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Transformation juristischer Sprachen

  • Author: Erich Schweighofer
  • Category: Short Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Transformation-juristischer-Sprachen
  • Collection: Conference proceedings IRIS 2012
  • Citation: Erich Schweighofer, Transformation juristischer Sprachen, in: Jusletter IT 29 February 2012
Das Recht hat heute noch vornehmlich eine sprachliche Repräsentation und es wird insbesondere mit Sprache kommuniziert. Dies ändert sich und die Repräsentation wird zunehmend vielschichtig, und zwar sowohl in Bezug auf die Form (Textkorpus als Rechtsinformationssystem, Amtshelfer, Formalisierungen, Strukturen, Bilder, Grafiken, Eingabeformulare etc.) als auch das jeweils anwendbare Rechtssystem (Völkerrecht, EU-Recht, innerstaatliches Recht usw.). Eine sprachliche Transformation erfolgt auch bei der Konkretisierung der generellen Norm durch die Praxis und die Gerichte. Die Multilingualität des EU-Rechts bedingt eine Transformation zwischen den Amtssprachen, wobei zunehmend IT-Unterstützung eingesetzt wird. Das Recht wird vielschichtig und multisensorisch: Zur Sprache mit ihren verschiedenen Sprachschichten kommen neben Bildern, Videos, Graphiken etc. auch semantische, d.h. automatisiert verarbeitbare Versionen (Rechtsontologien, logische Strukturen etc.). Diese Vielfalt ermöglicht es, alle Bevölkerungsgruppen anzusprechen und semantisches Verarbeiten der Inhalte zu unterstützen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Tagungsthema
  • 2. Wissensrepräsentation
  • 3. Transformation
  • 4. Zukunft
  • 5. Schlussfolgerungen

1.

Tagungsthema ^

[1]
In juristischen Lehrbüchern wird sehr häufig bei der Interpretation die Figur des Gesetzgebers beziehungsweise des Verfassungsgesetzgebers bemüht. Dieser Gesetzgeber oder besser gesagt dessen Wille muss für alle möglichen Interpretationsvarianten herhalten. Der Gesetzgeber wird zu einem „Übermenschen“, der alle Sachverhalte vorher gesehen hat und diese in kluger Form im Interesse eines gerechten Interessenausgleiches reguliert hat.
[2]
Der Wille aber selbst ist nicht fassbar; er muss ausgedrückt werden, es bedarf eines Kommunikationsaktes. Bisher war der Ausdruck in der Form von Sprache dominant, wenn auch durchaus in mehreren Sprachen (Österreich-Ungarische Doppelmonarchie, heute Belgien, Kanada, Europäische Union, aber auch das Internationales Recht der Vereinten Nationen). Mit der juristischen Sprache alleine findet man aber heute nicht mehr das Auslangen.
[3]
Die sehr technische Rechtssprache ist für die Mehrheit von Bürgern nicht mehr gut verständlich. Daher bedarf es der einfacheren Darstellung in Form von Lebenssituationen (wie bei HELP.gv.at oder auf den Homepages der jeweiligen Regulatoren). Der Fokus ist ebenfalls ein anderer. Die Standardsituation steht als Prozess im Vordergrund, während bei juristischen Darstellungen reale und mögliche Streitfälle dominieren. Die Darstellung hat als Ziel die Unterstützung des gerechten und fairen Interessenausgleichs in einer sozialen Marktwirtschaft.
[4]
Neben Text wird die visuelle Darstellung immer wichtiger (Verkehrsregeln, Benutzungsregeln des öffentliches Verkehrsnetz, etc.). Langwierig, aber stetig, steigt die Rolle von Fotos und Videos in der Dokumentation relevanter Sachverhalte und Verhandlungen.
[5]
Computergerechte Repräsentationen in Form von juristischen Ontologien gewinnen ebenfalls an Bedeutung. Durch die notwendige Rationalisierung im öffentlichen Sektor bedarf es nunmehr zunehmend einer Automatisierung. Diese kann in rechtlich korrekter Form nur dadurch erfolgen, dass ein Computerprogramm die Rolle des jeweiligen Verwaltungsbeamten übernimmt. Diese Darstellungsformen gibt es schon seit Beginn der Nutzung von Informatik in der öffentlichen Verwaltung, wie auch der erste Beitrag zur Rechtsinformatik in Deutschland von Herbert Fiedler im Jahre 19621 zeigt. Wie bei der Repräsentation durch Lebenssituationen steht die Standardsituation im Vordergrund. Als Abgrenzung zu „schwierigen Fällen“ wird zunehmend das Konzept der Risikoanalyse genutzt.

