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Akteursübergreifende Informationsflussanalyse am Beispiel der SchnittstelleN zwischen Bauprozess und Verwaltung

  • Authors: Sebastian Bräuer / Ralf Knackstedt / Martin Matzner
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Wissensbasiertes Prozessmanagement in Verwaltungsnetzwerken
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Sebastian Bräuer / Ralf Knackstedt / Martin Matzner, Akteursübergreifende Informationsflussanalyse am Beispiel der SchnittstelleN zwischen Bauprozess und Verwaltung, in: Jusletter IT 20 February 2013
Vorgehensmodelle zum Prozessmanagement basieren in der Regel darauf, dass in frühen Phasen eine Modellierung der Ist- und Sollabläufe zu erfolgen hat [Becker, Kugeler, Rosemann 2008]. Zur Darstellung der häufig akteursübergreifenden Prozesse wurden vielfältige Modellierungstechniken entwickelt, die sich durch ihre jeweiligen Perspektiven auf das abzubildende System unterscheiden [Scheer 2002]. Die Darstellung von Informationsflüssen zwischen den an den Prozessen beteiligten Akteuren unter Berücksichtigung der zusätzlich zu erbringenden koordinativen Aufgaben stellt dabei eine wesentliche Perspektive dar. Der im Kontext der hybriden Wertschöpfung entwickelte, softwareunterstützte FlexNet-Modellierungsansatz unterstützt die Dokumentation und Spezifikation von Ist- und Soll-Informationsflüssen [Becker, Beverungen, Knackstedt 2008]. Zusätzlich werden Methoden zur systematischen Analyse bestehender Koordinationsszenarien integriert und, durch Adaption des Service Blueprinting, einer Verfahrensweise aus der Marketingtheorie, die Entwicklung kreativer Verbesserungsansätze gefördert [Kleinaltenkamp 2000; Knackstedt, Dahlke 2004]. Der Beitrag regt die Anwendung des FlexNet-Modellierungsansatzes und -Werkzeuges für die Explikation von Prozesswissen aus dem Bauprozess und für die Analyse der mit dem Bauprozess einhergehenden B2A-Kommunikation an.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einleitung
  • 2. Forschungshintergrund und verwandte Arbeiten
  • 3. Betrachtungsebenen zur Analyse und Verbesserung der Informationsflüsse zwischen Bauprozess und Verwaltung
  • 3.1. Anwendungsszenario
  • 3.2. Betrachtungsebenen und Analyseperspektiven
  • 4. Anwendungsbeispiel
  • 5. Zusammenfassung und Ausblick
  • 6. Literatur

1.

