1.
Hintergrund und Zielsetzung des Verordnungsvorschlags ^
Am 4. Juni 2012 legte die Europäische Kommission den Vorschlag KOM(2012) 238 final für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt vor. 1
In den letzten Jahren betonte eine Reihe politischer Dokumente im Rahmen der Europäischen Union die Regelungsnotwendigkeit auf den Gebieten der elektronischen Signatur und der elektronischen Identität («eID»):
- Die digitale Agenda für Europa2 unterstreicht in ihren Schlüsselaktionen 3 und 16 die beiden Themen;
- der E-Government-Aktionsplan 2011-20153 der Europäischen Kommission übernahm diese Zielsetzungen;
- entsprechende Ratsschlussfolgerungen vom 27. Mai 20114 begrüssten diese Prioritäten.
- Zudem enthält auch die Binnenmarktakte5 eine Leitaktion zum digitalen Binnenmarkt, die unter anderem den Erlass von Rechtsvorschriften zur EU-weiten gegenseitigen Anerkennung der elektronischen Identifizierung und Authentifizierung und Überarbeitung der Richtlinie über die elektronische Signatur vorsieht.
- Schließlich nahm auch der Europäische Rat auf diese beiden Themen Bezug und forderte eine beschleunigte Behandlung. 6
Obwohl die Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. Nr. L 13 vom 19.1.2000, S. 12, 7 die Verwendung und rechtliche Anerkennung elektronischer Signaturen fördern und im Binnenmarkt den freien Verkehr von Produkten, Geräten und Diensten für elektronische Signaturen sicherstellen sollte, zeigt die Praxis nach wie vor erhebliche Interoperabilitätsprobleme, die eine grenzüberschreitende Verwendung elektronischer Signaturen beeinträchtigen. Die Fragmentierung aufgrund mangelnder Interoperabilität schränkt insbesondere auch die grenzüberschreitende Nutzung elektronischer Behördendienste ein.
2.
Der Regelungsinhalt im Überblick ^
2.1.
Kapitel I ^
2.2.
Kapitel II ^
2.3.
Kapitel III ^
2.4.
Kapitel IV-VI ^
3.1.
Grundsätzliche Bewertung ^
3.2.
Die Frage der Rechtsform ^
Die Rechtsform des Vorschlags als Verordnung erscheint vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Umsetzung der Signaturrichtlinie angemessen: Gerade aufgrund der nationalen Unterschiede in der Umsetzung der Signaturrichtlinie kam es in der praktischen Verwendung elektronischer Signaturen im grenzüberschreitenden Bereich laufend zu Problemen. Nicht zuletzt deshalb ergingen in Ausführung des Artikels 8 der EU-Dienstleistungsrichtlinie10, der die elektronische Abwickelbarkeit von Anträgen und Verfahren im Zusammenhang mit der Aufnahme und Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten vorsieht, eine Reihe von Komitologiebeschlüssen, die einige der praktischen Probleme zu beseitigen versuchen. So wurden mittels derartiger Rechtsakte so genannte Vertrauenslisten11 vorgesehen und anzuerkennende Signaturformate12 geregelt. Mit dem neuen Verordnungsvorschlag wird auf diesen Komitologiebeschlüssen zur Umsetzung der EU-Dienstleistungsrichtlinie aufgebaut und eine verallgemeinerte Lösung definiert.
3.3.
Das ^
Im Rahmen des EU-Großpilotprojekts STORK14 wurde die Interoperabilität der personalisierten Zugänge zu help.gv.at und anderen Portalen mit einigen anderen nationalen Portalen und Anwendungen getestet. Die technische Machbarkeit der gegenseitigen Verwendung elektronischer Identitäten in anderen Mitgliedstaaten wird dadurch erfolgreich demonstriert.15 Die rechtlichen Regelungen dazu fehlen bislang aber auf europäischer Ebene. Eine klare rechtliche Regelung, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die jeweiligen offiziellen eID-Lösungen der anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen, ist daher hoch an der Zeit.
Dem Kommissionsvorschlag fehlt allerdings derzeit eine konkrete Festlegung von Mindestsicherheitsstandards. Die klare Regelung der gegenseitigen Anerkennung qualitativ hochwertiger eIDs sollte Vorrang haben. Dazu bedarf es ähnliche technische und organisatorische Mindestanforderungen wie für die qualifizierte Signatur. In den Verhandlungen wird teilweise darauf gedrängt, unterschiedliche Sicherheitsstufen unterhalb der qualitativ hochwertigen eIDs festzulegen und deren jeweilige Gleichwertigkeit vorzusehen.16 Dies würde allerdings die Komplexität enorm steigern und die Vollziehung kaum handhabbar machen. Ein pragmatischer Lösungsweg bestünde darin, mit der «höchsten» Stufe zu beginnen und für diese konkrete Mindestsicherheitsstandards (wie etwa «zumindest 2-Faktor-System»17) festzulegen, während darunter liegende Stufen späteren Regelungen vorbehalten werden, sofern sich überhaupt eine Notwendigkeit dafür ergibt.
Die Bedingungen, unter denen eID-Systeme notifiziert werden können, werden sicherlich noch im Detail zu diskutieren sein. So wird etwa die Voraussetzung der kostenlosen Online-Authentifizierungsmöglichkeit zur Validierung der empfangenen Personenidentifizierungsdaten18 vor allem für jene Mitgliedstaaten ein Problem darstellen, in denen derzeit die Validierung der eID-Daten als kostenpflichtiges Service eingerichtet ist. Auch die Voraussetzung, dass den vertrauenden Beteiligten eines anderen Mitgliedstaats «keine bestimmten technischen Vorgaben»19 für die Vornahme der Authentifizierung gemacht werden dürfen, könnte auf Widerstand stoßen, betrachtet man etwa die derzeit nicht unbeträchtlichen Anforderungen, die an Serviceanbieter gestellt werden, die z.B. den neuen deutschen Personalausweis einbinden möchten (insbes. die Voraussetzung des Erwerbs eines entsprechenden «Berechtigungszertifikats»).20
3.4.
