1.
Allgemeines zum gegenständlichen Urteil ^
[1]
Der Erschöpfungsgrundsatz ist eines der Grundprinzipien im Urheberrecht1 - nicht nur in Österreich, auch auf EU-Ebene findet sich dieses Prinzip2. Es besagt, dass die Verbreitungsrechte des Urhebers erschöpft sind, sobald das Werk einmal in Umlauf gebracht wurde. Das bedeutet, es kann vom Erwerber beliebig weiterverkauft werden. Davon werden natürlich die anderen Rechte des Urhebers wie Namensnennung und Vervielfältigung nicht berührt.
[2]
In der Rechtssache Oracle International Corp. gegen die deutsche UsedSoft GmbH wandte sich der deutsche BGH mit einem Vorlageersuchen an den EuGH. In diesem Vorlageersuchen ging es konkret um die Auslegung der Art. 4 Abs. 2 und Art. 5 Abs. 1 der Computerprogramm-RL3. Im konkreten Fall bewarb und vertrieb UsedSoft bereits bestehende und verkaufte Lizenzen von Oracle. Die Software von Oracle konnte von der Webseite des Rechteinhabers heruntergeladen werden oder die Kunden hatten diese bereits und benötigten nur zusätzliche Lizenzen. UsedSoft verkaufte also Teillizenzen, wenn der ursprüngliche Käufer z.B. nur 20 der 25 Nutzerlizenzen benötigte.
[3]
Bereits während des Verfahrens gingen die Meinungen weit auseinander. Sowohl die Europäische Kommission,4 als auch die Regierungen von Frankreich, Spanien und Italien gaben ihre Erklärungen ab und sprachen sich gegen eine Anwendung des Erschöpfungsprinzips auf digitale Software aus.5 Auch der Generalanwalt folgte dieser Meinung6 insoweit, als insbesondere die Vervielfältigung zum Weiterverkauf nicht zulässig sei. Desweiteren folgt er der Ansicht des Vorlagegerichts, das die Erschöpfung auch verneinte, weil bei unkörperlichen Verwertungsformen die wirtschaftlichen Interessen noch nicht ausgeschöpft sind.7 Der Generalanwalt argumentiert, selbst wenn die Erschöpfung bejaht werde, berechtige dies nicht zur Übertragung der Software auf einen anderen Datenträger und dazu, die dadurch notwendige Kopie anzufertigen.8 Dies konnte jedoch die Entscheidung des EuGH nicht beeinflussen.
2.1.
Der Erschöpfungsgrundsatz ^
[4]
Der EuGH folgte diesen Meinungen nicht und bejahte die Anwendbarkeit des Erschöpfungsgrundsatzes auch auf digitale Software. Eingangs hebt der EuGH noch hervor, dass die Vervielfältigungsstücke laut dem Urheberrechtsvertrag9 körperlicher Natur sein müssen.10 Gerade im Zusammenhang mit dem Erschöpfungsgrundsatz war dies auch durchaus die immer wiederkehrende Meinung.11 Die Erwägungsgründe der Richtlinie über Urheberrecht in der Informationsgesellschaft12 sprechen wieder von Vervielfältigungsstücken13 und sagen ausdrücklich, dass sich die Frage der Erschöpfung bei Online-Diensten nicht stellt.14 In der Computerprogramm-RL wird deutlich gemacht, dass Computerprogramme im Sinne der Richtlinie sowohl auf einem Datenträger als auch digital gemeint sind.15
[5]
In Art. 4 Abs. 2 der Computerprogramm-RL wird auf den Erschöpfungsgrundsatz direkt eingegangen. «Mit dem Erstverkauf einer Programmkopie in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit seiner Zustimmung erschöpft sich in der Gemeinschaft das Recht auf die Verbreitung dieser Kopie; ausgenommen hiervon ist jedoch das Recht auf Kontrolle der Weitervermietung des Programms oder einer Kopie davon.»
