Jusletter IT

Die Entwicklung einer Prozessbibliothek für das Land Berlin

  • Author: Dagmar Lück-Schneider
  • Category: Short Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Wissensbasiertes Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Dagmar Lück-Schneider, Die Entwicklung einer Prozessbibliothek für das Land Berlin, in: Jusletter IT 29 February 2012
In diversen Trägerschaften entstanden oder entstehen derzeit Prozessregister und Prozessbibliotheken zu Verwaltungsprozessen, so auch in Berlin. Der Beitrag beleuchtet zum einen die Entstehungshintergründe für das Land Berlin. Zum anderen geht er der Frage nach, welche Rolle Prozessbeschreibungs-, Modellierungs- und Austauschstandards in diesem Kontext spielen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ausgangslage
  • 2. Berliner Entscheidungsgrundlage
  • 3. Austausch mit anderen Bibliotheken
  • 4. Fazit
  • 5. Literatur

1.

Ausgangslage ^

[1]
Um die Jahrtausendwende befassten sich erste Verwaltungen, so auch die von Berlin, erstmals mit der Optimierung einiger ihrer Verwaltungsprozesse1 . Inzwischen sind die Entwicklungen weiter vorangeschritten und Prozessanalysen werden in einem weit größeren Rahmen gesehen.
[2]
Zweifellos lassen sich über die genaue Kenntnis nicht nur einzelner Geschäftsprozesse vielfältige Modernisierungsschritte anstoßen. Zum einen ergibt sich hieraus Hintergrundwissen für Neustrukturierungen sowohl der Organisationsstrukturen als auch der Prozesse selbst. Zum anderen lassen sich hierüber sowohl Standardisierungen als auch die Entwicklung oder Anpassung von informationstechnischen (IT) Unterstützungen der Prozesse vorantreiben. Ebenso ist ein umfassendes Prozesswissen eine Voraussetzung dafür, auf veränderte politische Rahmenbedingungen schnell und flexibel reagieren zu können.
[3]
Darüber hinaus stellen gute Prozessmanagementwerkzeuge Oberflächen zur Verfügung, mit denen sich alle Beteiligten Prozessmodelle, also visualisierte Darstellungen der Prozessinformationen, anzeigen lassen können. Sofern gewünscht, können diese auch die bei den jeweiligen Prozessschritten erforderlichen Informationen und Dokumente sowie eine Aufrufmöglichkeit der jeweiligen IT-Unterstützung umfassen2 . In jedem Fall lässt sich über diese relativ schnell verständlichen Darstellungsformen eine hohe Transparenz im Verwaltungshandeln herstellen.
[4]
Dass das Thema von hohem nationalen Belang ist, sieht man daran, dass auch in der 2010 beschlossenen neuen Nationalen E-Government-Strategie des Bundes die Bedeutung von Geschäftsprozessanalysen und -management für die Verbesserung sowohl interner Verwaltungsprozesse als auch für solche zwischen Verwaltung und Unternehmen oder Bürgern und im Hinblick auf Transparenz gesehen wird3 .
[5]
Schon im vergangenen Jahr betonten wir in diesem Zusammenhang die Bedeutung einheitlicher Standards „in der Methodik (z.B. zu Prozessanalysen und Datenaustauschstandards für Prozessbeschreibungen) … Dies würde den Aufbau und die Akzeptanz einer gemeinsamen Wissensdatenbank unterstützen, in die alle Beteiligte ihr Prozesswissen einbringen und die sie zugleich als Auskunftsplattform nutzen könnten. Insbesondere vor dem Hintergrund der gewünschten Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen ließen sich unnötige Reibungspunkte vermeiden. Eine Festlegung auf gemeinsame Werkzeuge wäre nicht erforderlich, sofern diese die zu vereinbarenden Standards unterstützen würden“4 .
[6]
Dennoch entstanden oder entstehen derzeit in diversen Trägerschaften Prozessregister und Prozessbibliotheken zu Verwaltungsprozessen5 , so auch in Berlin. Über diese lassen sich sowohl strukturierte Informationen zu den eingebrachten Prozessen – im Folgenden Prozessregisterdaten genannt – als auch die Prozessbeschreibungen selbst – in diversen Formaten textuell oder in Modellen denkbar – abrufen. Dabei werden unterschiedliche Zugangs- und Aufrufmöglichkeiten unterstützt.
[7]
Es liegt nahe, nach den Entstehungsursachen zu fragen. Zumindest für die Entwicklungen in Berlin kann dieser Beitrag eine Antwort geben.

