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Forschung zur prozessorientierten Verwaltung: Forschungsportalbasierte Status Quo-Analyse

  • Authors: Michael Räckers / Helmut Krcmar / Tobias Heide / Thomas Ley / Petra Wolf / Irina Thome / Sara Hofmann / Marlen Jurisch / Ralf Knackstedt / Jörg Becker
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Wissensbasiertes Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Michael Räckers / Helmut Krcmar / Tobias Heide / Thomas Ley / Petra Wolf / Irina Thome / Sara Hofmann / Marlen Jurisch / Ralf Knackstedt / Jörg Becker, Forschung zur prozessorientierten Verwaltung: Forschungsportalbasierte Status Quo-Analyse, in: Jusletter IT 29 February 2012
Der Beitrag stellt eine Analyse des Status quo der Forschung zur prozessorientierten Verwaltung vor, die im Rahmen einer vom Bundesministerium des Inneren beauftragten Studie erarbeitet wurde. Ausgewählte Ergebnisse werden ausführlich diskutiert und Handlungsempfehlungen zur zukünftigen Ausrichtung der Forschung werden abgeleitet. Die vorgestellten Ergebnisse lassen sich fünf Handlungsbereichen zuordnen, die für das Gesamtergebnis der Studie charakteristisch sind: fehlende Erarbeitung von theoretische Grundlagen, eine geringe Erprobung der Forschung in der Praxis, die mangelnde Wiederverwendung von Forschungsergebnissen sowie die unzureichende Auseinandersetzung mit der Vermarktung von Projekterfolgen und der Akzeptanz- und Erfolgsmessung von Projekteergebnissen. Methodisch zeichnet sich die Analyse dadurch aus, dass nicht allein eine systematische Quellenanalyse durchgeführt wurde, sondern auch ein internetbasiertes Forschungsportal zur prozessorientierten Verwaltung implementiert wurde, mit dem die Forschungsgemeinschaft in die Erhebung relevanter Forschungsergebnisse eingebunden wurde. Der aktuelle Datenbestand des Forschungsportals kann jederzeit interaktiv analysiert und ergänzt werden. Die formulierten Handlungsempfehlungen können auf diese Weise auch zukünftig auf ihre Relevanz hin überprüft werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Methodisches Vorgehen
  • 3. Status quo und Forschungslücken
  • 3.1. Theoretische Grundlagen
  • 3.2. Praxiserprobung
  • 3.3. Wiederverwendung von Forschungsergebnissen
  • 3.4. Marketing
  • 3.5. Akzeptanz und Erfolgswirkung
  • 4. Fazit und Ausblick
  • 5. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Beauftragt vom Bundesministerium des Innern wurde eine Analyse des Status quo der Forschung zur prozessorientierten Verwaltung vorgenommen.1 Eine ablauforganisatorische Betrachtung verspricht zur Überwindung einiger Defizite heutigen Verwaltungshandelns beizutragen2 . Dementsprechend bedeutsam erscheint es, einen Überblick über den Stand der Forschung zur prozessorientierten Verwaltung zu erhalten.
[2]
