[1]
[2]
Seit langem haben sich Philosophen wie Gerichte mit dem Wesen der Ehe auseinandergesetzt: Kant beispielsweise und der BGH. Begründet eine Ehe absolute Rechte – gegen jedermann – oder nur relative – gegen den Partner? Begründet sie überhaupt Rechte – und nicht eigentlich nur Pflichten?
[3]
Ein Gegenstand so schwankender Interpretationen reizt in besonderem Maße zu dem Versuch, die Gestaltungsmöglichkeiten kombinatorisch-systematisch zu erfassen. Es geht dabei um eine Exploration des «möglichen Rechts» (Lachmayer), letztlich zu dem Ziele, besser zu verstehen, welches Recht verwirklicht ist oder verwirklicht werden soll. Der größeren Anschaulichkeit zuliebe sei zum weiteren Exempel ein individuelles Ehepaar eingeführt: Adam und Eva, «a» und «e». Das sexuelle Verhalten, das in der Ehe normiert werden soll (selbstverständlich nur u.a.) sei reduziert auf das Prädikat Küssen, «K».
[4]
Die gewisse Frivolität der folgenden Beispielsätze veranlasst mich noch zu einer weiteren Erklärung: Es ist gar nicht so leicht, ein geeignetes Beispiel zu finden, an dem sich die Fülle der normlogischen Umformungsmöglichkeiten demonstrieren lässt: Das Beispiel muss nämlich in doppeltem Sinne «plastisch» sein. Es ist zwar plausibel zu sagen: «X hat gegen Y ein Recht darauf, dass dieser ihn nicht schlage»; aber im Verlauf der Umformungen käme man bald zu dem Satz: «X hat gegen Y ein Recht darauf, dass dieser ihn schlage», und das ist dann nicht mehr plausibel, weil Schläge meistens unangenehm sind. Bei sexuellen Handlungen dagegen leuchtet es ein, dass sie angenehm wie unangenehm sein können – je nach Ort, Stunde und Person.
[5]
Natürlich könnte ich statt eines exemplarischen Prädikats auch eine Prädikatenvariable nehmen: Variable sind unschuldig und geduldig; das ist schließlich ihr Daseinszweck. Aber Variable sind nicht sinnfällig.
1.
Vom relativ geschützten absoluten Verhalten zum absolut geschützten relativen Verhalten ^
[6]
Nehmen wir an, Adam – ein Adam aus dem Bilderbuch der Feministin – wolle seine Rechte «festschreiben», wie man heute sagt. Welche Postulate wird er aufstellen? Das erste Postulat wird dieses sein, dass er gegenüber Eva das Recht habe, Eva zu küssen.
P 1 RaeKae
P 1 RaeKae
[7]
Man kann Rechts- oder Handlungsrelation invertieren; die Inversion bringt beispielsweise Evas Verpflichtung zum Ausdruck, sich küssen zu lassen: DeaǨea (D von Duty; statt D könnte man auch Řea ... schreiben.)
[8]
Jetzt kommt der «Dritte» ins Spiel. Adams zweites Postulat lässt sich leicht interpretieren:
P 2 Λ x≠a Rae¬Ǩex
P 2 Λ x≠a Rae¬Ǩex
[9]
Eine äquivalente Formulierung ist hier (Λ x≠a Dea¬Ǩex (Λ... bezeichnet den Quantor «alle», so wie – später verwendet – V... den Quantor «einige» bezeichnet.) Eva soll also verpflichtet sein, sich von keinem anderen Mann küssen zu lassen (in der formalen Umschreibung: von keinem, der nicht identisch ist mit Adam).
[10]
Aus P 1 und P 2 ergibt sich – hier einseitig auf die Interessen Adams bezogen – die «relative» Ehekonzeption: Danach bedeutet die Ehe nur ein Rechtsband (vinculum iuris) zwischen zwei Personen, freilich durchaus auch mit dem Anspruch auf ein absolutes, gegen jedermann gerichtetes Verhalten des anderen. Adam wird sich damit vermutlich nicht zufrieden geben:
P 3 Λ x≠a Rax¬Kxe
In äquivalenter Formulierung: Λ x≠a Dxa¬Kxe
P 3 Λ x≠a Rax¬Kxe
In äquivalenter Formulierung: Λ x≠a Dxa¬Kxe
[11]
Mit diesem Postulat ist Adam zur absoluten Ehekonzeption übergegangen: Jeder Dritte soll verpflichtet sein, die Finger von Eva zu lassen, und Adam hat ein Recht darauf.
