraktes stehen kann.
[15]
Beide Arten von Prozessen, Routinebearbeitung und individualisierte Fallbehandlung, werden technisch gesehen durch Vorgangsbearbeitungssysteme oder Workflow Management Systeme (WFMS) unterstützt. Diese enthalten drei Komponenten der Beschreibung: Aktivitäten, welche die Vorgänge bis hin zur elementaren Taskebene strukturieren; Informationen zur Sachinformation und zur Bearbeitung; Akteure als Personen, denen Stellen, Vorgangsrollen und Verantwortlichkeiten zugeordnet sind. Die in einem Vorgangsbearbeitungssystem relevanten Informationen sind hinsichtlich ihrer Funktion unterscheidbar in Sachinformationen und Bearbeitungsinformationen. Sachinformation beschreiben den im Vorgang behandelten Sachverhalt und bilden die entscheidungsrelevanten Aspekte eines Falles ab. Bearbeitungsinformationen sind Metainformationen, welche die Merkmale des Geschäftsgangs, in dem Sachinformationen verarbeitet werden, beschreiben. Diese Bearbeitungsinformationen bilden den Arbeitsprozess ab und übernehmen gleichzeitig Steuerungs- und Dokumentationsfunktionen (Arbeitsanweisungen, Erledigungsvermerke usw.).
6.
Werkzeuge zur Unterstützung: Fallwissen, Prozesswissen, Rechtswissen ^
[16]
Das grundsätzliche Schema der Vorgangsbearbeitung ist im Kontext der öffentlichen Verwaltungen komplex: viele Aspekte von Wissen – Rechtswissen, Fallwissen, Prozesswissen, udgl. – kommen zusammen; zudem beeinflusst die Verbindung von Rechtsnormen und Verwaltungsprozessen sich gegenseitig. Normen bestimmen viele Komponenten, wie Prozessablauf, Aktenform, Interpretationen und Entscheidungsschritte. Dazu kommen wechselseitige Einflussnahmen. Diese können eher trivial sein (im laufenden Verfahren erfolgen Verlaufsänderungen durch Rücksprachen) oder auch mehr grundsätzlicher Art (Ermessensspielräume werden durch Richtlinien eingeschränkt; frühere Entscheidungen stellen Richtwerte dar und beeinflussen spätere). In vielen Fällen, etwa bei Baugenehmigungen, wird eine zusätzliche Informationsgewinnung notwendig (Beiziehen von Experten, Lokalaugenschein usw.). Dadurch wird die Steuerung des Prozesses offener; der Prozess wird gleichsam im Verlauf (neu) strukturiert.
[17]
Für die IT-Unterstützung öffnet sich ein weites Feld. Die Unterstützung reicht von Bürobereich, Interpretation, kooperatives Abstimmen bis hin zum Entscheidungsschritt. Die Unterstützung mit fachunspezifischen Werkzeugen umfasst weite Bereiche, so allgemeine Bürofunktionen, Vorgangsbearbeitungssysteme, Abrechnungssysteme und Auskunftssysteme.
[18]
Eine Unterstützung der fachspezifischen juristischen Tätigkeiten setzt vor allem bei der Interpretation an. Interpretationen bereiten den eigentlichen Entscheidungsschritt. Man erinnere nur an den Ausspruch, dass der Kern der Arbeit von Juristen Interpretation sei und nicht Logik. Zur deren Unterstützung gehört die Suche nach relevanten Gesetzen und Entscheidungen, altbekannt als Information Retrieval. Noch wichtiger als die konventionelle Suche nach Schlagworten ist das Auffinden ähnlicher Fälle. Hier geben Forschungsarbeiten zum Thema «case based reasoning» Hoffnung auf verbesserte Lösungen.
[19]
Die Behandlung eines Falles macht zahlreiche größere oder kleinere Abstimmungen zwischen beteiligten Behörden notwendig. Formen kooperativen Arbeitens haben im Verwaltungshandeln schon immer eine zentrale Rolle eingenommen. Dazu ein einfaches Beispiel: In der Vorgangsbearbeitung übernehmen mitzeichnende Stellen durch ihre Mitwirkung Anteil an der Gesamtverantwortung, womit eine konsensuale Form der Erledigung erreicht wird. Die fachliche Beteiligung und die Beurteilung des Entscheidungsvorschlags können im Workflow auf verschiedene Art geschehen werden, so im Beisteuern von Informationen und Abgeben von Stellungsnahmen.
