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Future Tools & Methods - Augmented Reality rechtlich betrachtet

  • Author: Kai Erenli
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: E-Commerce
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Kai Erenli, Future Tools & Methods - Augmented Reality rechtlich betrachtet, in: Jusletter IT 20 February 2013
Der IKEA-Katalog 2013 ist App-unterstützt in dieser Form verfügbar, die «Google Glasses» stehen kurz vor der Einführung, die Werbeindustrie wartet nur noch auf den großen Durchbruch. Die Rede ist von «Augmented Reality» - die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Aus rechtlicher Sicht stellen sich in Zusammenhang mit Augmented Reality auch neue Fragen, die von der urheberrechtlichen Würdigung über Haftungsfragen bis hin zu patentrechtlichen Themen reichen. Diese sollen im schriftlichen Beitrag erläutert und rechtlich bewertet werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Was bedeutet «Augmented Reality»
  • 1.1. Geschichtlicher Hintergrund
  • 1.2. Technische Aspekte
  • 2. Welche rechtlichen Problemstellungen sind zu erkennen?
  • 2.1. Urheberrecht und AR
  • 2.2. Schadenersatzrecht und AR
  • 2.3. Verbraucher- und Wettbewerbsrecht und AR
  • 2.4. Patente und AR
  • 2.5. Marken und AR
  • 3. Schlussfolgerungen
  • 4. Literatur

 

«This technology is poised to explode into mainstream society but has not done yet so»

 

- Joseph Rampolla

 

 

1.

Was bedeutet «Augmented Reality» ^

[1]

Unter der erweiterten Realität (englisch: Augmented Reality (AR)) versteht man die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Diese Erweiterung kann alle menschlichen Sinnesmodalitäten - dies sind Empfindungskomplexe wie Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen - ansprechen. Überwiegend wird jedoch unter erweiterter Realität nur die visuelle Darstellung von Informationen verstanden, also die Ergänzung von Bildern oder Videos mit computergenerierten Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten mittels Einblendung/Überlagerung. Anders gesagt handelt es sich dabei um eine Ausweitung der Sinneswahrnehmung des Menschen mittels Sensoren, die Umgebungseigenschaften interpretieren, die der Mensch selbst so nicht wahrnehmen kann.1 Die Augmentation selbst kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Von der Überblendung von Text bis hin zur Darstellung von 3D-Objekten ist vieles möglich.

[2]
Bei TV-Übertragungen von Skisprungbewerben ist AR bspw durch das Einblenden einer Linie für die Zuschauer zum Standard geworden. Die (blaue) Line in Abbildung 1 sieht der Skispringer selbst nicht. Sie dient dem Zuschauer als Hilfestellung, welche Weite der Springer übertreffen muss, um die Führung im Klassement zu übernehmen. Ähnliche optische Hilfsmittel sind vielen Zuschauern auch aus anderen Sportübertragungen, wie bspw American Football (Nachvollziehen von Bewegungen auf dem Spielfeld) oder Fußball (Angabe der Distanz von «Mauer» und Tor beim Freistoß) bekannt.

Abbildung 1: AR beim Skispringen

[3]

Es ist deutlich zu erkennen, dass im Gegensatz zur virtuellen Realität, bei welcher der Nutzer in eine virtuelle Welt eintaucht, bei der erweiterten Realität die Darstellung zusätzlicher Informationen im Vordergrund steht. Dies stellt eine große technische Herausforderung vor allem für die visuelle Modalität dar, da die Positionsbestimmung (Tracking) und Kalibrierung jeweils abhängig von der individuellen Position des Benutzers bzw. dessen Umgebung berechnet werden muss. Stellte das noch vor Jahren ein großes Hindernis für die Nutzung in der breiten Bevölkerung dar, so hat sich dies grundlegend geändert. Heutzutage kann jedes gängige Smartphone die Umgebung mittels eingebauter Kamera aufnehmen und die Augmentation auf dem Bildschirm (hochauflösend) darstellen. Durch den Wegfall dieser Eintrittsbarrieren steht einer breiten Nutzung damit nichts mehr im Weg.

