1.
Einleitung ^
[1]
Das Konzept der virtuelle Forschungsumgebung (VFU,virtual research environments ) wird derzeit in vielen wissenschaftlichen Disziplinen und Förderprogrammen als Strukturelement einer zukünftigen Informationsinfrastruktur diskutiert. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die eine eigene Aktionslinie für virtuelle Forschungsumgebungen eingerichtet hat, definiert den Begriff wie folgt:
Wesentlich für den Aufbau und die effektive Nutzung neuer Kommunikations- und Publikationsnetze sind leistungsfähige Instrumente und Infrastrukturen zur Unterstützung der neuen Arbeitsprozesse. Dazu zählen die virtuellen Forschungsumgebungen, die als Plattform für netzbasierte kollaborative Arbeitsprozesse neue Formen der Zusammenarbeit sowie einen neuen Umgang mit wissenschaftlichen Daten und Informationen ermöglichen. Sie bieten sowohl den zentralen Einstieg zu jeweils fachbezogenen Ressourcen, Daten und Dokumenten wie auch die erforderlichen Voraussetzungen für eine inhaltliche Verknüpfung der Informationseinheiten.1
[2]
Im Kontext der PC-Revolution, die Rechentechnik an jedem wissenschaftlichen Arbeitsplatz verfügbar gemacht hat, fand in den 1980er Jahren eine erste Auseinandersetzung mit der Frage statt, welche Funktionen und Möglichkeiten sich dadurch für die Forschungsarbeit ergeben. Durch die in den letzten 20 Jahren eingetretenen Entwicklungen im Bereich der Medien- und Informationstechnologie wie Vernetzung, Digitalisierung und Verfügbarkeit von Primär- und Sekundärtexten im Volltext2 stellt sich die Frage neu: Welche Anforderungen sind an den Arbeitsplatz des Rechtswissenschaftlers künftig zu stellen? Wir gehen nachfolgend von den in den letzten Jahren etablierten Modellen und einschlägigen Überblicksstudien zu virtuellen Forschungsumgebungen3 sowie ersten empirischen Erhebungen4 aus und skizzieren darauf basierend ein Anforderungsprofil an VFUs im Bereich der Rechtswissenschaft.
2.
Rahmenbedingungen ^
[3]
Seit bestenfalls 50 Jahren gehört die elektronische Nutzung wissenschaftlicher Fachinformation zum wissenschaftlichen Arbeitsprozess. Seit etwa 30 Jahren hat sich der Computer als universelles Arbeitswerkzeug für den individuellen Wissenschaftler durchsetzen können. Das dabei etablierte Modell der Nutzung von Einzelplatzrechnern mit lokal installierter Standardsoftware (Officepakete) dürfte bis heute vorherrschend sein. Entwicklungen der vergangenen Jahre wie
- das internetbasierte World Wide Web und die mit ihm verbundenen Standards und auf ihm basierenden Anwendungen,
- die Möglichkeit der Koppelung einer Vielzahl von Rechnerressourcen imgrid computing sowie die Verlagerung von Daten und Diensten ins Netz, um eine ubiquitäre Nutzbarkeit zu erreichen (cloud computing ),
- der Erfolg kooperativer webbasierter Arbeitsformen, die durch social software und Techniken des Web 2.0 ermöglicht werden und
- die Ausdifferenzierung der auch für wissenschaftliche Tätigkeiten nutzbaren Endgeräte, insbesondere im Bereich mobiler Systeme
- Durch die immer weiter voranschreitendeDigitalisierung werden alle benötigten Texte alselektronischer Volltext vorliegen.
- Auf der Basis unterschiedlicher Verfahren (intellektuelle Aufbereitung, automatische Analyse von bibliografischen Angaben und Zitationen, Text Mining etc.) werden die Inhalte hypertextuell vernetzt.
- Fachspezifische Suchmaschinen werten die Dokumentbestände aus, erschließen sie und machen sie der Recherche zugänglich.
- Weitergehende Analyseverfahren wie das Text Mining7 liefern Zusatzdienste wie das Abstracting oder Dokumentvergleiche und -auswertungen.
