Jusletter IT

Vorwort

  • Authors: Anton Geist / Friedrich Lachmayer / Colette R. Brunschwig / Günther Schefbeck
  • Region: Austria
  • Field of law: Preamble
  • Collection: Festschrift Erich Schweighofer
  • Citation: Anton Geist / Friedrich Lachmayer / Colette R. Brunschwig / Günther Schefbeck, Vorwort, in: Jusletter IT 22 February 2011
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In den Anfangszeiten wurde die Rechtsinformatik als Bindestrichwissenschaft apostrophiert, als etwas, das aus zwei Teilen besteht und im Wesentlichen auch in diese zerfällt. In einer Metapher gesprochen, war die Rechts-Informatik einem Fluss mit zwei Ufern vergleichbar, verbunden durch eine Brücke oder durch eine mühselige Furt. Damit sollte wohl nicht nur die Verschiedenheit der beiden Gebiete angesprochen werden und die unterschiedlichen Gedankensprachen, die dort gesprochen wurden, sondern auch zum Ausdruck gebracht werden, dass es nur wenige Persönlichkeiten gäbe, die in beiden Bereichen formal legitimiert seien. Erich Schweighofer ist es durch seine Studien in beiden Wissenschaftsbereichen.
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Um bei der Metapher des Flusses zu bleiben: Früher sind Städte oft dort entstanden, wo sich in einem Fluss eine Insel befand. Das galt für Rom so, für Paris, für Wien und auch für Budapest. (Nicht regulierte Flüsse tendieren auch dazu, Inseln zu bilden, auf denen sich Leben entfalten kann, erst durch eine Regulierung in buchstäbliche Stromlinienform gezwungene Flüsse lassen die Ausbildung einer vielfältigen Au- und Insellandschaft nicht mehr zu.) Die Rechtsinformatik ist nicht mehr eine schmale Bindestrich-Brücke zwischen der Rechtswissenschaft und der Informatik, sondern ist eine veritable Insel, die als Eigenbereich eine fruchtbare Verbindung beider Wissenschaftsbereiche vermittelt. Das gilt für die Themen ebenso wie auch die Projekte, die sich langsam als gesellschaftsverändernd erweisen, wie etwa die unentgeltlich verfügbare authentische elektronische Kundmachung von Rechtsvorschriften im Internet. Auf einer dieser RI-Inseln findet einmal im Jahr das Internationale Rechtsinformatik-Symposium IRIS statt, das von Erich Schweighofer gestaltet wird und dessen Publikation er betreut. Ein weiterer Grund, ihm aus Anlass seines 50. Geburtstages Dank auszudrücken.
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Wie auch bei IRIS immer wieder deutlich wird, ist die Rechtsinformatik durch eine große Vielzahl von Themen ausgezeichnet, die von der Rechtstheorie über gleichsam genuine Themen der Rechtsinformatik und der Legislativinformatik wie auch die stets anregenden Praxisberichte über RI-Applikationen bis hin zum Informationsrecht reichen. Dieser Vielfalt wurde auch in diesem Buch Rechnung getragen:
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Mit «Strukturierung der juristischen Semantik» ist der Band überschrieben, oder in der englischen Variante «Structuring Legal Semantics». Das englische «structuring» sagt vielleicht noch mehr als das deutsche Wort «Strukturierung»: Ist das letztere konnotiert mit der Vorstellung von der Ausformung innerer Struktur, so schwingt im ersteren, im Wort «structuring», auch das Konzept eines (Auf-)Bauens mit. Und so geht es ja auch in der Rechtslehre darum, immer wieder aufs neue Sinnzusammenhänge aufzubauen, das Recht zu einem dynamischen Instrument der Sinnproduktion einer sich mit immer mehr zunehmender Dynamik entwickelnden Gesellschaft werden zu lassen. Gleichzeitig aber ist Wissenschaft stets gefordert, ihrem Gegenstand innere Struktur zu konstruieren, um ihn einem kritisch-analytischen Diskurs zugänglich zu machen.
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Rechtliche Semantik wiederum ist traditionell als Fokus juristischer Dogmatik ebenso wie der Rechtsanwendung gesehen worden. «Der Richter als Mund des sprechenden Textes»1 – die Vorstellung, der Gesetzestext sei bei methodisch korrekter Interpretation ein-deutig zu (be-)deuten, hat Generationen von Juristen und Juristinnen geprägt, und erst in jüngerer Zeit tritt die sprachsoziologische Dynamik der Aufladung von Rechtszeichen mit Sinn stärker ins Blickfeld.