Einleitung ^

[1]
Vorgehensmodelle zum Prozessmanagement empfehlen, bereits in frühen Phasen eine Modellierung der Ist- und Sollabläufe durchzuführen [Becker, Kugeler, Rosemann 2008]. Für die Explikation des Wissens über die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure in Prozessen wurden vielfältige Modellierungstechniken entwickelt, die sich jeweils durch spezifische Perspektiven auf das zu gestaltende System auszeichnen [Scheer 2002]. Eine wesentliche Perspektive fokussiert dabei die Analyse der Informationsflüsse zwischen den beteiligten Akteuren, der ausgetauschten Informationsobjekte und der darüber hinaus wahrgenommenen Koordinationsaufgaben.
[2]
Mit dem FlexNet-Ansatz wurde im Kontext der hybriden Wertschöpfung, d.h. der Wertschöpfung aus dem integrierten Anbieten von Sach- und Dienstleistungen als hybride Leistungsbündel [z. B. Goedkoop et al. 1999; Becker, Krcmar 2008], ein softwareunterstützter Modellierungsansatz entwickelt, der nicht allein die Dokumentation und Spezifikation gegenwärtiger und geplanter Informationsflüsse unterstützt. Vielmehr erlaubt der Ansatz auch die systematische Analyse bestehender, potentiell netzwerkbasierter Koordinationsszenarien und die Entwicklung kreativer Verbesserungsansätze [z. B. Beverungen, Knackstedt, Müller 2008; Becker, Beverungen Knackstedt 2008]. Dazu werden etwa Verfahrensweisen aus der Marketingtheorie in Form des Service Blueprinting [z. B. Kleinaltenkamp 2000; Knackstedt, Dahlke 2004] adaptiert.
[3]
Auch die Herstellung und Bewirtschaftung eines Bauwerkes, beschrieben durch den Bauprozess mit Bauplanung, Bauausführung und Nutzung, kann als hybrides Leistungsbündel verstanden werden. Das Gebäude stellt eine Sachleistung dar, die zunächst durch die interdisziplinäre Kooperation einer Vielzahl von Akteuren, wie Planern, Behörden, Ausführenden und Lieferanten unter Einflussnahme des späteren Eigentümers oder Nutzers zu planen und zu erstellen ist. Aufgrund des Umfanges des zu erbringenden Leistungsspektrums und der spezifischen Merkmale von Bauvorhaben, wie Einmaligkeit, zeitliche Begrenzung und Komplexität, werden Bauvorhaben überwiegend in unternehmensübergreifenden, projektartigen Kooperationen realisiert [Müller 1999].
[4]
Insbesondere während des Planungsprozesses ist dabei zu beobachten, dass die Anforderungen an das Bauwerk und Bauprojekt iterativ durch die Kommunikation der Interessen und Bedürfnisse der verschiedenen Akteure festgelegt werden [Müller 1999]. Dabei sind vielfältige baurechtliche Aspekte zu berücksichtigen. Durch das öffentliche Baurecht und dessen Differenzierung in das Bauplanungsrecht (Normen zur Bebaubarkeit von Grundstücken) und das Bauordnungsrecht (Normen zur näheren Regelung von Bauvorhaben) [Battis, Krautzberger, Löhr 2009] entstehen verschiedene Schnittstellen zwischen den Akteuren des Projektes und der zuständigen Bauaufsichtsbehörde, d.h. der Verwaltung. Die Bauaufsichtsbehörde stellt allerdings keine homogene Einheit dar. Vielmehr bearbeiten verschiedene Sachbearbeiter und Fachbehörden eingehende Anträge (z. B. Bauanträge) und es muss somit auch eine umfassende Kommunikation innerhalb der Verwaltung erfolgen. Die dynamische Anforderungsentwicklung und die verschiedenartigen Interessen der beteiligten Akteure erfordern es, das genannte Koordinationsszenario zu analysieren, Interdependenzen zu explizieren und ggf. Verbesserungspotentiale aufzuzeigen, so dass Verzögerungen in Planung und Bauabwicklung durch die fehlende rechtzeitige und formgerechte Bereitstellung von Informationen und damit einhergehende monetäre Mehrbelastungen vermieden werden können.
[5]
Im Verlauf dieses Beitrages wird beschrieben, wie der FlexNet-Ansatz dazu genutzt werden kann, das illustrierte Szenario auf drei Betrachtungsebenen zu analysieren: Mit Fokus auf die primär am Bauprozess beteiligten Akteure des Wertschöpfungsnetzwerkes, unter Betrachtung der innerhalb der Verwaltung zu erfolgenden Kommunikation und zur Untersuchung der Übergänge zwischen diesen beiden Ebenen. Das Ziel dieses Beitrages ist es somit, Ansatzpunkte für die Anwendung des FlexNet-Ansatzes im Kontext der Analyse des Bauprozesses sowie der damit einhergehenden Verwaltungsaufwände zu illustrieren.
[6]
Im Folgenden werden in Kapitel 2 zunächst der FlexNet-Ansatz und verwandte Forschungsansätze erläutert. Anschließend wird der Bauprozess als Anwendungsszenario näher spezifiziert (Kapitel 3.1), die oben genannten Betrachtungsebenen zur Analyse des Anwendungsszenarios eingeführt und mit dem FlexNet-Ansatz durch die Bereitstellung eines generischen Fragenkataloges verbunden (Kapitel 3.2). Kapitel 4 enthält eine kurze, exemplarische Anwendung des FlexNet-Ansatzes auf die mittlere Betrachtungsebene. Der Beitrag schließt in Kapitel 5 mit einer kurzen Zusammenfassung und einem Ausblick auf die zukünftige Forschung.