1.1.

Geschichtlicher Hintergrund ^

[4]

Der geschichtliche Hintergrund soll dazu dienen, einen Überblick über die wissenschaftliche und praktische Nutzung von AR zu bieten und zu demonstrieren, dass AR-Anwendungen nicht erst in der jüngeren Technologieentwicklung eine Rolle spielen. Besondere Erwähnung muss dabei Morton Heilig, der Erfinder des Sensoramas erfahren, welcher in den 1950er und 1960er Jahren auf dem Gebiet der Virtuellen Realität forschend tätig war und auch als der «Vater der Virtuellen Realität» bezeichnet wird.2 Heiligs Sensorama konnte stereoskopische 3D-Bilder darstellen, die olfaktorische Wahrnehmung durch die Erzeugung von Gerüchen und Luftbewegung (Windsimulation) ansprechen sowie Vibrationen erzeugen. Heilig patentierte sein «Experience Theater», wie er es selbst nannte, in den USA (U.S. Patent #3050870), der kommerzielle Erfolg blieb aber aus. 60 Jahre später findet man Heiligs Ideen vorrangig in den großen Freizeitparks der Unterhaltungsindustrie wieder. Auch hier werden die Besucher bspw. auf ihren Sitzen nass gemacht, sollte im gezeigten Film eine Regenszene auftauchen.3

[5]

1966 erfand Ivan Sutherland das Head-Mounted-Display, welches aber noch sehr benutzerunfreundlich war, da es auf Grund seines Gewichts an der Decke montiert werden musste und nicht transportabel war.4 Der Begriff «Augmented Reality» selbst geht auf den Ingenieur Tom Caudell zurück,5 der diesen Begriff 1990 während seiner Tätigkeit beim Flugzeughersteller Boeing erfand. Caudell und sein Team entwickelten ein System, welches die korrekte Anordnung von Kabelverbindungen darstellte und den ständigen Blick auf den Bauplan ersparte. Als Hirokazu Kato Ende der 1990er Jahre die Software ARToolKit6 entwickelte, markierte dies einen ersten Durchbruch für AR. Ab jetzt war die Entwicklung von AR-Anwendungen einer größeren Anzahl an Programmierern möglich. Die Software wurde 2009 zu FLARToolkit portiert, seitdem ist die Darstellung von AR im Webbrowser möglich.7

1.2.

Technische Aspekte ^

[6]
Wie bereits erwähnt gibt es unterschiedliche Möglichkeiten AR anzuwenden. Dazu ist es notwendig die reale Umgebung (bspw. mittels Kamera, Kompass oder GPS) zu erfassen, damit diese «echte» Umgebung mit der Augmentation angereichert werden kann. Die Software für diese Aufgabe bezeichnet man als Tracker. Dieser erfasst die Umgebung und die sich dort befindlichen Objekte sowie den Blickwinkel des Betrachters mittels spezifischer Sensoren.8 Die Trackingverfahren können wie folgt unterteilt werden und können alleine oder in Kombination eingesetzt werden:
  • markerloses (nichtvisuelles) Tracking und
  • markerbasiertes (visuelles) Tracking
[7]
Während beim markerlosen Tracking9 bspw. Kompass, GPS, Infrarot und Ultraschall als Sensoren eingesetzt werden, so wird visuelles Tracking vorrangig mit einer Kamera realisiert. Diese Methode ist momentan die am weitesten verbreitete, da AR-Anwendungen vielfach von der Marketingindustrie eingesetzt werden (bspw. IKEA-Katalog oder Golf VII) und diese darauf abzielen, dass der Benutzer den Marker (siehe Abbildung 2) mit seinem Smartphone scannt. Die Marker können dabei auf analogen Trägern (wie z.B. Produktverpackungen, Broschüren oder Flyern) angebracht werden.

