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Rechtsbereinigung als Instrument der Semantischen Strukturierung

  • Author: Michael Raffler
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Legislative informatics
  • Collection: Festschrift Erich Schweighofer
  • Citation: Michael Raffler, Rechtsbereinigung als Instrument der Semantischen Strukturierung, in: Jusletter IT 22 February 2011
Der gegenständliche Beitrag zeigt die Möglichkeiten einer Strukturierung der Rechtsordnung durch Instrumente der quantitativen Rechtsbereinigung auf. Anhand eines Formulars für die Kundmachung einer Wiederverlautbarung wird auch die innere Struktur dieses Rechtsbereinigungsinstruments erläutert und gezeigt, wie sich Rechtsbereinigung mit der Unterstützung durch ein legistisches Formular bewerkstelligen lässt. Legistische Formulare sind ein inhaltlicher Impuls des E-Governments für die Weiterentwicklung des E-Rechts.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Zum Begriff Rechtsbereinigung
  • 2. Quantitative Rechtsbereinigung durch Erlassen eines Rechtsbereinigungsgesetzes
  • 3. Die Vor- und Nachteile der einzelnen legistischen Optionen zur Erlassung eines Rechtsbereinigungsgesetzes
  • 4. Die Rechtsbereinigung in Wien
  • 5. Neue Beschlussfassung des verbleibenden Rechtsbestandes oder nur Ausnahme aus der Aufhebungswirkung?
  • 6. Rechtsbereinigung durch Wiederverlautbarung
  • 7. Der Aufbau einer Wiederverlautbarung
  • 8. Die legistische Arbeit bei einer Wiederverlautbarung
  • 9. Der Aufbau eines Formulars für eine Wiederverlautbarung
  • 10. E-Government – Impulse für die Legistik
  • 11. Formular für die Kundmachung einer Wiederverlautbarung im Landesgesetzblatt für Wien

1.

Zum Begriff Rechtsbereinigung ^

[1]
Unter Rechtsbereinigung versteht man alle Bemühungen, die Rechtsordnung überschaubar zu erhalten und nur solche Rechtsnormen in Geltung zu belassen, die tatsächlich gebraucht werden und effektiv sind. Der Begriff bezeichnet daher eine staatliche Aufgabe, die die Rechtsordnung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht beeinflussen möchte. Ziel ist die Herstellung einer optimalen Normendichte. Da die Bestrebungen der qualitativen Rechtsbereinigung zumeist auch mit einer Neubewertung des Umfanges der künftigen Besorgung staatlicher Aufgaben einhergehen, wird der Begriff Rechtsbereinigung auch im Zusammenhang mit der Deregulierung genannt.1 Dieser Begriffsinhalt wird hier bewusst nicht weiterverfolgt. In dieser Abhandlung soll auf die Rechtsbereinigung insofern eingegangen werden, als diese zu einer Verminderung der Normenanzahl führt. Als solche dient sie zur Herstellung einer «guten» Grobstruktur der Rechtsordnung, die ihrerseits Ausgangsbasis für qualitative Verbesserungen sein kann.

2.