[12]
Adams auch in kombinatorischer Hinsicht ausschweifender Phantasie wird aber vielleicht noch eine Lücke auffallen. Er hat – typisch! – sich selber konstant als Rechtssubjekt aufgefasst und Eva als Handlungsobjekt, d.h. a dem Vorbereich der Rechtsrelation zugeordnet und e dem Nachbereich der Handlungsrelation. Nun zeigt aber eine einfache kombinatorische Überlegung: Adam als Rechtssubjekt hat zwei Richtungen zur Verfügung, ein Recht geltend zu machen: gegen Eva und gegen den Dritten. Eva kann sowohl von Adam wie von dem Dritten als Handlungsobjekt angesehen werden. Aus der Multiplikation der zwei Anspruchsrichtungen mit den zwei Handlungsrichtungen ergeben sich jedoch vier mögliche Postulate.
[13]
Das vierte ist dieses:
P 4 Λ x≠a RaxKae
Oder auch: Λ x≠a DxaKae
P 4 Λ x≠a RaxKae
Oder auch: Λ x≠a DxaKae
[14]
Adam könnte demnach von jedermann verlangen, dass er dulde, dass Adam Eva küsse – dass er sich also jeder «Störung» enthalte. Adam ist damit zu dem gelangt, was man «absolut geschütztes relatives Recht» nennt – mit einer freilich missverständlichen Bezeichnung. Denn absolut geschützt ist nicht das relative Recht, sondern unmittelbar das (relative) Verhalten einer Person zu einer anderen. Dies Verhalten wird zwar zumeist auch selber durch ein relatives Recht gesichert sein; aber denknotwendig ist das nicht. Gerade bei der Ehe könnte man sich eine abweichende Konzeption vorstellen. Hiernach wäre zwar das eheliche Verhalten mit absoluter Schutzrichtung gegen Störungen geschützt, aber der eine Ehegatte hätte gleichwohl kein relatives Recht auf das Verhalten des anderen. Eine solche Unterscheidung ließe sich damit rechtfertigen, dass das sehr persönliche Verhältnis zwischen den Ehegatten selber keine Verrechtlichung zulasse, wohl aber die Beziehung zu Dritten. In der Möglichkeit, diese und andere Gestaltungsformen systematisch zu durchdenken und zum Vergleich zu stellen, liegt der heuristische Sinn einer kombinatorischen Entwicklung.
[15]
Später irgendwann wird Adam vielleicht entdecken, dass strenggenommen sein viertes Postulat das erste mitumfasst: Wenn alle hinzunehmen haben, dass Adam Eva küsst, dann gilt auch, dass Eva selber dies hinzunehmen hat. Aber Adam wird deshalb kaum auf P 1 verzichten wollen: mit Recht, denn logische Redundanz bedeutet noch lange nicht juristische Überflüssigkeit!
[16]
P 4 ist übrigens das einzige Postulat, bei dem der in der Anspruchsrelation Verpflichtete nicht auch an der Relation des Verhaltens gegenüber Eva direkt beteiligt ist. Kein Wunder, dass das «absolut geschützte relative Recht» den juristischen Dogmatikern offensichtliche Schwierigkeiten bereitet.
2.
Starkes und schwaches Dürfen – Dulden und Sich-Abfinden ^
[17]
Durch die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Rechten, insbesondere durch die Einführung des «Dritten» in die Rechtsbeziehungen, wird auch der Unterschied zwischen einem «starken» und einem «schwachen» Dürfen sinnfällig, der sich ohne diesen Konstruktionsumweg, im Rahmen einer bloßen Zweierbeziehung, nicht so leicht plausibel machen lässt. Die relative Eheauffassung ist gegenüber der absoluten vor allem dadurch gekennzeichnet, dass der eine Ehegatte gegenüber dem anderen zwar ein Recht auf Treue hinsichtlich jedermann hat, aber nicht gegenüber jedermann ein entsprechendes Recht auf Zurückhaltung.
[18]
Aber andererseits wird auch ein Anhänger der relativen Eheauffassung nicht so weit gehen, anzunehmen, dass der Dritte nun gegenüber dem Partner – in unserem Beispiel Adam – ein «Recht» habe, Eva zu küssen, so dass Adam dies also zu dulden hätte. Richtig wäre zwar, dass der Dritte kein Recht Adams verletzt, wenn er Eva küsst; aber umgekehrt verletzt Adam auch kein Recht des Dritten, wenn er – um dies zu verhindern – Eva auf eine längere Geschäftsreise mitnimmt.