Abbildung 2 und 3: Ein AR-Marker und Marker mit AR-Darstellung

[8]
Die AR-Software durchsucht das Kamerabild nach vordefinierten Mustern. Anhand deren Position im dreidimensionalen Raum kann die Software erkennen, wo sich der Marker befindet. Die Software kann damit den Abstand, die Drehung und Neigung des Markers zur Kamera bestimmen und vorbestimmte Objekte relativ zum Marker positionieren so dass sie dreidimensional auf dem Bildschirm erscheinen.
[9]
Als Marker kann aber auch das menschliche Gesicht dienen. Diese als «Face-Tracking» bezeichnete Methode kommt überwiegend beim Informationszugang und bei Sicherheitsanwendungen zum Einsatz. Dieser Ansatz scheint wirtschaftlich attraktiv zu sein, beachtet man, dass die Tochterfirma von Google, Motorola, 2012 den Face-Tracking-Spezialisten Viewdle erwarb10 und Apple die Firma Polar Rose für 29 Millionen Dollar aufkaufte11.

2.

Welche rechtlichen Problemstellungen sind zu erkennen? ^

[10]
AR ist bislang rechtlich erst wenig in Erscheinung getreten. Ein erster Fall ist aus den USA bekannt. In diesem werfen verschiedene Verbraucherorganisationen dem Getränke- und Lebensmittelkonzern PepsiCo (als Mutterkonzern von Frito-Lay) missbräuchliche Werbung mittels AR (und anderen Mitteln) vor.12 In dem als der «Doritos Late Night-Case» bekannten Fall wird der Chipshersteller Frito-Lay beschuldigt, durch seine «Doritos Late Night-Kampagne» Jugendliche maßgeblich dazu zu verführen, ungesunde Nahrung zu sich zu nehmen, welche zu Übergewicht führen können. In dieser Kampagne sollen Kunden die Webseite http://www.doritoslatenight.com/ besuchen, auf der sie die Möglichkeiten haben, AR-Inhalte abzurufen. Nachdem der Benutzer der Webseite Zugriff auf seine Webcam gestattet hat, wird er gebeten eine Chipsverpackung waagrecht vor die Webcam zu halten. Nachdem der Marker auf der Verpackung erkannt wurde, öffnet sich die Verpackung virtuell und die Musikband «Blink 182» fängt an, ein Stück zu spielen. Diese Form der Werbung missfällt den US-amerikanischen Verbraucherschützern, die Jugendliche für übermäßig empfänglich für diese Art der Ansprache halten. Da bislang13 keine Urteil gesprochen wurde, bleibt abzuwarten wie in diesem Fall entschieden wird.

Abbildung 4: Die «aufgerissene» Chipsverpackung mit Rockband14

[11]
Abgesehen von diesem Fall kann noch nicht auf weitere konkrete Fälle Bezug genommen werden. Die folgenden Problemstellungen erscheinen aber plausibel und wurden daher in die rechtliche Bewertung aufgenommen. Folgende Themenfelder wurden aufgenommen:

2.1.

