1.
Einleitung ^
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 3.6.2012 zur Rs C-128/11 – UsedSoft/Oracle1 zumindest für den unkörperlichen Vertrieb von Software klargestellt,2 dass das Verbreitungsrecht an einer Software, die im Rahmen eines Downloads den Erst-User (und dessen Einzelrechtsnachfolger) erreicht, erschöpft ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich dieser Grundsatz auch auf Werkstücke anderer Werkarten, die als «Digitalgüter» unkörperlich vertrieben werden, erstrecken lässt.
Der Handel von «gebrauchten»3 Digitalgütern hat eine große ökonomische Dimension, wie vor allem der Softwarebereich zeigt, wo sich auf Zweitverwertung spezialisierte Unternehmen etabliert haben.4 Doch auch in anderen Bereichen zeigt sich ein wachsendes Bedürfnis der User, gebrauchte Digitalgüter weiterzugeben. Dabei ist etwa an Musik-Files, E-Books oder Smartphone-Apps zu denken, wo aber Anbieter bemüht sind, technisch wie rechtlich, das Entstehen von Märkten für Gebraucht-Digitalgüter zu verhindern. Ob diese Blockade-Strategie mit Mitteln des Urheberrechts möglich ist, erscheint angesichts des jüngsten EuGH-Urteils zur Gebrauchtsoftware mehr als fraglich.
2.
Leitentscheidung: EuGH C-128/11 – UsedSoft vs Oracle ^
3.1.
Verbreitung und Erschöpfung ^
Der Eintritt der Erschöpfung des Verbreitungsrechts gem. § 16 Abs. 3 UrhG verlangt, dass das Werkstück mit Zustimmung des Berechtigten durch Eigentumsübertragung im EU/EWR-Raum in Verkehr gebracht worden ist. Die h.A. ging bisher davon aus, dass ein Gut dann als «Werkstück» zu qualifizieren sei, wenn es die Eigenschaft der Körperlichkeit erfüllt. Die Kritik an dieser engen Betrachtungsweise knüpft am grundlegenden Gedanken der Erschöpfungslehre, nämlich der Herstellung und Sicherung der Verkehrsfähigkeit von Werkstücken,6 an.7 Gäbe es keine Erschöpfung des Verbreitungsrechts, hätte der Urheber uneingeschränkt die Möglichkeit, die weitere Verbreitung seiner geschaffenen Werke zu kontrollieren und neuerlich Lizenzentgelte zu lukrieren. Das wiederum würde einen drastischen Eingriff in die Mobilität der Güter darstellen8 und den geschäftlichen Verkehr massiv belasten.9 Zwar hat der historische Gesetzgeber in § 16 Abs. 3 UrhG die Erschöpfung für körperliche Werkstücke ausdrücklich vorgesehen, konnte aber freilich die unkörperliche Verbreitung digitaler Güter via Internet und per Download nicht vorhersehen.10 Ein Teil der Lehre geht daher, auch im Lichte des EuGH-Urteils in der Rs UsedSoft, für das nationale Urheberrecht von einer Lücke aus.11 Der EuGH hat zumindest im Anwendungsbereich der Software-RL klargestellt, dass die Erschöpfung auch auf Downloadvorgänge anwendbar ist. Dies auch deswegen, weil Art. 4 Abs. 2 Software-RL auf «Programmkopien» abstellt, diesen aber keine besondere Qualifikation abverlangt.12
3.2.
Der ^
Die Anwendung des Erschöpfungsgrundsatzes setzt voraus, dass ein Eigentumsübergang – etwa durch Verkauf – stattgefunden hat. Grundsätzlich ist dabei ein «Verkauf» eine Vereinbarung, nach der eine Person ihre Eigentumsrechte an einem ihr gehörenden körperlichen oder nichtkörperlichen Gegenstand gegen Zahlung eines Entgelts an eine andere Person abtritt.13 Der OGH14 nimmt eine Eigentumsübertragung sinngemäß dann an, wenn die zeitlich unbegrenzte Verfügungsmacht über das Werkstück eingeräumt wird – also ein Sachkauf vorliegt. Auch in Bezug auf Digitalgüter bedarf es an der «Übertragung des Eigentums».