[6]
Die in Art. 4 Abs 1 erwähnten Handlungen, die der Zustimmung des Rechteinhabers bedürfen, finden auch auf die in Abs. 2 erwähnten Fälle keine Anwendung. Die Vervielfältigung eines Computerprogramms bedarf nicht der Zustimmung des Rechteinhabers, «in Ermangelung spezifischer vertraglicher Bestimmungen»,16 wenn sie für eine bestimmungsgemäße Benutzung erforderlich ist.17 Auf den ersten Blick impliziert das die Möglichkeit der einzelvertraglichen Regelung des Erschöpfungsgrundsatzes und einer eventuellen Zustimmung zwischen den Parteien z.B. in den Lizenzverträgen.18 Dies war auch eines der Argumente von Oracle, welches in den unteren deutschen Instanzen auch vertreten wurde.
2.2.
Eine Lücke in der Richtlinie ^
[7]
UsedSoft hingegen behauptete, dass sich deren Kunden mit Erfolg auf den in § 69d Abs. 1 dUrhG geregelten Erschöpfungsgrundsatz berufen können.19 Darüber hinaus dürfe auch eine Kopie angefertigt werden, da bei heruntergeladenen Computerprogrammen ein Weiterverkauf anders nicht möglich wäre. Die Richtigkeit dieser Annahme war eine der Fragen, die der BGH dem EuGH vorlegte.
[8]
Ob der Erschöpfungsgrundsatz nun auch für heruntergeladene Software gilt, ist laut BGH aus der Richtlinie nicht herauszulesen und er sieht hier eine Lücke.20 Die Beantwortung der Frage ob diese planwidrig ist oder wirklich nur auf das physische Werk abzielt ist zur Beantwortung der Frage von zentraler Bedeutung und Teil der Vorlagefragen.
2.3.
Software und Lizenz - unteilbares Ganzes ^
[9]
Als erstes argumentiert der EuGH, die von Oracles Webseite herunterladbare Kopie der Software und der Lizenzvertrag, der die Nutzung erlaubt, sind ein unteilbares Ganzes.21 Da der Erstkäufer eine Kopie der Software herunterlädt und einen Lizenzvertrag abschließt, der ihm ein unbefristetes Nutzungsrecht einräumt, wird ihm laut EuGH auch das Eigentum an der Kopie der Software übertragen. Folglich macht es für den EuGH keinen Unterschied, ob die Software auf einem physischen Datenträger verkauft wird oder nicht. Es kann also eine kostenlos heruntergeladene Kopie mit dazugehörigem Lizenzvertrag auch keine Dienstleistung sein, wie es die Kommission argumentierte.22
[10]
Entgegen der Stellungnahmen von Oracle, der Europäischen Kommission und der Regierungen23 sowie dem 29. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29/EG stellt der EuGH fest, dass es keineswegs auf die Körperlichkeit der Software ankommt. Da die Computerprogramm-RL lex specialis ist und dort immer wieder die Unabhängigkeit vom Medium betont wird, schließt der EuGH dass es der Wille des Gesetzgebers war, auch digitale Werke dem Erschöpfungsgrundsatz zu unterlegen.
[11]
Weiters stellt der EuGH noch fest, dass jeweils die im Zeitpunkt des Weiterverkaufes aktuellste Software veräußert wird, aber der Wartungsvertrag von diesem Verkauf abtrennbar ist und als Dienstleistung nicht dem Erschöpfungsgrundsatz unterliegt.
2.4.
Keine Aufspaltung von Volumslizenzen ^
[12]
Fast überraschend unabhängig von den Fragestellungen des BGH stellt der EuGH in einem Satz fest, dass man nicht Teile einer Lizenz weiterverkaufen könne.24 Dies würde bedeuten, dass man nicht 5 Lizenzen eines 25-Lizenz-Paketes weiterverkaufen kann. Im gegenständlichen Fall ging es um eine Serverlizenz und 25 dazugehörige Nutzerlizenzen.