Urheberrecht und AR ^

[12]
Wie bereits erwähnt finden sich unter den AR-Anwendungen momentan vorrangig solche, die die echte Umgebung mittels Videokamera aufnehmen und diese Bilder mit AR-Inhalten anreichern. Zwangsläufig kommt es dabei regelmäßig zur Aufnahme der jeweiligen Umgebung. Die Aufnahme von Straßenelementen, wie bspw. Sehenswürdigkeiten kann dabei im Rahmen der freien Werknutzung an Werken der bildenden Künste abgehandelt werden. Die Freiheit des Straßenbildes wird in § 54 Abs 1 Z 5 UrhG angesprochen. Der OGH hat dazu bereits ausgeführt, dass die Außenansicht eines Gebäudes und auch dessen Innenansicht von der freien Werknutzung erfasst sind15. Dazu gehören die Hofansicht, Innenteile des Bauwerks, wie Treppenhaus, Vorhalle und Zimmer, sowie Bestandteile des Bauwerks, wie Türen, Stiegengeländer und Kamine. Hier ist ein großer Unterschied zu § 59 deutsches UrhG feststellbar, der die Innenansicht nicht umfasst. Ebenfalls nicht umfasst scheinen in Österreich die Einrichtungsgegenstände, welche nicht «integrierender Bestandteil einer eigenpersönlichen Schöpfung» sind. Diese sind dann nicht von der Freiheit des Straßenbildes umfasst, da sie nicht als Werke der Baukunst i.S.d. § 54 Abs 1 Z 5 UrhG angesehen werden können. Die freie Werknutzung bei Werken der Baukunst geht aber über die Freiheit des Straßenbildes hinaus, da es nicht unbedingt erforderlich ist, dass sich das Werk der Baukunst an einem «dem öffentlichen Verkehr dienenden Orte» befindet.16 § 54 Abs 1 Z 5 UrhG gestattet explizit die Vervielfältigung, Verbreitung und das Recht zur Zurverfügungstellung. Lediglich jene Formen, die zu einer Wiederholung des Werkes führen werden von dieser gesetzlichen Lizenz ausgenommen.17 Eine weitere Grenze besteht darin, dass auch die freie Werknutzung keine Legitimation mehr findet, wenn sie die ideellen Interessen des Urhebers verletzt. Das kann durch Kürzungen, Zusätze und anderen Änderungen an dem Werk, an dessen Titel oder an der Urheberbezeichnung geschehen.18 In diesem Zusammenhang muss auch § 21 UrhG Beachtung finden, wonach Sinn und Wesen des benutzten Werkes keinesfalls entstellt werden dürfen. Dies gilt aber nicht nur für die freie Werknutzung an Werken der bildenden Künste, sondern für jegliche Werknutzung. Ebenfalls nicht umfasst von § 54 Abs 1 Z 5 UrhG das Bearbeitungsrecht. Der OGH führt dazu aus19:

«Eine Bearbeitung läßt das bearbeitete Werk zwar in seinem Wesen unberührt, gibt ihm aber wenigstens in der äußeren Form eine neue Gestalt, die als eigentümliche geistige Schöpfung des Bearbeiters zu werten ist; für die Abhängigkeit einer solchen Nachschöpfung ist entscheidend, daß in ihr das Originalwerk in wesentlichen Zügen wiederkehrt. Bearbeitungen und sonstige abhängige Nachschöpfungen grenzen sich dadurch von selbständigen Schöpfungen ab. Sie unterscheiden sich insbesondere von der sog. freien Benützung, bei welcher zwar Anregungen von einer früheren Schöpfung ausgehen, die Züge des benützten Werkes aber angesichts der Individualität der neuen Schöpfung verblassen (MR 1992, 238 [Walter] = ÖBl 1992, 75 = ecolex 1992, 488 mwN). Die Bearbeitung ist, sofern sie eine eigentümliche geistige Schöpfung ist, wie ein Orginalwerk geschützt (§ 5 Abs 1 UrhG); ihre Verwertung setzt aber die Zustimmung desjenigen voraus, der das bearbeitete Werk geschaffen hat (§ 14 Abs 2 UrhG) […]

Tritt das Vorbild hinter der Individualität der neuen Schöpfung zurück, so liegt eine freie Benützung vor. Bleibt das Vorbild in seinem Wesen unberührt, wird ihm aber in seiner äußeren Form eine neue Gestalt gegeben, so ist die Verbreitung der dadurch geschaffenen Bearbeitung nur mit Zustimmung des Schöpfers des bearbeiteten Werkes zulässig. Beschränkt sich die Darstellung auf eine Abbildung und damit auf eine Vervielfältigung des Bauwerks, so gilt dasselbe wie bei der freien Benützung: Der Urheber muß die Verbreitung dulden, allerdings mit der Einschränkung, daß seine ideellen (nicht materiellen) Interessen gewahrt sind.»

