Jusletter IT

E-Justiz in Österreich – Umsetzung der IT-Strategie

  • Authors: Thomas Gottwald / Martin Schneider
  • Region: Austria
  • Field of law: Applications
  • Collection: Festschrift Erich Schweighofer
  • Citation: Thomas Gottwald / Martin Schneider, E-Justiz in Österreich – Umsetzung der IT-Strategie, in: Jusletter IT 22 February 2011
Die budgetäre Situation und die an die Justiz gestellten Anforderungen machten es notwendig, ein klares und umfassendes Konzept für die Zukunft des IT-Einsatzes in der österreichischen Justiz zu erstellen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangslage
  • 1.1. Bundesrechenzentrum (BRZ)
  • 1.2. Budget- und Personalsituation
  • 2. IT-Strategie
  • 2.1. Ziele der IT-Strategie
  • 2.2. Prinzipien der IT-Strategie
  • 2.3. Technische Standards
  • 3. Justiz-Zustellservice
  • 4. Einnahmen durch IT
  • 5. Sparen bei der IT
  • 6. Datawarehouse der Justiz
  • 7. Elektronische Akte
  • 8. Literatur

1.

Ausgangslage ^

[1]
Die österreichische Justiz verzeichnete im Jahr 2009 auf allen Ebenen der Gerichte und Staatsanwaltschaften1 einen Anfall von 3,3 Millionen Akten2 . Die registermäßige Erfassung aller Fälle erfolgt in der Verfahrensautomation Justiz, deren Beginn auf das Jahr 1986 zurückgeht. Der sich seit 1990 im Einsatz befindliche Elektronische Rechtsverkehr ermöglichte 2009 rund acht Millionen Transaktionen zu den Gerichten und Staatsanwaltschaften und umgekehrt. Insolvenzen und Liegenschaftsversteigerungen werden in der Ediktsdatei kundgemacht, über die auch die Liste der Sachverständigen, Dolmetscher, Mediatoren und Insolvenzverwalter einsehbar ist. Die Grundbuchsdatenbank geht bereits auf das Jahr 1980 zurück und zehn Jahre später wurde das Firmenbuch elektronisch umgestellt. Seit 2005 verfügt die Justiz über ein elektronisches Urkundenarchiv. Doch auch über die Grenzen hinaus ist die österreichische Justiz aktiv und beteiligt sich erfolgreich an der Nutzung der Videokonferenz und an den Verknüpfungen der nationalen Grundbücher, Firmenbücher, Insolvenz-, Straf- und Testamentsregister, die künftig im e-Justice Portal der EU Eingang finden werden. Die gemeinsam mit Deutschland entwickelte IT-Lösung zur Abwicklung des Europäischen Mahnverfahrens wurde 2009 mit dem eGovernment-Award der EU ausgezeichnet.
[2]
Diese lediglich beispielhafte Aufzählung zeigt, dass die Justiz für praktisch alle Bereiche Anwendungen zur Lösung entwickelt hat, ohne die ein reibungsloser Ablauf schon lange nicht mehr möglich wäre. Die eingesetzten oftmals gewachsenen und komplizierten Anwendungen stießen mitunter an ihre Grenzen der Machbarkeit und Wartbarkeit, sodass Synergien zwischen den einzelnen Anwendungen gefunden werden mussten. Die entsprechenden Module werden aus den Anwendungen als eigene Komponenten herausgelöst und diese – ganz im Sinn der serviceorientierten Architektur – allen Anwendungen als Service zur Verfügung zu stellen.
Abbildung 1: Synergieplan
[3]
Der Elektronische Rechtsverkehr, das Justizportal, Benutzerschnittstellen, die Statistik und das Datawarehouse, der Poststraßenservice, die pdf-Generierung, Online-Formulare mit Bürgerkarte (Signaturkarte), das Justizzustellservice, das Dokumenteneinbringungsservice für Sachverständige und das Designmodul für Textbausteine sind Beispiele für solche im Synergieplan der Justiz dargestellte Services. Die Elektronische Zustellurkunde (Behördenbrief), die Generierung und Visualisierung von Gerichtsakten, das Bürgerportal der Justiz, das Signaturprüfservice, das Erledigungsarchiv, das Identity Management der Justiz, das Single-sign-on für Justizapplikationen, der interner elektronischer Rechtsverkehr zwischen Justizapplikationen stellen eine kleine Auswahl von geplanten Vorhaben dar.