Quantitative Rechtsbereinigung durch Erlassen eines Rechtsbereinigungsgesetzes ^

[2]
Quantitative Bereinigung der Rechtsordnung (Gesetze, Rechtsverordnungen, Erlässe) kann in ganz verschiedener Weise erreicht werden, wobei die im Folgenden genannten Optionen in der Praxis zumeist nicht in isolierter Form vorkommen. Bezogen auf eine einzelne Rechtsvorschrift wäre eine Bereinigung am einfachsten erreichbar durch eine sprachlich knappe Neuformulierung unter Außerachtlassung aller nicht mehr zeitgemäßen und nicht mehr angewendeten Normen. Diese Option wäre mit einem im Vergleich zum Ergebnis hohen Aufwand verbunden und wird sehr selten ohne gleichzeitige inhaltliche Änderungen verwirklicht. Außerdem müsste diese Vorgangsweise, um einen wirklich spürbaren Effekt in der Rechtsordnung als Ganzes hervorzurufen, nicht nur bei einer Rechtsvorschrift, sondern nach und nach bei möglichst allen Vorschriften vorgenommen werden, die einen gewissen Umfang aufweisen.
[3]
Soll die Rechtsbereinigungswirkung mit einem Mal für die Rechtsordnung schlagend werden, wird in der Praxis ein anderer Weg gewählt, nämlich die Erlassung eines eigenen Rechtsbereinigungsgesetzes. Dieses kann sich auf die Bereinigung von Gesetzen oder alternativ bzw. kumulativ auch auf die Bereinigung von Verordnungen erstrecken. Rechtstechnisch kann die Bereinigung auf unterschiedliche Weise erreicht werden.
[4]
Erstens kann der Gesetzgeber alle nicht mehr angewendeten Rechtsnormen aufheben, die in einer bestimmten Zeitperiode erlassen wurden. Dies geschieht durch die Aufhebung aller Normen bis zu einem bestimmten Stichtag. Jene Normen, die von der Aufhebungswirkung ausgenommen werden sollen, werden ausdrücklich aufgezählt. Die Aufzählung muss in rechtsstaatlich einwandfreier Weise erfolgen, d.h. so, dass die einzelnen Gesetze bzw. Verordnungen mit ihrem Titel und einer allgemein zugänglichen Fundstelle benannt werden.2 Die Aufhebung selbst kann durch genaue Anführung der aufzuhebenden Rechtsvorschriften3 oder in unbestimmter Weise erfolgen. Anzugeben ist im zweiten Fall lediglich der Zeithorizont bzw. der Stichtag, bis zu dem die Aufhebung ihre Wirkung entfalten soll.
[5]
Zweitens kann der Gesetzgeberalle geltenden Normen – wieder bezogen auf einen bestimmten Zeitabschnitt oder bis zu einem Stichtag – aufheben und gleichzeitig jene, die weiter bestehen bleiben sollen, in mehr oder weniger bereinigtem Umfang neu in Kraft setzen. Dabei handelt es sich um eine Methode, die die Erlassung eines Rechtsbereinigungsgesetzes mit der eingangs beschriebenen Vorgangsweise verbindet.

3.

Die Vor- und Nachteile der einzelnen legistischen Optionen zur Erlassung eines Rechtsbereinigungsgesetzes ^