[20]
Bei schwierigen Materien geht die Beteiligung durch andere Stellen über kleine Änderungen und eine Mitzeichnung hinaus. Dies sind dann Verwaltungsprozesse, bei denen Verhandlungen das Bild prägen. Deren Unterstützung durch IT kann viele Formen annehmen, so in Systemen für gemeinsame Berichterstellung, Videokonferenzen und kollaborative Plattformen. Eine Unterstützung von räumlich verteilter Zusammenarbeit wird somit möglich; Sie geht weit über konventionelle Wege hinaus. Letztendlich werden im Entscheidungsschritt verbindliche Akte gesetzt, wobei auch hier vielfaches Wissen einfließt, so Faktenwissen, Weltwissen und Rechtwissen.
[21]
Unterstützung von Entscheidung ist ein komplexes Thema und hängt stark von der Materie ab. Ein einfaches Beispiel ist Data Support, wobei Unterstützung durch interne und externe Datenbankdienste gemeint ist, wozu auch die Rechtsdatenbanken zählen.
[22]
Historisch gesehen war die Unterstützung von Entscheidungen ein Hauptanliegen der Rechtsinformatik und dies seit ihren Anfängen. Dem Gebiet der Formalisierung von Normen wurde großes Augenmerk zugewandt. Unter dem Titel «juristische Expertensysteme» kam Formalisierung im Recht dann in das volle Rampenlicht der Aufmerksamkeit.
[23]
Expertensysteme sind Systeme, um bestimmte Klassen von Entscheidungen zu unterstützen. Grundidee ist, dass bestimmte Klassen von Aufgaben von Softwaresystemen gelöst werden, wobei das Problemlösungsvermögen eines menschlichen Experten gleichsam nachgeahmt wird. Methodisch basiert dies auf Wissensbasen und Inferenzmaschinen. Wissensbasen enthalten Wissen über die Anwendungsdomäne, vor allem in Form von Fakten (Daten) und Regeln. Weiteres Wissen liegt in der Datenbank (Beziehungen, Randbedingungen, Vererbungen) und in speziellen Prozeduren (spezielles Systemwissen) vor. Inferenzmaschinen bringen das in Regeln und Prozeduren gespeicherte Wissen in die konkrete Problemlösung ein. Spezielle Lösungsstrategien werden als Kontrollwissen gespeichert. Eine Arbeitsumgebung trägt den Dialog mit dem Benutzer und enthält weitere Komponenten zur Erklärung des Systemverhaltens und zum Erwerb von Wissen. Wenn auch der große Durchbruch ausblieb, kamen juristische Expertensysteme auch in den öffentlichen Verwaltungen zum Einsatz, so im Steuerwesen zur Prüfung der Plausibilität.
7.
Beispiel Bürgerinformation ^
[24]
Der Anstoß zu Electronic Government wird wesentlich von «außen» an die öffentliche Verwaltung herangetragen. Die Verbreitung des Internets fordert von der Verwaltung, auf veränderte Kommunikationswünsche einzugehen. Neue Bürgerdienste und die Chancen der elektronischen Demokratie stehen deshalb im Vordergrund. Dabei muss man vor allem vom Bedarf der Bürger und nicht, was einfach wäre, vom Informationsangebot der Verwaltung ausgehen. Dies entspricht der Denkweise des Bürgers als «Kunden» der Verwaltung. Es gilt deren Anliegen mit den Leistungen der Verwaltungen in Übereinstimmung zu bringen.
7.1.