1.1.

Bundesrechenzentrum (BRZ) ^

[4]
Die österreichische Justiz bedient sich der Bundesrechenzentrum GmbH als IT-Dienstleister. Diese GmbH wurde per Gesetz eingerichtet, steht zu 100 Prozent im Eigentum der Republik Österreich und ist mit einer gesetzlichen nicht ausschließlichen Zuständigkeit für Justizaufgaben versehen. Es besteht die Möglichkeit der ausschreibungsfreien Direktvergabe, wobei die erbrachten Leistungen von der Umsatzsteuer befreit sind. Im BRZ erfolgt die Anwendungsentwicklung für die österreichische Justiz, ferner ist dort die zentrale Infrastruktur einschließlich der Poststraße zur zentralen Abfertigung der Gerichtserledigungen eingerichtet.

1.2.

Budget- und Personalsituation ^

[5]
Die sachlich begründete Notwendigkeit von e-Justice als zentrales Infrastrukturelement wird durch den gesellschaftlichen Wandel zur Kommunikationsgesellschaft noch verstärkt. Heute ist die elektronische Kommunikation und Verfügbarkeit von Informationen – insbesondere auch für die nachrückende Generation – eine Selbstverständlichkeit. Eine Justiz, die diese Anforderungen nicht erkennt, würde mit ihren Leistungen weit hinter dem Standard zurückbleiben und als nicht mehr zeitgemäß abgetan. Mit einer modernen Justiz ist die finanzielle Ausstattung untrennbar verbunden. Das IT-Budget der österreichischen Justiz wurde jetzt schon über mehrere Jahre auf einem Niveau von rund 35 Millionen Euro gehalten. Dies bedeutet einen inflationsbedingten Kaufkraftverlust von etwa 15 Prozent. Aktuell entfallen 60 Prozent des Budgets auf den Betrieb und betriebsnahe Weiterentwicklung, 40 auf die Entwicklung neuer Projekte. Zu den betriebsnahen Weiterentwicklungen zählen kleinere Anpassungen, die auf Grund der zahlreichen gesetzlichen Änderungen notwendig sind sowie technische Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der technischen Standards notwendig sind. Das gesamte Justizbudget3 ist im vergleichbaren Zeitraum aber etwas stärker als die Inflationsrate gestiegen, womit sich der IT-Anteil am Budget von etwa vier auf drei Prozent vermindert hat. Die Budgetsituation erfordert das Aufgreifen kluger Sparmaßnahmen und vor dem Hintergrund des Leitsatzes «More for less» die Nutzung von Marktchancen und technischen Entwicklungen.
[6]
Während sich im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Bereich die Anzahl der Planstellen leicht verbessert4 hat, so wurde der Personalstand der Justiz insgesamt in den letzten 15 Jahren um knapp tausend Mitarbeiter reduziert.5 Die Aufrechterhaltung des Justizbetriebes konnte trotz der vor allem im nichtrichterlichen Bereich durchgeführten Personalreduktionen nur durch den intensiven Einsatz der IT möglich gemacht werden.

2.

IT-Strategie ^

[7]
Die budgetäre Situation und die eingangs erwähnten Anforderungen machten es notwendig, ein klares und umfassendes Konzept für die Zukunft des IT-Einsatzes in der Justiz zu erstellen. Das war der Ausgangspunkt für die Erstellung der IT-Strategie der Justiz6 im Jahre 2007, die nunmehr bereits in einer zweiten Release vorliegt.
[8]
Für die erfolgreiche Umsetzung entscheidend war die Einrichtung von drei IT- Architekten für die Justiz, die bei der übergreifenden Koordination und Umsetzung unterstützend eingreifen. Der Verfahrensarchitekt überblickt als ausgebildeter Jurist vor allem die Geschäftsprozesse der Justiz. Der Hauptfokus der zwei Lösungsarchitekten liegt auf der technischen Umsetzung mit den Schwerpunkten Anwendungen und Hardware. Daneben wurden Lenkungsprozesse definiert, die bei der Projektabwicklung einzuhalten sind, und ein Projektcontrolling eingeführt.
[9]
Die IT-Strategie wird in Zielen, Prinzipien und technischen Standards definiert.