[13]
Eine Bearbeitung des Originalwerkes ist für AR essentiell und immanent. Erst durch die Augmentation des Originalwerkes kann es zu sinnvoller AR kommen. Die AR-Anwendung kann dabei markerlos (nichtvisuell) oder markerbasiert (visuell) geschehen und muss sich dabei nicht zwangsläufig auf das benutzte Werk beziehen. Bei der Suche nach der nächsten U-Bahnstation mittels AR bspw. wird zwar das Mobiltelefon eventuell auf umliegende Gebäude gerichtet und der auf dem Bildschirm des Mobiltelefons wiedergegebene Ausschnitt mit den notwendigen Informationen angereichert (siehe Abbildung 5) das wiedergegebene Gebäude ist aber nicht das ausdrückliche Ziel der Bearbeitung. Dennoch kommt es zu einer Bearbeitung des dargestellten Werkes. Rechtlich unbedenklich ist dies alles solange die AR-Anwendung lediglich persönlich benutzt wird und die Aufnahmen bspw. nicht dauerhaft geschehen. Dann müssen die Aufnahmen nämlich als flüchtige oder begleitende Vervielfältigung gemäß § 41a UrhG angesehen werden, da diese integraler Teil eines technischen Verfahrens sind. Unterliegen sie aber einer Verwertungshandlung, müssen die angeführten Bestimmungen hinsichtlich einer Bearbeitung beachtet werden.20

Abbildung 5: Innenaufnahme mit AR-Inhalten (von Wikitude)

[14]
Bezüglich der eingeblendeten AR-Inhalte muss ebenfalls auf eine legale Verwertungshandlung geachtet werden. Anbieter von AR-Anwendungen müssen darauf achten, dass die Zusatzinformationen bzw. die verknüpften Informationen aus Quellen stammen, von denen Sie die benötigten Verwertungsrechte eingeräumt bekommen haben, bzw. bekommen (sofern sie nicht selbst Urheber sind). Abschließend bleibt zu erwähnen, dass künstliche Marker, wie der ARToolkit Marker, der HOM Marker oder der IGD Marker selbst keinen Urheberrechtsschutz genießen. Die Verfügbarmachung eines künstlichen Markers ist aber meist von Lizenzrechten abhängig.21

2.2.

Schadenersatzrecht und AR ^

[15]
Die Ablenkung durch AR kann analog zu der Ablenkung durch Handynutzung am Steuer oder auch das Tippen von SMS während des Gehens gewertet werden. Diese Art der Ablenkung geschieht immer häufiger, was durch verschiedene Studien hinreichend belegt ist. Nach einer Studie22 des Kuratoriums für Verkehrssicherheit bspw. konnte nachgewiesen werden, dass visuelle und akustische Reize der Umwelt um 60 Prozent stärker ausgeprägt sein müssen, damit ein telefonierender Fahrer sie wahrnimmt. Rund drei Viertel der telefonierenden Autofahrer halten nicht vor Zebrastreifen an. Auch wenn AR-Anwendungen wohl vorrangig dem Nutzer helfen sollen, den Straßenverkehr zu bewältigen – Stichwort: Head-Up-Display – so muss auch hier im Einzelfall die AR-Anwendung selbst untersucht werden. Die möglichen Schadensfälle können dabei nach den allgemeinen Bestimmungen des Schadenersatzrechtes (für Softwarefehler) abgehandelt werden. Schadenersatzansprüche sind aber auch in jenen Fällen denkbar bei denen ein Schaden auf Grund von falschen AR-Inhalten kausal ableitbar ist. Dies kann bspw. der Fall sein, wenn jemand die Verkabelung für ein Bremssystem falsch zusammenbaut, weil er auf die Abbildung der AR-Anwendung vertraut, und es in Folge zu einem Unfall wegen Bremsversagens kommt. In diesem Fall kann es zu Regressansprüchen gegenüber dem Anbieter der AR-Anwendung kommen. Auch bei der Nutzung von AR-Anwendungen gilt es darauf zu achten, dass durch das eigene Verhalten keine Dritten geschädigt werden.