[6]
Die hier beschriebene zweite Variante ist sicher die aufwendigere. Sie hat den Charakter einer teilweisen oder vollständigen Neuerlassung der betreffenden Rechtsordnung. Der dazu legistisch notwendige Aufwand wird nur nach einer mehrjährigen Vorbereitungszeit erreichbar sein. Sie scheidet daher als eher theoretischer Fall aus den weiteren Betrachtungen aus.
[7]
Die als Alternative der ersten Variante angeführte Möglichkeit der ausdrücklichen Aufhebung ist vom Aufwand her mit der Alternative der unbestimmten Aufhebung vergleichbar. Legistisch begegnet sie jedoch dem Problem, dass alle Normen, die von der Aufhebung erfasst sein sollen, präzise bezeichnet werden müssen.
[8]
Dieser Unterschied lässt sich anhand der legistischen Arbeit zur Vorbereitung eines Rechtsbereinigungsgesetzes veranschaulichen. Die Arbeit beginnt mit einer Sichtung des Rechtsmaterials dahingehend, welche Rechtsnormen noch erhalten werden müssen. Die Beantwortung dieser Frage hängt wieder von der Beantwortung der Frage ab, welche Rechtsnormen überhaupt noch in Geltung sind. Die dazu notwendige Prüfung kann sehr aufwendig sein. Einerseits kann es sein, dass von einer umfangreichen Stammfassung eines wichtigen Gesetzes (z.B. der Bauordnung für Wien4 ) nur mehr ganz wenige Bestimmungen in ihrer ursprünglichen Fassung in Geltung stehen, andererseits kann die Prüfung ergeben, dass eine Novelle zwar formell noch gilt, aber Zweifel bestehen, ob ihr heute noch rechtliche Bedeutung zukommt.
[9]
Das erstgenannte Problem ergibt sich daraus, dass einzelne, rechtspolitisch besonders wichtige Bestimmungen mehrfach novelliert wurden. Ihre mehrfache Änderung hat dazu geführt, dass die betreffenden Novellen, in denen diese Bestimmungen jeweils gemeinsam mit anderen Bestimmungen, die im Laufe der Zeit nicht geändert wurden, enthalten waren, nur mehr als Torso weitergelten. Bezieht man noch Kundmachungen über die Aufhebung einzelner Gesetzesstellen durch den Verfassungsgerichtshof und allfällige materielle Derogationen in diese Beurteilung mit ein, kann man leicht nachvollziehen, dass eine Aussage über die Bedeutung einer lange zurückliegenden Novelle mitunter schwierig ist.
[10]
Diese Schwierigkeiten lassen sich durch ein Rechtsbereinigungsgesetz mit einer unbestimmten Aufhebungswirkung wesentlich besser bewältigen als mit einer ausdrücklichen Aufzählung. Bei der generellen Aufhebung von Stammfassungen oder Novellen lässt sich nämlich darüber hinweggehen, dass von den für die Aufhebung vorgesehenen Bestimmungen nur mehr jeweils ein Teil formell in Geltung steht. Dennoch kann die betreffende Rechtsvorschrift als Ganzes, vorausgesetzt sie hat keine rechtliche Bedeutung mehr, der Wirkung der generellen Aufhebung unterstellt werden. Enthält die Rechtsvorschrift hingegen noch wesentliche Bestimmungen, bleibt sie weiterhin so in Geltung, wie dies bisher der Fall war.
[11]
Aus diesen Gründen hat sich der Wiener Landesgesetzgeber nicht für die ausdrückliche Aufhebung namentlich bestimmter Normen entschieden, sondern für die Technik der «unbestimmten» Aufhebung aller Normen bis zu einem bestimmten Stichtag unter gleichzeitiger Aufzählung der hievon auszunehmenden Normen.

4.

Die Rechtsbereinigung in Wien ^

[12]
Der erste Schritt zur Bereinigung der Rechtsordnung in Wien wurde 1984 durch Erlassung des Gesetzes zur Bereinigung der Rechtsvorschriften des Landes Wien (Wiener Rechtsbereinigungsgesetz) gesetzt. Mit §1 dieses Gesetzes wurdenalle auf der Stufe eines einfachen Gesetzes stehenden Rechtsvorschriften, die vor dem 1.Jänner 1955 in Kraft getreten sind, mit 1.Februar 1985 aufgehoben. Von der Aufhebung ausgenommen wurden in §2 Rechtsvorschriften, die nach dem 1.Jänner 1955 wiederverlautbart wurden, weiters Rechtsvorschriften, die die Organisation der Verwaltung in den Ländern regeln und nach einer B-VG-Novelle aus dem Jahr 1974 als Landesgesetze gelten sowie 23 Gesetze und eine Verordnung des Bürgermeisters, die in einer Anlage genannt wurden.
[13]
Im Jahr 2008 wurde der Stand der Rechtsbereinigung in Wien durch die Wiener Rechtsbereinigungsgesetz – Novelle 2008 aktualisiert. Diesem zweiten Schritt zur Rechtsbereinigung gingen zwei Jahre dauernde Vorarbeiten voran. In dieser Zeit wurde erhoben, welche Teile der Rechtsordnung vor dem Stichtag 1.Jänner 1955 und in den darauffolgenden drei Jahrzehnten noch von Bedeutung bzw. welche Teile nicht mehr von Bedeutung sind. Die Erhebung war insofern in beiden Richtungen erforderlich, als der neue Stichtag so festgesetzt werden musste, dass nicht zu viele Gesetze in der Anlage genannt werden, aber auch nicht zu weit zeitlich in einen Bereich vorgedrungen wird, wo noch nichts zu bereinigen ist. Andernfalls wäre ein wesentlicher Zweck des Rechtsbereinigungsprozesses, nämlich die Herstellung einer guten Übersicht über die geltende Rechtsordnung bis zum neu festgesetzten Stichtag, mit der neuen Anlage nicht erreicht worden. Mit einem zu weit zurückliegenden Stichtag wäre die Rechtsbereinigungswirkung ebenfalls nicht optimal erreicht worden, weil man dann keine möglichst umfassende Rechtsbereinigung erreicht hätte.
[14]
Als sinnvoller neuer Stichtag wurde in der Folge der 1.Jänner 1970 vorgeschlagen. Durch den Entfall von 10 Rechtsvorschriften aus dem Zeitraum vor 1955 wurde die neue Liste im ersten Drittel wesentlich kürzer. Insgesamt wurden letztlich 51 Rechtsvorschriften in die Liste aufgenommen. Das ist eine noch gut überschaubare Anzahl. Die Aussagen des Landesgesetzgebers beschränkten sich auf den Austausch der Jahreszahlen des Stichtages und auf die Neufassung der Anlage.