2.1.

Ziele der IT-Strategie ^

[10]
Ausgehend von den grundsätzlichen Zielen der Justiz, eine gerechtere und sichere Gesellschaft zu schaffen, Rechtsschutz durch unabhängige Richter zu garantieren und die Justiz als großes Dienstleistungsunternehmen zu verstehen, wurden folgende Ziele der Rechtsinformatik in der Justiz definiert:
  • Zeitgemäßes Service für Justiz, Bürger und Wirtschaft,
  • Beschleunigung und Vereinfachung,
  • IT als Hebel zur Erneuerung des Justizbetriebs,
  • Spezifische IT-Lösungen für alle Benutzergruppen,
  • Erzielen von Einsparungen,
  • Bereitstellen von Management-Information,
  • Kosten-Nutzen-Rechnung,
  • Massenverfahren bevorzugt automatisieren,
  • Erzielen von angemessenen Einnahmen für die erbrachten Leistungen – Kostenwahrheit, Verursacherprinzip,
  • Technisch aktuelle IT-Arbeitsplätze für Mitarbeiter,
  • Ortsunabhängiger Zugang zu den Applikationen,
  • Fachlich aktuelle IT-Lösungen der Justiz,
  • Hohe Verfügbarkeit geschäftskritischer Anwendungen,
  • Image der Justiz,
  • Erfolgreiche Methoden für Entwicklung und Betrieb von IT-Lösungen,
  • Sicherheit der IT-Lösungen.

2.2.

Prinzipien der IT-Strategie ^

[11]
Auf Basis dieser Ziele wurden Prinzipien entwickelt, denen grundsätzlich – außer in besonders begründeten Einzelfällen – der Vorrang einzuräumen ist. Diese wenden sich vorrangig an Applikationsteams, Infrastrukturbetreiber und Entwicklungspartner. Sie haben aber auch die Aufgabe, bei den Mitarbeitern der Justiz Verständnis für die Vorgehensweise zu erzeugen.
[12]
Wichtigster Aspekt ist, dass Entscheidungen im Bereich der Rechtsinformatik mit der Zielrichtung getroffen werden müssen, den Gesamtnutzen für die Justiz zu optimieren. Daraus folgt die zentrale, justizweite Steuerung und Koordination sowohl der IT-Lösung als auch der IT-Infrastruktur. Die Koordination hat daher auch unabhängig von dem Bereich, dem die fachliche Zuständigkeit zukommt, zu geschehen. Geschäftsprozesse, Services und Produkte müssen über organisatorische Grenzen hinweg genutzt werden. Die Architektur von neuen Lösungen hat sich an der Zielarchitektur zu orientieren.
[13]
Alle Bereiche der Justiz, aber auch die Entwicklungspartner beteiligen sich an Fragen der Rechtsinformatik. Die Anforderungen an die Rechtsinformatik sind gemeinsam von den Verfahrenseignern, den Verfahrensexperten aus den Fachbereichen der Justiz (Fachabteilungen und Praktiker), den IT-Abteilungen des Bundesministerium für Justiz und dem für Entwicklung und Betrieb der IT-Lösungen verantwortlichen Fachpersonal zu definieren.
[14]
Die Entwicklung gemeinsamer Lösungen für die ganze Justiz wird gegenüber der Entwicklung vergleichbarer oder ähnlicher Lösungen für einzelne Bereiche der Justiz bevorzugt. Daraus folgt, dass die IT-Architekten der Justiz in alle Entwicklungen einzubeziehen sind und nach Möglichkeit gemeinsame Lösungen, die in Synergieprojekten entwickelt werden, sowie die Standardisierung und Wiederverwendung von Informationen, Daten und Lösungskomponenten forciert werden.