Eine Besonderheit der Studie stellt dar, dass die erhobenen Daten mit Hilfe von yourResearchPortal.com veröffentlicht wurden.3 Diese Infrastruktur ermöglicht es, in effizienter Weise ein Forschungsportal zu implementieren, das sich durch eine vergleichsweise fortgeschrittene Funktionalität auszeichnet.4 Hervorzuheben ist, dass die mit yourResearchPortal.com implementierten Forschungsportale es einer Forschungsgemeinschaft erlauben, selbständig Erweiterungen am Datenbestand des jeweiligen Forschungsportals vorzunehmen. Der Dialog zur Beschreibung der Forschungsergebnisse lässt sich bei der Generierung des jeweiligen Forschungsportals leicht anpassen, indem insbesondere Beschreibungsdimensionen und ihre Ausprägungen definiert werden. Z.B. können Forschungsergebnistypen, die für das jeweilige Forschungsgebiet einschlägig sind, beim Customizing des zu generierenden Portals angegeben werden. Die Mitglieder der Forschungsgemeinschaft nutzen die Beschreibungsdimensionen, um Forschungsergebnisse systematisch und vergleichbar zu klassifizieren (z.B. wird die Ausprägung der Terminologie zur Charakterisierung des Typs eines Forschungsergebnisses gewählt). In Freitextfeldern können weiterführende Informationen angegeben werden. Mit der Generierung eines Forschungsportals mit yourResearchPortal.com steht zudem eine Vielzahl von interaktiven Auswertungswerkzeugen zur Verfügung. Der interessierte Nutzer kann den Datenbestand mittels geographischer Landkarten, thematischer Wissenskarten, multikriterieller Suchfunktionen, Tag-Wolken und Geschäftsgrafiken (quantitative Auswertungen in Form von Stabdiagrammen, Tortendiagrammen etc.) analysieren.5 Die Generierung des Forschungsportals zur prozessorientierten Verwaltung ermöglicht es damit Vertretern von Wissenschaft, Praxis und Forschungsförderung, auf vielfältige Weise selbständig den in der vorgestellten Studie erhobenen Datenbestand zu analysieren und zu interpretieren.
[3]
In der Studie wurden 18 Beschreibungsdimensionen zur Klassifizierung von Forschungsergebnissen genutzt und daraus Handlungsempfehlungen in 14 Themenbereichen (Vernetzung von Forschungsinstitutionen, theoretische Grundlagen, Einfluss der Forschung auf die Praxis, Wiederverwendung von Forschungsergebnissen, Standardisierung und Harmonisierung, Prozessketten, Schnittstellen zu spezifischen Akteuren, Langfristigkeit und Kontinuität des Prozessmanagements, Integration der Finanzflusssicht in das Prozessmanagement, Prozessmanagement und Recht, Risikomanagement, Arbeitsmarkt, Marketing sowie Akzeptanz und Erfolgswirkung) abgeleitet. Im Folgenden wird zunächst das methodische Vorgehen zur Durchführung der Studie vorgestellt (Abschnitt 2). Im Anschluss werden ausgewählte Ergebnisse der Studie vorgestellt (Abschnitt 3). Ein Ausblick schließt den Beitrag ab (Abschnitt 4).