Bürgerinformationssysteme als wichtige Informationsquellen und erste Anlaufstellen der heutigen Zeit ^
[25]
Die Vorbereitung des Verwaltungskontakts erfordert vor allem Informationssuche. Gerade dies ist ein Punkt, wo Bürgerinformationssysteme hohen Nutzen stiften. Man muss sich die Situation veranschaulichen. Aus der Sicht des Bürgers handelt es sich bei vielen Kontakten um höchst selten durchgeführte und obendrein erklärungsbedürftige Vorgänge. Zudem spielt dabei eine große Rolle, ob es sich um Begegnungen handelt, die für den Bürger zwingenden Charakter haben. Beispiel sind etwa die Ausstellung eines Personalausweises oder die Wohnungsummeldung. So helfen Anspruchsinformationssysteme die Frage zu klären, was ein Bürger in bestimmten Situationen zu erwarten hat. Damit wird es leichter abzuschätzen, ob sich ein Gang zur Behörde lohnt.
[26]
Bürgerinformationssysteme enthalten Informationen und Hilfsmittel zu ihrer Nutzung, welche das Zurechtfinden im öffentlichen Leben erleichtern. Typisch sind Fragen nach Anspruchsarten, Zuständigkeiten, Öffnungszeiten, mitzubringenden Unterlagen etc. Man könnte das Angebot wie folgt beschreiben: Nachweis- und Wegweiserfunktionen, Anspruchsinformation über Rechte, Struktur- und Planungsinformationen sowie Alltagsinformation. Rechtsinformationen gehört auch dazu, bleiben allerdings schlecht erreichbar, da die Suchmöglichkeiten kaum über eine Schlagwortsuche hinausgehen.
[27]
Wieder andere Nutzungsformen können die Teilnahme von Bürgern am lokalen Geschehen unterstützen. Zu nennen ist etwa die Erschließung der Information in Haushaltsplänen. Sie kann einen wesentlichen Beitrag zur Transparenz insbesondere der kommunalen Verwaltung liefern. Besonders Städte sind laufend mit heiklen Aufgaben der Stadtplanung konfrontiert, die große Herausforderungen darstellen. Manchmal werden etwa auch Planungsalternativen offen gelegt, so wie die Verwendung des Budgets für städtische Freizeiteinrichtungen.
7.2.
Verbesserung der Bürgerinformation durch mit semantischen Technologien angereicherte [partizipative] Portale ^
[28]
Ein Ansatzpunkt für Verbesserung von Bürgerinformationssystemen liegt im Routen von Anfragen. Es gilt in diesem Schritt die Wissensbasen mit den für die Fragen relevanten Daten zu finden. Dabei kann das Ziel sehr unterschiedlich sein, so eine Datenbank, ein Expertensystem oder einen menschlichen Bearbeiter. Eine Möglichkeit, die in schwierigen Sachlagen genutzt werden kann, ist die Vermittlung von Experten. Dies kann lokal mit Bürgeramt-Lösungen geschehen, aber auch über das Web in multimedialer Form. Eine Automatisierung der Suche nach relevanten Datenbanken kann mit Hilfe von semantischen Technologien unterstützt werden.
[29]
Multimediale Kontakte machen es möglich, dass Besprechungen zwischen räumlich verteilten Partnern in einem natürlichen Rahmen stattfinden, so unter Blickkontakt und mit unmittelbarer Kommunikation. Die Forderung nach Hilfe ist verständlich. Einerseits hat dies mit der Erklärungsbedürftigkeit vieler öffentlicher Angelegenheiten zu tun, andererseits mit der Tatsache, dass solche Leistungen eher selten in Anspruch genommen werden. So werden Bürgerämter und multifunktionale Serviceläden gerne in Anspruch genommen, weil sie zwei Vorteile verbinden. Es gibt sowohl den direkten Kontakt durch örtliche Präsenz der Mitarbeiter wie auch alle Möglichkeiten des Webs, da von den Mitarbeiter für die Klienten gleichsam ein Fenster auf die gesamte Verwaltung geöffnet werden kann.