[15]
Die Anwendungen müssen änderungsfreundlich gestaltet werden. Entwicklungsmethoden sind so zu gestalten, dass Anpassungen und Neuerungen einfach und kostengünstig umgesetzt werden können. Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und Sparsamkeit müssen über den gesamten Lebenszyklus einer Anwendung im Sinne der Nachhaltigkeit erhalten bleiben. Auch dieses Prinzip indiziert den justizweiten Einsatz von serviceorientierter Architektur. Bestehende IT-Lösungen sind dazu nach Möglichkeit in Komponenten zu zerlegen. Damit kann ihre Skalierbarkeit, Interoperabilität und Mehrfachnutzung sowie die Wartbarkeit langfristig begünstigt werden. Als Entwicklungsmethodik hat sich das Prinzip der agilen Entwicklung bewährt.
[16]
Das Prinzip der permanenten Erneuerung besagt, dass beteiligte Kunden und Entwicklungspartner ständig überprüfen, ob mit möglichen Neuerungen – sowohl technischer als auch fachlicher Art – Nutzensteigerungen für die Justiz erzielbar sind. Diese sind von den Justizarchitekten systematisch zu evaluieren und in Evidenz zu halten. Die rechtliche Konformität ist natürlich eine Grundvoraussetzung: Alle Prozesse der Rechtsinformatik und die produzierten IT-Lösungen müssen den geltenden Gesetzen und anderen anzuwendenden Normen entsprechen. Das setzt aber auch voraus, dass diese Normen bekannt und die Mitarbeiter damit vertraut sind. Änderungen im Normenbereich führen zwangsläufig zu Änderungen der Anwendungen, die wir soweit möglich in Form betriebsnaher Weiterentwicklungen berücksichtigen. Ablaufanalysen zeigen sehr oft auch Verbesserungspotenziale auf, die wiederum zu Normenänderungen führen müssen. In diesen Fällen bedingt gerade der Technikeinsatz eine Anpassung der Normen.
[17]
Nicht minder wichtig ist da Prinzip der Autonomie der Justiz-IT. Die IT-Infrastruktur ist als integraler Bestandteil der ungeteilten Kompetenz der Justiz zu unterstellen. Die Prinzipien der Trennung von Justiz und Verwaltung, aber auch der Unabhängigkeit der Justiz sind einzuhalten. Daraus resultiert die Notwendigkeit, die Justiz-IT, die aus Infrastruktur und den Anwendungen besteht, in Betrieb und Entwicklung einheitlich in der Justiz zu steuern. Der institutionelle Einfluss der Justiz auf externe Dienstleister bei Outsourcing von Betrieb und Entwicklung der Justizwendungen ist unabdingbar. Im zentralen Rechenzentrumsbetrieb ist darauf zu achten, dass es klare personelle und organisatorische Abgrenzungen zu anderen Bereichen gibt und die Führung durch die Justiz gewährleistet sein muss. Ressortübergreifende IT-Standards und IT-Lösungen im Rahmen von eGovernment sind vor dem Einsatz auf ihre Justiztauglichkeit zu überprüfen.