 

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Das normative System der modernen Gesellschaft steht aber zunächst einmal vor einer «syntaktischen» Herausforderung: Die Zeichenketten zu produzieren und in weiterer Folge zu identifizieren, welche die «Rechtsordnung» bilden, ist schlichtweg zu einem Mengenproblem geworden. Gesellschaftliche Komplexität und die damit einhergehende Komplexität sozialer Konflikte verlangt nach komplexen und adaptiven Programmen normativer Sinnstiftung, die andererseits ihre Funktion nur erfüllen können, wenn sie erkennbar und «verständlich», also der Interpretation nicht nur durch die rechtswahrende Zunft zugänglich sind. Und da liegt dann jenseits der elementaren syntaktischen die semantische Herausforderung: Erliegen wir der Magie des Gesetzestextes, und ergeben wir uns dem Glauben an den Zauber seiner Decodierung, oder fassen wir den Text als ein operationales Werkzeug auf und richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Verfahren seiner Anwendung – idealerweise auf ein Verfahren rationalen Argumentierens und fairen Interessenausgleichs? Dann aber führen uns die Aporien rechtlicher Semantik notwendig weiter zu den Chancen juristischer Pragmatik.
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Die Rechtsinformatik leistet ihre Beiträge zur Bewältigung all dieser Herausforderungen. Gerade die syntaktischen Herausforderungen der Beherrschung großer Mengen an rechtlichem Code, in der Regel in textlicher Form, wären ohne die Werkzeuge, welche uns die neuen Technologien bereitstellen, nicht mehr bewältigbar. Unser Umgang mit der Be-Deutung der Rechtszeichen wird unterstützt durch die immer vielfältiger werdenden technischen Optionen ihrer Auszeichnung, welche eine semantische Strukturierung des Rechts im unmittelbaren Wortsinn ermöglichen. Die Verfahren, welche das normative System der Gesellschaft operativ in Erscheinung treten lassen, werden nicht nur durch technologiebasiertes Geschäftsprozessmanagement, sondern materiell durch jene Anwendungen unterstützt, welche die Syntax und Semantik der Rechtsordnung fassbar machen helfen.
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Alle erwähnten Dimensionen werden auch in diesem Buch sichtbar. Es geht zurück auf ein Kolloquium, das – unter jenem Titel, den nun auch das Buch trägt – am 8. März 2010 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien abgehalten worden ist, um den 50. Geburtstag Erich Schweighofers zu würdigen. Ist die Zahl der Vortragenden damals zeit- und ortsbedingt naturgemäß begrenzt gewesen, so hat die Herausgabe des auf diesem Kolloquium aufbauenden Buches die Möglichkeit geboten, weitere Freunde des Jubilars, insbesondere auch in der internationalen rechtsinformatischen Fachgemeinschaft, zur Beitragsleistung einzuladen.
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So begleiten uns die Beiträge des Bandes nun auf einem tour d’horizon durch jene Gebiete der Rechtsinformatik, auf denen der Jubilar gearbeitet hat. Eingeleitet aber wird der Band durch sehr persönliche Worte: die Laudatio, welche Arthur Winter im Rahmen des Kolloquiums gehalten hat, und Reflexionen von Andreas Rauber, Dieter Merkl sowie Michael Dittenbach über Erich Schweighofers grenzüberschreitendes Wirken, und da sind sowohl Landesgrenzen als auch die Grenzen wissenschaftlicher Disziplinen gemeint. Philip Leith beschließt diesen einleitenden Abschnitt mit seiner Würdigung der Verdienste von Erich Schweighofer um juristisches Wissensmanagement.
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Der zweite Abschnitt des Bandes ist der Rechtstheorie gewidmet: Er umfasst Beiträge von Alexander Balthasar, Meinrad Handstanger, Florian Holzer, Günther Kreuzbauer, Georg Newesely, Marijan Pavčnik, Lothar Philipps, Radim Polčák, Balász Rátai, Giovanni Sartor, Christiane Seissl, Peter Warta und Hajime Yoshino, das Themenspektrum reicht von grundsätzlichen Fragen der Struktur von Recht und Information und der Logik des Rechtssystems über Probleme der Rechtssprache und der juristischen Argumentation bis zu den Herausforderungen der Rechtsanwendung vor dem Hintergrund der den rechtlichen Normen immanenten Unschärfe.