2.3.

Verbraucher- und Wettbewerbsrecht und AR ^

[16]
Marketingabteilungen haben AR seit längerem als attraktives Werkzeug zur Kundengewinnung erkannt. Nicht umsonst richtet sich die Klage der US-amerikanischen Verbraucherschutzorganisationen gegen eine Marketingkampagne. Die «Übernahme» von Werbeflächen der Konkurrenz erscheint für AR als geradezu verlockende Möglichkeit sich im Wettbewerb zu behaupten. Dazu wird bspw. das Werbesujet, das Konkurrenzprodukt selbst, ein Werbeplakat, ein geografischer Punkt in Blickrichtung des Werbeplakats oder ein anderer Marker verwendet, der geeignet ist, die AR-Anwendung zu starten. Richtet ein Nutzer nun seine Kamera auf diese Stelle, erscheint die Werbeeinblendung des «kapernden» Konkurrenten im Blickfeld des Nutzers. Teuer gebuchte Werbeflächen können so massiv abgewertet, Konkurrenzprodukte mit eigener Werbung verlinkt werden.
[17]
Gemäß § 1 UWG sollen unlautere Wettbewerbshandlungen aus dem Wirtschaftsleben ausgeschlossen werden. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung knüpft dabei an die Art und Weise, wie eine fremde Arbeitsleistung von einem Mitbewerber ausgenutzt wurde, an. Dabei kommt es neben den objektiven auch auf die subjektiven Unlauterkeitsmerkmale an, die das Verhalten des Verletzers als wettbewerbswidrig erscheinen lassen.23 Das OLG Stuttgart24 hat das Überkleben fremder Werbung als wettbewerbswidrig eingestuft, das Überdecken wurde ebenfalls vom OLG Stuttgart25solange als nicht wettbewerbswidrig angesehen, wenn es nicht primär um das Verdecken der fremden Werbung geht. Diese Entscheidungen könnten analog bei der Bewertung von ähnlichen wettbewerbsrechtlich relevanten Behinderungshandlungen mittels AR (auch in Österreich) herangezogen werden.
[18]
Denkbar ist aber auch die Beeinflussung der Kaufentscheidung durch AR-Darstellungen (das mittels AR-Anwendung im Wohnzimmer platzierte Sofa erweist sich beim Besuch das anbietenden Möbelhauses als kleiner oder minderwertiger als in der Darstellung). In diesen Fällen ist auf die Bestimmungen über die Irreführung iSd § 2 UWG Rücksicht zu nehmen. Nach ständiger Rsp26 ist eine Angabe immer irreführend, wenn die Vorstellung der Adressaten über ihre Bedeutung mit den wahren Verhältnissen nicht in Einklang steht. Maßgebend ist auch, ob die Angabe nach Anschauung des angesprochenen Kundenkreises geeignet ist, seine Kauflust anzuregen27. Im Falle von AR muss momentan noch davon ausgegangen werden, dass die Darstellungen ein reales Produkt nicht originalgetreu wiedergeben können. Dennoch wird man bei einem groben Missverhältnis von Darstellung mittels AR und Originalprodukt schon von einer möglichen Irreführung iSd § 2 UWG ausgehen können.

2.4.