2.

Wissensrepräsentation ^

[6]
Eine Kernaufgabe der Rechtsinformatik ist die Repräsentation des Rechts mit der IKT.2 Nur mit deren Hilfe ist es möglich, den vielfältigen Bedürfnissen Rechnung zu tragen.
[7]
Der Einsatz von IKT erlaubt wesentlich die Unterstützung der Transformation von juristischen Sprachen. Schon heute werden Sprachversionen mit Hilfe von Übersetzungsprogrammen erstellt bzw. vorbildlich repräsentiert (EUR-Lex). Die (semi)automatische Generierung von Textzusammenfassungen und Deskriptoren bringt immer bessere Ergebnisse. Die Verlinkung verschiedener Darstellungen des Rechts durch Hyperlinks ist heute schon so Standard, dass es keiner besonderen Erwähnung bedarf.
[8]
Ein weiteres wichtiges Argument für die multimediale und multisensorische Wissensrepräsentation3 ist der geringere Informationsverlust. Ein Beispiel: Bei der Repräsentation von Sachverhalten durch Sprache muss die Realität reduziert und in eine juristisch korrekte Abstraktion übergeführt werden. Auch hier ist die Sprache nicht mehr so dominant wie bisher; wird ihre tragende Rolle weiter behalten, aber in eingeschränkter Form. Das Bild bzw. das Video werden in der Zukunft eine wesentlich größere Bedeutung erfahren. Dies bedingt sich schon dadurch, dass Bilder multimedial und einfacher für viele verständlich sind als die sehr technische beziehungsweise rechtliche Terminologie, die bei Gerichten Verwendung findet.
[9]
Das Recht muss in gewisser Form präsentiert werden, um den Bürgern eine Leitlinie für das tägliche Handeln zu geben. Mit dem Internet ist es möglich geworden, jedem Bürger seinen Textkorpus zur Verfügung zu stellen und diesen durch Bürgerinformationen zu ergänzen. Dieser Textkorpus wird durch die schleichende, aber zunehmende Einbeziehung von Bildern und in Zukunft auch Videos zu einem Multimediacorpus. Die Einbeziehung moderner Medien wird insbesondere bei der Anwendung eine wichtige Rolle spielen.
[10]
Ein bisher noch wenig angedachter aber auch wichtiger Bereich wird die Repräsentation durch ein Computerprogramm seien. Dieses stellt – formal betrachtet – die grundlegende beziehungsweise auch vollständig ausgereifte Form eines Agenten dar, der gewisse Aufgaben eines Rechtspflegers oder Juristen übernehmen kann. Für den Gesetzgeber ergibt sich dadurch der Vorteil, dass ein großer Teil der Anwendungsspielräume eliminiert werden kann, aber auf der anderen Seite, dass die Flexibilität der Anwendung wesentlich zu wünschen übrig lässt. Hier ist bis dato offen, inwieweit sich die Gesetzgebung in diese Prozesse einmischen soll oder ob dies nicht einfach der Praxis überlassen werden soll. Wichtige Gründe sprechen aber dafür, dass zumindest die Strukturen und die Prinzipien der notwendigen Risikoanalyse von Seiten des Gesetzgebers geleistet werden müssen.

3.