5.

Neue Beschlussfassung des verbleibenden Rechtsbestandes oder nur Ausnahme aus der Aufhebungswirkung? ^

[15]
In der Debatte über die Gesetzesvorlage zu diesem Gesetz in der Sitzung des Wiener Landtages am 28.März 2008 gab es eine Wortmeldung eines Abgeordneten des Landtages5 , aus der hervorgeht, dass man sich erwarten würde, dass der Landtag beschließt, welche Bestimmungen im Hinblick auf den Stichtag in Kraft bleiben. Dazu ist anzumerken, dass die Gesetzestechnik des Wiener Rechtsbereinigungsgesetzes nicht darin besteht, die verbleibenden Gesetze zu beschließen; diese werden nur aus der Aufhebungswirkung des §1 ausgenommen.
[16]
Der Unterschied zwischen den beiden Vorgangsweisen besteht darin, dass bei einer neuen Beschlussfassung des verbleibenden Rechtsbestandes genau darauf geachtet hätte werden müssen, dass nicht auch jene Bestimmungen neuerlich beschlossen würden, die durch nachfolgende Novellen bereits außer Kraft getreten sind. Die bloße Ausnahme aus der Aufhebungswirkung hingegen lässt den Umfang der in der Anlage genannten Gesetze unberührt. Allein die Benennung mit dem ursprünglichen Titel sagt noch nichts über den Umfang ihrer Geltung aus. Auch am Geltungsgrund, nämlich dem seinerzeitigen Gesetzesbeschluss, wird durch diese Gesetzestechnik nichts geändert.
[17]
In der Wortmeldung wird jedoch noch ein zweites Instrument der Rechtsbereinigung angesprochen, das eine auf Gesetze bezogene Rechtsbereinigungswirkung herbeiführen kann, nämlich die Wiederverlautbarung. Auf dieses Instrument soll im Folgenden eingegangen werden.

6.

Rechtsbereinigung durch Wiederverlautbarung ^

[18]
Wiederverlautbarungskundmachungen finden sich im Landesgesetzblatt des Landes Wien selten. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass diese mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden sind. Zur Vorbereitung einer Wiederverlautbarung müssen sämtliche Novellen einschließlich der Übergangsbestimmungen genau durchgesehen werden. Dies bindet, nicht zuletzt aufgrund des damit verbundenen Zeitaufwandes, erhebliche Arbeitsressourcen. Zum anderen ist eine Wiederverlautbarung nur innerhalb gewisser Grenzen zulässig, die bei einem Überschreiten die Fehlerhaftigkeit und damit möglicherweise die Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof im Verfahren gemäß Art.139a B-VG zur Folge hat.
[19]
Die Wiederverlautbarung hat jedoch gegenüber anderen Möglichkeiten der Rechtsbereinigung den Vorteil, dass die Vollziehung diese allein in die Wege leiten kann und der Gesetzgeber nicht befasst werden muss. Außerdem lassen sich mit ihr gegenstandslos gewordene Bestimmungen – das sind Bestimmungen, die keinen Anwendungsbereich mehr haben – als nicht mehr geltend feststellen und daher aus der Rechtsordnung ausscheiden. Daher ist auch die Wiederverlautbarung ein Instrument, mit der eine spürbare Rechtsbereinigung erreicht werden kann.
[20]
Rechtsgrundlage in Wien ist §131 der Wiener Stadtverfassung. Nach dieser Bestimmung ist die Wiener Landesregierung ermächtigt, Landesverfassungsgesetze und Landesgesetze mit verbindlicher Wirkung durch Kundmachung im Landesgesetzblatt wieder zu verlautbaren. Absatz 2 leg.cit. enthält in 6 Ziffern eine Aufzählung der einzelnen Bereinigungsmöglichkeiten. Diese inhaltliche Ermächtigung des Landesverfassungsgesetzgebers an die Wiener Landesregierung ist mit Art.49a Abs.2 B-VG ident.