[13]
Die Frage nach der Zulässigkeit des Kopierens zum Zweck des Weiterverkaufs argumentiert der EuGH damit, dass man ja schon als Ersterwerber die Software herunterlädt ansonsten man sie nicht bestimmungsgemäß nutzen könnte.25 Dies wird untermauert mit dem 13. Erwägungsgrund der Computerprogramm-RL, der das «Laden und Ablaufen» explizit für zulässig erklärt, wenn es zur rechtmäßigen Nutzung notwendig ist. Das darf auch vertraglich nicht untersagt werden. Also kann beim Weiterverkauf der Zweitkäufer von der Software eine Kopie anfertigen, um sie bestimmungsgemäß zu benutzen.
3.
Kritik an der Entscheidung ^
[14]
Wie bereits eingangs erwähnt, sprachen sich viele dafür aus, dass bei heruntergeladene Software der Rechteinhaber auch nach erstmaligem Verkauf die Rechte an der Verbreitung nicht verliert. In Deutschland war es gängige Rechtsprechung, den Erschöpfungsgrundsatz bei heruntergeladener Software abzulehnen, wie auch die unterinstanzlichen Entscheidungen in diesem Fall zeigen. Viel beachtlicher ist es jedoch, dass die Entscheidung der Empfehlung des Generalanwalts und auch der Erklärung der Europäischen Kommission widerspricht.
3.1.
Das physische Vervielfältigungsstück ^
[15]
Es ist schwer nachzuvollziehen, wenn das Vervielfältigungsstück im Sinne des Erschöpfungsgrundsatzes immer ein physisches Werk war, dass dies bei Software anders ist, nur weil die Kopie und Lizenz (laut EuGH) untrennbar miteinander verbunden sind. Der Generalanwalt zeigt auch das Argument auf, dass das Herunterladen der Software - unabhängig von der Lizenz - eine öffentliche Wiedergabe darstellt kann, auf die der Erschöpfungsgrundsatz nicht anwendbar ist.26
3.2.
Rechtliche Einordnung des Lizenzvertrages ^
[16]
Bezüglich des rechtlichen Einordnung legt hier der EuGH den Begriff «Kauf» selbstständig aus - was in diesem Fall nicht mit den nationalen Regelungen übereinstimmt. Die französische Regierung argumentierte hier, dass der Download mittels eines Online-Dienstes eine Dienstleistung sei und kein Kauf.27 Gerade in Deutschland ist eine Eigentumsübertragung an unkörperlichen Gütern ausgeschlossen.28 Ob der EuGH hier wirklich das sich selbst zuerkannte Auslegungsmonopol besitzt, ist zu hinterfragen. Hier ist auch der Generalanwalt der Meinung, hier müsse der EuGH auslegen, da der Begriff «Verkauf einer Kopie» nicht auf nationales Recht verweist.29 Darüber hinaus werden dann Lizenzvertrag und Programmkopie miteinander untrennbar verbunden - was meines Erachtens weit über das Ziel hinausschießt. Eine heruntergeladene Software benötigt keinen Lizenzvertrag, damit sie benutzt werden kann, und auch dieser kann abgetrennt, umgeändert werden wie auch die Software zu der er gehört. Man denke nur an den Fall, in dem der Lizenznehmer eine neue Version der Software kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt. Es handelt sich hier um eine andere Software (und vielleicht kann man die Vorgängerversion noch preisgünstiger kaufen), aber der Lizenzvertrag ist der gleiche. Diese Konstellation würde weit über die Updates, auf die der EuGH sich später bezieht, hinausgehen. Es gibt natürlich auch, mE zutreffende, Meinungen die einen Lizenzvertrag als Kauf eines Nutzungsrechtes30 sehen, und nicht als Kauf der Sache.
3.3.