- Die Bibliotheken entwickeln sich zu digitalen Wissensarchiven mit einer Vielzahl von Aufgaben in den oben angesprochenen Bereichen weiter.
[4]
Die Herausforderungen an den Aufbau der erforderlichen Informations-Infrastrukturen sind (wissenschafts-)politisch erkannt worden, wie dies die folgende Mitteilung der europäischen Kommission aus dem Jahr 2009 verdeutlicht:
«Globale virtuelle Forschungsgemeinschaften eröffnen im Vorgriff auf die Arbeitsweisen der «Forschung 2.0» […] neue Perspektiven für die grenzüberschreitende multidisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Forschungsgemeinschaften. In Bezug auf die Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen und verbreitet werden, vollzieht sich derzeit ein Kulturwandel, der zur Entstehung globaler virtueller Forschungsgemeinschaften führt.»8
3.
Virtuelle Forschungsumgebungen ^
[6]
Aufgrund der vielfältigen Anforderungen und der nicht unerheblichen Unterschiede zwischen den Disziplinen konnte sich bisher kein einheitliches Referenzmodell für virtuelle Forschungsumgebungen entwickeln, selbst die Terminologie ist noch nicht einheitlich.11 Die bereits angesprochene Überblicksstudie zeigt anhand der Auswertung einer Vielzahl von Entwicklungsprojekten typische Architekturen und Erscheinungsformen virtueller Forschungsumgebungen auf.12 Mittlerweile finden sich zahlreiche virtuelle Forschungsumgebungen, die auf Erfordernisse im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich zugeschnitten sind. Beispiele für generische Infrastrukturprojekte als Basis einer Vielzahl von Einzelprojekten sowie eine kurze Übersicht zu Förderprojekten für VFUs in den Geisteswissenschaften sollen dies illustrieren:
[7]
TextGrid ist ein Verbundvorhaben aus dem Bereich der Computerphilologie. Ziel ist es, «den Zugang und den Austausch von Informationen in den Geistes- und Kulturwissenschaften mithilfe moderner Informationstechnologie (Grid) zu unterstützen. Seit 2006 wird eine internetbasierte Plattform aufgebaut, die Wissenschaftlern Werkzeuge und Dienste für die Auswertung von textbasierten Daten in unterschiedlichen digitalen Archiven bietet […].»13 TextGrid ist somit nicht eine konkret auf ein einzelnes Projekt zugeschnittene VFU, sondern einframework zur Entwicklung projektspezifischer Forschungsumgebungen, ausgelegt auf den Einsatz in einer Vielzahl zukünftiger Projekte mit textwissenschaftlichem Fokus. Neben einem Repositorium, das für die Langzeitarchivierung von Projektdaten genutzt werden kann, bietetTextGrid eine Reihe von Werkzeugen für die Projektarbeit, u.a. einen XML-Editor, Tools für die Textaufbereitung, ein Annotationsprogramm sowie Werkzeuge für das Projektmanagement und die Zugangskontrolle.
[8]
eSciDoc ist ein zweites Beispiel einer Softwareinfrastruktur für den Aufbau virtueller Forschungsumgebungen aus dem deutschsprachigen Raum:eSciDoc wurde in Kooperation mit weiteren Partnern vomFachinformationszentrum Karlsruhe und derMax Planck Digital Library (MPDL) entwickelt und hat den Anspruch, eine technische Infrastruktur für virtuelle Forschungsumgebungen in ganz unterschiedlichen Disziplinen verfügbar zu machen.14 eSciDoc bietet eine mehrschichtige Architektur, die auf der Basis eines Repositoriums unterschiedliche Dienste und Werkzeuge integriert, um den gesamten Forschungsprozess von der Forschungsidee über die Datenerhebung bis hin zur Analyse und Aggregation der Ergebnisse sowie zur anschließenden Vorbereitung von wissenschaftlichen Publikationen unterstützen zu können.