Transformation ^

[11]
Ein wesentliches Merkmal des rechtlichen Textkorpus (d.h. Gesetz- und andere Veröffentlichungsblätter, Entscheidungssammlungen der Gerichte etc.) besteht darin, dass dieser zwar authentische Quelle ist und bleibt, aber für die praktische Nutzung vielfältigen Transformationen unterliegt: in andere Sprachen, von der Fachsprache in eine Bürgersprache (HELP.gv.at), in andere Medienformate (z.B. Rechtstext in Prozessinformationen, Benutzungsregeln von Verkehrsbetrieben in Piktogramme) oder in strukturierte und verdichtete Textsammlungen, Handbücher, Systeme und Kommentare des Rechts. Diese rechtsdogmatischen Abstraktionen sind traditionell eine Kernaufgabe der Literatur.
[12]
Die Transformation von einer Sprachversion in eine andere ist nichts Neues. Schon das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) war in mehreren Sprachen authentisch. In der Schweiz werden gerichtliche Entscheidungen zwar nicht selbst, aber in strukturierter Form mehrsprachig erschlossen. In der EU sind grundsätzlich die Rechtstexte in allen Sprachen verfügbar. Diese Transformation erfolgt in erster Linie durch speziell geschulte Juristen, so genannte Juriste-Linguiste. Die Transformation von Rechtstexten in einen einfacheren Text auf einer Homepage bzw. ein Procedere im HELP.gv.at erfolgt in der Regel durch die jeweils zuständige Verwaltung. Das gleiche gilt für die Transformation von Text in Bilder, Grafiken und Videos und dergleichen.
[13]
In der Praxis ist die Transformation von Texten in qualitativ hochwertige und nutzbare Handbücher, Explorer und Kommentare sehr wesentlich. Das österreichische Recht wird als Text viel mehr durch die Textreihen der Verlage (insbes. KODEX) repräsentiert als durch das Bundesgesetzblatt oder auch das Rechtsinformationssystem des Bundes RIS. Desgleichen gilt für die Zusammenfassung, Kompilierung und Analyse der umfangreichen Rechtsmaterialien. Dies erfolgt nicht in der Zusammenschau der jeweiligen Materialien durch den Anwender, sondern – wenn vorhanden – durch Verwendung der kompilierenden Form durch einen Bearbeiter (Kommentar, System, Handbuch, Artikel etc.). In der Praxis ist natürlich notwendig, sich ständig an den Originalquellen zu orientieren und auch tiefer zu recherchieren, als dies der Kommentator gemacht hat.

4.

Zukunft ^

[14]
Die Zukunft scheint sich abzuzeichnen. Die Dominanz des Textes ist vorbei, und andere Repräsentationen des Rechts werden immer stärker. Dies kann das Bild, die Grafik aber auch das Video sein. Der Text selbst kommt nicht mehr nur als Gesetzestext, sondern auch in leicht verständlicher und in der Praxis sehr hilfreichen Form des HELP.gv.at zum Bürger. In der Anwendung selbst werden Computerprogramme eine wesentlich größere Rolle spielen. Diese stellen eine ontologische Zusammenschau der Anwendungspraxis des jeweiligen Gesetzestextes dar, und werden eingesetzt, wenn aufgrund der Risikoanalyse klar ist, dass sich die Rechtsmaterie ausreichend gefestigt hat.

5.

Schlussfolgerungen ^

[15]
Der Wille des Gesetzgebers drückt sich aus in Form von Sprache. Dies ist auch heute nicht ausreichend und der Gesetzgeber verwendet zunehmend andere Repräsentation und wie Grafiken, Bilder etc.
[16]
Diese Entwicklung ist deshalb zu begrüßen, weil das Recht in der gegenwärtigen textlichen Form für viele einfach nicht mehr nutzbar ist. Daher ist eine Vielzahl von Repräsentationen sowohl in textlicher als auch bildlicher Form sehr zu begrüßen. Der Einsatz von Computerprogrammen erlaubt wesentliche Erleichterungen und Effizienzsteigerungen sowohl von öffentlicher als auch von privater Seite.
[17]
Für die Gerichtshöfe ergibt sich die neue Aufgabe, diese Vielzahl von Repräsentation nicht zu ignorieren, sondern bei der Streitschlichtung und Streitbeilegung mit zu berücksichtigen. Weiters soll den Höchstgerichten die Möglichkeit gegeben werden, diese Anwendungspraxis wegen Verstoßes gegen grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung für irrelevant und daher nichtig zu erklären. Nur auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Anwendungspraxis weit gehend gleichförmig ist und auch der Wille des Gesetzgebers – vornehmlich immer noch in der Form von Sprache im jeweiligen offiziellen Veröffentlichungsorgan ausgedrückt – wirklich berücksichtigt wird.
  1. 1 Fiedler, H., Rechenautomaten als Hilfsmittel der Gesetzesanwendung. In: Deutsche Rentenversicherung, Heft 3, S. 149–155 (1962).
  2. 2 Schweighofer, E., Rechtsinformatik und Wissensrepräsentation. Springer, Wien (1999).
  3. 3 Brunschwig, C.R., Multisensory Law and Legal Informatics – A Comparison of How these Legal Disciplines Relate to Visual Law. In: Geist, A., Brunschwig, C.R., Lachmayer, F., Schefbeck, G. (Hrsg.), Strukturierung der Juristischen Semantik, Festschrift für Erich Schweighofer, Editions Weblaw, Bern, S. 573–668 (2011).