2.

Berliner Entscheidungsgrundlage ^

[8]
So gab es in Berlin einen konkreten Projektanlass zum Aufbau einer Prozessbibliothek. Am 14. Mai 2009 beschloss das Abgeordnetenhaus Berlin den Aufbau einer einheitlichen Ämterstruktur in Verbindung mit einer nachhaltigen Verfahrensmodernisierung. In dem Beschluss heißt es u.a.:
[9]
„Insbesondere sollen
  • alle in den Bezirken bisher in den gleichen Angelegenheiten praktizierten Verfahren miteinander unter dem Anspruch der Bürger- und Wirtschaftsfreundlichkeit sowie der Kostenminimierung verglichen,
  • daraus für alle Bezirke verbindliche und vereinfachte einheitliche Verfahren entwickelt,
  • eine grundsätzliche Plausibilitätsprüfung für jedes Verfahren unternommen sowie
  • Konsequenzen für die Verfahrensvereinfachung der gesamten Handlungsstränge – also auch für das Handeln der beteiligten Hauptverwaltung – gezogen werden“.6

 

[10]

D.h. Standardisierungsbestrebungen über die Berliner Bezirke hinweg gaben den Anstoß zu umfassenden Analysen. Darüber hinaus richtet sich ein Blick auf eine möglichst einheitliche und kostengünstige IT-Unterstützung bis hin zu einer optimalen Prozessunterstützung der Berliner Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter.

[11]
Diese Ziele erfordern eine bezirksübergreifende Erarbeitung und Zusammenstellung der entsprechenden Verfahren und eine diese aufnehmende Prozessbibliothek ist mit möglichst wenigen Reibungspunkten nur in einer Eigenentwicklung zu realisieren oder aber in einem verteilten Angebot, in dem man über dem eigenen Segment volle Rechte besitzt. Schließlich stellt ein solch umfassend gedachtes System eine wichtige Steuerungsfunktion bereit, dessen Bestand gesichert sein muss. Ferner muss das System stets aktuell sein und beim Auftreten eines Fehler- oder Anpassungsfalles muss die jeweilige Institution hierauf schnell Einfluss nehmen können. Dies darf nicht von externen Faktoren abhängen oder durch solche verzögert werden. Aus demselben Grund sichern sich Städte i.d.R. auch in anderen Infrastrukturentscheidungen (Energie, Wasser, Abfallentsorgung, Wegenetz, Informations- und Kommunikationsnetze) ab.

3.