2.

Methodisches Vorgehen ^

[4]
Der Studie voran ging das Aufstellen von Hypothesen zur Beschreibung des Status quo der prozessorientierten Verwaltung. Aus diesen Hypothesen wurden die Beschreibungsdimensionen abgeleitet, welche zur Generierung eines Forschungsportals mit yourResearchPortal.com genutzt wurden. Beispielsweise wurde vermutet, dass die Forschung zur prozessorientierten Verwaltung derzeit vorrangig den Informationsfluss adressiert und die Betrachtung des Finanzflusses vernachlässigt. Entsprechend wurde bei der Generierung des Portals eine Beschreibungsdimension vorgesehen, mit der festgehalten werden konnte, welche Arten von Flüssen in der Prozesskette von den jeweiligen Forschungsergebnissen adressiert werden. Zur Aufstellung der Hypothesen wurden ähnliche Studien herangezogen6 sowie die Erfahrungen der Autoren der Studien genutzt.
[5]
Zur Erhebung der im Forschungsportal zu dokumentierenden Forschungsergebnisse wurde ein mehrstufiges Verfahren angewendet.7 In der ersten Phase der Datenerhebung wurden Forschungsergebnisse zum Thema „Prozessorientierte Verwaltung“ in Publikationen und Beiträgen in vorab von einem Expertenteam identifizierten Konferenzen und Zeitschriften gesucht. Berücksichtigung fanden hierbei Konferenzen und Zeitschriften aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik, Verwaltungsfachtagungen sowie E-Government-Konferenzen. Um in die Datenbasis aufgenommen zu werden, musste das Forschungsergebnis zum einen aus dem Bereich der prozessorientierten Verwaltungsforschung stammen; zum anderen musste sich das Forschungsergebnis entweder auf Deutschland beziehen oder der Forscher musste in Deutschland forschen bzw. arbeiten. Mit Hilfe der Ergebnisse der ersten Phase konnten Suchbegriffe entwickelt werden, mit denen systematisch große Projekt- und Literaturdatenbanken nach weiteren einschlägigen Beiträgen durchsucht wurden. Alle gefundenen Treffer dieser zweiten Phase wurden manuell bewertet und, sofern sie auf die genannten Auswahlkriterien passten, im Portal dokumentiert. Ausgehend von den gefundenen Ergebnissen endete diese Suchphase mit einer Schneeballsuche, in der über die Nachverfolgung von Beziehungen zwischen Forschungsergebnissen, Projekten, Forschern und Publikationen weitere relevante Forschungsergebnisse identifiziert werden konnten. Die dritte Phase umfasste eine Verifizierung der erhobenen Daten durch die identifizierten Forscher. Die dabei als in Deutschland mit der prozessorientierten Verwaltung befasste Forscherinnen und Forscher identifizierten Personen wurden elektronisch angeschrieben und gebeten, zum Zweck der Qualitätssicherung der Daten die mit ihnen verknüpften Angaben im Forschungsportal zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren. Ferner wurde um Ergänzung der Datenbasis gebeten, wenn Forschungsergebnisse bis dato nicht erfasst wurden. Die Datenbasis der Internetplattform konnte dadurch nochmals ausgeweitet werden.
[6]
Am Stichtag 14. April 2010 umfasste die Datenbasis des Forschungsportals 115 Projekte und 155 Forschungsergebnisse neben 143 Organisationen, 215 Personen und 104 Publikationen. Diese Daten wurden mit Hilfe der integrierten Berichtsfunktion des Forschungsportals ausgewertet. Die Analyseergebnisse erlaubten eine Überprüfung der Eingangshypothesen zum Status quo der Forschung zur prozessorientierten Verwaltung und eine begründete Ableitung von Handlungsempfehlungen für die zukünftige Ausrichtung der Forschung.

3.

Status quo und Forschungslücken ^

3.1.

Theoretische Grundlagen ^

[7]
Bei der Untersuchung der 155 verschiedenen Forschungsergebnisse konnte ein signifikanter Mangel an Forschungsergebnissen festgestellt werden, die theoretische Grundlagen der prozessorientierten Verwaltung präsentieren. Die bisherige Forschung konzentriert sich überwiegend auf praktische Umsetzungen (50%) und empirische Untersuchungen (23%), gefolgt von Modellen oder Methodenentwicklungen (zusammen 22%). Nur vereinzelt existieren Forschungsvorhaben, die sich mit Terminologien der prozessorientierten Verwaltung beschäftigen oder Literaturanalysen durchführen. Es konnten keine Forschungsvorhaben identifiziert werden, welche die Entwicklung von Theorien zum Ziel haben. Theorien sind im Rahmen wissenschaftlicher Forschungsarbeiten aber unabdingbar, sie besitzen einen Erklärungswert, ermöglichen Prognosen und stellen die Basis für weitergehende replizierbare Forschungen dar.
[8]
Die prozessorientierte Verwaltungsforschung nimmt häufig Bezug auf theoretische Grundlagen verwandter Disziplinen wie beispielsweise Verwaltungswissenschaft, Politikwissenschaft oder (Wirtschafts-)Informatik. Erkenntnisse, die im Rahmen von empirischen Untersuchungen gewonnen werden können, werden jedoch kaum zur Bildung spezifischer Theorien für die prozessorientierte Verwaltung verwendet. So mangelt es an einer einheitlichen Terminologie und gedanklichen Modellen in der Forschungslandschaft. Das ist unter anderem auch auf fehlende Anreize durch entsprechende Förderprogramme zurückzuführen; solche konnten im Rahmen der Erhebung für Deutschland für die Forschungsdisziplin nicht identifiziert werden. Dennoch werden bei fast 36% der Forschungsergebnisse Methoden und Instrumente für die prozessorientierte Verwaltung entwickelt oder angepasst, ohne dass ein theoretisch fundierter Vergleich zwischen Verwaltung und anderen Branchen existiert. Daraus lässt sich folgende Handlungsempfehlung ableiten:

Die Entwicklung einer „E-Government-Theorie“ und entsprechender Terminologien sollte fokussiert und gezielt gefördert werden.