Für den EuGH bilden Programmkopie an sich und Lizenz eine untrennbare Einheit in dem Sinn, dass eine dauerhafte Überlassung der Programmkopie einen Kauf (bzw. eine «Eigentumsübertragung» i.S.d. Art. 4 Abs. 2 der Software-RL15) darstellt, selbst wenn die Lizenz als zeitlich unbefristetes «Dauerschuldverhältnis» ausgestaltet ist. Formulierungen wie z.B. «Diese Software wird nicht verkauft, sondern auf unbestimmte Dauer zur Nutzung überlassen bzw. lizenziert», ändern somit nichts an der Natur des Geschäfts, wenn die Programmkopie samt Lizenz gegen Einmalzahlung dauerhaft überlassen wird. Nach Auffassung des EuGH ist ein vertragliches Weitergabeverbot mit dem zwingenden Erschöpfungsgrundsatz in Widerspruch und folglich unwirksam. Durch die Weitergabe («Eigentumsübertragung» i.S.d. Art. 4 Abs. 2 der Software-RL) der Lizenz (ggf. mit der Programmkopie) an einen Zweiterwerber übernimmt dieser vom Ersterwerber die Rechtsstellung als «rechtmäßiger Erwerber» und ist fortan zur Nutzung der Programmkopie im Rahmen der übernommenen Lizenz berechtigt. Der Ersterwerber hat dabei spätestens im Zeitpunkt der Weiterveräußerung seine Programmkopie zu löschen.16
4.
Schlussfolgerungen für die Zweitverwertung von Digitalgütern ^
Vor der EuGH-Entscheidung hatte etwa das OLG Stuttgart17 bezüglich eines heruntergeladenen Hörbuchs noch erkannt, dass eine Weitergabe an Dritte durch ein vertragliches Weitergabeverbot wirksam untersagt werden könne. Angesichts der UsedSoft-Entscheidung wird dies zu überdenken sein, weil grds. äquivalente Sachverhalte vorliegen und insb. die Übermittlung des Digitalguts zum Kunden auf gleichartige Weise, namentlich durch Download, geschieht. Eine rechtlich äquivalente Behandlung aller Digitalgüter und ihrer Vertriebsmodelle erscheint als konsequenter Weg.18 Hierfür spricht auch, dass der EuGH in Rn. 61 der UsedSoft-Entscheidung die Veräußerung einer Software auf einem Datenträger und den Download aus dem Internet als wirtschaftlich gesehen vergleichbar identifiziert.19
Ein Argument, dass gegen die Ausdehnung dieses Grundsatzes und die Gleichbehandlung aller Digitalgüter vorgebracht wird, ist der ausschließliche Bezug des Urteils auf die Software-RL und die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 Software-RL,20 der von «Programmkopie» und nicht von «Werkstück» o.ä. spricht und Erstere keine besondere Beschaffenheit aufweisen müsse.21 Da die Software-RL als Lex specialis Sonderregelungen ausschließlich für Computerprogramme enthält, liegt dieser Schluss in der Tat nahe und schließt eine Ausdehnung der Grundsätze des Urteils prima vista aus.22 Insofern lässt sich die UsedSoft-Entscheidung nicht unmittelbar auf andere Fälle von Digitalgütern übertragen. Allerdings ist zu bedenken, dass «Software» nicht nur aus dem Computerprogramm per se, sondern auch aus Werken anderer Art, insb. Werken der angewandten Kunst, besteht. Selbst technische Produkte, wie eine Datenbank-Software, werden eine grafische Benutzerschnittstelle oder Textdateien enthalten, die integraler Bestandteil sind. Wird nun dem EuGH tatsächlich unterstellt, dass er den Erschöpfungsgrundsatz nicht auch auf andere Werkarten ausdehne, würde dies zu dem zweifelsfrei bizarren Ergebnis führen, dass zwar das Computerprogramm nicht, aber andere für den Programmlauf wesentliche Komponenten, insb. Grafiken, erfasst wären. Damit wäre aber der Idee der Gleichbehandlung funktional und wirtschaftlich gleichwertiger Vertriebsformen hinsichtlich der Anwendung der Erschöpfung nicht Rechnung getragen. Die Anwendung der Erschöpfung beim Online-Vertrieb für reine Computerprogramme, nicht aber andere Werkarten anzuwenden, wäre somit – von eher hypothetischen Ausnahmen abgesehen – ein recht widersinniges Unterfangen, würde dies doch die Verkehrsfähigkeit des gesamten Software-Pakets nicht fördern.
5.
Literatur ^
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Rigamonti, Cyrill P., Der Handel von Gebrauchtsoftware nach schweizerischem Urheberrecht. In: GRURInt S. 14 (2009).
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Rüffler, Friedrich, Ist der Handel mit gebrauchter Software urheberrechtlich zulässig?. In: ÖBl S. 52 (2008).
Hoeren, Thomas/Försterling, Matthias, Onlinevertrieb «gebrauchter» Software, Hintergründe und Konsequenzen der EuGH-Entscheidung «UsedSoft». In: MMR S. 642 (2012)
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Walter, Michael M., Handel mit Gebrauchtsoftware. In: MR-Int S. 34 (2012).
Berger, Christian, Urheberrechtliche Erschöpfungslehre und digitale Informationstechnologie. In: GRUR S. 198 (2002).