[9]
Die nachfolgende Auswahl derzeit von der DFG geförderter Projekte zum Aufbau virtueller Forschungsumgebungen zeigt die fachliche Diversität der Vorhaben, die zahlreiche Felder der Geisteswissenschaften abdecken:15
- Aufbau einer virtuellen Forschungsumgebung für die Ostasienwissenschaften
- Aufbau einer verteilten virtuellen Forschungs- und Kommunikationsumgebung für den Bilddiskurs in der Kunstgeschichte
- Entwicklung einer Virtuellen Forschungsumgebung für die Historische Bildungsforschung mit Semantischer Wiki-Technologie –Semantic MediaWiki for Collaborative Corpora Analysis
- Virtuelles deutsches Urkundennetzwerk
- Ausbau des Online-Referenzzentrums zur Überlieferung des griechischen Neuen Testaments (NT.VMR) zu einer virtuellen Forschungsumgebung (NT.VMR 2.0).
4.
Ein Anforderungsprofil für juristische VFU ^
[10]
Angesichts der oben angeführten Entwicklungen gehen wir davon aus, dass die immer noch stark papiergebundene Medienwelt der juristischen Fachinformation ins elektronische Medium migriert und sich daher die Frage nach den Anforderungen an eine virtuelle Forschungsumgebung im juristischen Kontext stellt. Dabei machen die verschiedenen juristischen Arbeitsfelder den Einsatz unterschiedlicher Informations- und Kommunikationstechnologien notwendig: So sind für den Bereich der Rechtsprechung oder der anwaltlichen Tätigkeit andere Instrumentarien als für den Verwaltungsbereich, den Bereich der Gesetzgebung oder die wissenschaftliche Tätigkeit erforderlich. Nachfolgend stehen die Anforderungen im Hinblick auf die Gewinnung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse im Zentrum, wobei zumindest die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse bei allen juristischen Tätigkeiten eine Rolle spielen kann, sodass die folgenden Überlegungen sicher auch für die übrigen Tätigkeitsbereiche von Relevanz sein können.
[11]
Bisher werden für spezifisch juristische Forschungsumgebungen lediglich die allgemein verbreitete Nutzung von Standardsoftware (Office-Pakete) bzw. Online-Medien (Datenbanken, Kommentare, OPACS) thematisiert. Während für die juristische Praxis unter den Stichwörtern elektronischer Rechtsverkehr, E-Justiz oder E-Government die Anforderungen an entsprechende Instrumente etwa zum sicheren Datenaustausch oder zum Führen einer elektronischen Akte seit Längerem diskutiert werden16 , fehlen entsprechende Überlegungen zu den Möglichkeiten einer virtuellen Forschungsumgebung im juristischen Bereich. Hier beschränkt man sich weitgehend auf Ratschläge zur computergestützten juristischen Recherche im Bereich des wissenschaftlichen Arbeitens.17
4.1.
Rechtswissenschaft und ihr wissenschaftlicher Kontext ^
[12]
Bislang liegen keine empirischen Daten dazu vor, welcher Bedarf an Informations- und Kommunikationstechnologien im Bereich der Rechtswissenschaft besteht. Auch über die Einordnung der Rechtswissenschaft in einen größeren wissenschaftlichen Kontext besteht keine Einigkeit. Während sie zum Teil als Sozialwissenschaft angesehen wird18 , bevorzugen andere die Einordnung der Rechtswissenschaft in die Geisteswissenschaften19 . Unabhängig von solchen Klassifizierungen spielt in jedem Fall die Auseinandersetzung mit Rechtstexten bei der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit eine zentrale Rolle, sodass eine Vergleichbarkeit mit den Geisteswissenschaften aber auch größeren Teilen der Sozialwissenschaften besteht. Eine Ausnahme bildet die Rechtstatsachenforschung, bei der die Ähnlichkeit zu den empirischen Sozialwissenschaften evident ist. Aufgrund der Nähe der Rechtswissenschaft zu anderen textfokussierten Disziplinen – sei es aus dem geisteswissenschaftlichen, sei es aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich – bietet es sich an, dort gewonnene Erkenntnisse zu den Arbeitspraktiken in der Wissenschaft und der Nutzung computerbasierter Werkzeuge auf ihre Übertragbarkeit für die Rechtswissenschaft zu prüfen, wie etwa die Ergebnisse der Studie von Toms und O’Brien20 : Darin wurden mittels einer Online-Umfrage Angaben zur wissenschaftlichen Arbeitspraxis erhoben, wobei die meisten Teilnehmer der Studie den Bereichen Literaturwissenschaft, Linguistik, Philosophie, Geschichte und Medien- und Kommunikationswissenschaften zuzuordnen sind und neben Englisch auch zahlreiche weitere europäische Sprachen abdecken.