Vertrauensdienste ^
3.5.
Extensive (exzessive) Ermächtigungen an die EK für ^
3.6.
Behandlung in Österreich und Auswirkungen auf die bestehende innerstaatliche Rechtslage ^
4.
Stand der Verhandlungen und weitere Schritte ^
Im Europäischen Parlament wurde bislang ein erster Gedankenaustausch durchgeführt, das EP nimmt die Abstimmung im zuständigen ITRE-Ausschuss für Juli 2013 in Aussicht.26
5.
Schlussfolgerungen ^
Peter Kustor, Abteilungsleiter, Bundeskanzleramt Abt. I/11 – E-Government – Recht, Organisation und Internationales. Die in diesem Artikel getroffenen Aussagen stellen die persönliche Meinung des Autors dar.
- 1 Elektronisch abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0238:FIN:DE:PDF.
- 2 Mitteilung der EK vom 26.8.2010, KOM(2010) 245 endgültig/2, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0245:FIN:DE:PDF.
- 3 Mitteilung der EK vom 15.12.2010, KOM(2010) 743 endgültig; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2010:0743:FIN:DE:PDF.
- 4 Council conclusions on the European eGovernment Action Plan 2011-2015, http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/en/trans/122278.pdf.
- 5 Mitteilung der EK vom 13.4.2011, KOM(2011) 206 endgültig, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0206:FIN:DE:PDF.
- 6 Zuletzt am 18./19.10.2012: EUCO 156/12 vom 19.10.2012, Pkt. 2d, http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/12/st00/st00156.en12.pdf.
- 7 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:013:0012:0020:DE:PDF
- 8 Siehe auch die Darstellungen der EK in der Folgenabschätzung – die Zusammenfassung ist auf Deutsch verfügbar unter http://ec.europa.eu/information_society/policy/esignature/docs/regulation/sum_ia_de.pdf
- 9 Vgl. etwa die oben zitierten Dokumente Digitale Agenda und E-Government Aktionsplan 2011-2015, wo noch getrennte Maßnahmen für die beiden Themen vorgesehen waren.
- 10 Richtlinie 2006/123/EG vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 36, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2006:376:0036:0068:DE:PDF
- 11 Entscheidung 2009/767/EG der Kommission vom 16. Oktober 2009 über Maßnahmen zur Erleichterung der Nutzung elektronischer Verfahren über einheitliche Ansprechpartner gemäß der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. L 274 vom 20.10.2009, S. 36 samt Beschluss 2010/425/EU der Kommission vom 28. Juli 2010 zur Änderung der Entscheidung 2009/767/EG in Bezug auf die Erstellung, Führung und Veröffentlichung von vertrauenswürdigen Listen der von den Mitgliedstaaten beaufsichtigten bzw. akkreditierten Zertifizierungsdiensteanbieter, ABl. L 199 vom 31.7.2010, S. 30; konsolidierte Version verfügbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2009D0767:20101201:DE:PDF
- 12 Beschluss 2011/130/EU der Kommission vom 25. Februar 2011 über Mindestanforderungen für die grenzüberschreitende Verarbeitung von Dokumenten, die gemäß der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Dienstleistungen im Binnenmarkt von zuständigen Behörden elektronisch signiert worden sind, ABl. L 53 vom 26.2.2011, S. 66, http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:053:0066:0072:DE:PDF
- 13 Vgl. S. 7 im Sachstandsbericht des Vorsitzes für die Ratstagung am 20.12.2012, Ratsdok. Nr. 17269/12 vom 7.12.2012, http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st17/st17269.de12.pdf.
- 14 http://www.eid-stork.eu
- 15 S. Kustor, EU-Großpilotprojekte «STORK» und «SPOCS» in: Schweighofer/Kummer (Hrsg.), Europäische Projektkultur als Beitrag zur Rationalisierung des Rechts, Tagungsband des 14. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2011, S. 217.
- 16 S. 12 des Sachstandsberichts.
- 17 Also neben dem Faktor «Wissen» einen weiteren Faktor – insbes. «Besitz». Damit würde man sicherheitstechnisch nicht mehr dem Stand der Technik entsprechende User-ID/ Passwort – Systeme jedenfalls von der Notifizierbarkeit ausschließen.
- 18 Art. 6 Abs. 1 lit. d.
- 19 Ebda.
- 20 Vgl. etwa https://www.bsi.bund.de/ContentBSI/Themen/Elekausweise/Personalausweis/ePA_Start.html.
- 21 Vgl. Art. 27 und 31.
- 22 Art. 37.
- 23 Z.B. wird die EK in Art. 15 Abs. 5 ermächtigt, delegierte Rechtsakte «zur Präzisierung der in Abs. 1 genannten Maßnahmen zu erlassen», gleichzeitig kann die EK gem. Art. 15 Abs. 6 mittels Durchführungsrechtsakten u.a. «Einzelheiten […] für die Zwecke der Abs. 1 […]» festlegen.
- 24 http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/MTEU/MTEU_00015/imfname_268012.pdf.
- 25 http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/12/st17/st17269.de12.pdf.
- 26 Siehe den Sachstandsbericht, S. 4. Die Berichterstatterin im EP ist Marita Ulvskog.