Weiterverkauf des Lizenzvertrages ^
[17]
Die Konsequenz der Untrennbarkeit führt dann dazu, dass der Lizenzvertrag notwendigerweise auf den Zweitkäufer übergehen muss, mitsamt Rechten und Pflichten. Nun ist es klar, dass dieselben Nutzungsbedingungen für den Zweitkäufer gelten. Auch die irische Regierung hebt in ihrer Stellungnahme hervor, dass es innovationsfeindlich sei, wenn es gestattet wäre, Lizenzen ohne Zustimmung des Rechteinhabers zu verwerten.31 Die Frage stellt sich mir eher bezüglich der Pflichten des Rechteinhabers, der nun plötzlich einem neuen Vertragspartner gegenübersteht, ohne die Möglichkeit den Lizenzvertrag z.B. neu zu verhandeln oder zu aktualisieren. Mit keinem Wort wurde in dem Urteil erwähnt, wie es um die Pflichten des Softwareherstellers gegenüber seines aufgezwungenen neuen Vertragspartners auf Grund des Lizenzvertrages steht.32 Oder geht der EuGH davon aus, dass der Erstkäufer in die Pflichten des Rechteinhabers tritt - wohlwissend dass er diese womöglich gar nicht erfüllen kann? Sonst kämen wir zu dem allgemein nur in besonderen Fällen zulässigen automatischen Vertragsübergang auf Dritte. Dies scheint meines Erachtens doch ein Eingriff in die Vertragsfreiheit, die im Verhältnis unangemessen ist.
3.4.
Beschränkungen der Lizenz ^
[18]
Eine weitere Frage stellt sich, inwieweit Beschränkungen der Lizenz auf bestimmte Personengruppen, wie z.B. Studenten, auch für den Zweiterwerber gilt.33 Einerseits sagt der EuGH, dass Weitergabebeschränkungen in den Lizenzbedingungen ungültig sind. Hier würde aber ein berechtigtes Interesse vorliegen, dass diese auch für den Zweiterwerber gelten.34
3.5.
Die Lücke in der Computerprogramm-RL ^
[19]
Die Tatsache, dass die Europäische Kommission sich gegenteilig zum Urteil aussprach35 sagt auch einiges über die Natur der angesprochenen Lücke aus. Deren Stellungnahme lässt sehr wohl auf die Planmäßigkeit der Lücke schließen. Die Kommission erklärt in der Stellungnahme eindeutig, dass die Erschöpfung bei Online-Diensten sehr wohl nicht anzuwenden ist.36 Das hätte zur Folge, dass es eben nur einen Erschöpfungsgrundsatz bei physischen Werken gäbe. Auch der Generalanwalt bringt erst eine restriktive Auslegung zu Gunsten von körperlichen Waren vor, denen er aber am Ende seines Schlussantrages nicht zu folgen scheint.37 Dass ein Rechteinhaber die Verbreitung eines physischen Werkes kaum nachvollziehen und noch schwerer kontrollieren kann macht die Unterteilung auch verständlich. Dass der EuGH nun dem Gesetzgeber den Willen unterstellt, körperliche und unkörperliche Werke einander gleichzustellen38 ist schwerer zu verstehen, wenn eben genau dieser Gesetzgeber sich dagegen ausspricht.
3.6.
Aufspaltung von Volumslizenzen und die Argumentation dahinter ^
[20]
Es stellt sich weiters die Frage, wieso es nicht möglich ist, nur Teile einer Lizenz zu verkaufen.39 Dies war weder vom Vorlagegericht gefragt noch wurde es im Urteil weitergehend vom EuGH begründet.40 Wenn es, wie bei Oracle der Fall, sich um eine Serverlizenz und 25 Nutzer handelt, ist es verständlich, dass sich die Serverlizenz nicht verdoppeln lässt wenn man 5 der Nutzer verkauft. Es kann nicht ermöglicht werden, dass man aus einer Serverlizenz mit 25 Nutzern plötzlich 2 Serverlizenzen mit einmal 10 und einmal 15 Nutzern macht. Ein allgemeines Verbot der Aufspaltung von Volumslizenzen ist jedoch nur mit wirtschaftlichen Argumenten begründbar. Warum aber jemand, der eine Serverlizenz und 25 Nutzer hat und weitere 5 Nutzerlizenzen benötigt, diese nicht «gebraucht» kaufen können sollte, ist unklar. Hier würden keine unzulässigen Lizenzen geschaffen werden. Der EuGH stellt lediglich und ohne Begründung in Rz. 86 des Urteils fest, dass ein Käufer überschüssige Lizenzen nicht weiterverkaufen kann. Die wirtschaftliche Argumentation gegen eine Aufspaltung von Volumslizenzen wird noch deutlicher, wenn die Einzellizenz durch den Volumskauf billiger ist und dann ein Weiterverkauf eine Konkurrenz zum ursprünglichen Rechteinhaber darstellen kann. Das sollte aber nicht der Grund für eine derartige Feststellung sein.