4.2.
Anforderungen an juristische Forschungsumgebungen im Einzelnen ^
[13]
Die (digitale) Verfügbarkeit von Texten ergibt sich in der Studie von Toms und O’Brien als zentrale Forderung («Availability of and access to texts are central to humanists‘ research»21 ). Das dürfte auf die Rechtswissenschaft ohne weiteres übertragbar sein. Dazu gehören auch alle Aspekte der Erschließung juristischer Texte, die Suche nach ihnen sowie deren Verfügbarkeit im Volltext. Darüber hinaus erscheinen weitere (computerbasierte) Nutzungsmöglichkeiten in der Rechtswissenschaft denkbar:
- Werkzeuge für das wissenschaftliche Informations- und Wissensmanagement,
- Textanalyseverfahren (z.B. für die Erstellung von Konkordanzen, Zusammenstellung von Fundstellen),
- Werkzeuge für die Arbeit mit digitalen Texten (Lektüre, Annotation, Exzerpieren),
- Werkzeuge für die Textproduktion und das elektronische Publizieren sowie
- Werkzeuge für die Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen.
4.2.1.
Verfügbarkeit von und Zugriff auf Rechtsliteratur ^
[14]
Soweit die Auseinandersetzung mit Rechtsliteratur im Sinne einerTextwissenschaft im Vordergrund steht, kann man wie allgemein in den Geisteswissenschaften zwischen der Auseinandersetzung mit Primärquellen und der Auseinandersetzung mit Sekundärquellen, die Toms und O’Brien in ihrer Studie als «Arbeit der Kollegen» (work of colleagues ) bezeichnen22 , unterscheiden. Im juristischen Kontext stellen die Primärquellen die Gesetzestexte einschließlich der Gesetzesmaterialien dar, bei den Sekundärquellen sind vor allem Kommentare, Handbücher, Aufsätze und Monografien von Bedeutung.23 Eine Sonderstellung im Vergleich zu den Geisteswissenschaften nehmen die Entscheidungen der Gerichte ein, die nicht als reine Sekundärquellen gelten können, wenngleich sie in der Regel nur Bindungswirkung zwischen den Parteien entfalten.24
[15]
Für die Literatursuche sollten folgende Rechtstexteim Volltext zur Verfügung stehen:
- Gesetze einschließlich früherer Fassungen25 und der zugehörigen Gesetzesmaterialien
- Rechtsprechung, zumindest sämtliche veröffentlichte Entscheidungen
- Kommentare, Handbücher
- Aufsätze (in Zeitschriften, Festschriften und sonstigen Sammelbänden)
- Monografien
[16]
Da sich die Rechtswissenschaft nicht auf nationale Rechtsordnungen beschränkt, sollten diese Rechtstexte auch für das europäische und internationale Recht verfügbar sein. Besondere Merkmale der unterschiedlichen juristischen Dokumenttypen wie Randnummern und ihre Bedeutung für die Zitationspraxis oder formale Aspekte der Dokumentverweise (Gesetze, Aktenzeichen) müssen dabei im elektronischen Medium Grundlage hypertextueller Vernetzung sein. Zudem muss die Zitierbarkeit ohne Rekurs auf eine gedruckte Fassung für den elektronischen Volltext möglich sein.
4.2.2.