Patente und AR ^

[19]
Das große Firmen gerne Patenstreitigkeiten führen ist nicht erst seit Apple vs Samsung bekannt. Sei es, dass Patente zum Schutz, als Angriffswaffe oder als Ass im Ärmel benutzt werden, bei AR kann man fest davon ausgehen, dass mehre Patente erteilt werden. Für Entwickler bedeutet dies, dass sie noch vorsichtiger sein müssen, wenn sie eine Anwendung oder eine technische Neuerung entwickeln. Durch den hohen Grad an Technizität rund um AR (als Beispiel seien hier die Google Glasses28 erwähnt) läuft man leicht Gefahr ein bereits bestehendes Patent zu verletzen. Umgekehrt besteht aber natürlich auch die Möglichkeit eine eigene Innovation patentrechtlich zu schützen und vermarkten zu können. Sicher ist aber auch, dass die Patentstreitigkeiten traditioneller Weise verstärkt in den USA auftreten werden, europäische Entwickler müssen hier aber ein wachsames Auge haben, um nicht mitten im kreativen Prozess durch eine Klage oder ein Unterlassungsbegehren abgelenkt zu werden.

2.5.

Marken und AR ^

[20]
Für Anbieter ergibt sich hier keine neue Situation, wie immer sollten Projektnamen, welche später eine potentielle Chance auf einen «Außeneinsatz» haben auf ihre Markentauglichkeit überprüft werden. Wie bereits bei den Erläuterungen zu den wettbewerbsrechtlichen Bestimmungen ausgeführt kann es dann problematisch werden, wenn ein Marker mit einer bestimmten Marke oder deren Produkte verknüpft wird. Auch die Problematik des Key-Word-Advertising sollte nicht unerwähnt bleiben, können doch viele «gescannte» Produkte mit Schlagwörtern versehen und dementsprechend verlinkt werden. Auch hier ist Missbrauchspotential zu orten, da Anbieter von AR-Lösungen wohl in den wenigsten Fällen ihre Hintergrunddaten (aus denen erkenntlich wäre auf was verlinkt wird) freigeben werden.

3.

Schlussfolgerungen ^

[21]
Noch sind die rechtlichen Problematiken rund um AR sehr hypothetisch. Die rechtlichen Fragestellungen scheinen sich aber vorrangig um urheber-, datenschutz- und wettbewerbsrechtliche Themen zu drehen. Es zeigt sich aber, dass viele mögliche Problemstellungen mit der bestehenden Rechtsordnung und -sprechung ohne Schwierigkeiten in Einklang gebracht werden können. Unabhängig davon ist jedenfalls Sensibilität beim Umgang mit AR gefragt. So mussten sich erst kürzlich Teilnehmer eines AR-Spiels mit Fragen der Polizei auseinandersetzen, da diese die Handlungen der auf ihr Smartphone starrenden Spieler nicht nachvollziehen konnten.29 Ebenfalls sollten Personen, die mit einem Smartphone oder Tablet weit ausgestreckt vom Körper durch die Innenstadt gehen und dabei über Gehwegkanten und kleine Hunde am Boden stolpern weder Mitleid noch rechtliche Hilfestellung bei der Erstreitung von Schadenersatz erwarten können.
[22]
Es wird spannend zu beobachten sein, wie große Anbieter, wie Youtube (mittels daqri), Google (mittels Viewdle) oder Apple (mittels Polar Rose) mit AR umgehen werden. Auch der Hype-Faktor ist nicht zu unterschätzen. Aber ähnlich wie der Aufstieg des QR-Codes von einer Logistikhilfe für Bauteile zu einem Marketinginstrument (man findet fast kein Plakat, keine Werbung mehr ohne QR-Code) bis hin zu einer modernen Schnitzeljagd ähnlich des Geocachens (siehe Munzee) wird auch AR seinen Weg finden. Spätestens mit der Einführung der Google Glasses für die breite Masse werden viele kluge Köpfe innovative Ideen rund um AR entwickeln. Die Frage nach dem Wann, darf eigentlich nicht gestellt werden, da man hier nur einen zu großen Erwartungsdruck aufbauen würde, sicher scheint nur das «dass».

4.

Literatur ^

Dittrich, Robert, Österreichisches und Internationales Urheberecht6, Manz, Wien (2012).

Heilig, Morton, CINEMA OF THE FUTURE, in Expacios, Mexiko (1955).

Mehlher-Bicher, Anett/Reiß, Michael/Steiger Lothar, Augmented Reality, Oldenbourg Verlag, München (2011).