3.7.
Das «unberührte» Vervielfältigungsrecht? ^
[21]
Dem Argument des EuGH, dass das Anfertigen einer Kopie - und nicht nur das Laden und Ablaufen wie in der Richtlinie geregelt41 - notwendig sei um Software weiterzuverkaufen widerspricht der Tatsache, dass der Erschöpfungsgrundsatz nur die Verbreitungsrechte erschöpft, und alle anderen Urheberrechte unberührt lässt. Hier wäre insbesondere das Vervielfältigungsrecht betroffen. Der Generalanwalt argumentiert zwar, dass bereits das Herunterladen von der Webseite des Rechteinhabers eine Vervielfältigung ist und keine Verbreitung,42 räumt aber ein, dass wenn die Weiterveräußerung unter das Verbreitungsrecht fällt, in das Vervielfältigungsrecht nicht eingegriffen werden kann.43 Auch wenn dies praktisch vielleicht notwendig ist um dem Urteil gerecht zu werden, scheint es im Lichte der Diskussion über die Körperlichkeit des Werks wieder unverständlich. Insbesondere da man, um dem Erschöpfungsgrundsatz bei körperlichen Werken gerecht zu werden, keine weiteren Urheberrechte «opfern» muss.44
3.8.
Verkaufen oder Veröffentlichen ^
[22]
Ein weiterer Kritikpunkt war das Argument des EuGH, dass auch eine öffentliche Wiedergabe im Sinne der Computerprogramm-RL zu einer Erschöpfung führen kann.45 In der Richtlinie wird die öffentliche Zugänglichmachung nicht erwähnt, was wohl daran liegt, dass bei Erlass der Richtlinie diese Verbreitungsform für Software nicht bekannt war.46 Es ist aber grundsätzlich eine Erschöpfung dafür nicht vorgesehen.47 Sollte wirklich jede digitale Veröffentlichung (z.B. auch eine kostenlose) im Internet zum Verlust des Verbreitungsrechts führen, könnte das weitgreifende Folgen für das Informationsangebot im Internet haben. Man denke nur an den Fotografen, der Bilder auf seine Webseite zur Ansicht stellt und dann mitansehen muss, dass diese weiterverkauft werden - in diesem Punkt kann man nur hoffen, dass hier die Computerprogramm-RL als Spezialfall betrachtet wird. Dies wäre dann aber für Open-Source-Softwarehersteller unbefriedigend und würde sehr viele Creative-Commons-Lizenzen aushebeln.48
[23]
Zusammenfassend ist das Ergebnis als solches durchaus nachvollziehbar - man will den Verkauf gebrauchter Software ermöglichen -, aber das Beschreiten dieses Weges scheint eher brachial geschehen zu sein. Welche Auswirkungen die Baustellen haben, die der EuGH auf seinem Weg zurückgelassen hat, wird sich in der Praxis erst zeigen.
4.1.
Kann man die Erschöpfung verhindern? ^
[24]
Rechteinhaber werden sich nach dieser EuGH-Entscheidung die Frage stellen, ob es Möglichkeiten gibt, den Weiterverkauf ihrer Software einzuschränken.49 Eine Möglichkeit wäre hier, die Software nur online bereitzustellen, sodass der Käufer sich einloggen muss um die Software zu nutzen. Auf diese Art und Weise bekäme dieser nie die Software - auch nicht in digitaler Form - sondern nur den Zugang im Sinne einer Dienstleistung. Da sowohl in der Computerprogramm-Richtlinie50, als auch im österreichischen UrhG51 der Erschöpfungsgrundsatz bei Miete ausgeschlossen ist, ist daher abzusehen, dass Miet-Software immer stärker am Markt vertreten sein wird. Der Trend geht bereits immer stärker zu Miet-Software, da der Bedarf einer eigentumsähnlichen Position52 oft hinter dem finanziellen Vorteil zurücksteht. Besonders bei Spielen und bei teurer Software für professionelle Nutzer53 ist diese Variante schon weit verbreitet. Allgemein wäre hier die Möglichkeit, die Lizenz für die Software als reine Miet-Lizenz auszugestalten, bzw. die Lizenz zeitlich zu befristen,54 wohl die wirkungsvollste Möglichkeit, den Konsequenzen der Entscheidung entgegenzuwirken. Der EuGH stellt hier auf die tatsächliche Ausgestaltung des Vertrages ab und nicht auf dessen Bezeichnung.55
4.2.