2.

Forschungshintergrund und verwandte Arbeiten ^

[7]
Der FlexNet-Ansatz baut auf der Verwendung von Informationsmodellen zur Identifikation und Dokumentation von Informationsflüssen auf. In der Wissenschaft existieren zahlreiche ähnliche Ansätze. So analysiert Scheer [1994] beispielsweise die Informationsverarbeitung im Kontext technischer und betriebswirtschaftlicher Aufgaben im Produktionsbetrieb (Y-CIM-Modell), Becker und Schütte [2004] illustrieren die Informationsflüsse zwischen verschiedenen operationalen Einheiten von Handelsunternehmen (Handels-H-Modell) und weitere Analysen basieren etwa auf dem Tagesgeschäft eines Consultingunternehmens (Consulting-C-Modell) [Nissen, Seiffert 2008] oder beschäftigen sich mit der Optimierung der Informationsflüsse entlang von industriellen Lieferketten (SCOR-Modell) [Supply Chain Council 2010]. Analoge Ansätze für den Bereich der Bauplanung unter Berücksichtigung der Rolle der Baubehörden konnten bisher nicht identifiziert werden.
[8]
Unter dem Begriff «Informationslogistik» verfolgen Winter et al. [2008] einen weiteren Ansatz. Informationslogistik fokussiert die Analyse der Planung, Steuerung, Durchführung und Kontrolle unternehmensübergreifender Datenflüsse und der Speicherung und Aufbereitung der zugrunde liegenden Daten. Im Vordergrund der Betrachtung steht dabei vor allem, dass einem Entscheidungsträger relevante Informationen in geeigneter Qualität und Form bereitgestellt werden, auch wenn diese Informationen potentiell in anderen Organisationseinheiten oder Unternehmen anfallen. Operative Datenflüsse werden dabei vernachlässigt.
[9]

Im Vergleich zu den zuvor dargestellten Methoden geht der FlexNet-Ansatz einen Schritt weiter. Entwickelt im Kontext des Forschungsprojektes FlexNet1 (Flexible Informationssystemarchitekturen für hybride Wertschöpfungsnetzwerke) wurde die FlexNet-Methode originär zur Analyse von Geschäftsprozessen in unternehmensübergreifenden hybriden Wertschöpfungsnetzwerken (Produzenten-Dienstleister-Netzwerke) konzipiert [z. B. Becker et al. 2011, Becker et al. o. J.]. Dabei standen insbesondere die Fragen nach der potentiellen Restrukturierung der individuellen Geschäftsprozesse der Akteure des Netzwerkes entsprechend der einzugehenden Kooperation (betriebswirtschaftliche/organisatorische Sicht) und die Etablierung interorganisatorischer Informationssysteme durch die einheitliche Spezifikation von Schnittstellen und den Austausch von Dokumenten (informationstechnische Sicht) im Fokus der Betrachtung [Becker et al. 2011]. Die Methode fokussiert dabei die Analyse von flexiblen und projektspezifischen hybriden Wertschöpfungsnetzwerken, die insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, aufgrund des einhergehenden hohen Verhandlungs- und Dokumentationsaufwandes zur Spezifikation der einzelnen Rollen, Aufgaben und Pflichten der Kooperationspartner, ein hohes finanzielles Risiko darstellen [Becker et al. 2011].