Mullen, Tony, Prototyping Augmented Reality, Wyley, Indianapolis (2011).

 


 

Kai Erenli, Studiengangsleiter, FH des bfi Wien, Stg. Film-, TV- und Medienproduktion

 


 

  1. 1 http://de.wikipedia.org/wiki/Erweiterte_Realität aufgerufen: 28.1.2013.
  2. 2 Heilig, Morton, CINEMA OF THE FUTURE, in Expacios, Mexiko (1955).
  3. 3 http://www.universalorlando.com/Rides/Universal-Studios-Florida/Shrek-4-D.aspx aufgerufen: 28.1.2013.
  4. 4 http://blog.lukemears.com/augmented-reality-history aufgerufen: 28.1.2013.
  5. 5 Mullen, Tony, Prototyping Augmented Reality, Wyley, 3, Indianapolis (2011).
  6. 6 http://www.hitl.washington.edu/artoolkit aufgerufen: 28.1.2013.
  7. 7 http://www.artoolkit.de/produkte/flartoolkit.html aufgerufen: 28.1.2013.
  8. 8 Mehlher-Bicher, Anett/Reiß, Michael/Steiger Lothar, Augmented Reality, 27, Oldenbourg Verlag, München (2011).
  9. 9 http://www.chip.de/artikel/Augmented-Reality-auf-dem-Handy-5_37778706.html aufgerufen: 28.1.2013.
  10. 10 http://techcrunch.com/2012/10/03/googles-motorola-mobility-acquires-image-and-gesture-recognition-company-viewdle aufgerufen: 28.1.2013.
  11. 11 http://techcrunch.com/2010/09/20/apple-buys-polar-rose-for-a-rumoured-22-million/ aufgerufen: 28.1.2013.
  12. 12 Klageschrift kann abgerufen werden unter: http://case-studies.digitalads.org/wp-content/uploads/2011/10/complaint.pdf aufgerufen: 28.1.2013.
  13. 13 Stand 9.1.2013.
  14. 14 http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=OEFFqJ3ExPs aufgerufen: 28.1.2013.
  15. 15 OGH 4 Ob 106/89 - Adolf Loos, MR 1991, 25.
  16. 16 OGH 4 Ob 51/94 – Hundertwasserhaus I – MR 1994, 200.
  17. 17 Dittrich, Robert, Österreichisches und Internationales Urheberecht6, 357, Manz, Wien (2012).
  18. 18 OGH 4 Ob 51/94 – Hundertwasserhaus I – MR 1994, 200.
  19. 19 OGH 4 Ob 51/94 – Hundertwasserhaus I – MR 1994, 200.
  20. 20 So auch EuGH, Rs C-302/10, Infopaq.
  21. 21 Siehe bspw. http://www.hitl.washington.edu/artoolkit/license.html aufgerufen: 28.1.2013.
  22. 22 http://www.kfv.at/verkehr-mobilitaet/unfallursachen/telefonieren-am-steuer/ aufgerufen: 28.1.2013.
  23. 23 OGH 4 Ob 55/01vStudiolineÖBl. 2002, 87.
  24. 24 OLG StuttgartÜberkleben fremder Plakate NJW-RR 1996, 1515.
  25. 25 OLG Stuttgart Überdecken fremder Werbung BB 1963, 709.
  26. 26 Siehe bspw. OGH 4 Ob 144/01g – St.Barbara-Brot – ÖBl 2002,15.
  27. 27 OGH 4 Ob 365/76–WolfgangerTrachtenstube – ÖBl1977,39.
  28. 28 http://www.spiegel.de/netzwelt/web/microsoft-meldet-patent-fuer-augmented-reality-brille-an-a-868855.html aufgerufen: 28.1.2013.
  29. 29 http://derstandard.at/1353208916976/Erste-Verhaftungen-von-Ingress-Spielern aufgerufen: 28.1.2013.