Nutzung von Werkzeugen für das wissenschaftliche Informations- und Wissensmanagement ^
[17]
Gerade für die rechtswissenschaftliche Forschung mit ihrem hohen Formalisierungsgrad wissenschaftlicher Zitationen bietet sich die systematische Nutzung von Werkzeugen für daspersonal information management an: Neben zum Teil seit vielen Jahren etablierten stand-alone-Werkzeugen für das Bibliografiemanagement wieEndNote oderCitavi spielen mittlerweile Web 2.0-basierte Tools wieZotero oderMendeley und internetbasierte Plattformen für die wissenschaftliche Informationserschließung wieConnotea oderCiteULike zunehmend eine Rolle.26 Unterstellt man wenigstens mittelfristig eine weitgehendeInteraktion mit Text im digitalen Medium , ergeben sich zusätzliche Anforderung an die Verwaltung der vom einzelnen Forscher studierten Texte einschließlich aller Anmerkungen, Verknüpfungen, Exzerpte etc.
4.2.3.
Textanalyseverfahren ^
[18]
Toms und O‘Brien zeigen für den geisteswissenschaftlichen Bereich einen erheblichen Bedarf an Werkzeugen zur Erstellung von Konkordanzen oder Wortfrequenzlisten.27 Für den juristischen Bereich dürften solch philologisch motivierte Funktionen von geringerer Bedeutung sein. Dennoch sind auch für die Rechtswissenschaft sinnvolle Einsatzmöglichkeiten entsprechender Werkzeuge denkbar, z.B. um Schlussfolgerungen aus der Verwendung juristischer Begriffe in verschiedenen Rechtstexten ziehen zu können. Bisher dürften solche Anwendungen vor allem im Bereich der Rechtsetzung zur Herstellung von Konsistenz genutzt werden. Die annähernd vollständige Verfügbarkeit älterer Literatur im Volltext öffnet den Raum für neuartige corpusbasierte Auswertungen für rechtshistorische Fragestellungen.28
4.2.4.
Werkzeuge für die Arbeit mit digitalen Texten (Lektüre, Annotation, Exzerpieren) ^
[19]
Standardsoftware für die digitale Publikation von Texten wieAdobe Acrobat bietet mittlerweile eine Vielzahl von Überarbeitungsfunktionen (Hervorhebungen, Notizen, in Verbindung mit entsprechenden Endgeräten wie Tablet PCs auch Möglichkeiten der handschriftlichen Annotation). Weniger verbreitet dürfte bisher die systematische Verwaltung von Text und Lektüre im Sinne eines ganzheitlichen Informationsmanagements für alle Arbeitsschritte der Interaktion mit Text sein. Erweiterte Bibliografiemanagementprogramme wieCitavi ,Mendeley oderZotero bieten aber Funktionen, die in diese Richtung weisen.
4.2.5.
Werkzeuge für die Textproduktion und das elektronische Publizieren ^
[20]
Neben der Nutzung von Standardtextverarbeitungsprogrammen für die Textproduktion, wie sie Office-Pakete bieten, ergeben sich im wissenschaftlichen Publikationsprozess zusätzliche Anforderungen dort, wo große Textmengen verarbeitet werden müssen, Datenbanken einzubinden sind oder Texte für unterschiedliche Publikationsplattformen (Print / Online) aufbereitet werden sollen. Eine Übersicht zu Publikationswerkzeugen bietet die im Rahmen eines Förderprojektes aufgebaute Plattform CARPET –Community for Academic Reviewing, Publishing and Editorial Technology .29
4.2.6.
Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen ^
[21]
«The picture of the humanist as solitary scholar remains»30 – auch wenn die Rückmeldungen von Forschern im geisteswissenschaftlichen Bereich zu solcher Einschätzung Anlass geben und diese in weiten Teilen wohl auf die Rechtswissenschaft übertragbar ist, sind dennoch eine Reihe von Forschungskontexten ersichtlich, die in hohem Maße Kommunikation und Zusammenarbeit erforderlich machen, wie z.B. die Arbeit mehrerer Autoren an einem Kommentar. Dafür sollten geeignete Instrumente entwickelt und in die Forschungsumgebung integriert werden. Die verstärkte Nutzung vonsocial software31 für solche Aufgaben erscheint naheliegend. Andere neuartige Formen der Zusammenarbeit, etwa die Nutzung voncrowdsourcing -Ansätzen, bei denen mit Hilfe von Online-Plattformen die Expertise einer im Prinzip unbestimmten Zahl von Personen für die Bearbeitung von Aufgaben herangezogen wird, dürften dagegenprima facie für den rechtswissenschaftlichen Forschungsprozess weniger geeignet sein.32
5.