[10]

Die im Rahmen des Projekts FlexNet entwickelte Modellierungssprache (siehe Metamodell der Modellierungssprache in Abbildung 1) ermöglicht es, den Aufwand einer modellbasierten Strukturierung und Abbildung akteursübergreifender Informationsflüsse zu reduzieren und erleichtert somit ihre Analyse [Becker et al. 2011]. Der Betrachtungsgegenstand wird zunächst durch ein Projekt begrenzt. Durch die Verwendung von Szenarien ist es etwa möglich, verschiedene Entwicklungsstadien des Modelles zu kennzeichnen (z. B. Ist- und Sollmodelle), Varianten zu verwalten oder unterschiedliche Perspektiven auf den Betrachtungsgegenstand abzubilden. Akteure präsentieren die verschiedenen Kollaborationspartner, wie etwa den Bauherrn, den Architekten, oder die Baubehörde. Zur weiteren Unterteilung von Akteuren können Bereiche verwendet werden, die die jeweiligen individuellen Geschäftsaktivitäten eines Akteurs in Funktionscluster gliedern (z. B. für ein Bauunternehmen in die Funktionsbereiche Angebotsmanagement und Ausführungsmanagement). Bereiche können darüber hinaus durch Aktivitäten detailliert werden, deren Zusammenhänge wiederum durch Prozessmodelle beschrieben werden können.

[11]
Aufbauend auf der Abbildung der für die jeweiligen Akteure spezifischen Organisationsstrukturen und Geschäftsprozesse ermöglicht es die FlexNet-Modellierungssprache die Kollaboration und somit die Interaktion zwischen den Akteuren näher zu spezifizieren [Becker et al. 2011]. Für die Modellierung akteursübergreifender, integrierter Wertschöpfungsprozesse bietet die Modellierungssprache Bausteine. Abgegrenzt von den akteursindividuellen Aufgaben dienen die Bausteine dazu zu explizieren, welche Koordinationsaufgaben und zusätzlichen Aufgaben kooperativ im Netzwerk zu erbringen sind. Bausteine können wiederum zu Modulen zusammengefasst werden und lassen sich durch die Verwendung von Kooperationsaktivitäten, analog zu Bereichen, näher detaillieren. Die genaueren Zusammenhänge der Kooperation lassen sich erneut durch Prozessmodelle beschreiben.
[12]
Zur Kopplung der unternehmensindividuellen Geschäftsprozesse können Informationsflüsse definiert werden [Becker et al. 2011]. Zur näheren Spezifikation der durch Informationsflüsse kommunizierten Informationen bzw. der in Aktivitäten verarbeiteten Informationen ermöglicht es die FlexNet-Modellierungssprache auf Informationsobjekttypen zurückzugreifen. Soll ein Informationsobjekttyp detailliert spezifiziert werden, kann er als Dokument gekennzeichnet werden und im Detail durch die Spezifikation von Dokumentenfeldern mit samt ihren Namen, Datentypen und weiteren Eigenschaften abgebildet werden. Somit kann der Informationsaustausch detailliert beschrieben werden und es lassen sich akteursübergreifende Standards spezifizieren.

Abbildung 1: Metamodell der FlexNet-Modellierungssprache als Erweitertes Entity-Relationship-Modell

[13]
Für die Analyse und Optimierung der Koordination zwischen den Akteuren integriert der FlexNet-Ansatz zudem Grundlagen des Service Blueprinting. Der Begriff des Service Blueprinting stammt aus dem Dienstleistungsmarketing und wurde insbesondere durch die Arbeiten von Shostack [1982, 1984] mitgeprägt. Im Vordergrund des Service Blueprinting steht dabei vor allem die Ausrichtung der Unternehmensprozesse auf den Kunden und die Analyse der mit dieser Ausrichtung einhergehenden Informationsbedarfe. Für diesen Zweck führte Shostack [1984] eine Sichtbarkeitslinie ein («Line of Visibility»), die es ermöglicht, für Kunden sichtbare Aktivitäten von für Kunden unsichtbaren Aktivitäten zu differenzieren. Ein aus der Praxis geläufiges Beispiel für die Verschiebung der Sichtbarkeitslinie liegt in der Bereitstellung von Trackinginformationen [Beverungen, Knackstedt, Müller 2008]. In der Folgezeit hat die Methode zahlreiche Modifikationen erfahren. So hat etwa Kingman-Brundage [1989] zusätzliche Lines zur weiteren Differenzierung der Aktivitäten eingeführt. Die «Line of Interaction» ermöglicht es etwa Kundenaktivitäten von Anbieteraktivitäten zu unterscheiden [Kingman-Brundage 1989]. Wird diese Line in Richtung des Anbieters verschoben, so führt dies dazu, dass weitere Aktivitäten durch den Kunden durchgeführt werden, wie dies etwa bei Selbstbedienungskonzepten der Fall ist. Untersuchungen zeigen, dass der Einsatz dieses Ansatzes zur Prozessanalyse, insbesondere in Verbindung mit einem Leitfragenkatalog, die Identifikation von Prozessverbesserungspotentialen erhöht [Knackstedt, Pellengahr 2007].
[14]

