1.
Einführung ^
2.
Anwendungsmodell und Organisationsstruktur ^
3.
Organisationsmodelle ^
- Die Grenzziehung definiert die Abgrenzungsmechanismen einer Koordinationsform. Im Ergebnis wird über die Grenzziehung definiert, ob ein System als abgeschlossen oder als offen zu bezeichnen ist.
- Die Organisationsstruktur steht für die Art der Beziehungen zwischen den Elementen eines Systems und dem Kopplungsgrad der Prozesse. In ihrem Aufbau kann die Beziehung der Elemente durch Über- und Unterordnung gekennzeichnet sein oder durch die Organisation gleich rangiger und vollständig miteinander verknüpfter Elemente in einem Netzwerk. Der Kopplungsgrad gibt Hinweis darauf, wie stark die Abfolge von Aktivitäten (Prozesse) durch Vorgaben und Festlegungen reglementiert ist bzw. wie groß oder wie gering die Spielräume für Abweichungen sind.
- Der Aspekt des Strukturwandels bezieht sich auf die Fähigkeit eines Systems, eher Stabilität oder Flexibilität und Innovation zu ermöglichen.
In Erweiterung der von Helmut Willkes vorgeschlagenen Definition von Hierarchie und Demokratie möchten wir in den weiteren Überlegungen von einem hierarchischen Steuerungsmodell sprechen, wenn das leitende Koordinationsmodell durch klare Grenzziehungen, Zentralität, Ungleichrangigkeit, Fremdsteuerung und einem hoher Kopplungsgrad der Prozesse gekennzeichnet ist. Im Unterschied dazu zeichnet sich das heterarchische Steuerungsmodell durch seine Zurückhaltung aus. Seine Merkmale sind Offenheit, Dezentralität, Gleichrangigkeit, Selbststeuerung und ein geringer Kopplungsgrad (lose Kopplung) der Prozesse.
4.
Das Organisationsmodell im Anwendungsmodell: Vom Zauber des Web 2.0 ^
- Grenzindikatoren regeln, was in einem System eingeschlossen ist und was ausgeschlossen bleibt.
- Strukturindikatoren beziehen sich auf den strukturellen Aufbau und auf die Prozesse. Der Kopplungsgrad gibt Auskunft über Entscheidungsspielräume und steht in engem Zusammen hang mit dem Grad der Kommunikation.
- Revisionsindikatoren beziehen sich auf die Anpassungsfähigkeit oder Beständigkeit eines Systems.
Social Media (bzw. Web 2.0) Anwendungen lassen sich deutlich dem zweiten Idealtypus zuordnen. Ihren Zauber und ihren Erfolg sehen wir in ihrem zurückhaltenden Koordinationsmodell und ihrer Offenheit. Interessanterweise ist auch die technische Ebene unterhalb der Anwendungsebene durch ein zurückhaltendes Koordinationsmodell bestimmt. Dass auch hier die Prinzipien der Offenheit und Vernetzung wirksam werden, zeigt sich unter anderem in den Web Services. Die Idee ist einfach: Komplexe Anwendungen werden nicht zentralisiert auf einem Server ausgeführt, sondern setzen sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die über das Internet verteilt sein können. Die Kommunikation zwischen den Komponenten erfolgt über klar definierte Schnittstellen (API)2, die auf Abruf in eine Anwendung eingebunden werden können (Schwenk 2010:216). Webservices lassen sich somit als vernetzte Maschine-zu-Maschine-Kommunikation begreifen, die in der Regel automatisiert ablaufen und deren gemeinsame Sprache auf offenen und herstellerunabhängigen Standards beruht (Zeppenfeld und Finger 2009:38). Webservices unterscheiden sich damit grundlegend vom Paradigma der monolithischen Software-Architekturen, die alle funktionalen Elemente zu einem homogenen, klar abgrenzbaren Gebilde zusammenfügt.
5.