[9]
Die identifizierte Forschungslücke sollte mit verschiedenen kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen adressiert werden, um die identifizierten Potenziale zu heben. So sollten kurzfristig die für den Forschungsbereich relevanten Theorien aus den beteiligten Forschungsdisziplinen zusammengetragen werden. Mittelfristig sollten diese Theorien zielgerichtet angewendet werden, im Idealfall im Rahmen von speziell geschaffenen Forschungsprogrammen durch öffentliche Auftraggeber, damit eine identitätsstiftende Forschungs- und Förderungskultur entsteht. Langfristig sollte so eine „E-Government-Theorie“ entwickelt werden, welche von der gesamten Forschungscommunity akzeptiert, genutzt und weiterentwickelt wird.

3.2.

Praxiserprobung ^

[10]
Die im Rahmen der Erhebung analysierten Daten weisen auf eine Vielzahl praktischer Umsetzungen unter den Forschungsvorhaben hin. Der Praxiseinsatz dieser Umsetzungen wird jedoch selten evaluiert. Obwohl rund 50% der Forschungsergebnisse eine IT-technische oder sonstige praktische Umsetzung zum Ziel haben, wurde nur für 30% der Ergebnisse eine tatsächliche Praxiserprobung dokumentiert. Wird ferner die Anzahl der Erprobungen für die einzelnen Forschungsergebnisse einbezogen, kann festgestellt werden, dass lediglich bei 12% der Forschungsergebnisse mehr als eine Praxiserprobung festgehalten wurde.
[11]
Relativierend muss angeführt werden, dass einige Forschungsergebnistypen eine Praxiserprobung von vornherein ausschließen, so können beispielsweise empirische Untersuchungen sowie Literaturanalysen keine Praxisanwendung erfahren. Dies einbeziehend verbleiben aber weitere ca. 25% an Ergebnissen, für die keine Angaben zur Praxiserprobung vorliegen. Sowohl die eigene Recherche als auch die Konsultation der beteiligten Forscher konnte diese Lücke nicht vollständig schließen. Der trotz dieser Relativierung beachtliche Anteil an Forschungsergebnissen, zu denen keinerlei Aussage zur erfolgten oder nicht erfolgten Praxiserprobung vorliegt, motiviert die folgende Handlungsempfehlung:

Die Durchführung und Dokumentation der praktischen Evaluation von Forschungsergebnissen sollte zukünftig stärker in den Vordergrund rücken.

[12]
Kurzfristig ist es das Bestreben, die entwickelte Datenbasis im Forschungsportal zu verbessern und zu verbreitern, um die Unsicherheit bezüglich fehlender Angaben zu verringern. Darüber sollten die Forscher angehalten werden, zukünftige Projekte diesbezüglich besser zu dokumentieren. Um dies nicht nur dem eigenen Antrieb zu überlassen, sollten Forschungsförderer hierzu explizite Kontrollpunkte in geschlossenen Projektvereinbarungen verankern und auch über die Projektlaufzeit hinaus auf eine Dokumentation bestehen. Die Verbesserung der Dokumentation der Praxiserprobung sollte ferner durch die Etablierung einer dezidierten Tagung oder einer wissenschaftlichen Zeitschrift zum Thema prozessorientierte Verwaltung bzw. Prozessorientierung im E-Government angestrebt werden. Dies kann beispielsweise auch durch den Ausbau bestehender, thematisch geeigneter Tracks auf bekannten Tagungen erfolgen. Dadurch würde die Bildung einer vernetzten Forschungsgemeinschaft zu diesem Thema weiter unterstützt.

