1.
Einleitung ^
2.
Forschungshintergrund und verwandte Arbeiten ^
Im Vergleich zu den zuvor dargestellten Methoden geht der FlexNet-Ansatz einen Schritt weiter. Entwickelt im Kontext des Forschungsprojektes FlexNet1 (Flexible Informationssystemarchitekturen für hybride Wertschöpfungsnetzwerke) wurde die FlexNet-Methode originär zur Analyse von Geschäftsprozessen in unternehmensübergreifenden hybriden Wertschöpfungsnetzwerken (Produzenten-Dienstleister-Netzwerke) konzipiert [z. B. Becker et al. 2011, Becker et al. o. J.]. Dabei standen insbesondere die Fragen nach der potentiellen Restrukturierung der individuellen Geschäftsprozesse der Akteure des Netzwerkes entsprechend der einzugehenden Kooperation (betriebswirtschaftliche/organisatorische Sicht) und die Etablierung interorganisatorischer Informationssysteme durch die einheitliche Spezifikation von Schnittstellen und den Austausch von Dokumenten (informationstechnische Sicht) im Fokus der Betrachtung [Becker et al. 2011]. Die Methode fokussiert dabei die Analyse von flexiblen und projektspezifischen hybriden Wertschöpfungsnetzwerken, die insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen, aufgrund des einhergehenden hohen Verhandlungs- und Dokumentationsaufwandes zur Spezifikation der einzelnen Rollen, Aufgaben und Pflichten der Kooperationspartner, ein hohes finanzielles Risiko darstellen [Becker et al. 2011].
Die im Rahmen des Projekts FlexNet entwickelte Modellierungssprache (siehe Metamodell der Modellierungssprache in Abbildung 1) ermöglicht es, den Aufwand einer modellbasierten Strukturierung und Abbildung akteursübergreifender Informationsflüsse zu reduzieren und erleichtert somit ihre Analyse [Becker et al. 2011]. Der Betrachtungsgegenstand wird zunächst durch ein Projekt begrenzt. Durch die Verwendung von Szenarien ist es etwa möglich, verschiedene Entwicklungsstadien des Modelles zu kennzeichnen (z. B. Ist- und Sollmodelle), Varianten zu verwalten oder unterschiedliche Perspektiven auf den Betrachtungsgegenstand abzubilden. Akteure präsentieren die verschiedenen Kollaborationspartner, wie etwa den Bauherrn, den Architekten, oder die Baubehörde. Zur weiteren Unterteilung von Akteuren können Bereiche verwendet werden, die die jeweiligen individuellen Geschäftsaktivitäten eines Akteurs in Funktionscluster gliedern (z. B. für ein Bauunternehmen in die Funktionsbereiche Angebotsmanagement und Ausführungsmanagement). Bereiche können darüber hinaus durch Aktivitäten detailliert werden, deren Zusammenhänge wiederum durch Prozessmodelle beschrieben werden können.
Im Kontext des FlexNet-Ansatzes werden diese Methoden unter dem Begriff der Service-Analyse aufgegriffen und verallgemeinert [Beverungen, Knackstedt, Müller 2008; Becker et al. 2011]. Anstatt die Aktivitäten von Anbieter und Kunde zu betrachten, gilt es paarweise die Aktivitäten der Kooperationspartner aus zwei Perspektiven zu analysieren (siehe Abbildung 2). Aus der Bereitstellungsperspektive stellt sich der Eigentümer einer spezifischen Aktivität (hier Aktivität X) die Frage, ob es für die Kooperation vorteilhaft ist, wenn er die Ausführung der Aktivität X einem Kooperationspartner gänzlich überlässt (Übernahme, Line of Interaction) oder Informationen über die Ausführung der Aktivität X einem Kooperationspartner zur Verfügung stellt (Sichtbarkeit, Line of Visibility). Umgekehrt wird aus der Nutzungsperspektive gefragt, ob es für den Eigentümer der Aktivität X von Vorteil ist, wenn er zusätzlich zu seiner Aktivität X eine weitere Aktivität eines anderen Kooperationspartners übernimmt (Übernahme, Line of Interaction), oder lediglich Informationen über die Ausführung der weiteren Aktivität durch einen anderen Partner nutzt (Sichtbarkeit, Line of Visibility). Kombiniert mit entsprechenden Fragen ermöglicht es der FlexNet-Ansatz somit, die Kooperation zwischen den Akteuren innerhalb des Netzwerkes weiter zu analysieren, Synergien zwischen Aktivitäten zu hinterfragen und Optimierungspotentiale aufzuzeigen.