2.3.

Technische Standards ^

[18]
Die dritte Ebene der IT-Strategie der Justiz sind Standards. Auch diese sind verbindlich festgelegt und regelmäßig in Abhängigkeit von technischen Entwicklungen anzupassen. Für die österreichische Justiz sind dies die Programmiersprache Java, die Portalverbundfähigkeit, die Modellierungssprache UML, die strukturierte Beschreibung von Informationen mit XML, das Open Document Format (ODF), Open Office für Textverarbeitung, Portable Documentformat (PDF/A) und die Berücksichtigung von Open-Source-Lösungen.
[19]
Durch die Anwendung der IT-Strategie konnte bereits jetzt die Agilität der Organisation und der IT-Anwendungen verbessert werden, es wurden rasche und intelligente Entscheidungsprozesse ermöglicht und Synergiepontenziale in IT-Entwicklung, Betrieb und Geräteinvestitionen genutzt. Zudem wurde der Fokus auf organisatorische und technische Komponenten und Services gelegt und eine service-orientierte Architektur (SOA) implementiert. Ferner wurde der Einsatz von „best-practice“-Strukturen und -Prozessen für IT-Entwicklung vorangetrieben und schließlich eine bessere Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren geschaffen.

3.

Justiz-Zustellservice ^

[20]
Ein weiterer gewaltiger Ausgabenbereich der Justiz sind Portogebühren, die mit rund 30 Millionen Euro fast so groß wie das IT-Budget sind. Die Justiz ist der größte Briefportozahler der Republik. Hier können schon jetzt durch die Nutzung der elektronischen Zustellungen im ERV 4,4 Millionen Euro Einsparungen pro Jahr erzielt werden. Es sind aber noch weitere Einsparungen möglich.
[21]
Knapp die Hälfte der Portogebühren (13,1 Millionen Euro) fällt für die Abfertigung aus unseren IT-Verfahren über die zentrale Poststraße im Bundesrechenzentrum an, die etwas größere Hälfte (15,9 Millionen Euro) entfällt nach wie vor bei den Gerichten auf lokale Abfertigungen.
Abbildung 2: Zustellservice
[22]
Die Justiz hat mit dem Zustellservice eine Komponente für alle Anwendungen entwickelt. Dieses übernimmt von allen Anwendungen Dokumente im pdf-Format samt einigen Metadaten, die für die Zustellung benötigt werden. Das System entscheidet selbständig, ob dem Empfänger im Wege des ERV zugestellt werden kann und veranlasst abhängig davon entweder den Ausdruck über die zentrale Poststraße oder die elektronische Zustellung. Bei den Versendungen über das Zustellservice wird knapp die Hälfte im Wege des ERV zugestellt. Wenn es gelingt, die Hälfte sämtlicher Sendungen der Justiz, die derzeit noch herkömmlich bei den Gerichten abgefertigt werden, in den Bereich des Zustellservice verlagern können, könnte wiederum die Hälfte davon elektronisch zugestellt werden. Damit könnten sich Einsparungen von zumindest weiteren fünf Millionen Euro pro Jahr erzielen lassen. Dieser Betrag ergibt sich vor dem Hintergrund der derzeitigen Stückkosten7 für die verschiedenen Zustellarten. Eine eigenhändige nachweisliche Zustellung (RSa) kostet die Justiz fünf Euro, eine nachweisliche Zustellung mit möglichem Ersatzempfänger (RSb) drei Euro, eine Zustellung ohne Nachweis 75 Cent und eine Zustellung im ERV zwölf Cent.
[23]
Die Justiz schaffte eine Funktion, die es ermöglicht, sämtliche Dokumente, die im Wege der Textverarbeitung oder durch Einscannen als pdf-Dokumente erstellt werden, in die Anwendungen zu übernehmen und aus dieser über das Zustellservice abzufertigen. Zusatznutzen ist, dass diese Vorgänge im Akt elektronisch festgehalten werden und diese Dokumente mit Link zum Akt gespeichert sind. Diese Option wird Mitarbeitern in den Kanzleien gerne in Anspruch genommen, weil trotz der notwendigen Aufbereitung der pdf’s auch ein erheblicher Manipulationsaufwand eingespart wird.
[24]
Auch im Bereich der Papierzustellungen sind durch den IT-Einsatz erhebliche Portoeinsparungen von weiteren 2,4 Millionen Euro möglich. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich auf manche Empfänger sehr viele Zustellungen an einem Tag konzentrieren. Da für alle Anwendungen ein einheitliches Zustellservice eingesetzt wird, ist es möglich, über dieses auch Zustellungen an ein und dieselbe Person im Verlauf eines Tages zu sammeln und durch Paketversand von Erledigungen zahlreiche Einzelporti einzusparen. Damit bekommt ein Empfänger von unterschiedlichen österreichischen Gerichten aus verschiedensten Verfahren8 sämtliche Erledigungen in einem großen Paket zugestellt. Bei nachweislichen Zustellungen muss allerdings noch eine Funktion geschaffen werden, die den Zustellnachweis über den einheitlichen Zustellvorgang auf alle beteiligten Gerichte und Einzelverfahren aufteilt.

4.

Einnahmen durch IT ^

[25]
Leistungen der Justiz an ihre Kunden sind auch mit Einnahmen für die Justiz verbunden. Grundbuchs- und Firmenbuchauszüge bringen Einnahmen von 15 Millionen Euro pro Jahr. Einnahmen könnten auch mit der Anhebung der Eingabegebühren lukriert werden, wenn eine Eingabe nicht im Wege des ERV eingebracht wird. Damit wäre auch ein Steuerungseffekt verbunden.

5.