3.3.

Wiederverwendung von Forschungsergebnissen ^

[13]
Die Analyse der Daten zeigt einen Mangel in der Wiederverwendung von Forschungsergebnissen auf. Sofern ein praktischer Einsatz stattfindet, handelt es sich in der überwiegenden Mehrheit der Fälle um einen einmaligen Einsatz (61%). Zu weiteren 20% der Forschungsergebnisse finden zwei bis fünf praktische Erprobungen statt. Nur 19% der Praxiserprobungen weisen eine höhere Wiederverwendung als fünf Instanzen auf; dies entspricht rund 5% der gesamten identifizierten Forschungsergebnisse. Dieses Ergebnis kann zum Teil auf eine fehlende Dokumentation entsprechender Praxiseinsätze im Sinne der Wiederverwendung zurückzuführen sein (vgl. die Ausführungen zur Praxiserprobung). Dadurch lassen sich die Ergebnisse jedoch nicht vollständig erklären. Vielmehr ist zu vermuten, dass in der Mehrheit der Fälle ein kontinuierlicher Einsatz sowie eine Verbreitung der erzielten Forschungsergebnisse ausbleiben. Auf diese Weise können jedoch die Potenziale der Ergebnisse nicht ausgeschöpft werden – einerseits findet keine Weiterentwicklung bereits fertiggestellter Ergebnisse statt, andererseits kommen die ökonomischen Vorteile einer Lösung nur begrenzt zum Einsatz. Dies kommt vor allem bei IT-technischen Umsetzungen zum Tragen, die immerhin 40% der identifizierten Forschungsergebnisse ausmachen. Darüber hinaus kann es durch fehlende Dissemination und Kommunikation der Ergebnisse zu unnötiger Doppelarbeit kommen, wenn existierende Lösungen nicht bekannt sind und neue Ergebnisse für ähnliche oder gar gleiche Problemstellungen entwickelt werden. Gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung bestehen jedoch strukturelle Ähnlichkeiten, um Forschungsergebnisse auf andere Fachlichkeiten, Kommunen oder Verwaltungsebenen übertragen zu können. So ergibt die Analyse der ebenfalls in der Studie berücksichtigten Beschreibungsdimensionen zur Fachlichkeit, dass sich 37% aller Forschungsergebnisse auf alle Fachlichkeiten anwenden lassen. 29% aller Ergebnisse lassen sich auf mehrere Fachlichkeiten anwenden und nur knapp 19% beziehen sich ausschließlich auf eine einzelne Fachlichkeit. Auch die genauere Aufschlüsselung auf Ebene der kommunalen Fachlichkeiten und auf Ebene der Fachlichkeiten in Bund bzw. in den Ländern unterstreicht dieses Bild bzw. zeigt keine abweichenden Trends. Viele Ergebnisse wurden mehrfach bzw. keinen einzelnen, sondern allen Fachlichkeiten auf der jeweiligen Verwaltungsebene zugeordnet. Weiterführend zeigt die statistische Auswertung der erfassten Forschungsergebnisse im Bereich der mit einem Forschungsergebnis adressierten Unternehmen – sofern Unternehmen als Kunden das Forschungsergebnis betrifft – eine nahezu ausgeglichene Häufigkeitsverteilung und damit auch an dieser Stelle eher generische Ansätze: Kleinstunternehmen wurden für 20 Forschungsergebnisse als Adressat genannt, kleine Unternehmen für 23, mittlere für 27 und große Unternehmen für 26 der Forschungsergebnisse.
[14]
Diese hohe Anzahl von Forschungsergebnissen, die augenscheinlich sehr generisch entwickelt wurden und damit breit anwendbar sind, unterstreicht, dass das Potenzial zur Wiederverwendung von Forschungsergebnissen bisher keineswegs ausgeschöpft wird und lässt folgende Handlungsempfehlung zu:

Forschungsergebnisse sollten besser kommuniziert und die Wiederverwendung von bestehenden Ergebnissen ausdrücklich gefördert werden.