Austausch mit anderen Bibliotheken ^

[12]
Die Prozesserhebung als solche ist zeitintensiv und anspruchsvoll und somit mit Investitionen verbunden. Einmal mit entsprechendem Aufwand analysierte Prozesse und Prozessbeschreibungen rufen das Interesse auch anderer Prozessbibliotheken hervor, die zum Beispiel aus Forschungsgründen oder aber auch zur Erzielung von Synergie-Effekten betrieben werden. Letzteres ist schließlich durch die neu geschaffenen Grundgesetzartikel 99c und 99d staatlicherseits gewünscht.
[13]
Bei der Teilung des (Prozess-)Wissens steht daher sofort die Frage nach dem eigenen institutionellen und persönlichen sowie dem möglichen Fremdnutzen im Raum. So können die erarbeiteten Prozesse für andere gegebenenfalls ähnliches Modernisierungspotenzial bei deutlich geringerem Analyseaufwand bergen.
[14]
Darüber hinaus kennt die Forschung viele weitere Hemmnisse, die einer Teilung von Wissen entgegenstehen.7 Im Rahmen dieses Beitrages sollen nur die organisatorischen Hemmnisse herausgegriffen werden. Diese stehen einer Wissensteilung selbst dann im Wege, wenn prinzipiell eine Zustimmung zur Wissensteilung vorhanden ist.
[15]
So ist die Bereitstellung der erarbeiteten Prozessregisterdaten und Prozessbeschreibungen in eine vorhandene Prozessbibliothek in aller Regel mit zusätzlichem Aufwand verbunden, der die Bereitschaft hierzu naturgemäß sinken lässt. Dies ist umso verständlicher, als die angespannte Personalsituation in den Verwaltungen zusätzliche Aufgabenübernahmen nahezu ausschließt. Zu den anfallenden Aufgaben können Anpassungen an in der Zielbibliothek vorherrschende Standards und Bezeichner, eine vorgegebene Verschlagwortung, die Abklärung der Freigabe des Prozesses zu einer umfassenderen Veröffentlichung, der Versand der Informationen und fortlaufende Aktualisierungen zählen.
[16]
Unabhängig hiervon setzt eine bibliotheksübergreifende Zusammenarbeit zu Prozessgestaltungen zunächst ein einfaches Austauschen der hierfür relevanten Informationen voraus. Das erfordert Beschreibungs- und Austauschstandards für die Prozessregisterdaten. Diese sollten zudem Rücksicht auf bereits bestehende, vorhandene Standards nehmen. So fließen in die Berliner Prozessregisterdaten etliche Informationen aus dem Berliner Leistungskatalog automatisch ein.
[17]
Zum schnelleren Erfassen der eingebrachten Prozessmodelle sind ferner Modellierungsstandards zu fordern. Diese sollten Vorgaben zur Verwendung von Symbolen, zur Flussrichtung, zur Festlegung von Bezeichnern unterschiedlicher Objekte (z.B. Aktivitäten, Steuerungssymbole, Prozesse, Subprozesse) machen, aber auch Hilfen zur gewünschten Granularität der Modelle geben.8
[18]
Insgesamt birgt der mit Geschäftsprozessmanagement verbundene Aufwand allerdings auch etwas Positives. Er zwingt, den Blick immer wieder auf die Ziele zu richten, die hinter dem Aufbau einer Prozessbibliothek stehen. So warnt Lenk vor der „Gefahr einer übergründlichen Fleißarbeit ähnlich der Erstellung der so genannten Produktkataloge im vergangenen Jahrzehnt“ und empfiehlt stattdessen, „einige wenige Verfahrensverknüpfungen ausfindig zu machen, deren Neugestaltung schnell greifbaren Nutzen ergibt“9 . – In Berlin wurden in einem aus dem eingangs dargestellten Beschluss hervorgegangenen Teilprojekt die 100 wichtigsten Prozesse identifiziert10 .

4.

Fazit ^

[19]
Geschäftsprozessmanagement kann zur Standardisierung von Verwaltungsverfahren und zur wirtschaftlichen Bereitstellung von E-Government-Lösungen beitragen. In diesem Kontext macht der Aufbau einer landesweiten Prozessbibliothek für Berlin Sinn.
[20]
Ein darüber hinausgehender Austausch von Prozessregisterdaten und Prozessbeschreibungen, z.B. um Vergleiche zwischen verschiedenen Bundesländern oder Städten und weitere Standardisierungen durchzuführen, sollte durch verbindliche Modellierungs- und Austauschstandards generell ermöglicht bzw. erleichtert werden.

5.

Literatur ^

Abgeordnetenhaus Berlin, Einheitliche Ämterstruktur mit nachhaltiger Verfahrensmodernisierung verbinden. Beschluss Nr. 2009/47/15, Drs 16/2132 (2009).

Dadam, P., Reichert, M., Rinderle-Ma, S., Prozessmanagementsysteme, Informatik Spektrum 34 (4), S. 364–376 (2011)

Falck, M., Der steinige Weg von der Theorie in die Praxis – Ein Bericht aus der Verwaltung des Landes Berlin über die Einführung des Geschäftsprozessmanagement. In: Klischewski, R., Wimmer, M. (Hrsg.), Wissensbasiertes Prozessmanagement im E-Government. (E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors, Bd. 4), Lit Verlag, Münster, S. 207–214 (2004).

Lenk, K., Bürokratieabbau durch E-Government. In: Brüggemeier, M., Lenk, K., Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug. Better Regulation zwischen Go-Government und No-Government (E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors, Bd. 12), Berlin: Sigma, S. 41–82 (2010).