Kein Ausschluss des Erschöpfungsgrundsatzes ^
[25]
Seitens des Rechteinhabers ist in weiterer Folge ein expliziter Ausschluss des Erschöpfungsgrundsatzes in den Lizenzbedingungen nicht möglich und derartige Klauseln wären daher nichtig.56 Die entsprechende Klausel im Lizenzvertrag von Oracle besagte auch, dass das Nutzungsrecht nicht abtretbar ist und wurde vom EuGH als nichtig angesehen.57 Wenn man dies mit Blick auf die Computerprogramm-RL58 betrachtet, die nur eingreift wenn einzelvertragliche Regelungen fehlen, ist diese Einschränkung durchaus beachtlich.59
5.
Der Erschöpfungsgrundsatz und andere digitale Inhalte ^
[26]
Die EuGH-Entscheidung bezieht sich, wie auch die BGH-Entscheidung davor, nur auf die Auslegung der Computerprogramm-RL. Es drängt sich aber die Überlegung auf, ob diese Entscheidung auch die Weichen gestellt hat für den Weiterverkauf anderer digitaler Inhalte wie z.B. Musik oder eBooks.60 Der EuGH stellt klar, dass hier die Computerprogramm-RL lex specialis zum allgemeinen Urheberrecht ist,61 es wäre also argumentierbar, dass die Auslegung im konkreten Fall eben nur für Software gilt - auf die die Entscheidung unmittelbar anwendbar ist - und nicht für alle digitalen Inhalte. In der Praxis ist aber schwer argumentierbar, warum andere digitale Inhalte hier anders behandelt werden sollen,62 insbesondere da das Erschöpfungsprinzip für alle urheberrechtlich geschützten Inhalte gilt.63 Es ist auch argumentierbar, dass im Hinblick auf die geänderten Verhältnisse das Argument der Körperlichkeit nicht mehr Zeitgemäß ist.64
[27]
Es geht zwar der Trend hin zu Software as a Service, Musik in der Cloud mit Streaming und - allgemeiner - Miet-Lizenzen,65 aber hier stellt sich schon die Frage wie dies in der Praxis aussehen kann. Wenn der Nutzer nicht mehr eine digitale Kopie oder das Eigentum über diese erhält, funktioniert dann das Geschäftsmodell? Es ist vorstellbarer bei eBooks, die man wie in einer Bibliothek ausleiht und dann wieder zurückgibt. Genauso funktioniert das mit Filmen, wie es bei iTunes bereits geschieht. Weniger wird dies meines Erachtens bei Musik funktionieren. Wird dann bei Musik der Trend zurück zur CD gehen oder gar hin zum weniger legalen Download der MP3s? Denkt man an die Maßnahmen, die einige Rechteinhaber bereits jetzt setzen - wie Amazon, die Bücher von den Kindles ihrer Nutzer gelöscht haben66 -, ist hier eine Abhängigkeit des Nutzers sehr stark. Besonders die Abhängigkeit vom Fortbestand des Services, da man sonst ja den Zugang zu seiner eBibliothek oder seiner digitalen Musikkollektion verlieren könnte. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass man für Streaming einen Internetzugang benötigt, den man oft nicht hat.
[28]
Ob ein Weiterverkauf als Geschäftsmodell für alle digitalen Inhalte funktionieren wird, wird die Zukunft zeigen. Viele Nutzer werden aber zögerlich sein, ihre digitalen Güter nur zu mieten und auf das Eigentum daran verzichten.