[15]
Kurzfristig sollte untersucht werden, inwieweit das hier zu Tage getretene Potenzial zur Wiederverwendung von Forschungsergebnissen tatsächlich erschließbar ist. Sind die entwickelten Forschungsergebnisse tatsächlich so breit wiederverwendbar, wie es derzeit zu vermuten ist, oder ist dies bei genauerer Betrachtung zu relativieren? Gegebenenfalls sollten insbesondere Forschungsmittelgeber eine gezielte Wiederverwendung von bestehenden Ergebnissen anmahnen und befördern, beispielsweise durch Analysen über bestehende Forschungsergebnisse und deren Wiederverwendungspotenzial als Bestandteil von ausgeschriebenen Projekten und Fördermaßnahmen. Schlussendlich ist auch im Rahmen dieser Handlungsempfehlung die verstärkte Vernetzung der Forscherinnen und Forscher sowie die Vernetzung von Wissenschaft und Praxis ein Erfolgsfaktor, den es zu adressieren gilt.

3.4.

Marketing ^

[16]
Nur zwei der erfassten Forschungsergebnisse beschäftigen sich mit Aspekten des Marketings. In diesem Themenfeld sind die Bereiche „Prozessmanagement als Wettbewerbsvorteil“ und „Öffentlichkeitsarbeit zur Prozessorientierten Verwaltung“ neben sonstigen Aspekten des Marketing zusammengefasst. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht verwunderlich, dass Verwaltungen häufig kaum in der Lage sind, auch erfolgreiche Maßnahmen der prozessorientierten Reorganisation entsprechend nach außen zu kommunizieren. Der erhebliche Aufwand, der mit diesen Maßnahmen verbunden ist, bleibt so für Bürger, Unternehmen und Politik häufig unbemerkt. Angesichts des erheblichen Aufwands der prozessorientierten Reorganisation, wäre es ratsam, die Vorteile, die mit diesen Kosten verbunden sind, der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Um auf Ergebnisse aufmerksam zu machen, Transparenz über das Verwaltungshandeln zu schaffen und das Vertrauen aller Beteiligten in die vorhandenen Lösungen zu stärken, sollte das Marketing verstärkt berücksichtigt werden. So könnte Prozessmanagement als Wettbewerbsvorteil erkannt und kommuniziert werden, was folgende Handlungsempfehlung zusammenfasst:

Marketingmaßnahmen mit Bezug zur prozessorientierten Verwaltung sollten verstärkt zum Gegenstand der Forschung gemacht werden.

[17]
In künftigen Forschungsvorhaben sollte die Frage untersucht werden, inwiefern Maßnahmen der prozessorientierten Verwaltung dazu verwendet werden können, das Image der umsetzenden Organisation zu verbessern. Hierzu sollten in einem ersten Schritt Best Practices für die Öffentlichkeitsarbeit zur prozessorientierten Verwaltung identifiziert und analysiert werden. Dies vertiefend, sollten Forschungsprojekte in diesem Kontext zielgerichtet wissenschaftlich begleitet werden. Dabei sollten die Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit um diese Projekte herum herausgearbeitet werden. Weiterhin sollte auch die Kundenperspektive der Verwaltungen in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden. So wäre es beispielsweise interessant, die Zahlungsbereitschaft8 der verschiedenen Akteure für Maßnahmen der prozessorientierten Verwaltung zu ermitteln oder deren Zufriedenheit mit einzelnen Maßnahmen zu messen. Mittelfristig sollte aus diesen grundlegenden Arbeiten eine ganzheitliche Strategie für Marketingmaßnahmen zur Bekanntmachung der Bemühungen und Erfolge rund um die prozessorientierte Gestaltung öffentlicher Verwaltungen entwickelt werden. Langfristig könnte so ein Verständnis von Prozessorientierung in Verwaltungen als Wettbewerbsvorteil etabliert werden.