7.

Der Aufbau einer Wiederverlautbarung ^

[21]
Eine Wiederverlautbarung ist im Land Wien eine Kundmachung der Landesregierung, die aus einem erläuternden Textteil und einer Anlage besteht, die die wiederverlautbarte Fassung des Landesgesetzes enthält. Allenfalls können noch weitere Anlagen hinzukommen, die Übergangsrecht und frühere, noch anzuwendende Fassungen beinhalten.
[22]
Gegenstand der Wiederverlautbarung sind nur einfache Landesgesetze und Landesverfassungsgesetze, keine Verordnungen. Der Wiederverlautbarung unterliegt die geltende Fassung. Zur Ermittlung dieser Fassung sind heranzuziehen die Stammfassung bzw. eine bereits wiederverlautbarte Fassung, die Novellen sowie Kundmachungen des Landeshauptmannes über Druckfehler und über aufhebende bzw. die Verfassungswidrigkeit feststellende Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes. Ferner sind auch Änderungen einzubeziehen, die sich nicht aus Novellen ergeben, die auf das Stammgesetz bezogen sind, sondern aus anderen Rechtsvorschriften. In gleicher Weise sind auch materielle Derogationen zu berücksichtigen.
[23]
In die Wiederverlautbarung können überdies auch Bestimmungen einbezogen werden, die zwar kundgemacht, aber noch nicht in Kraft getreten sind. Mit der Kundmachung der Wiederverlautbarung muss in diesem Fall jedoch bis zu ihrem Inkrafttreten zugewartet werden.

8.

Die legistische Arbeit bei einer Wiederverlautbarung ^

[24]
Bei der Zusammenstellung der erwähnten Textteile, die in die Wiederverlautbarung einzubeziehen sind, ist in Wien darauf zu achten, dass nur Originale aus dem Landesgesetzblatt und keine Texte aus dem Wiener Rechtsinformationssystem – WRI verwendet werden. Dies ergibt sich daraus, dass das WRI der Information über die aktuelle Textfassung dient, jedoch keine authentischen Texte enthält und daher keine Gewähr bietet, dass der darin enthaltene Text der richtige ist.6 Die im Wiener Rechtsinformationssystem enthaltenen Fassungen können dann aber in der Folge zur Überprüfung des bereinigten Textes herangezogen werden.
[25]
Der erste Schritt in der Praxis, wenn feststeht, welches Landesgesetz wiederverlautbart werden soll, besteht in der vollständigen Sammlung der in die Wiederverlautbarung einzubeziehenden Texte. Diese Unterlagen sind in zeitlich chronologischer Form zu ordnen und durchzunummerieren. Dann ist eine genaue Aufstellung anzufertigen, die alle Rechtsvorschriften in der Fassung auflistet, aus denen sich die wiederzuverlautbarende Fassung des Gesetzes ergibt. Ergänzend dazu sind alle bereits außer Kraft getretenen sowie alle gegenstandslos gewordenen Bestimmungen in eine Übersicht aufzunehmen. Weiters muss sich der Legist und die Legistin ein Konzept zurechtlegen, welche Gliederung der wiederverlautbarte Text erhalten soll. Letztlich ist eine Entscheidung zu treffen, mit welchem Titel das Gesetz wiederverlautbart wird.

