1.
Vorbemerkung ^
[1]
Der nachfolgende Beitrag basiert auf der zweiten gemeinsamen Studie1 der Hochschule Harz (FH) und der Materna GmbH zum Umsetzungsstand der EU-Dienstleistungsrichtlinie in der deutschen Kommunalverwaltung. Für die Befragung wurden alle Kommunen mit mehr als 10.000 Einwohnern in Deutschland angeschrieben. Mit einer Beteiligungsquote von knapp 16% und einer annähernden Gleichverteilung der Beteiligten je Bundesland und je Einwohnerstärke kann die Studie als repräsentativ für den Umsetzungsstand in der gesamten deutschen Kommunalverwaltung eingestuft werden2 .
[2]
In den Untersuchungen zum Umsetzungsstand der EU-Dienstleistungsrichtlinie wurden die angeschriebenen Kommunen als zuständige Stellen im Sinne der Richtlinie befragt. Gegenstand dieser Befragung waren neben den messbaren Umsetzungskriterien der Richtlinie auch so genannte Meta-Kriterien, die einen Umsetzungserfolg beeinflussen können, beispielsweise das kommunale Prozessmanagement innerhalb der örtlichen Verwaltungen. Die Ergebnisse der festgestellten Anstrengungen im kommunalen Prozessmanagement zur Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie werden im nachfolgenden Beitrag dargestellt und kommentiert.
2.
Gegenstand der Studien ^
[3]
Die Umsetzung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie3 wurde während der dreijährigen Realisierungsphase bis zur Umsetzungsfrist zum 28. Dezember 2009 vielfach als Treiber von
E-Government und der Verwaltungsmodernisierung propagiert. In der Tat sind in diesem Zeitraum zahlreiche Initiativen angestoßen worden, insbesondere auf Initiative des Bundes und der Länder im Bereich der IT-Umsetzung der Richtlinie, beispielsweise durch die «Blaupause» des gleichnamigen Deutschland-Online-Vorhabens4 sowie der ferner initiierten Teilprojekte zur Schaffung eines Prozessregisters, zur weiteren Datenstandardisierung unter dem Vorhaben XEUDLR und der Erstellung eines föderativen Informationsmanagements5 sowie vielem mehr.
E-Government und der Verwaltungsmodernisierung propagiert. In der Tat sind in diesem Zeitraum zahlreiche Initiativen angestoßen worden, insbesondere auf Initiative des Bundes und der Länder im Bereich der IT-Umsetzung der Richtlinie, beispielsweise durch die «Blaupause» des gleichnamigen Deutschland-Online-Vorhabens4 sowie der ferner initiierten Teilprojekte zur Schaffung eines Prozessregisters, zur weiteren Datenstandardisierung unter dem Vorhaben XEUDLR und der Erstellung eines föderativen Informationsmanagements5 sowie vielem mehr.
[4]
In der wissenschaftlichen und politischen Diskussion um die Realisierung der europäischen Dienstleistungsrichtlinie rückte vor allem die Bedeutung des «einheitlichen Ansprechpartners» nach Artikel 6 der Richtlinie6 als zentrales Element der Umsetzungsanstrengungen in den Fokus. Hierbei wurden jedoch maßgeblich die Rolle und die Umsetzungsverpflichtungen der Kommunen als sogenannte «zuständige Stellen» im Umsetzungsprozess vernachlässigt. Diese haben nach Artikel 7 und 8 der Richtlinie7 feste Anforderungen im Bereich der Informationserbringung sowie der elektronischen Verfahrensabwicklung zu erfüllen und stehen darüber hinaus besonders häufig in direktem Kontakt mit Dienstleistungserbringern im gesamten Lebenszyklus der Unternehmen. Diese Faktoren wurden in den oben genannten Studien untersucht, letztmalig zum Ende der Umsetzungsfrist der EU-Dienstleistungsrichtlinie im Jahr 2009.
3.