3.5.

Akzeptanz und Erfolgswirkung ^

[18]
Für eine erfolgreiche Umsetzung von Maßnahmen der prozessorientierten Verwaltung ist es auch notwendig, sich mit deren Assessment zu beschäftigen. Dieses Forschungsfeld wurde in der Studie in Form der Beschreibungsdimensionsausprägungen „Qualitätskriterien für Prozessmanagement-Ergebnisse“, „Bewertung von Methoden“ und „sonstige Aspekte des Assessments“ berücksichtigt. Zum Auswertungsstichtag wurden diese Forschungsaspekte jedoch nur von 3% der identifizierten Forschungsergebnisse adressiert. Ohne die Erforschung von Kriterien zur Erfolgskontrolle ist es nicht möglich, die Erfolgswirkung einer Maßnahme zu bewerten oder im Rahmen eines Benchmarking verschiedene Maßnahmen miteinander zu vergleichen. Auch die Akzeptanz einzelner Maßnahmen bei internen und externen Akteuren kann ohne geeignete Rahmenkriterien nicht erfasst werden. Es ist daher notwendig, geeignete Kriterien zur Bewertung von Methoden und Ergebnissen für die prozessorientierte Verwaltung zu entwickeln bzw. bewährte Kriterien anderer Bereiche zu prüfen und anzupassen. Dies führt zu folgender Handlungsempfehlung:

Die Akzeptanz und die Erfolgswirkung von Maßnahmen der prozessorientierten Verwaltung und ihre methodische Erhebung sollten verstärkt erforscht werden.

[19]
Kurzfristig sollten die Faktoren, welche die Akzeptanz von entwickelten Anwendungen beeinflussen – nach Anwendungsgruppen gegliedert – identifiziert und typologisiert werden, um darauf aufbauend mittelfristig Erfolgsfaktoren, Kriterien und Gestaltungsempfehlungen für eine prozessorientierte Verwaltung geben zu können. Langfristig sollte so ein ganzheitliches Controllingkonzept für die prozessorientierte Verwaltung entwickelt werden.

4.

Fazit und Ausblick ^

[20]
Die Prozessorientierung in öffentlichen Verwaltungen rückt zunehmend in den Fokus sowohl in der Forschung als auch in der Praxis. Den Status quo der Forschungsperspektive aufzubereiten war das Ziel der Studie im Auftrag des Bundeministeriums des Innern. Zahlreiche Projekte und Ergebnisse forcieren die Arbeit in dieser Forschungsdisziplin; eine klare, strukturierte, die Disziplin leitende Forschungsagenda existiert aber noch nicht.9 Dies wird sowohl in der bisher mangelnden Erarbeitung einer gemeinschaftlichen theoretischen Basis und der geringen Wiederverwendung von bereits entwickelten Forschungsergebnissen deutlich, als auch in der geringen Erprobung in der Praxis. Verschärft wird dieser Umstand durch die bisher geringe Vermarktung der Ergebnisse der prozessorientierten Verwaltung. Eine verstärkte Erfolgsmessung könnte zukünftig dazu beitragen, Kernbotschaften zu formulieren, die der Vermarktung hilfreich sind.
[21]
Die weiteren, hier nicht vorgestellten Ergebnisse der Studie haben insbesondere gezeigt, dass die Forschung zur prozessorientierten Verwaltung von einer schwachen Vernetzung der beteiligten Forscher geprägt ist. Aspekte wie die Entwicklung oder Nutzung von Standards, die Forschung an übergreifenden Prozessketten, an den Schnittstellen der Verwaltungen zu spezifischen Akteuren, der Integration von weiteren Perspektiven wie der Finanzflusssicht, des Rechts oder des Risikomanagements weisen ebenso Forschungspotenziale auf wie die Arbeit an einem langfristigen, kontinuierlichen Prozessmanagement für die öffentlichen Verwaltungen. Ferner spielt das Prozessmanagement bzw. das Anwerben von Prozessmanagern derzeit für den Arbeitsmarkt der öffentlichen Verwaltungen keine Rolle in der Forschung.
[22]
Diese Erkenntnisse aufgreifend kann das der Analyse zugrunde liegende, onlinebasierte Forschungsportal die Basis für einen wachsenden Austausch über die relevanten Forschungsergebnisse befördern und so als ein Instrument für die Bildung einer Forschungsgemeinschaft der prozessorientierten Verwaltung dienen und ausgebaut werden.