Lück-Schneider, D., Schneider, W., Die neue E-Government-Strategie des Bundes, der Länder und Kommunen in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Prozessmanagement im Verwaltungsumfeld. In: Schweighofer, E., Kummer, F. (Hrsg.), Europäische Projektkultur als Beitrag zur Rationalisierung des Rechts (Tagungsband des 14. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2011), books@ocg.at, Wien, S. 381–382 (2011).

Seidel, M., Die Bereitschaft zur Wissensteilung. Rahmenbedingungen für ein wissensorientiertes Management (Dissertationsschrift, Universität der Bundeswehr, München), Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden (2003).

Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin (Hrsg.). Projektauftrag. „Nachhaltige Verfahrensmodernisierung. Einheitliche Ämterstruktur der Bezirke unterstützen.“ (Projekt NVM). Version 1.0 (2011). Zugriff am 11.11.2011 unter:http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/abteilungzs/verwaltungsverfahren/doc20110411100538.pdf?start&ts=1302592568&file=doc20110411100538.pdf.

  1. 1 Vgl. Falck, M., Der steinige Weg von der Theorie in die Praxis – Ein Bericht aus der Verwaltung des Landes Berlin über die Einführung des Geschäftsprozessmanagement. In Klischewski, R., Wimmer, M. (Hrsg.), Wissensbasiertes Prozessmanagement im E-Government. (E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors, Bd. 4), Lit Verlag, Münster, S. 207–214 (2004), S. 207 ff.
  2. 2 Vgl. Dadam, P., Reichert, M., Rinderle-Ma, S., Prozessmanagementsysteme. Informatik Spektrum 34 (4), S. 364–376 (2011), S. 364 f.
  3. 3 Vgl. Lück-Schneider, D., Schneider, W., Die neue E-Government-Strategie des Bundes, der Länder und Kommunen in Deutschland und ihre Auswirkungen auf Prozessmanagement im Verwaltungsumfeld. In Schweighofer, E., Kummer, F. (Hrsg.) Europäische Projektkultur als Beitrag zur Rationalisierung des Rechts (Tagungsband des 14. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2011), Riegelnik: Wien, S. 381–382 (2011).
  4. 4 Ebd., S. 283.
  5. 5 Zu nennen sind beispielsweise die noch im Aufbau befindliche Nationale Prozessbibliothek, Entwicklungen in Sachsen und Schleswig Holstein (vgl. Lenk, K., Bürokratieabbau durch E-Government. In: Brüggemeier, M., Lenk, K., Bürokratieabbau im Verwaltungsvollzug. Better Regulation zwischen Go-Government und No-Government (E-Government und die Erneuerung des öffentlichen Sektors, Bd. 12), Sigma, Berlin, S. 41-82 (2010), S. 68) sowie die Prozessbibliothek der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGST), im Internet zu finden unter http://www.kgst.de/produkteUndLeistungen/prozessbibliothek.
  6. 6 Abgeordnetenhaus Berlin, Einheitliche Ämterstruktur mit nachhaltiger Verfahrensmodernisierung verbinden. Nr. 2009/47/15, Drs 16/2132 (2009). Zugriff am 11.11.2011 unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/abteilungzs/verwaltungsverfahren/beschluss_verfahrensmodernisierung.pdf?start&ts=1285670230&file=beschluss_verfahrensmodernisierung.pdf.
  7. 7 Vgl. Seidel, M., Die Bereitschaft zur Wissensteilung. Rahmenbedingungen für ein wissensorientiertes Management (Dissertationsschrift, Universität der Bundeswehr, München), Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden (2003), insbes. Kapitel 3.
  8. 8 Im Kontext des Themenschwerpunktes bildet die Menge der zulässigen Symbole und Bezeichner zusammen mit den Verwendungsregeln eine eigene Sprache.
  9. 9 Lenk (2010), S. 68.
  10. 10 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin (Hrsg.), Projektauftrag „Nachhaltige Verfahrensmodernisierung. Einheitliche Ämterstruktur der Bezirke unterstützen.“ (Projekt NVM), Version 1.0 (2011), Zugriff am 11.11.2011 unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/abteilungzs/verwaltungsverfahren/doc20110411100538.pdf?start&ts=1302592568&file=doc20110411100538.pdf.