Im Kontext des FlexNet-Ansatzes werden diese Methoden unter dem Begriff der Service-Analyse aufgegriffen und verallgemeinert [Beverungen, Knackstedt, Müller 2008; Becker et al. 2011]. Anstatt die Aktivitäten von Anbieter und Kunde zu betrachten, gilt es paarweise die Aktivitäten der Kooperationspartner aus zwei Perspektiven zu analysieren (siehe Abbildung 2). Aus der Bereitstellungsperspektive stellt sich der Eigentümer einer spezifischen Aktivität (hier Aktivität X) die Frage, ob es für die Kooperation vorteilhaft ist, wenn er die Ausführung der Aktivität X einem Kooperationspartner gänzlich überlässt (Übernahme, Line of Interaction) oder Informationen über die Ausführung der Aktivität X einem Kooperationspartner zur Verfügung stellt (Sichtbarkeit, Line of Visibility). Umgekehrt wird aus der Nutzungsperspektive gefragt, ob es für den Eigentümer der Aktivität X von Vorteil ist, wenn er zusätzlich zu seiner Aktivität X eine weitere Aktivität eines anderen Kooperationspartners übernimmt (Übernahme, Line of Interaction), oder lediglich Informationen über die Ausführung der weiteren Aktivität durch einen anderen Partner nutzt (Sichtbarkeit, Line of Visibility). Kombiniert mit entsprechenden Fragen ermöglicht es der FlexNet-Ansatz somit, die Kooperation zwischen den Akteuren innerhalb des Netzwerkes weiter zu analysieren, Synergien zwischen Aktivitäten zu hinterfragen und Optimierungspotentiale aufzuzeigen.

[15]
Mit dem FlexNet-Architect steht zudem ein webbasiertes Modellierungstool zur Verfügung, das den beschriebenen FlexNet-Ansatz integriert2. Durch die Bereitstellung von Prozessmodellbausteinen und Dokumentenvorlagen lässt sich der Modellierungsaufwand erheblich reduzieren und Best Practice Wissen in die Modellierung integrieren [Becker et al. 2011].

Abbildung 2: Perspektiven der Service-Analyse

3.

Betrachtungsebenen zur Analyse und Verbesserung der Informationsflüsse zwischen Bauprozess und Verwaltung ^

3.1.

Anwendungsszenario ^

[16]
Wie einleitend erwähnt, kann die Herstellung und Bewirtschaftung eines Bauwerks als hybrides Leistungsbündel aufgefasst werden. Diese zu erbringende Leistung kann etwa als lebenszykluskosten- und nutzenoptimierte bauliche Anlage bezeichnet werden. Ein Beispiel ist ein Schulgebäude mit pflege- und wartungsfreundlichen Fassaden, für das bereits bei der Planung potentielle, durch den demografischen Wandel bedingte, alternative Nutzungsmöglichkeiten berücksichtigt werden.
[17]
Das an der Leistungserbringung beteiligte Konsortium setzt sich dabei, abhängig von dem jeweiligen Bauvorhaben, aus verschiedenen Akteuren zusammen, im klassischen Fall mindestens jedoch aus einem Bauherren, einem Architekten, einem ausführenden Bauunternehmen und der zuständigen Bauaufsichtsbehörde. Weitere mögliche Akteure sind etwa der spätere Nutzer, verschiedene Fachplaner, Facility Management Consultants, Logistikunternehmen und für die spätere Anlagenbetreuung zuständige Dienstleister. Der Grad der Beteiligung der einzelnen Akteure in den Phasen des Bauprozesses variiert stark. Durch die einleitend erwähnten spezifischen Merkmale von Bauvorhaben und die hohe Anzahl der an der Leistungserbringung Beteiligten ergibt sich ein komplexes, mehrphasiges Koordinationsproblem. Aus Gründen der Vereinfachung konzentrieren sich die nachfolgenden Ausführungen primär auf Auszüge aus dem Bauplanungsprozess.