Ausblick ^
[22]
In diesem Beitrag haben wir versucht, erste allgemeine Anforderungen an rechtswissenschaftliche Forschungsumgebungen zu skizzieren. Darüber hinaus ist eine empirische Absicherung der tatsächlichen Bedürfnisse von Juristen im Hinblick auf hilfreiche Werkzeuge und Technologien zur Gewinnung und Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse erforderlich. Methodisch stellen sich dabei durchaus Herausforderungen, da Umfragen auf der Basis von Fragebögen das Problem aufwerfen, wie man repräsentative Datenmengen erzielen kann, und zudem nur recht allgemeine Erkenntnisse über die tatsächlichen Arbeitsschritte in der Forschungspraxis liefern können. Eine nähere Beobachtung der wissenschaftlichen Arbeit des einzelnen Forschers oder einer Forschergruppe über einen längeren Zeitraum könnte zwar tiefer gehende Informationen liefern, erscheint aber aufgrund des hohen Aufwands kaum realisierbar.
[23]
Wichtig wäre aber eine fundiertere empirische Evidenz, die auch über bislang vorliegende Untersuchungen zum Informationsverhalten von Juristen hinausgehen müsste, da sich diese auf den reinen Rechercheprozess konzentrieren. Dadurch ließe sich abschätzen, in welchen Teilbereichen die Optimierungspotenziale für den wissenschaftlichen Arbeitsprozess besonders hoch sind. Dies ist v.a. deshalb von Bedeutung, da eine kurz- oder mittelfristige Realisierungaller Anforderungen unrealistisch erscheint.
[24]
Aufgrund der besonderen Merkmale des juristischen Erkenntnisprozesses kann man davon ausgehen, dass die Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse auch in anderen juristischen Arbeitsumgebungen eine Rolle spielen kann. Daher lässt sich eine Vielzahl der oben eingeführten Anforderungen für juristische Forschungsumgebungen auf andere juristische Tätigkeitsfelder übertragen, wie z.B. in den Bereichen E-Government, E-Justiz oder elektronische Rechtsetzung, wo die hier genannten Instrumentarien bisher weniger stark als etwa Aspekte des Datenschutzes oder der Informationssicherheit diskutiert werden.
Bettina Mielke, Richterin am Oberlandesgericht, Landgericht Regensburg, Kumpfmühler Straße 4, 93047 Regensburg, DE, bettina.mielke@lg-r.bayern.de
Christian Wolff, Professor, Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur, Lehrstuhl für Medieninformatik, Universität Regensburg, 93040 Regensburg, DE,christian.wolff@computer.org, www.medieninformatik.it
Bettina Mielke, Richterin am Oberlandesgericht, Landgericht Regensburg, Kumpfmühler Straße 4, 93047 Regensburg, DE, bettina.mielke@lg-r.bayern.de
Christian Wolff, Professor, Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur, Lehrstuhl für Medieninformatik, Universität Regensburg, 93040 Regensburg, DE,christian.wolff@computer.org, www.medieninformatik.it
- 1 Deutsche Forschungsgemeinschaft , Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme (LIS), Förderbereich: Informationsmanagement, www.dfg.de/foerderung/programme/infrastruktur/lis/lis_themenschwer¬punkt_digitale_information/lis_informationsmanagement/index.html (2010) [Zugriff Januar 2011].
- 2 Wolff, Ch. , Veränderte Arbeits- und Publikationsformen in der Wissenschaft und die Rolle der Bibliotheken. In: Hutzler, E., Schröder, A., Schweikl, G. (Hrsg.), Strategien zum Aufbau digitaler Bibliotheken, Universitätsverlag, Göttingen, S. 157-172 (2008).