Sparen bei der IT ^

[26]
Auch im Bereich der IT-Ausgaben konnten Einsparungen erzielt werden. Die Migrationskosten vom Host auf den Server haben sich in kürzester Zeit amortisiert. Durch die Verlagerung des ERV vom Host auf den Server können Einsparungen von knapp 100'000 Euro pro Monat erzielt werden. Auch die Host-Kosten selbst sind gründlich zu analysieren. Ein strukturierter Benchmark mit anderen Rechenzentren gleicher Größenordnung hilft Normabweichungen in einzelnen Positionen zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern. Die interessanten Bereiche dabei sind Software, Personal und Raumkosten. Insgesamt konnten die Host-Kosten der Justiz in den letzten zwei Jahren jeweils um fast 20 Prozent gesenkt werden.
[27]
Die Speicherkosten bewegen sich von knapp 30 Euro bis 50 Cent pro Gigabyte und Monat. Diese große Bandbreite erklärt sich dadurch, dass bei den höchsten Kosten insgesamt neun parallele Sicherungen vorgesehen waren. Dieser hohe Sicherheitsstandard war zu hinterfragen. Auch die Kriterien Datenqualität und Zugriffgeschwindigkeit beeinflussen stark den Preis. Der dabei notwendige Standard ist je nach Anwendung differenziert zu beurteilen. Die Anschaffung neuer Geräte hat ebenfalls Einfluss auf die laufenden Kosten.
[28]
Im Ergebnis sind Kostenreduktionen auch ohne Leistungseinbußen möglich; in manchen Fällen führen technische Änderungen und damit verbundene notwendige Erneuerungen zu Verbesserungen in den Anwendungen.
[29]
Bei der Nutzung der Services der Justiz wird derzeit ein sehr guter Wiederverwendungsgrad der Services von 2,41 erreicht und ein Potenzial gesehen, diesen Faktor noch auf knapp fünf zu steigern. Das Firmenbuch ist jene Anwendung, die mit insgesamt 13 die meisten Services nutzt und selbst eine große Zahl von Services für andere Justizanwendungen zur Verfügung stellt.

6.

Datawarehouse der Justiz ^

[30]
Grundvoraussetzung für die Steuerung eines großen Unternehmens sind umfassende und aussagekräftige Zahlen. Darum war der Aufbau der Business Intelligence Justiz mit einem Datawarehouse Justiz eines der vorrangigen Ziele.
[31]
Auch der Bereich der Statistik zeigt eindrucksvoll, wie Synergien gefunden und genutzt werden konnten. Bisher bot jede Anwendung ihre mehr oder weniger individuellen Statistiken und Auswertungen. Der Aufbau eines Datawarehouse ermöglicht, dass alle relevanten Daten aus sämtlichen Anwendungen automatisch eingepflegt werden. Dies ermöglicht übergreifende Auswertungen, entlastet die Anwendungen, weil diese nur noch ihre Daten an die Spezialisten übergeben müssen und spart Kosten, weil die Auswertungen nicht mehr in den Anwendungssystemen selbst, sondern auf den Servern des Datawarehouses durchgeführt werden. Die dadurch erzielte Einsparung pro Jahr liegt bei rund 100'000 Euro. Zudem konnte die Erstellung der Statistiken und Auswertungen viel komfortabler gestaltet werden. Ebenso können auch Daten aus externen Anwendungen eingebunden werden. So werden für die Auslastungsrechnung9 auch Daten aus dem SAP-Personalverwaltungssystem automatisch eingebunden. Weiters erstellt die Justiz für alle Bereiche eine Anfalls- und Erledigungsstatistik mit monatlichen, vierteljährlichen und jährlichen Auswertungen. Jeder Bereich kennt am Monatsersten seine aktuellen Leistungsdaten. Für die wenigen Daten, die noch nicht in IT-Systemen integriert wurden, wurde eine simple händische Erfassungsmaske entwickelt, die ein einfaches Einpflegen auch dieser Daten in das Datawarehouse Justiz ermöglicht.

7.

