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Öffentliche Verwaltungen stehen angesichts sich stetig wandelnder Rahmenbedingungen vor vielfältigen Herausforderungen, sei es die Globalisierung, die fortschreitende Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik oder sich ändernde rechtliche Rahmenbedingungen, wie z. B. die Verpflichtung des Bundesgesetzgebers, EU-Richtlinien in innerstaatliches Recht umzusetzen. Das hat oft aufbau- und ablauforganisatorische Auswirkungen auf die gubernative und administrative Exekutive. Dieser Beitrag soll verdeutlichen, welche Rolle die Prozessmodellierung nicht nur beim Erkennen von Potenzialen und bei der Reorganisation bestehender Prozesse spielt, sondern wie die Erkundung und Erstellung neuer Leistungsbereiche damit koordiniert werden kann.
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Der Ausgangspunkt für das hier beschriebene Praxisprojekt war die Verpflichtung Deutschlands aus der Richtlinie 2009/28/EG, ein elektronisches Register zur Handhabung elektronischer Nachweise bereitzustellen, so dass diese elektronisch ausgestellt, übertragen und entwertet werden können. Das Umweltbundesamt wurde mit dem Aufbau eines solchen Registers betraut. Es ergaben sich drei integrierte Aufgaben, die ein Konsortium unter Federführung einer führenden Forschungs- und Beratungseinrichtung in Zusammenarbeit mit verschiedenen Rechtsanwaltskanzleien, einem Entwicklungsinstitut und den Autoren dieses Artikels zu erfüllen hatte. Für die verwaltungsrechtliche Handhabung musste eine Durchführungsverordnung geschaffen werden, die die Grundlage für die neu zu konzipierenden Organisationsabläufe und die elektronische Plattform bildete. Die Experten aus unterschiedlichen Bereichen (IT, Recht, Verwaltung, Organisation) waren daher zu koordinieren. Es bestand die Herausforderung, mit verschiedenen Wissensbasen und unterschiedlichem Fachvokabular auf rechtlicher, technischer und organisatorischer Ebene umzugehen und eine am Gesamtsystem ausgerichtete, lösungsorientierte Diskussionskultur zu schaffen.
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Das Projekt begann im klassischen funktionsorientierten Ansatz. Problemlösungen wurden getrennt in den einzelnen Fachdisziplinen entwickelt: Die IT-Experten konzentrierten sich auf das Lastenheft, die Rechtsanwälte auf die Verordnung und die Berater auf mögliche Organisationsabläufe. Das führte zu jeweils fachspezifisch relevanten, aber kleinteiligen Diskussionen. Ein integratives Vorgehen fehlte. Mit jedem fachspezifischen Entwicklungsschritt nahm die Komplexität der zu schaffenden Gesamtlösung zu. Das spiegelte sich in wachsenden Abstimmungs- und Koordinationsproblemen. Zudem stieg der Aufwand aller Partner potenziell an, da jede Veränderung in einem Teilbereich Änderungen und Sonderregelungen im eigenen Teilbereich und den jeweiligen Arbeitspaketen nach sich zog.
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Die Lösung in dieser vertrackten Situation lag in der konsequenten Hinwendung zum prozessorientierten Ansatz. Gerade der Fokus des Geschäftsprozessmanagements auf eine ganzheitliche, über die bloßen Aktivitäten und Fachspezifika hinausgehende Betrachtung des Gesamtsystems unter Einbeziehung nicht nur der zeitlich-logischen, sondern auch der organisatorischen und informationsbezogenen Wechselwirkungen [Hofer-Alfeis (1999), S. 3] offenbarte integratives Potenzial. Dafür wurden zunächst alle direkt aus der Richtlinie ableitbaren Aufgaben als Kernprozesse identifiziert und in Kombination mit den aktuellen rechtlichen und technischen Gegebenheiten grob beschrieben. Dies ermöglichte eine erste Priorisierung, da Sub- und Managementprozesse in dieser Phase ausgeblendet wurden.
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Mit einer abgestimmten Modellierungssprache konnten die Prozesse visualisiert werden und es war zudem möglich, eine gemeinsame Zielorientierung und ein Verständnis der Abläufe und Anforderungen bei allen Partnern zu erreichen. Die Problematisierung fachlicher Aspekte erfolgte nicht mehr auf theoretischer Ebene, sondern war an den konkreten Umsetzungsfall gebunden und konnte so aus jeder Fachrichtung beleuchtet werden. Dadurch wurden nur Themen diskutiert, die Relevanz für alle drei Bereiche hatten. Die Spezialprobleme, wie z. B. konkrete juristische Definitionen, technische Datenmodelle der Systemingenieure und Rollenzuordnungen in der Organisationsberatung, konnten so inkrementell in der Fachdisziplin gelöst werden ohne den gemeinsamen Diskussionsprozess zu belasten. Auf Grund der konsequenten Anwendung der Prozessidee von Osterloh und Frost [1996, S. 87] wurde die funktionale Zersplitterung vermieden und sowohl die Verordnung als auch das Lastenheft und die Organisationsabläufe konnten auf effiziente, effektive und auf das zu erstellende Gesamtsystem orientierte Weise erstellt werden.
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Der Verlauf des Projektes hat die Eignung der fokussierten Prozessorientierung für eine effiziente und effektive, problemorientierte und fachübergreifende Diskussion und Entwicklung einer Gesamtlösung bestätigt. Die Visualisierung der Prozesse gleichsam als Landkarte und Vorgehensweise hat sich bewährt. Dies ist ein Beispieldokument. Es dient lediglich der Darstellung der Formatanweisungen und der korrekten Zitierweise. Deshalb ist dieses kurze Dokument auch mit zahlreichen und inhaltlich mitunter wenig sinnvollen Fußnoten ausgestattet. Die Beispiele sollen ggf. als Vorlage dienen.
Hofer-Alfeis, Josef, Geschäftsprozessmanagement – innovative Ansätze für das wandlungsfähige Unternehmen, Tectum Verlag, Marburg (1999).
Osterloh, Margit/Frost, Jetta, Prozessmanagement als Kernkompetenz: Wie Sie Business Reengineering strategisch nutzen können, Gabler, Wiesbaden (1996).
Tanja Röchert-Voigt, Universität Potsdam, Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Electronic Government.
Christof Thim, Universität Potsdam, Lehrstuhl Wirtschaftsinformatik und Electronic Government.