- 3 Reimer, T., Carusi, A. , Virtual Research Environment Collaborative Landscape Study, JISC, London (2010),http://www.jisc.ac.uk/media/documents/publications/vrelandscapereport.pdf [Zugriff Januar 2011].
- 4 British Library , Information Behaviour of the Researcher of the Future. A Ciber Briefing Paper, British Library / University College London, London (2008),http://www.ucl.ac.uk/slais/research/ciber/downloads/ GG%20Work%20Package%20II.pdf [Zugriff Januar 2011];Toms, E., O’Brien, H., Understanding the information and communication technology needs of the e-humanist, Journal of Documentation 64, 102-130 (2008).
- 5 Vgl. dazuLyon, L ., Open Science at Web-Scale: Optimising Participation and Predictive Potential Consultative Report, UKOLN / Digital Curation Centre, Bath (2009),, www.jisc.ac.uk/media/documents/publications/research/ 2009/open-science-report-6nov09-final-sentojisc.pdf [Zugriff Januar 2011];DINI e.V., Informations- Kommunikationsstruktur der Zukunft. Zehn Thesen, Deutsche Initiative für Netzwerkinformation e. V., Göttingen (2008), online:http://www.dini.de/fileadmin/docs/DINI_thesen.pdf [Zugriff Januar 2011].
- 6 Vgl. dazuAschenbrenner, A. et al ., Von e-Science zu e-Humanities – Digital vernetzte Wissenschaft als neuer Arbeits- und Kreativbereich für Kunst und Kultur, Bibliothek. Forschung und Praxis 31 (1), S. 11-21 (2007).
- 7 Mielke, B., Wolff, Ch., Text Mining-Verfahren für die Erschließung juristischer Fachtexte. In: Schweighofer, E., Liebwald, D., Kreuzbauer, G., Menzel, Th. (Hrsg.), Informationstechnik in der juristischen Realität, Aktuelle Fragen zur Rechtsinformatik 2004, Verlag Österreich, Wien, S. 269-279 (2004).
- 8 Europäische Kommission , IKT-Infrastrukturen für die e-Wissenschaft. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Brüssel (2009),http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do? uri=CELEX:52009DC0108:DE:NOT [Zugriff Januar 2011].
- 9 Früher:Joint Information System Committee , eine staatliche Einrichtung der Infrastrukturentwicklung im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie für Bildung und Forschung in Großbritannien, vgl.http://www.jisc.ac.uk/aboutus/whoweare.aspx [Zugriff Januar 2011].
- 10 Vgl.Reimer, T., Carusi, A. , FN 3, S. 46 ff.
- 11 Geht man davon aus, dass sich die Forschung mittlerweile grundsätzlich des Computers bedient, entfällt die Notwendigkeit, vonvirtuellen Forschungsumgebungen zu sprechen. Verwandte Begriffe sind u. a.collaborative e-Research community, collaborative virtual environment, collaboratory, (science) gateway, virtual organisation, virtual research community , vgl.Reimer, T., Carusi, A. , FN 3, S. 13.
- 12 Reimer, T., Carusi, A. , FN 3.
- 13 TextGrid -Website,http://www.textgrid.de/ (2010) [Zugriff Januar 2011].
- 14 Vgl.Dreyer, Malte et al. , eSciDoc – a Scholarly Information and Communication Platform for the Max Planck Society. In: Proceedings German eScience Conference, GES2007, Baden-Baden (2007),http://edoc.mpg.de/get.epl? fid=36036&did=315471&ver=0 [Zugriff Januar 2011]. Umfangreiches Material zu diesem Projekt findet sich auf der Projekthomepagehttp://www.escidoc.org [Zugriff Januar 2011].
- 15 Quelle: Projektdatenbank der DFG, http://gepris.dfg.de [Zugriff Januar 2011].