Marly, Jochen, Der Handel mit so genannter «Gebrauchtsoftware». In: EuZW S. 654 (2012).
Staudegger, Elisabeth, Zulässigkeit und Grenzen des Handels mit «Gebrauchtsoftware». In: jusIT S. 127 (2012).
Gräbig, Johannes, BGH: Half-Life 2 – Ende des Handels mit Gebrauchtsoftware?. In: MMR-Aktuell S. 307861 (2010).
Spindler, Gerhard, Der Handel mit Gebrauchtsoftware – Erschöpfungsgrundsatz quo vadis?, CR S. 69 (2008).
Clemens Appl, Universitätsassistent, Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Zivil- und Unternehmensrecht, Abteilung für Informations- und Immaterialgüterrecht.
Marlene Schmidt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Wirtschaftsuniversität Wien, Institut für Zivil- und Unternehmensrecht, Abteilung für Informations- und Immaterialgüterrecht.
- 1 EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, CR 2012, 498.
- 2 Der EuGH hält unzweifelhaft fest, dass sich das Urteil auf die Software-RL bezieht, EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, CR 2012, 498.
- 3 Der Begriff «gebraucht» ist in Bezug auf Digitalgüter freilich irreführend, weil Digitalgüter – anders als ein etwaiges Trägermedium – keiner Abnützung unterliegt. Der Begriff ist jedoch etabliert und bezeichnet die Folgeverwertung des Digitalguts durch einen Folgeerwerber. S dazu Heydn/Schmiedl, Der Handel mit gebrauchter Software und der Erschöpfungsgrundsatz, KR 2006, 74; Rigamonti, Der Handel von Gebrauchtsoftware nach schweizerischem Urheberrecht, GRURInt 2009, 14.
- 4 Sosnitza, Die urheberrechtliche Zulässigkeit des Handels mit «gebrauchter» Software, KR 2006, 206.
- 5 S. dazu Anm. Heydn zu EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, MMR 2012, 591.
- 6 BGH 6.7.2000, I ZR 244/97, OEM-Entscheidung, NJW 2000, 3571.
- 7 Anderl in Kucsko, urheber.recht, Manz, Wien, § 16 S. 234 (2007).
- 8 Berger, Urheberrechtliche Erschöpfungslehre und digitale Informationstechnologie, GRUR 2002, 198.
- 9 Anderl in Kucsko, urheber.recht § 16 S. 234.
- 10 Schmitt, Der Online-Vertrieb von Software nach dem EuGH-Urteil «UsedSoft», MR 2012, 256.
- 11 Rüffler, Ist der Handel mit gebrauchter Software urheberrechtlich zulässig?, ÖBl 2008, 52; zust. Schmitt, MR 2012, 256.
- 12 EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, insb. Rz. 55.
- 13 EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, insb. Rz. 42.
- 14 OGH 23.5.2000, 4 Ob 30/00s, MR 2004, 249.
- 15 RL 2009/24/EG des Parlaments und des Rates v. 23.4.2009 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl. L 111/16.
- 16 Hoeren/Försterling, Onlinevertrieb «gebrauchter» Software, Hintergründe und Konsequenzen der EuGH-Entscheidung «UsedSoft», MMR 2012, 642.
- 17 OLG Stuttgart 3.11.2011, 2 U 49/11, BeckRS 2012, 05352.
- 18 Schmitt, MR 2012, 256; zust. Walter, Handel mit Gebrauchtsoftware, MR-Int 2012, 34; zust. Marly, Der Handel mit so genannter «Gebrauchtsoftware», EuZW 2012, 654.
- 19 EuGH 3.6.2012, C-128/11, UsedSoft, CR 2012, 498.
- 20 Software-RL 2009/24/EG, ABl. L 111/16.
- 21 Hoeren/Försterling, MMR 2012, 642.
- 22 Staudegger, Zulässigkeit und Grenzen des Handels mit «Gebrauchtsoftware», jusIT 2012, 127.
- 23 BGH 11.2.2010, I ZR 178/08, GRUR 2010, 822.
- 24 BGH 11.2.2010, I ZR 178/08, GRUR 2010, 822.
- 25 Gräbig, BGH: Half-Life 2 – Ende des Handels mit Gebrauchtsoftware?, MMR-Aktuell 2010, 307861.
- 26 RL 2001/29/EG des Rates v. 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167/10.
- 27 S. dazu auch Walter MR-Int 2012, 34; Berger, GRUR 2002, 198 – die beide eine andere Meinung vertreten, dem Erw.Gr. aber Beachtung schenken wollen.
- 28 Spindler, Der Handel mit Gebrauchtsoftware – Erschöpfungsgrundsatz quo vadis?, CR 2008, 69.