[29]
Allgemein ist also zu sagen, dass obwohl das gegenständliche EuGH Urteil nur auf Software direkt anwendbar ist, es keinen Grund gibt, dass der Erschöpfungsgrundsatz in der Zukunft nicht für alle digitale Inhalte gelten wird.
Katharina Bisset, Legal Counsel, T-Systems Austria GesmbH
- 1 § 16 Abs. 3 UrhG.
- 2 Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2009/24/EG über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, Computerprogramm-RL.
- 3 RL 2009/24/EG.
- 4 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 42.
- 5 Rz. 53 des Urteils C-128/11.
- 6 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 61.
- 7 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 32f.
- 8 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 36.
- 9 Gemeinsame Erklärungen zu Art. 6 und 7 des WIPO-Urheberrechtsvertrag, Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000.
- 10 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte - Zugleich Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 3.Juli 2012,Rs.C-128/11–UsedSoft./.Oracle, GRURInt 2012, 980 (982).
- 11 Verneinen den Erschöpfungsgrundsatz: OLG München 6 U 1818/06; OLG München 6 U 2759/07; LG Mannheim 2 O 37/09; BGH I ZR 178/08. Gegenteilig jedoch: BGH I ZR 244/97; LG Hamburg 315 O 343/06; LG München 30 O 8684/07.
- 12 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte, GRURInt 2012, 980 (982).
- 13 ErwG. 28, RL 2001/29/EG.
- 14 ErwG. 29, RL 2001/29/EG.
- 15 ErwG. 7, Art 1 Abs 1, RL 2009/24/EG.
- 16 Art. 5 Abs. 1 RL 2009/24/EG.
- 17 Rz. 74 des Urteils C-128/11.
- 18 So steht es auch in den Lizenzbedingungen von Oracle. Rz. 23 des Urteils C-128/11.
- 19 Der § 69d dUrhG ist die Umsetzung des Art. 5 Abs. der RL 2009/24/EG.
- 20 Rz. 32 des Urteils C-128/11.
- 21 Rz. 44 des Urteils C-128/11.
- 22 Bei Dienstleistungen gäbe es auch keinen Erschöpfungsgrundsatz. Rz. 62 des Urteils C-128/11.
- 23 Rz. 53 des Urteils C-128/11; Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 42.
- 24 Rz. 69 des Urteils C-128/11.
- 25 Rz. 75 des Urteils C-128/11.
- 26 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 64.
- 27 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 40.
- 28 Staudegger, Zulässigkeit und Grenzen des Handelns mit «Gebrauchtsoftware», jusIT 2012, 127 (129).
- 29 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 51. Dies bedürfte aber weiterer Argumentation, da «Kauf» und das Kaufrecht (noch) im autonomen Regelungsspielraum der Mitgliedsstaaten liegt.
- 30 Staudegger, Zulässigkeit und Grenzen des Handelns mit «Gebrauchtsoftware», jusIT 2012, 127 (130).
- 31 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 39.
- 32 Mit dem Beispiel der Audit-Rechte, Sachmängel und Rechtswahl siehe auch: Hansen/Wolff-Rojczyk, EuGH: Erschöpfung des Verbreitungsrechts bei «gebrauchten» Softwarelizenzen - UsedSoft, GRUR 2012, 904 (909).
- 33 Siehe auch Anderl in Kucsko, urheber.recht § 16 [Punkt 4.3].
- 34 Anderl, Zur Online-Erschöpfung bei Computerprogrammen, ecolex 2012/368 (906).
- 35 Rz. 53 des Urteils C-128/11.
- 36 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 42.
- 37 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 65ff. Dieser verweist auch in Punkt 68 auf den Willen des Gesetzgebers, und in Punkt 69 auf den völkerrechtlichen Ansatz, denen der EuGH nicht zu folgen scheint.
- 38 Rz. 58 des Urteils C-128/11.
- 39 Bisher wurde die Aufspaltung von Volumslizenzen auch verneint. Siehe auch Zellhofer/Kopf, «Gebrauchte» Software - eine Lizenz zum Erfolg?, ecolex 2008, 336 oder auch Anderl in Kucsko, urheber.recht § 16a [Punkt 4.5].