3.2.

Betrachtungsebenen und Analyseperspektiven ^

[18]
Mit der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) steht eine umfassende Verordnung zur Verfügung, die nicht nur die Honorare der Architekten für Planungsleistungen in Bauprojekten regelt, sondern gleichzeitig auch eine detaillierte Beschreibung dieser Leistungen und eine Differenzierung von Leistungsphasen beinhaltet [AHO 2009]. Da durch diese Ausführungen der Bauplanungsprozess, dessen zentraler Akteur der Architekt ist, ausreichend detailliert beschrieben wird, lehnen sich die weiteren Ausführungen an die HOAI an.
[19]
Entsprechend der Leistungsphasen 1-3 der HOAI führt der Architekt in Absprache mit dem Bauherren bzw. etwaigen Nutzern und unter potentieller Einbeziehung weiterer Experten, wie etwa dem Facility Management Consultant, zunächst den Entwurf durch [AHO 2009]. Dazu wird beispielsweise die genaue Aufgabenstellung diskutiert und über den Leistungsbedarf beraten (HOAI Leistungsphase 1), die Zielvorstellungen werden abgestimmt, ein Planungskonzept erarbeitet und erste Kostenschätzungen durchgeführt (HOAI Leistungsphase 2) und anschließend werden die Leistungen weiterer Beteiligter integriert und das Bauvorhaben zeichnerisch festgehalten (HOAI Leistungsphase 3). Zudem wird in der Vorplanung (Leistungsphase 2 der HOAI) bereits die zuständige Baubehörde kontaktiert, um die Genehmigungsfähigkeit des geplanten Bauvorhabens zu prüfen. Mit der Ausarbeitung und Einreichung des Bauantrages in der Genehmigungsplanung (Leistungsphase 4 der HOAI) ergeben sich weitere Schnittstellen mit den zuständigen Behörden. Die Baugenehmigung vorausgesetzt werden die Planungen in den folgenden Phasen weiter detailliert, andere an der Planung fachlich Beteiligte miteinbezogen, die Vergabe- und Vertragsunterlagen erstellt und die Verhandlungen mit den ausführenden Unternehmen durchgeführt (Leistungsphasen 5-7). Danach schließt sich die Bauausführung an.
[20]
Aufbauend auf den beschriebenen vereinfachten Abläufen lässt sich die zu erfolgende Kommunikation zwischen den Beteiligten in drei Ebenen differenzieren. Auf der ersten Ebene befinden sich die Primärakteure des Wertschöpfungsnetzwerkes, die unmittelbar an der Planung und Durchführung beteiligt sind. Hierzu zählen etwa der Architekt, der Bauherr, die Fachplaner und ausführende Unternehmen. Die zweite Ebene wird durch die Verwaltung gebildet durch den die Kommunikation zwischen den verschiedenen, beispielsweise an der Baugenehmigung beteiligten Sachbearbeitern und Fachbehörden repräsentiert wird. Die dort anzutreffenden Prozesse werden unter anderem durch Belange des Baugesetzbuchs (BauGB), die jeweiligen Landesbauordnungen (LBO) und weitere rechtliche Anforderungen (Verkehrsrecht, Wasserrecht etc.) bestimmt. Eine dritte Betrachtungsebene dient der Abbildung der Übergänge zwischen dem Wertschöpfungsnetzwerk und der Verwaltung. Im Kontext der Bauplanung ergeben sich hier primär zwei Schnittstellen: Die Klärung der Genehmigungsfähigkeit (Leistungsphase 2 der HOAI) und die Einreichung bzw. Erteilung oder Verweigerung des Bauantrages (Leistungsphase 4 der HOAI).
[21]