[30]
Ein weiterer Ansatzpunkt für Verbesserungen ist es, die Erklärungsfähigkeit durch IT-Unterstützung zu erhöhen. Diese Art von Verbesserungen ist eng mit einem Fortschritt in semantischen Technologien verbunden. Die Erstellung von Ontologien für spezifische Anwendungsbereiche ist zentral, wobei es sich bei Bürgerinformation hauptsächlich um die Beschreibung von Lebenslagen handelt. Fortgeschrittene Bürgerinformationssystemen auf Basis von Ontologien ermöglichen es dem Bürger, über Inferenzregeln die für den speziellen Fall benötigten Dienstleistungen der Verwaltung auf einfache Art und Weise über Abfragen und die Nutzung semantischer Dienste zu finden und auszuführen.
[31]
Die Mitarbeit der Bürger ist unter den Gesichtspunkten Transparenz und Kontrolle bedeutend und auch dazu gibt es Hilfestellungen. Der Verwendung von Budgetmitteln gilt besonderes Augenmerk. So haben einige Staaten Systeme entwickelt, die zu einer weitreichenden Transparenz führen – so etwa über die Vergabe öffentlicher Mittel im Agrarbereich. Auch die EU hat ein solches Netz unter dem Titel «Financial Transparency System»1 etabliert.
[32]
Ein Ansatzpunkt für den Ausbau von Bürgerinformationssystemen geht in Richtung Planung und Beteiligung der Bürger in strategischen Entscheidungsfindungen. Eher einfache Punkte sind soziale Kommunikation über Mails oder der Gebrauch von Hilfsmitteln in der Planung wie Statistiken, Visualisierungen usw. So können Bürger eine Bestandsaufnahme von Bäumen in ihrer Stadt kreieren, so etwa in San Francisco. Zentrale Bedeutung hat seit einigen Jahren der Aufbau kollaborativer Plattformen unter dem Schlagwort E-Partizipationsplattformen gewonnen (vgl. dazu z.B. die Tagungsbände zur jährlichen ePart Konferenz [Macintosh & Tambouris 2009, Tambouris et al 2010]). Diese eröffnen technische Unterstützung für die Beteiligung von Bürgern an demokratischen Prozessen und können verschiedene Phasen der Bürgerbeteiligung technisch unterstützen. Dazu gehören Informationsaustausch, Meinungsbildung, Einbringung von Petitionen, gemeinsame Willensbildung usw. Spezielle Anwendungen der E-Partizipation werden auch unter Schlagworten wie E-Campaigning, E-Consultation, Participatory Budgeting oder Collaborative Spatial Planning diskutiert.
8.
Abschließende Bemerkungen ^
[33]
In diesem Beitrag wurden eingangs der Aspekt der Verwaltungsarbeit als Wissensarbeit sowie verschiedene Arten von Wissen in der öffentlichen Verwaltung diskutiert. In weiterer Folge wurden unterschiedliche IT-technische Ansätze zur Wissensverarbeitung und Speicherung angesprochen. Um deren Anwendungspotentiale im öffentlichen Sektor zu verdeutlichen, wurden Wissensaspekte in Beispielen der individualisierten Fallbehandlung, der Register und Fallbasen sowie in Bürgerinformationssystemen beschrieben.
[34]
Das Thema des Wissensmanagements erlebt nach gut zehn Jahren durch ausgereiftere IT-Unterstützung und v.a. durch bessere technologische Möglichkeiten des Semantic Webs und der Wissensvernetzung einen neuen Boom. Auch wenn diese neuen Technologien des Web 2.0 und des Web 3.0 vielversprechend sind, bleiben viele Fragen der praktischen Umsetzung und Nutzung dieser in der öffentlichen Verwaltung noch zu klären. Sowohl die Forschung der Verwaltungs- und der Rechtsinformatik wie auch die anwendungsorientierte Umsetzung der Praxis werden in der nahen Zukunft alle Hände voll zu tun haben, um die Innovationen erfolgreich in die Anwendung zu bringen und für die öffentliche Verwaltung und die Gesellschaft wirklichen Nutzen zu stiften.
[35]
So wünschen die Autoren dem Jubilar viele interessante und erfolgreiche Auseinandersetzungen mit dem Thema Wissensmanagement im Anwendungsgebiet der Rechtsinformatik!
9.
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-
1
Siehehttp://ec.europa.eu/beneficiaries/fts/index_en.htm , zuletzt
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28. Dezember 2010