9.

Der Aufbau eines Formulars für eine Wiederverlautbarung ^

[26]
Die Kundmachung der Wiederverlautbarung hat den Zweck, nachvollziehbar zu machen, warum die einzelnen Bestimmungen des wiederverlautbarten Gesetzes die in der Anlage enthaltene Fassung aufweisen. Im Unterschied zu einem Rechtsbereinigungsgesetz, dessen Text zur Gänze individuell angefertigt werden muss, lässt sich dieser Zweck in einem Text standardisiert abbilden.
[27]
Im letzten Punkt dieser Abhandlung ist ein solches Formular enthalten. Es wird den Legisten und Legistinnen der Stadt Wien im Rahmen einer auf die Legistik bezogenen Spezialausbildung, dem Legistikseminar, zur Schulung und für künftige praktische Anwendungsfälle zur Verfügung gestellt. Das Formular enthält alle gängigen Teile einer Wiederverlautbarung. Zusätzliche fakultative Anlagen, die zur Anlage mit der wiederverlautbarten Fassung hinzutreten sollen, müssen eigenständig ausformuliert werden.
[28]
Das Formular enthält im Wesentlichen folgenden Inhalt:
  • Die Anordnung, dass auf Grund § 131 der Wiener Stadtverfassung das den Gegenstand der Wiederverlautbarung bildende Gesetz in geltender Fassung in der Anlage wiederverlautbart wird (Artikel I);

  • die Auflistung der Änderungen, die in die Wiederverlautbarung einbezogen werden (Artikel II Abs.1);

  • die zu den Gliederungseinheiten (paragrafenweise, absatzweise etc.) jeweils im Einzelnen getroffene Aussage, aus welcher Änderung sich die wiederverlautbarte Fassung ergibt (Artikel III);

  • die Auflistung der gegenstandslos gewordenen Bestimmungen, die als nicht mehr geltend festgestellt werden (Artikel IV Abs1);

  • die Aufzählung aller Änderungen, die sich nicht aus Novellen ergeben, die sich auf die Stammfassung beziehen (Artikel V);

  • die Aufzählung der ersetzten terminologischen Änderungen, der angepassten Verweise, der richtiggestellten Unstimmigkeiten sowie der angepassten Schreibweisen (Artikel VI Abs1 und 2);

  • die Darstellung der geänderten Gliederungsbezeichnungen in Form einer Gegenüberstellung der alten und der neuen Bezeichnungen (Artikel VII);

  • die Anführung des geänderten Titels, mit dem das Gesetz wiederverlautbart wird (Artikel VIII);

  • die Anlage, in der die wiederverlautbarte Rechtsvorschrift wiederzugeben ist. Am Ende ist ein Hinweis enthalten, der den Legisten und die Legistin daran erinnert, dass bei einer wiederverlautbarten Fassung eines Gesetzes keine Promulgationsklausel und keine Namen des beurkundenden und gegenzeichnenden Organs anzuführen sind.
[29]
Die im Formular wiedergegebene Reihenfolge der Bestimmungen und Absätze muss natürlich nicht eingehalten, sondern kann auf die Erfordernisse des Einzelfalles angepasst werden. Die jeweils in Absatz 2 wiedergegebenen Bestimmungen haben die Funktion, den Legisten und die Legistin zur Überprüfung anzuhalten, ob alle mit dem jeweiligen Gegenstand zusammenhängenden Vorkehrungen tatsächlich abgeschlossen oder ob noch Ergänzungen notwendig sind.
[30]
Der Text des Formulars kann selbstverständlich auch noch erweitert werden. Falls noch frühere Fassungen des betreffenden Landesgesetzes bzw. Übergangsbestimmungen wiederverlautbart werden sollen, sind diese in einem eigenen (zweiten) Abschnitt und die im Formular angeführten Artikel in einem ersten Abschnitt zusammenzufassen.

10.