3.
Betrachtungsebenen zur Analyse und Verbesserung der Informationsflüsse zwischen Bauprozess und Verwaltung ^
3.1.
Anwendungsszenario ^
3.2.
Betrachtungsebenen und Analyseperspektiven ^
Auf Basis der in Kapitel 2 vorgestellten methodischen Grundlagen und der zuvor differenzierten Betrachtungsebenen lassen sich die Analyse und Verbesserung von Informationsflüssen unterstützende Fragen erarbeiten (siehe Tabelle 1). Mit Hilfe dieser Fragen wird entsprechend des jeweiligen Betrachtungsgegenstandes ein erster Ansatzpunkt geschaffen, um eine Verschiebung der Line of Interaction bzw. Line of Visibility aus organisatorischer und informationstechnischer Sicht zu diskutieren. Dazu werden jeweils paarweise die Prozesse zweier, aus einer spezifischen Betrachtungsebene stammender, kooperierender Akteure analysiert. Ein Beispiel für die Anwendung der Fragen wird in Kapitel 4 aufgeführt.
4.
Anwendungsbeispiel ^
Die Anwendbarkeit der Service-Analyse und der unterstützenden Fragen wird nachfolgend anhand eines Anwendungsbeispiels demonstriert. Analysiert wird die für die Bauantragstellung und Erteilung der Baugenehmigung notwendige Interaktion zwischen dem Wertschöpfungsnetzwerk (vereinfacht repräsentiert durch den Architekten) und der Verwaltung (repräsentiert durch die Baubehörde). In einem ersten Schritt werden die die Baugenehmigung betreffenden Informationsflüsse zwischen den beiden Akteuren auf Basis der FlexNet-Modellierungssprache mit dem FlexNet-Architect modelliert (siehe Abbildung 3). Zur weiteren Analyse der Informationsflüsse können zudem detaillierte Prozessmodelle hinterlegt werden und es ist möglich, die ausgetauschten allgemeinen Informationsobjekttypen (z. B. Zeichnungen) oder Dokumente (z. B. den Bauantrag) mitanzugeben. Dokumente lassen sich zudem durch die Definition von Dokumentenfeldern in einem integrierten Dokumenteneditor näher spezifizieren, so dass leicht Mindeststandards für den Informationsaustausch definiert werden können.
Falls die detaillierten Prozessmodelle bei der weiteren Analyse offenbaren, dass bisher die elektronische Registrierung des Bauvorhabens durch einen Sachbearbeiter der Baubehörde durchgeführt wird, stellt sich durch die Perspektive der Service-Analyse die Frage, ob hinsichtlich dieser Aktivität ein Übernahmepotential durch den Architekten gegeben ist (Bereitstellung – Übernahme). Dazu ist es notwendig, dass die Verwaltung kommuniziert, welche Informationen für die elektronische Registrierung erforderlich sind und wie diese durch den Architekten bereitgestellt werden können. Zudem stellt sich die Frage nach der Verankerung weiterer, ergänzender Aktivitäten, wie etwa der Aufforderung der Verwaltung gegenüber dem Bauherren dem Entwurfsverfasser eine Vollmacht zur digitalen Antragstellung auszustellen bzw. nach der Veränderung bestehender Aktivitäten, wie etwa die Kontrolle der Vollständigkeit der nun elektronisch eingereichten Unterlagen. In der Praxis ist zu beobachten, dass einzelne Städte und Kommunen ein entsprechendes elektronisches Verfahren bereits umgesetzt haben (z. B. die Stadt Hamm (2012) mit dem virtuellen Bauamt ITeBAU oder der Landkreis Hildesheim (o. A.)).
5.
Zusammenfassung und Ausblick ^
6.
Literatur ^
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Ralf Knackstedt, Privat-Dozent, Vertretung der Professur für Wirtschaftsinformatik, Stiftung Universität Hildesheim, Institut für Betriebswirtschaft und Wirtschaftsinformatik.
Martin Matzner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Universität Münster, European Research Center for Information Systems (ERCIS), Institut für Wirtschaftsinformatik.
- 1 Für weitere Details zum FlexNet-Forschungsprojekt siehe http://www.ercis.org/node/127.
- 2 Das Modellierungstool kann kostenlos unter http://www.flexnet-architect.ercis.de aufgerufen und genutzt werden.