Elektronische Akte ^

[32]
Für die Einführung der voll elektronischen Aktenbearbeitung wurde ein Bereich gewählt, der sich durch hohe Anfallszahlen und eine grundsätzlich einfache Bearbeitung auszeichnet. Es handelt sich dabei um die staatsanwaltschaftlichen Verfahren, die bei unbekanntem Täter abgebrochen werden. Die Berichte der Polizei werden elektronisch übermittelt und derzeit noch bei den Staatsanwaltschaften ausgedruckt. Der Staatsanwalt prüft den Bericht und bricht bei unbekanntem Täter das Verfahren ab. Der ausgedruckte Bericht der Polizei kommt ins Aktenlager und wird dort auf einige Jahre abgelegt. Der bisherige Ausdruck der Berichte und die Aufbewahrung im Aktenlager werden dadurch vermieden. Bereits jetzt ist die Justiz mit großen Schwierigkeiten und Kosten mit dem Lagerraum konfrontiert.
[33]
Mit einer elektronisch integrierten Assistenz im Strafverfahren (ELIAS)  wird die automatische zufällige Verteilung der Fälle auf die einzelnen Staatsanwälte unter Wahrung der Auslastungsgerechtigkeit vorgenommen. Auch Spezialmaterien werden bei diesem Aktenverteilsystem berücksichtigt.
Abbildung 3: Screenshot der Anwendung ELIAS
[34]
Der Staatsanwalt bekommt das Verfahren elektronisch in Verbindung mit den notwendigen Metadaten und dem Bericht der Polizei auf einem 24-Zoll-Schirm präsentiert. Damit stehen im Regelfall alle Informationen für eine Entscheidung zur Verfügung. Ein Klicken durch verschiedene Masken ist nicht notwendig; die erforderliche Veranlassung kann noch auf der ersten Bildschirmseite getroffen werden. Grundsatz bei der Entwicklung war: so einfach und übersichtlich wie möglich. Angedacht ist, dass dieses System auch auf das weitere Verfahren bei den Staatsanwälten und auch auf Gerichtsverfahren ausgedehnt werden kann. Alle Dokumente, die im Archiv als einzelne pdf’s gespeichert werden, werden mit einem Zusatzprodukt von Adobe, dem Adobe Lifecycle, in ein sogenanntes pdf-Portofolio übernommen, womit eine einfache Navigation durch den gesamten Akt möglich ist. Auch hier erwartet die Justiz für den ersten Projektteil nicht unbeträchtliche Einsparungen von rund 650'000 Euro jährlich an Druck- und Papier, Lager- und auch Manipulationskosten.

8.

Literatur ^

Wolfgang Fellner und Martin Schneider, e-Justice und e-Government in Festschrift Woschnak, Wien, (2009).
Thomas Gottwald, Ausgewählte IT-Anwendungen in der österreichischen Justiz in: Aktuelle Rechtsfragen der Internetnutzung, Wien, (2010).
Wolfgang Fellner , e-Government und die österreichische Justi, in: Festschrift Winter, Wien, (2004).
Wolfgang Fellner, Netzwerk Justiz in Festschrift Weißmann, Wien, (2002).



Martin Schneider, Leiter der Rechtsinformatikabteilung im Bundesministerium für Justiz und CIO der Justiz,martin.schneider@bmj.gv.at

Thomas Gottwald, Referent in der Rechtsinformatikabteilung,thomas.gottwald@bmj.gv.at


  1. 1 Oberster Gerichtshof, vier Oberlandesgerichte, 20 Gerichtshöfe erster Instanz, 141 Bezirksgerichte; Generalprokuratur, vier Oberstaatsanwaltschaften, 17 Staatsanwaltschaften.
  2. 2 Betriebliches Informationssystem des Justiz (BIS-Justiz und StaBIS-Justiz) 2009.
  3. 3 Ausgaben: 1,2 Milliarden Euro, Einnahmen: 0,8 Milliarden Euro, Selbstfinanzierung von knapp 70 Prozent.
  4. 4 1995: 1.795 Richter und Staatsanwälte; 2009: 1.961 Richter und Staatsanwälte.
  5. 5 1995: 11.782 Justizbedienstete; 2009: 10.842 Justizbedienstete.
  6. 6 siehe Website der Justiz (www.justiz.gv.at / Die Justiz / Daten und Fakten / IT-Einsatz in der Justiz / IT-Strategie der österreichischen Justiz Version 2.2.
  7. 7 IT-Aufwand, Papier und Porto.
  8. 8 Z.B. Grundbuch, Exekutionsverfahren, Zivilverfahren, Gerichtsgebühren.
  9. 9 Personalanforderungsrechnung (PAR).