- 40 Rz. 69 des Urteils C-128/11.
- 41 ErwG. 13 RL 2009/24/EG.
- 42 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 95.
- 43 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 97.
- 44 Manche argumentieren hier sogar eine neue freie Werknutzung - Schmitt, Der Online-Vertrieb von Software nach dem EuGH-Urteil «UsedSoft», MR 2012, 256 (259).
- 45 Rz. 52 des Urteils C-128/11.
- 46 Stieper, Anmerkungen zu EuGH, Urteil vom 3. Juli 2012 - C.128/11 - UsedSoft, ZUM 2012, 668 (668).
- 47 Handig, Urheberrechtliche Erschöpfung von Downloads im World Wide Web, RdW 2003, 2.
- 48 Die meisten Creative Commons Lizenzen beinhalten eine «no commercial» Klausel, die bei Erschöpfung laut EuGH nichtig wäre.
- 49 In dem Zusammenhang sei auch auf potentielle kartell- und wettbewerbsrechtliche Probleme beim Weiterverkauf gebrauchter Software hingewiesen: Nordmeyer, Lizenzantiquitätenhandel: Der Handel mit «gebrauchter» Software aus kartellrechtlicher Perspektive, GRUR Int 2010, 489.
- 50 Art. 4 Abs. 2 RL 2009/24/EG.
- 51 Das Verbreitungsrecht des § 16 Abs 2 UrhG wird nur beschränkt durch Werke, die im EWR in Verkehr gebracht worden sind. Ausgenommen ist hiervon das Vermieten und Verleihen. Anderl in Kucsko, urheber.recht § 16a [Punkt 4].
- 52 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte, GRURInt 2012, 980 (986).
- 53 Zum Beispiel kann Adobe Photoshop für €61,40 pro Monat gemietet oder um €958,80 gekauft werden. http://www.adobe.com/at/products/photoshop.html?kw=p&sdid=JTHKV&skwcid=TC|22749|adobe%20photoshop||S|b|10798135997 aufgerufen: 02.11.2012.
- 54 Heydn, EuGH: Handel mit gebrauchter Software- UsedSoft, MMR 2012, 586 (591). Gegenteiliger Meinung ist hier Hoeren, der auch bei zeitlich befristeten Lizenzen die Möglichkeit einer Erschöpfung sieht. Hoeren, Der Erschöpfungsgrundsatz bei Software, GRUR 2010, 665 (666).
- 55 Hoeren, Der EuGH und der Onlinevertrieb «gebrauchter» Software [Rz 21], Jusletter IT, http://jusletter-eu.weblaw.ch/de/issues/2012/12-09-2012/2029.html aufgerufen: 02.11.2012.
- 56 Staudegger, Zulässigkeit und Grenzen des Handelns mit «Gebrauchtsoftware», jusIT 2012, 127 (128).
- 57 Schlussanträge des Generalanwalts C-128/11, Punkt 19.
- 58 Art 5 Abs 1 RL 2009/24/EG.
- 59 Siehe auch Walter, Handel mit Gebrauchtsoftware, MR-Int 2012, 34 (41).
- 60 Den Erschöpfungsgrundsatz allgemein bei digitalen Werken verneinend - Cichon, Weitergabe digital vertriebener Werkexemplare wie E-Books im Spannungsfeld zwischen Urheber- und Vertragsrecht, GRUR-Prax 2010, 381.
- 61 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte, GRURInt 2012, 980 (981).
- 62 Schmitt, Der Online-Vertrieb von Software nach dem EuGH-Urteil «UsedSoft», MR 2012, 256 (259).
- 63 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte, GRURInt 2012, 980 (982).
- 64 Hartmann, Weiterverkauf und «Verleih» online vertriebener Inhalte, GRURInt 2012, 980 (984).
- 65 Anderl, Zur Online-Erschöpfung bei Computerprogrammen, ecolex 2012/368 (907).
- 66 Pogue, Some E-Books are more equal than others, New York Times, July 17, 2009. http://pogue.blogs.nytimes.com/2009/07/17/some-e-books-are-more-equal-than-others/ aufgerufen: 02.11.2012.