E-Government – Impulse für die Legistik ^

[31]
E-Government-Anwendungen sind aus einer modernen Verwaltung nicht mehr wegzudenken. Besteht die Anwendung in einem elektronischen Text, so begünstigt dieser, vor allem durch Such- ,Hervorhebe- und Kopierfunktionen der Textprogramme, mit deren Hilfe sich der als Datei vorliegende Text durcharbeiten lässt, den interaktiven Umgang mit ihm.7
[32]
Neuerungen haben aber zumeist mit dem Beharrungsvermögen von Mitarbeitern zu kämpfen, die allem Neuen mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen. Tatsächlich bestehen gegen die Anwendung legistischer Formulare Vorbehalte, die im Wesentlichen im Einwand bestehen, Texte würden von anderen Texten nur abgeschrieben. Das mag für bestimmte vorgefertigte Textbausteine zutreffen, für Formulare, die genügend Freiraum für die Eigenentfaltung des Legisten und der Legistin lassen, jedoch nicht.
[33]
Eine elektronisch geführte, breit gefächerte Formularsammlung könnte bald Teil des Handwerkzeugs jedes Legisten und jeder Legistin sein. Die Vorteile liegen auf der Hand. Das Formular gibt für das jeweilige Endprodukt nur eine Ordnung und ein gewisses System vor, das leicht verändert werden kann. Die Spitzklammern deuten Bedeutungsinhalte an, die im konkreten Kontext zum Leben erweckt werden müssen. Hiefür bedarf es weiterhin entsprechender Einfälle und spezifischer Kenntnisse des betreffenden Rechtsgebietes.
[34]
Das fertige Produkt kann in der Folge, sofern es verallgemeinerungsfähige Neuerungen beinhaltet, für ein «Update» des Formulars herangezogen werden. So lässt sich langsam eine an der Praxis orientierte Formularkultur entwickeln, die eine Serviceleistung des E-Governments gegenüber der Gesetzgebung und auch – so wie hier – gegenüber der Verwaltung darstellt. Die Formulare könnten in das E-Recht eingebaut werden, das sich bis dato im Wesentlichen auf verfahrensunterstützende Anwendungen beschränkt. Legistische Formulare könnten daher auch einen Impuls für eine inhaltliche Weiterentwicklung des e-Rechts bilden.

11.

Formular für die Kundmachung einer Wiederverlautbarung im Landesgesetzblatt für Wien ^

Kundmachung der Wiener Landesregierung, mit der das ‹Bezeichnung des Landesverfassungsgesetzes/Landesgesetzes› wiederverlautbart wird


Artikel I

Auf Grund § 131 der Wiener Stadtverfassung, LGBl. Nr. 28/1968, wird das ‹Bezeichnung des Landesverfassungsgesetzes/Landesgesetzes›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr› in der Anlage wiederverlautbart.


Artikel II

(1) Bei der Wiederverlautbarung werden die Stammfassung und folgende, darauf bezogene Novellen berücksichtigt:
1. Gesetz über ‹Bezeichnung der Stammfassung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Datum›
2. Gesetz, mit dem ‹Bezeichnung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Datum›
3. ....
(2) Die in Abs. 1 nicht genannten Novellen sind durch spätere Gesetzesänderungen zur Gänze überholt.


Artikel III

(1) Die einzelnen Bestimmungen der wiederverlautbarten Fassung ergeben sich aus den nachstehend angeführten Gesetzesänderungen:
§ 1: LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›
§ 2: LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›
§ 3: ....
(2) Die geltende Fassung der übrigen Bestimmungen entspricht noch dem Gesetz ‹Bezeichnung der Stammfassung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›.


Artikel IV

Die folgenden Bestimmungen sind gegenstandslos geworden und werden als nicht mehr geltend festgestellt:
1. § x durch Z 1 der Novelle ‹Bezeichnung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›
2. ...


Artikel V

Folgende Änderungen ergeben sich unter Berücksichtigung anderer als der bisher genannten Rechtsvorschriften:
1.§ x: Gesetz ‹Bezeichnung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›
2.§ y: Gesetz ‹Bezeichnung›, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr›
3.§ z:…..