Auf Basis der in Kapitel 2 vorgestellten methodischen Grundlagen und der zuvor differenzierten Betrachtungsebenen lassen sich die Analyse und Verbesserung von Informationsflüssen unterstützende Fragen erarbeiten (siehe Tabelle 1). Mit Hilfe dieser Fragen wird entsprechend des jeweiligen Betrachtungsgegenstandes ein erster Ansatzpunkt geschaffen, um eine Verschiebung der Line of Interaction bzw. Line of Visibility aus organisatorischer und informationstechnischer Sicht zu diskutieren. Dazu werden jeweils paarweise die Prozesse zweier, aus einer spezifischen Betrachtungsebene stammender, kooperierender Akteure analysiert. Ein Beispiel für die Anwendung der Fragen wird in Kapitel 4 aufgeführt.

Tabelle 1: Fragen zur Unterstützung der Informationsflussanalyse

4.

Anwendungsbeispiel ^

[22]

Die Anwendbarkeit der Service-Analyse und der unterstützenden Fragen wird nachfolgend anhand eines Anwendungsbeispiels demonstriert. Analysiert wird die für die Bauantragstellung und Erteilung der Baugenehmigung notwendige Interaktion zwischen dem Wertschöpfungsnetzwerk (vereinfacht repräsentiert durch den Architekten) und der Verwaltung (repräsentiert durch die Baubehörde). In einem ersten Schritt werden die die Baugenehmigung betreffenden Informationsflüsse zwischen den beiden Akteuren auf Basis der FlexNet-Modellierungssprache mit dem FlexNet-Architect modelliert (siehe Abbildung 3). Zur weiteren Analyse der Informationsflüsse können zudem detaillierte Prozessmodelle hinterlegt werden und es ist möglich, die ausgetauschten allgemeinen Informationsobjekttypen (z. B. Zeichnungen) oder Dokumente (z. B. den Bauantrag) mitanzugeben. Dokumente lassen sich zudem durch die Definition von Dokumentenfeldern in einem integrierten Dokumenteneditor näher spezifizieren, so dass leicht Mindeststandards für den Informationsaustausch definiert werden können.

[23]

Falls die detaillierten Prozessmodelle bei der weiteren Analyse offenbaren, dass bisher die elektronische Registrierung des Bauvorhabens durch einen Sachbearbeiter der Baubehörde durchgeführt wird, stellt sich durch die Perspektive der Service-Analyse die Frage, ob hinsichtlich dieser Aktivität ein Übernahmepotential durch den Architekten gegeben ist (Bereitstellung – Übernahme). Dazu ist es notwendig, dass die Verwaltung kommuniziert, welche Informationen für die elektronische Registrierung erforderlich sind und wie diese durch den Architekten bereitgestellt werden können. Zudem stellt sich die Frage nach der Verankerung weiterer, ergänzender Aktivitäten, wie etwa der Aufforderung der Verwaltung gegenüber dem Bauherren dem Entwurfsverfasser eine Vollmacht zur digitalen Antragstellung auszustellen bzw. nach der Veränderung bestehender Aktivitäten, wie etwa die Kontrolle der Vollständigkeit der nun elektronisch eingereichten Unterlagen. In der Praxis ist zu beobachten, dass einzelne Städte und Kommunen ein entsprechendes elektronisches Verfahren bereits umgesetzt haben (z. B. die Stadt Hamm (2012) mit dem virtuellen Bauamt ITeBAU oder der Landkreis Hildesheim (o. A.)).