Ausgewählte Analysen des kommunalen Prozessmanagements ^
[5]
Die wichtigsten Ergebnisse im Bereich des Prozessmanagements aus den oben genannten Studien werden in den folgenden Abschnitten erläutert. Die hierbei dargestellten Analysen betreffen die subjektive Wahrnehmung der Prozesskomplexität durch die kommunalen Verantwortlichen. Darüber hinaus wird die Umsetzung normativer Regelungen aus der EU-Dienstleistungsrichtlinie in Form der Geschäftsprozesse zwischen den zuständigen Stellen auf kommunaler Seite und dem einheitlichen Ansprechpartner hinterfragt. Als letzte Untersuchungsaspekte werden die Bedeutung des Prozessdenkens im Vergleich anderer Erfolgsfaktoren und die weitere Perspektive von Prozessanalysen im Umsetzungsrahmen der EU-Dienstleistungsrichtlinie auf Ebene der deutschen Kommunalverwaltung beleuchtet.
3.1.
Subjektive Wahrnehmung der Prozesskomplexität ^
[6]
Im Hinblick auf verschiedene Herausforderungen bei der Umsetzung der EUDienstleistungsrichtlinie wurden die Kommunen auch zu ihrer Wahrnehmung der Prozesskomplexität befragt. Im Vergleich zur Einstufung verschiedener organisatorischer und technischer Herausforderungen im Umsetzungsprozess der EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde das Kriterium «hohe Prozesskomplexität» mit 34% der Nennungen auf Rang 6 von 13 eingestuft8 .
[7]
Diese Bewertung kann jedoch nur vorsichtig als gefühlte Wahrnehmung betrachtet werden, denn im weiteren Verlauf der Befragung gaben lediglich 14% der Befragten an, bereits Prozessanalysen durchgeführt zu haben. Weitere 10% bekundeten die Durchführung von Prozessanalysen zu planen. Somit muss festgestellt werden, dass noch starke Unsicherheiten bei der tatsächlichen Einschätzung der Prozesskomplexität in der deutschen Kommunalverwaltung zu verzeichnen sind. Dieser Eindruck verstärkt sich bei der Aussage von weiteren 68% der befragten Kommunen, keine Prozessanalysen im Rahmen der Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie durchzuführen. Weiteren 8% der Befragten war das Thema Prozessanalysen unbekannt9 . Grundlegend kann daher festgehalten werden, dass die Prozesskomplexität durch die Kommunen zwar als vielschichtig wahrgenommen wird, jedoch nur sehr wenige Kommunen bis dato tatsächlich eine Prozessanalyse zur Beschreibung der örtlichen Prozesskomplexität durchgeführt haben.
3.2.
Normative Regelungen der Geschäftsprozesse ^
[8]
Die EU-Dienstleistungsrichtlinie beschreibt darüber hinaus auch einige wenige normative Rahmenbedingungen mit direkten Auswirkungen auf das kommunale Prozessmanagement. Diese Regelungen betreffen beispielsweise die Zusammenarbeit der zuständigen Stellen mit dem einheitlichen Ansprechpartner nach Artikel 6 der EU-Dienstleistungsrichtlinie. In der Studie zum kommunalen Umsetzungsstand wurden die Kommunen befragt, in wie weit hierzu technische Anforderungen an die Zusammenarbeit mit dem einheitlichen Ansprechpartner bekannt sind: Der Anteil der Kommunen, denen keine Anforderungen bekannt waren, ging von 86% im Jahr 2008 auf 47% im Jahr 2009 zum Ende der Umsetzungsfrist zurück10 . Diese Entwicklung zeigt auf der einen Seite einen positiven Trend bei der Zusammenarbeit zwischen kommunaler Ebene und den in der Regel zuständigen Landesbehörden auf. Andererseits wird jedoch auch hier deutlich, dass es noch großer Anstrengungen beim Aufbau von integrierten Prozessstrukturen auf Basis einheitlicher Kommunikationsstandards in den jeweiligen deutschen Bundesländern bedarf. Dies betrifft insbesondere Bundesländer, mit einer zentralen Verortung des einheitlichen Ansprechpartners. Eine Analyse der weiteren Aufbauarbeiten im Jahr 2010 konnte hierzu leider nicht herangezogen werden. Es ist jedoch bekannt, dass inzwischen die überwiegende Mehrzahl der Bundesländer zumindest auf technischer Ebene Geschäftsprozessplattformen etabliert haben, um eine einheitliche Kommunikation zwischen den zuständigen Stellen und den einheitlichen Ansprechpartnern zu gewährleisten.