Artikel VI

(1) In folgenden Bestimmungen werden überholte terminologische Wendungen durch neue Bezeichnungen ersetzt und Bezugnahmen auf andere Rechtsvorschriften, die dem Stand der Gesetzgebung nicht mehr entsprechen, sowie sonstige Unstimmigkeiten richtig gestellt und folgende veraltete Schreibweisen der neuen Schreibweise angepasst:
1. In § x wird die Wendung/der Ausdruck/der Begriff «alter Text» durch die Wendung/den Ausdruck/den Begriff «neuer Text» ersetzt.
2. In § y wird die Verweisung auf das Gesetz ‹Bezeichnung› an die Fassung des Gesetzes, LGBl. Nr. ‹Zahl/Jahr› angepasst.
3. In § z wird die Schreibweise «Text» durch die Schreibweise «Text» ersetzt.
4. .....
(2) Die Schreibweise von ‹Abkürzungen, Zahlen, Abschnittsbestimmungen u. dgl.› wird der heutigen Schreibweise angepasst.


Artikel VII

Im wiederverlautbarten Text werden die bisherigen Paragrafen und sonstigen Gliederungsbezeichnungen wie folgt geändert und Bezugnahmen darauf innerhalb des Textes entsprechend richtig gestellt:

alt: neu:
Abschnitt 1 Abschnitt I
§ 1 § 1
.... ....
§ 6a § 7
§7 Abs. 2 lit. a § 8 Abs. 2 Z. 2
§ 8 entfällt
Anlage A Anlage 1



Artikel VIII

Das Gesetz/Landesverfassungsgesetz ‹Bezeichnung› wird mit dem Titel «Langtitel (Kurztitel – Abkürzung)» wiederverlautbart.
Der Landeshauptmann:
‹Name›



Anlage
Langtitel (Kurztitel – Abkürzung) des wiederverlautbarten Landesgesetzes/Landesverfassungsgesetzes
§ 1 – x (wiederverlautbarte Fassung)
(Eine Promulgationsklausel und die Namen des beurkundenden und gegenzeichnenden Organs werden nicht wieder gegeben).



Michael Raffler, Leiter der Stabsstelle Verfassungsrecht im Verfassungsdienst Wien, Rathaus, 1082 Wien, AT,michael.raffler@wien.gv.at


  1. 1 Zu den möglichen Aspekten vgl. Anna Kemptner/Franz Sturm in Schäffer (Hrsg.), Evaluierung der Gesetze/Gesetzesfolgenabschätzung (II), Verlag Manz, Wien 2007, Seite 65ff.
  2. 2 Vgl. VfSlg. 17.232/2004 und die darin zitierte Vorjudikatur.
  3. 3 Vgl. .z.B. das Bundeshaftungsrechtsbereinigungsgesetz BGBl. Nr. 75/2004 sowie den 1. Abschnitt des Ersten Bundesverfassungsrechtsbereinigungsgesetzes, BGBl. Nr. 2/2008.
  4. 4 Diese wurde seit der Erlassung der Stammfassung im Jahr 1930 insgesamt 57 Mal novelliert.
  5. 5 Vgl. Infodat Wien, 16.Sitzung des Wiener Landtages vom 28. März 2008, Wörtliches Protokoll Seite 74.
  6. 6 Vgl. §138 Abs.8 der Wiener Stadtverfassung, der indirekt auf das Wiener Rechtsinformationssystem Bezug nimmt. Danach können die konsolidierte Fassung landesrechtlicher Vorschriften und der Inhalt des Landesgesetzblattes im Internet bereitgestellt werden. Im Gegensatz zur gedruckten Kundmachung im Landesgesetzblatt enthält der im Internet bereitgestellte Inhalt landesrechtlicher Vorschriften bzw. des Landesgesetzblattes keine authentischen Daten.
  7. 7 Thomas Eder, Phänomenal, in Eder/Kobenter/Plener, Seitenweise – Was das Buch ist, Seite 297.