[19]
Für das schwache Dürfen, das sich nicht auf ein Recht stützen kann, führe ich nun den deontischen Funktor Lxy ... ein – L wie Liberty. Ich folge damit einer Auflockerung der Hohfeld'schen Terminologie, die sich verschiedentlich in der Literatur findet. Hohfelds eigener Ausdruck «Privilege» für das schwache Dürfen ist ja anerkanntermaßen unglücklich gewählt. Diese Wortwahl lässt sich wohl nur aus einer brutalen Etymologie erklären: Privilegium als Freisein von Gesetzen, vergleichbar dem Ausdruck «rechtsfreier Raum» in der deutschen allgemeinen Rechtslehre.
[20]
Man kann das Gefälle in der logisch-normativen Stärke, das zwischen Right und Liberty besteht, in einem sog. logischen Quadrat veranschaulichen, das übrigens von den bekannten normlogischen Quadraten abweicht.
Zu 1) Die Ausdrücke können nicht beide wahr sein, wohl aber beide falsch.
Zu 2) Es kann nicht beides falsch sein, wohl aber beides wahr.
Zu 3) Das eine muss wahr sein, und das andere falsch.
[21]
Die Relation zu 1) drückt einen starken Normwiderspruch aus, der nur dadurch gelöst werden kann, dass eines der Rechte aufgehoben oder wenigstens eingeschränkt wird, sein Inhaber sozusagen «enteignet». Die Relation zu 2) drückt, wenn man so will, einen schwachen Widerspruch aus. Der eine handelt nicht rechtswidrig, wenn er die von ihm gewünschte Handlung durchzusetzen versucht, der andere aber auch nicht, wenn er ihn daran hindert. Die Relation zu 3) drückt einen mittelstarken Widerspruch aus, der dadurch gelöst werden könnte, dass der natürliche Freiraum des einen eingeschränkt wird, ohne dass eine Art Enteignung stattfinden müsste. Man kann diese Relation in bekannter Weise dazu benutzen, den L-Funktor zu definieren, etwa so: LxyHxy :↔ ¬Ryx¬Hxy.
[22]
Haben wir bislang unsere Aufmerksamkeit den verschiedenen Formen der normativen Komponente der Normausdrücke zugewandt, so sei noch kurz auf die möglichen Modifikationen der Verhaltenskomponente hingewiesen. Offensichtlich kann ein zweistelliges Handlungsprädikat im Normausdruck in zweierlei Hinsicht modifiziert werden: negiert – als Ausdruck des Unterlassens – und invertiert – als Ausdruck des Erleidens oder Empfangens.
[23]
Wenn wir als invariant voraussetzen, dass jemand ein Recht gegen einen anderen hat – und dieser eine entsprechende Pflicht –, so kann das, worauf er ein Recht hat und wozu der andere verpflichtet ist, wiederum vierfache Gestalt annehmen:
1) RxyHxy | x ist berechtigt, gegenüber y zu handeln – zum Beispiel, dessen Grundstück zu überqueren. Das bedeutet umgekehrt für y, dass er verpflichtet ist, zu dulden, dass x diese Handlung ihm gegenüber vornimmt. |
2) RxyHyx | x darf von y eine Handlung verlangen, und y ist verpflichtet, diese Handlung vorzunehmen. |
3) Rxy¬Hxy | x ist gegenüber y berechtigt, eine Handlung zu unterlassen; und von y aus gesehen: y soll sich damit abfinden, dass x diese Handlung unterlässt. |
4) Rxy¬Hyx | x ist berechtigt, von y die Unterlassung einer Handlung zu verlangen; y ist gegenüber x zum Unterlassen verpflichtet. |
[24]
Aus dieser Vierzahl der logischen Möglichkeiten ergibt sich, dass die bekannte Verhaltenstrias von Handeln, Unterlassen und Dulden, die in der Literatur immer wieder angeführt wird und die auch in die Gesetzestexte Eingang gefunden hat (§ 240 StGB; vgl. auch § 890 ZPO), unvollständig ist. Es fehlt das Sich-Abfinden. So wie neben dem Tun das Unterlassen der eigenen Handlung steht, so steht neben dem Dulden der Handlung eines anderen das Sich-Abfinden damit, dass der andere nicht handelt.
3.
Rechtliche und moralische Normen ^
[25]
Die Ehe ist nicht erst darin unter Juristen umstritten, ob sie von relativer oder absoluter Rechtsnatur sei, sondern es ist schon streitig, ob und inwieweit sie überhaupt von rechtlichen und nicht vielmehr moralischen Normen bestimmt sei. Die praktisch-juristischen Konsequenzen des Streites liegen in der Entscheidung, ob man Schadenersatz für die Folgen eines Ehebruchs oder eines anderen ehewidrigen Verhaltens des Ehepartners oder des Dritten anerkennen sollte, ferner in der Möglichkeit einer Klage auf Unterlassung.