Abbildung 3: Darstellung der Informationsflüsse zwischen Architekt und Baubehörde (Baugenehmigung)

[24]
Weitaus häufiger ist festzustellen, dass die Verwaltungen diesen Schritt noch nicht vollständig gegangen sind. Stattdessen wird, entsprechend der Analyseperspektive Bereitstellung-Sichtbarkeit, den Antragstellern auf Basis einer elektronischen Bauakte lediglich Einsicht in den aktuellen Stand der Baugenehmigung gewährt (z. B. die Stadt Münster (o. A.), der Odenwaldkreis (o. A.) oder der Kreis Ostholstein (o. A.)). Allerdings setzt auch dies die Implementierung eines entsprechenden Informationssystems voraus und verlangt von den jeweiligen Bearbeitern die Abarbeitung zusätzlicher Aktivitäten, die sich aus der Aktualisierung der elektronischen Bauakte ergeben.

5.

Zusammenfassung und Ausblick ^

[25]
Mit der Übertragung des im Kontext der hybriden Wertschöpfung eingeführten FlexNet-Ansatzes auf den Bereich der Bauplanung und insbesondere die Nutzung des Ansatzes zur Analyse der Kommunikation zwischen den Akteuren des Wertschöpfungsnetzwerks auf der einen und der Verwaltung auf der anderen Seite wird eine erste Grundlage für die Diskussion einer weiteren Analysetechnik zur Optimierung der B2A-Kommunikation und der zugrundeliegenden Geschäftsprozesse bereitet. Der Ansatz betont dabei insbesondere die Notwendigkeit einer organisatorischen und informationstechnischen Betrachtung der kollaborativen bzw. koordinativen Aktivitäten und der mit diesen verbundenen Informationsflüsse zwischen den Beteiligten. Die Service-Analyse motiviert, den Ist-Zustand mittels strukturierter Leitfragen zu hinterfragen und durch die Bereitstellung von Informationen über die Ausführung von Aktivitäten bzw. durch die Verschiebung der Verantwortlichkeiten für ihre Ausführung, weitere Ansatzpunkte für Änderungen in bestehenden Abläufen und Informationsflüssen zu liefern.
[26]
Neben der aufgezeigten Anwendung des FlexNet-Ansatzes bietet dieser noch weitere Einsatzmöglichkeiten. So ermöglicht eine sich in der Entwicklung befindliche Erweiterung des FlexNet-Modellierungstools etwa rechtliche Anforderungen direkt explizit während der Modellierung der Informationsflüsse, etwa durch Annotation, zu berücksichtigen und somit zu visualisieren. Mit der Frage nach der Anpassung existierender Informationsflüsse an das geltende Recht bzw. der Anpassung des geltenden Rechts an die Anforderungen der B2A-Kommunikation ergeben sich darüber hinaus weitere Anpassungspotentiale und somit weiterer Nutzen durch die Anwendung des FlexNet-Ansatzes. Außerdem eignet sich der FlexNet-Ansatz auch dazu, Referenzmodelle, d.h. Informationsmodelle, deren Inhalte bei der Konstruktion anderer Informationsmodelle wiederverwendet werden können [Fettke, vom Brocke 2012], zu konstruieren. Dies wird etwa für ein Wertschöpfungsnetzwerk zur Herstellung und Bewirtschaftung eines Bauwerkes als hybrides Leistungsbündel veranschaulicht [Averbeck et al. o. J.].

6.

Literatur ^

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Sebastian Bräuer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Münster, European Research Center for Information Systems (ERCIS), Institut für Wirtschaftsinformatik.

 

Ralf Knackstedt, Privat-Dozent, Vertretung der Professur für Wirtschaftsinformatik, Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik.

 

Martin Matzner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Münster, European Research Center for Information Systems (ERCIS), Institut für Wirtschaftsinformatik.

 


 

  1. 1 Für weitere Details zum FlexNet-Forschungsprojekt siehe http://www.ercis.org/node/127.
  2. 2 Das Modellierungstool kann kostenlos unter http://www.flexnet-architect.ercis.de aufgerufen und genutzt werden.