3.3.
Aktuelle und künftige Perspektiven des Prozessdenkens ^
[9]
Im Bereich der hinterfragten Managementfaktoren wurde in beiden abgeschlossenen Studien deutlich, dass vor allem fachübergreifendes Prozessdenken inzwischen auch bei den Kommunen als ein kritischer Erfolgsfaktor angesehen wird. Befragt, wie der Stand des fachübergreifenden Prozessmanagements in ihrer Verwaltung eingeschätzt wird, beantworteten über ein Drittel der Kommunen mit subjektiv ausreichendem Umsetzungsstand diesen Faktor mit «sehr gut» oder «gut», Kommunen mit subjektiv unzureichendem Umsetzungsstand lediglich nur zu 15%. In der Gesamtbetrachtung bewerteten 75% der Kommunen ihr fachübergreifendes Prozessdenken mit «vorhanden, aber ausbaufähig» oder «nicht vorhanden»11 .
[10]
Auch in der Beurteilung von weiteren Umsetzungsperspektiven der EUDienstleistungsrichtlinie lag die Priorität bei allen befragten Kommunen im Kriterium «Optimierung von Geschäftsprozessen» am Höchsten: Dies wurde von mehr als drei Viertel der Befragten mit «sehr wichtig» (28%) oder «wichtig» (48%) eingestuft. In Kommunen, die der EU-Dienstleistungsrichtlinie auch künftig eine hohe Bedeutung zuschrieben, lag der kumulierte Wert sogar bei 90% der Befragten12 .
[11]
Auch diese empirisch erfassten Einschätzungen der Verantwortlichen auf kommunaler Ebene unterstreichen die Erkenntnis, dass die deutschen Kommunalverwaltungen sich nachhaltig dem Themenfeld des Prozessmanagements öffnen, sodass in den kommenden Jahren hierbei mit verstärkten Aktivitäten in der praktischen Realisierung zu rechnen ist.
4.
Schlussfolgerungen ^
[12]
Die obige kurze Darstellung der auf Prozessmanagement bezogenen Studienergebnisse im Rahmen der kommunalen Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie zeigen, dass es einerseits noch konkreter Maßnahmen zur Analyse der Geschäftsprozesse und zur Etablierung eines fachübergreifenden Geschäftsprozessdenkens bedarf. Andererseits zeigen die Ergebnisse jedoch auch, dass inzwischen ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung von Prozessmanagement und die Wichtigkeit von Geschäftsprozessoptimierung im Bereich der Kommunalverwaltung besteht. Ferner werden durch die fortschreitende Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie zahlreiche weitere Auswirkungen auf den Modernisierungsprozess in der deutschen Kommunalverwaltung zu beobachten sein13 .
[13]
Beide Grundaussagen zusammen verdeutlichen die Notwendigkeit der weiteren wissenschaftlichen, praktischen und vor allem politischen Unterstützung von Kommunen auf ihrem Weg in eine moderne und ausreichend vernetzte Verwaltungsstruktur.
5.
Literatur ^
Göbel, André : Die EU-DLR: Eckpunkte, Effekte und mögliche Handlungsfelder. In:Stember, Jürgen; Göbel, André (Hrsg.): Verwaltungsmanagement für Unternehmen. Zwischen EU-Dienstleistungsrichtlinie, Bürokratieabbau und Wirtschaftsförderung, S. 225-258, Münster (2008).
Hochschule Harz, Materna GmbH: EG-Dienstleistungsrichtlinie. Zweite Studie zum Umsetzungsstand 2009/2010: Umsetzungsstand in der deutschen Kommunalverwaltung, Halberstadt/Dortmund (2010).
Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektbericht Deutschland-Online-Vorhaben IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie, Stuttgart, Kiel (2008).
Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektreview, Deutschland-Online-Vorhaben «Nationale IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie», Stuttgart, Kiel (2009).
2006/123/EG: Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Brüssel (2006).
Stember, Jürgen; Göbel, André (Hrsg.): Verwaltungsmanagement für Unternehmen. Zwischen EU-Dienstleistungsrichtlinie, Bürokratieabbau und Wirtschaftsförderung. In Reihe: Forschungsbeiträge zum Public Management, Band 2, Münster (2008).
André Göbel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Harz (FH), KAT-Forschungskompetenzzentrum: Arbeitsbereich Sicherheit und vernetzte Systeme, eGovernment und Verwaltung, Forschungsprojekt «Optimierte Unternehmens- und Standortförderung», Domplatz 16, 38820 Halberstadt, DE,agoebel@hs-harz.de ,http://egov.hs-harz.de
Hochschule Harz, Materna GmbH: EG-Dienstleistungsrichtlinie. Zweite Studie zum Umsetzungsstand 2009/2010: Umsetzungsstand in der deutschen Kommunalverwaltung, Halberstadt/Dortmund (2010).
Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektbericht Deutschland-Online-Vorhaben IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie, Stuttgart, Kiel (2008).
Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektreview, Deutschland-Online-Vorhaben «Nationale IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie», Stuttgart, Kiel (2009).
2006/123/EG: Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, Brüssel (2006).
Stember, Jürgen; Göbel, André (Hrsg.): Verwaltungsmanagement für Unternehmen. Zwischen EU-Dienstleistungsrichtlinie, Bürokratieabbau und Wirtschaftsförderung. In Reihe: Forschungsbeiträge zum Public Management, Band 2, Münster (2008).
André Göbel, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Hochschule Harz (FH), KAT-Forschungskompetenzzentrum: Arbeitsbereich Sicherheit und vernetzte Systeme, eGovernment und Verwaltung, Forschungsprojekt «Optimierte Unternehmens- und Standortförderung», Domplatz 16, 38820 Halberstadt, DE,agoebel@hs-harz.de ,http://egov.hs-harz.de
- 1 Hochschule Harz und Materna GmbH: EG-Dienstleistungsrichtlinie. Zweite Studie zum Umsetzungsstand 2009/2010: Umsetzungsstand in der deutschen Kommunalverwaltung. Halberstadt/Dortmund, 2010.
- 2 Ebd. S. 6.
- 3 2006/123/EG: Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt.
- 4 Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektbericht Deutschland-Online-Vorhaben IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie, 2008.
- 5 Vgl. Innenministerium Baden-Württemberg, Finanzministerium Schleswig-Holstein: Projektreview, Deutschland-Online-Vorhaben «Nationale IT-Umsetzung der Europäischen Dienstleistungsrichtlinie», S. 6 ff., 2009.
-
6
2006/123/EG: Richtlinie des Europäischen Parlaments und des
Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt,
Artikel 6. - 7 Ebd. Artikel 7 und Artikel 8.
- 8 Hochschule Harz und Materna GmbH: EG-Dienstleistungsrichtlinie. Zweite Studie zum Umsetzungsstand 2009/2010: Umsetzungsstand in der deutschen Kommunalverwaltung. Halberstadt/Dortmund, 2010.
- 9 Ebd. S. 23 f. und S. 41.
- 10 Ebd. S. 39.
- 11 Ebd. S. 16.
- 12 Ebd. S. 51 f.
- 13 Vgl.Göbel, André : Die EU-DLR: Eckpunkte, Effekte und mögliche Handlungsfelder. In:Stember, Jürgen; Göbel, André (Hrsg.): Verwaltungsmanagement für Unternehmen. Zwischen EU-Dienstleistungsrichtlinie, Bürokratieabbau und Wirtschaftsförderung, S. 247 ff. Münster (2008).