[26]
Diese typisch rechtlichen Konsequenzen lassen sich eher annehmen, wenn man davon ausgeht, dass die verletzte eheliche Pflicht eine Rechtsnorm ist. Sicher ist das keine zwingende Folge, aber doch eine plausible. Es bedarf eines besonderen Aufwandes an Argumentation («zwar ... aber ... vor allem mit Rücksicht auf den Normzweck...»), um abweichend zu entscheiden.
[27]
Nun ist es zwar wiederum eine sehr umstrittene Frage, worin sich Recht und Moral voneinander unterscheiden; doch lässt sich im Falle der Ehe ohne weiteres angeben, wo die Bedenken gegen den rechtlichen Charakter der Institution herrühren. Es ist das Konzept einer Anspruchsrelation, das anstößig wirkt; allzu nahe liegt die Übersetzung in die Begriffe Subjekt und Objekt mit einer Fülle von Assoziationen («Verdinglichung» – «Lustobjekt»). Dabei kann die Kritik an diesem Konzept aus durchaus verschiedenen Werthaltungen heraus erfolgen. Dem einen mag das infrage stehende Verhalten zu persönlich sein, um es zum Gegenstand rechtlicher Ansprüche zu machen – dem anderen ist vielleicht die Personalisierung schon zuviel, die darin liegt, dass jemand zum Subjekt eines Anspruchs gemacht wird: gehe es hier doch schließlich um transpersonale Werte.
[28]
Als Gegnerin der Anspruchskonzeption mag Eva (legen wir ihr einmal diese Thesen in den Mund) den Postulaten Adams entgegenhalten, dass sie sich zwar für verpflichtet ansehe, ihm die Treue zu halten, ihn aber nicht für berechtigt, dies zu verlangen. Verpflichtet hält sie sich vielleicht aufgrund sehr persönlicher Selbstverpflichtung («Weil ich dich liebe!») oder aber mit Rücksicht auf tradierte Werte («Du verdienst es zwar nicht; aber es ist eine Frage des Anstands. Meine Mutter und meine Großmutter haben ihre Männer auch nicht betrogen.»).
[29]
Solche Bedenken gegen den Anspruchscharakter der Ehe korrespondieren deutlich mit einem klassischen Versuch der Unterscheidung zwischen Recht und Moral, der von Petrazicky stammt und von vielen Autoren, u.a. von Radbruch, übernommen worden ist. Nach Petrazicky sind rechtliche Normen dadurch gekennzeichnet, dass die Verpflichtung des einen die Berechtigung des anderen bedeutet («imperativisch-attributivische Normen»), moralische Normen dagegen dadurch, dass die Verpflichtung rein «imperativisch» ist, dass kein Begünstigter da ist, der das Recht hätte, zu verlangen, wozu der Belastete verpflichtet ist.
[30]
Durch die formale Logik gewinnt die Konzeption Petrazickys sehr an Präzision. Wir können die oben angegebenen vier Postulate zu «moralischen Postulaten» modifizieren, indem wir sie zunächst zur Form einer Pflichtaussage invertieren; sodann ersetzen wir das «D» durch das herkömmliche «O» der deontischen Logik und streichen das zweite Argument des Normfunktors. So erhalten wir Ausdrücke mit einstelligem Gebotsfunktor (bezeichnen wir sie mit «q», die eine Rückformulierung zu Ausdrücken der Berechtigung nicht mehr zulassen.
Q 1 OeǨea
Q 2 Λ x≠a OeǨex
Q 3 Λ x≠a OxKex
Q 4 Λ x≠a OxKae
Q 1 OeǨea
Q 2 Λ x≠a OeǨex
Q 3 Λ x≠a OxKex
Q 4 Λ x≠a OxKae
[31]
Es versteht sich, dass man bei dem Versuch, eine möglichst adäquate Form der Normierung zu finden, sich nicht pauschal zwischen p- und q-Postulaten zu entscheiden braucht; die Postulate lassen sich auch mischen.
4.