- 16 Vgl. etwaHansen ,H., Drei Jahre elektronischer Rechtsverkehr – Zwischenbilanz aus Anwendersicht. In: DRiZ, Heft 4, S. 128-129 (2010);Klink ,J., Justizmodernisierung und Datenschutz, DRiZ, Heft 12, S. 383-386 (2010);Schürger, C., Kersting, M., Viefhues, W., «Die elektronische Gerichtsakte» – Aktuelle Entwicklungen, NJW, Heft 12, NJW-aktuell, S. 16-18 (2010) sowieViefhues ,W., Elektronischer Rechtsverkehr – Stand und Perspektiven. In: Rüßmann, H. (Hrsg.), Festschrift für Gerhard Käfer, juris GmbH, Saarbrücken, S. 427-434 (2009).
- 17 Dazu beispielsweiseMöllers ,Th., Juristische Arbeitstechnik und wissenschaftliches Arbeiten, Franz Vahlen, München, S. 60 ff. (2010); siehe dort auch S. 143 ff. zum Zitieren von Texten aus dem Internet.
-
18
So das Sächsische Oberverwaltungsgericht unter Verweisung
auf einen Artikel in Wikipedia, NVwZ-RR, S. 519 f. (2010);Lampe ,E-J., Tätersystem: Spuren und Strukturen, ZStW, Band 119, S. 471-518
(516) (2007). Vgl. auchWinkler, G., Die Rechtswissenschaft als
empirische Sozialwissenschaft. Biographische und methodologische Anmerkungen
zur Staatsrechtslehre, Springer, Wien (1999).
- 19 Möllers, Th. , FN 17, S. 48 f.;Obermayer ,K., Rechtswissenschaft als Geisteswissenschaft. In: JZ, Heft 14, S. 691-696 (1987);Sodan, H., Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung. In: JZ, Heft 18, S. 864-873 (1999); vgl. auchKretschmer, B. (Hrsg.), Rechts- als Geisteswissenschaft, Festschrift für Wolfgang Schild zum 60. Geburtstag, Kovač, Hamburg (2007).
- 20 Toms, E., O’Brien, H., FN 4.
- 21 Toms, E., O’Brien, H. , FN 4, S. 126.
- 22 Toms, E., O’Brien, H. , FN 4, S. 123.
- 23 Siehe etwaMöllers, Th. , FN 17, S. 64 ff., 72 ff.
- 24 Zur Bedeutung der Präjudizien im deutschen Recht siehe auch die Zusammenstellung inMielke, B., Bewertung juristischer Informationssysteme, Heymanns, Köln et al., S. 68 f. (2000).
- 25 Dies deckt sich mit der Beobachtung vonToms, E., O’Brien, H., FN 4, S. 124, dass Forscher die digitale Verfügbarkeit von Texten aus allen Zeitperioden fordern.
- 26 Weitere Informationen zu diesen Werkzeugen finden sich auf den jeweiligen Homepageshttp://www.endnote.com ,http://www.zotero.org ,http://www.citavi.com ,http://www.mendeley.com ,http://www.citeulike.org ,http://www.connotea.org [Zugriff Januar 2011].
- 27 Toms, E., O’Brien, H., FN 3, S. 118 f.
- 28 Vgl. dazu eine kürzlich inScience publizierte Corpusstudie auf der Basis der Daten vonGoogle Books , die den Anspruch erhebt, (immerhin) 4% aller jemals publizierter Bücher im Volltext zu analysieren,Michel, J. et al. , Quantitative Analysis of Culture Using Millions of Digitized Books. In: Science, 16. 12. 2010, online: 10.1126/science.1199644 (2010).
- 29 Vgl. die Homepage des Projektes,http://www.carpet-project.net/ [Zugriff Januar 2011].
- 30 Toms, E., O’Brien, H., FN 3, S. 125.
- 31 Ebersbach, A., Glaser, M., Heigl, R., Social Web, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz (2008).
- 32 Zu Crowdsourcing vgl.Brabham, D., Crowdsourcing as a Model for Problem Solving: An Introduction and Cases. In: Convergence: The International Journal of Research into New Media, Band 14, Heft 1, S. 75-90 (2008).