5.

Literatur ^

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  1. 1 Vgl. Becker, Heide, Hofmann, Jurisch, Knackstedt, Krcmar, Ley, Räckers, Thome, Wolf (2011).
  2. 2 Vgl. z. B. Becker, Algermissen, Falk (2009); Becker, Pfeiffer, Falk, Räckers (2010); Wolf, Jurisch, Krcmar (2010).
  3. 3 Die Softwareinfrastruktur yourResearchPortal.com wurde auf der IRIS in dem Beitrag von Becker, Eggert, Knackstedt (2010) ausführlich vorgestellt. Ihre Anwendung im Bereich der Rechtsinformatik und des Informationsrechts wird in Knackstedt, Eggert, Gräwe, Spittka (2010) diskutiert. Zu den Grenzen dieses Ansatzes vgl. kritisch das Vorwort in Forgó, Holzweber, Reitbauer (2011). Die Entwicklung von yourResearchPortal.com am ERCIS der Universität Münster wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Projekts „Flexible Informationssystem-Architekturen für hybride Wertschöpfungsnetzwerke (FlexNet)“ (Förderkennzeichen: 01FD0629) gefördert. Im Rahmen dieses Projekts wurde yourResearchPortal.com insbesondere zum Aufbau der Forschungslandkarte der hybriden Wertschöpfung (http://forschungslandkarte-hybride-wertschoepfung.de) genutzt. Im Rahmen des ebenfalls vom BMBF geförderten Forschungsprojekts „Integration von technischen Geräten/Problemlösungen in den Kontext von personenbezogenen Dienstleistungen (Tech4p)“ wird gegenwärtig an einer Weiterentwicklung der Infrastruktur gearbeitet.
  4. 4 In einer bisher unveröffentlichten empirischen Erhebung wurde die Funktionalität eines mit yourResearchPortal.com implementierten Forschungsportals mit über 800 Forschungsportalen, die mittels einer systematischen Internetsuche identifiziert wurden, verglichen. Zur typischen Funktionalität von Forschungsportalen und zu deren Reife vgl. auch Knackstedt, Lis, Stein, Becker, Barth (2009) bzw. Becker, Knackstedt, Lis, Stein (2010).
  5. 5 Zu den Potenzialen dieser Auswertungswerkzeuge vgl. den Beitrag zur Visualisierung von Forschungsergebnissen des multisensorischen Rechts in diesem Tagungsband der IRIS 2012 von Knackstedt, Heddier und Heide unter dem Titel „Research Portal Multisensory Law und http://www.yourresearchportal.com“.
  6. 6 Vgl. z.B. die Forschungsperspektiven in Janssen, Charalabidis, Kuk, Cresswell (2011).
  7. 7 Die strukturierte Datensammlung orientierte sich an den Leitlinien in vom Brocke, Simons, Niehaves, Riemer, Plattfaut, Cleven (2009).
  8. 8 Zur Messung von Zahlungsbereitschaften vgl. ausführlich Backhaus, Becker, Beverungen, Frohs, Knackstedt, Müller, Steiner, Weddeling (2010).
  9. 9 Auch die weiteren, in diesem Beitrag nicht näher vertieften Forschungslücken, die in der Studie identifiziert wurden, manifestieren diese Erkenntnis. Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den weiteren Erkenntnissen sei auf die Gesamtstudie verwiesen, vgl. Becker, Heide, Hofmann, Jurisch, Knackstedt, Krcmar, Ley, Räckers, Thome, Wolf (2011).