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Die verschiedenen Perspektiven der Rechtsinformatik im engeren Sinn beleuchtet der folgende dritte Abschnitt: Die Beiträge von Vytautas Čyras, Friedrich Lachmayer, Herbert Fiedler, Hans-Georg Fill, Reinhard Riedl, Michael Sonntag und Marie-Theres Tinnefeld behandeln vielfältige Themen, von der Rechtsvisualisierung bis zur juristischen Recherche, von der normativen Modellierung bis zum Spannungsfeld von elektronischer Partizipation und Privatheit, und sie zeigen so die Breite dieses Forschungsfeldes auf.
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Der vierte Abschnitt richtet den Blick auf die Legislativinformatik und damit den Fokus auf die Dynamik des normativen Systems: Die Beiträge von Enrico Francesconi, Michael Raffler, Günther Schefbeck, Helmut Weichsel und Radboud Winkels lassen erkennen, wie weit die neuen Technologien diese Dynamik bereits unterstützen, aber auch welche Chancen für die zukünftige Entwicklung des normativen Systems sie bereithalten.
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Im fünften Abschnitt sind Beiträge zum weiten Feld der «Anwendungen» versammelt: Sie stammen von Pascale Berteloot, Bojan Božić, Werner Winiwarter, Nikolaus Forgó, Markus Holzweber, Nicolas Reitbauer, Harald Hoffmann, Friedrich Lachmayer, Georg Schwarz, Peter Jackson, Khalid Al-Kofahi, Dietmar Jahnel, Peter Lechner, Leonhard Reis, Marius Roth, Martin Schneider, Thomas Gottwald, Angela Stöger-Frank, Roland Traunmüller, Maria Wimmer und Christian Wachter, und sie zeigen die vielerorts, von der Justiz über die Finanzverwaltung bis zur Rechtsanwaltschaft, wahrzunehmende und immer unentbehrlicher wirkende Funktion rechtsinformatisch grundgelegter juristischer Anwendungspraxis.
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Ein mit der Rechtsinformatik seit ihren wissenschaftshistorisch um 1970 festzumachenden Anfängen wissenschaftssoziologisch stets eng verbundenes Gebiet der Rechtsdogmatik steht im Mittelpunkt des sechsten Abschnitts dieses Bandes: das Informationsrecht. Lothar Gamper, Gerald Otto, Christoph Steindl, Burkhard Schafer und Ines Staufer behandeln unter anderem Fragen des Datenschutz- und des Telekommunikationsrechts.
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Eine Besonderheit dieses Buches ist der seinen siebenten Abschnitt bildende längere Beitrag von Colette R. Brunschwig zum Multisensorischem Recht. Er macht sichtbar, dass die Rechtswissenschaft als Ganzes und damit auch die Rechtsinformatik immer wieder zu neuen Wandlungen und paradigmatischen Änderungen fähig sind.
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Beschlossen wird der Band von einem wiederum sehr persönlichen Aperçu, zu welchem sich Tom van Engers durch das Bild des Jubilars inspiriert sieht.
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Der Dank des Herausgeberkollegiums gilt allen Autorinnen und Autoren, die neben ihren vielfältigen Verpflichtungen die Zeit für die Vorbereitung ihres jeweiligen Beitrages gefunden haben, insbesondere aber Franz Kummer, der mit seinem Verlag Editions Weblaw das Erscheinen dieses Buches möglich gemacht hat.
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Die Autorinnen und Autoren dieses Liber Amicorum und dessen Herausgeber gratulieren Erich Schweighofer auf diesem Wege (nochmals) zu seinem Geburtstag und wünschen ihm weiterhin alles Gute für ein erfülltes Gelehrtenleben.


Wien und Zürich im Jänner 2011



Anton Geist – Colette R. Brunschwig – Friedrich Lachmayer –Günther Schefbeck


 

 

  1. 1 Ralph Christensen, Was heißt Gesetzesbindung?, Berlin 1989,
    S. 47 ff.