Ausblick auf die Logik der Unmoral ^
[32]
Vieles aus dem Umkreis der relativen und absoluten Rechte ist unausgesprochen geblieben: das Berechtigtsein und das Verpflichtetsein mehrerer, die persönlichen und die dinglichen Lizenzen. Es wäre gar nicht einmal nötig, nun das gewählte Beispiel zu verlassen, um nicht indezent zu sein; Anthropologie und Kunst («Die 120 Tage von Sodom») würden uns ihren Schutz angedeihen lassen. Indessen ist es der Sinn der kombinatorischen Methode, heuristisch zu wirken; der geneigte Leser mag also selber die Probe auf ein interessantes Exempel machen. Ich bin sicher, er wird nach dem Bisherigen ohne weiteres imstande sein, jene Phänomene – wie sagt man heute? – «rational zu rekonstruieren».
5.
Vom deontischen Quadrat zum deontischen Kubus ^
[33]
Ich habe in meinem Referat eine deontische Logik benutzt, über die zwar nicht immer aber doch zumeist eingehaltenen Grenzen einer modalisierten Aussagenlogik hinausgeht. Dies gilt freilich nur hinsichtlich der Personen, die im Spiel sind: Berechtigte und Verpflichtete, Handelnde und Erleidende, Leistende und Empfangende. Es ist darüber hinaus aber möglich und wünschenswert, auch Handlungsvorgänge prädikatenlogisch zu bestimmen, vor allem im Hinblick darauf, ob sie immer oder manchmal oder niemals stattfinden sollen.
[34]
Wenn man (herkömmliche) deontische Funktoren auf quantifizierte Handlungsbeschreibungen bezieht, entsteht aus zwei logischen Quadraten ein «logischer Kubus».
[35]
Nicht alle Ecken dieses Würfels sind gleich wichtig. Der Ausdruck an der Ecke links oben hinten – Ausdruck der Forderung, dass jede Handlung eine bestimmte Eigenschaft habe – wird nur sehr ausnahmsweise vorkommen. Eine solche Forderung kann sich praktisch nur auf begrenzte und kontrollierte Handlungsabläufe richten, etwa beim Sport oder manchen Arbeitsvorgängen («Ruhig!», «Geschmeidig!») und darüber hinaus vielleicht noch auf innere Eigenschaften des Handelns, auf Haltungen und Einstellungen («Üb' immer Treu und Redlichkeit!»).
[36]
Auch das Gebot einer nur negativ umschriebenen Handlung (rechts oben vorne) trifft man nur selten. («Tu endlich irgend etwas, aber so, dass es nicht Verdacht erregt!»). Warum eigentlich liest man ganz selbstverständlich den Ausdruck Op als Gebot etwas zu unterlassen, also als Verbot, statt als Gebot einer negativ umschriebenen Handlung? Vielleicht nur deshalb, weil Verbote etwas Häufiges und Normales sind, negativ umschriebene Gebote dagegen etwas ausgesprochen Rares.
[37]
Praktische Bedeutung hat außer dem Verbot jeglicher Handlung mit bestimmter Eigenschaft (rechts oben hinten) vor allem das Gebot einzelner Handlungen (links oben vorne); einiges Nähere darüber findet sich in meiner Arbeit «Der Handlungsspielraum» (1974). Wenn man durch diese beiden viel gebrauchten Ecken die Raumdiagonale des Würfels zieht (vgl. die gestrichelten Linien), so erhält man ein neues Quadrat, das aber die bekannten Eigenschaften eines logischen Quadrates hat. Die diagonal gegenüberliegenden Punkte beispielsweise bilden einen kontradiktorischen Gegensatz (vgl. die punktierte Linie).
[38]
Ich vermute, dass es dies System ist, das man insgeheim im Sinn hat, wenn man das Standardsystem der deontischen Logik benutzt. Dies würde jedenfalls erklären, dass man in plausibler Weise damit operieren kann, obwohl es theoretisch wie praktisch unzureichend erscheint.
Lothar Philipps ist Professor emeritus für Strafrecht, Rechtsinformatik und Rechtsphilosophie an der Ludwig Maximilians Universität München.
loth@jura.uni-muenchen.de
Dieser Text ist erstmals erschienen in:
Rechtstheorie und Gesetzgebung, Festschrift für Robert Weimar, Hrsg. I. Tammelo /E. Mock Frankfurt a.M. 1986, 391–399
Lothar Philipps ist Professor emeritus für Strafrecht, Rechtsinformatik und Rechtsphilosophie an der Ludwig Maximilians Universität München.
loth@jura.uni-muenchen.de
Dieser Text ist erstmals erschienen in:
Rechtstheorie und Gesetzgebung, Festschrift für Robert Weimar, Hrsg. I. Tammelo /E. Mock Frankfurt a.M. 1986, 391–399