Fallbeispiel: Twitter ^
Der Dienst Twitter startete im März 2006 als Nebenprojekt einer Podcastfirma aus San Francisco. Twitter ist ein ebenso einfacher, wie auch erfolgreicher Dienst. Nach ca. 4 Jahren verzeichnete dieser Dienst bereits mehr als 10 Millionen Nutzer, im Dezember 2012 wurden 200 Millionen aktive Nutzer gemeldet.4 Twitter ist ein Microbloggingdienst, der eine besondere Form des Bloggens im Textformat einer SMS erlaubt. Micro steht für die Kürze der Nachricht, die bei Twitter als Tweet bezeichnet wird und maximal 200 Zeichen umfasst. Der Wortteil Blogging steht für die chronologische Darstellung der Tweets. Die besonderen Merkmale der Microblogging lassen sich in wenigen Punkten zusammenfassen. Sie sind extrem einfach, extrem niedrigschwellig in der Nutzung, und extrem schnell in der Verbreitung von Nachrichten.
Das zurückhaltende Koordinationsmodell zeigt sich bei Twitter in seinem konsequenten Minimalismus, der sich im Wesentlichen darauf gründet, dass Twitter mit dem Versenden und Empfangen von Tweets im Kern auf eine Hauptfunktion beschränkt bleibt. Da über Twitter mehrere hundert Millionen Tweets pro Tag versendet werden, bietet Twitter eine sehr einfache Filterfunktion an, die auf dem Konzept der Following beruht. Following bedeutet, das die Nutzer von sehr vielen öffentlichen Tweets, nur die Beiträge jener Teilnehmer sehen können, denen sie ausdrücklich folgen. Diese Grundfunktion wird durch die Verwendung des Hash- (#) und des @-Zeichens im Eingabefeld auf einfache, aber sehr wirksame Weise ergänzt. So lassen sich Tweets durch die Kennzeichnung eines Wortes per Hashtag(#) verschlagworten und auf diese Weise thematisch bündeln und verfolgen. Durch die Adressierung bestimmter Nutzer durch das @-Zeichen werden Dialoge zwischen den Teilnehmern möglich. Die wichtigste, und ebenso einfach umgesetzte, Innovation Twitters liegt jedoch in den Re-Tweets. Über Re-Tweets leiten die Twitter-Nutzer interessante Tweets an ihre Follower weiter, sodaß sich Nachrichten im Schneeballsystem extrem schnell verbreiten. Die Notwasserung eines Airbus im Hudson River wurde 2009 zu dem Ereignis, dass Twitter als Nachrichtendienst ins Gespräch brachte, der wesentlich schneller ist, als alle bislang bekannten Wege der Nachrichtenverbreitung.5 Seiner sehr begrenzten Funktionalität zum Trotze erwies sich Twitter bislang als ideales Medium, um aktuelle Meldungen zu verbreiten und sichtbar zu machen. Die Mitteilungen und Konversationen über Twitter sind zumeist alltäglich und persönlich, können aber auch zum Werkzeug politischer Bewegungen und der Interessensorganisation werden. Als zurückhaltende Anwendung schreibt Twitter seinen Nutzern nicht vor, wozu sie es benutzen, für den Austausch von Belanglosigkeiten, als Nachrichtenmedium oder als Revolutionswerkzeug. Was jedoch erstaunt ist, dass Twitter in seinem Anwendungsmodell extrem einfach und dennoch – oder gerade deshalb - sozial extrem wirksam ist und inzwischen auch von Politikern fleißig genutzt wird Als sehr schneller Nachrichtendienst wird Twitter immer mehr zum Anlaufpunkt traditioneller Massenmedien und dient selbst renommierten Medien wie der BBC als Informationsquelle, weil sich dort Hinweise auf aktuelle Ereignisse zumeist schneller finden lassen als bei redaktionell bearbeiteten Medien. Durch seine APIs ist Twitter darüber hinaus selbst Teil vieler Mashups geworden, welche die Daten und Funktionalität von Twitter mit anderen Diensten kombinieren.
6.
Potenzial und Herausforderung von Social Media in der öffentlichen Verwaltung ^
Der Webpionier Tim O’Reilly sieht im Kontrollverzicht und in der freien Verfügbarkeit von Daten und Funktionalität nicht nur ein wesentliches Merkmal des Web 2.0, sondern auch die Voraussetzung für die Innovation durch Zusammenbau. Die beschriebenen Mechanismen der Offenheit, der losen Kopplung und Vernetzung erschließen über den Weg verteilter Daten und Funktionalitäten neue Potenziale der Softwareinnovationen. O’Reilly bezeichnet dieses als «The Right to Remix». Unter der Bezeichnung «Mashup» konnte auf diese Weise eine ganze Landschaft unterschiedlicher Anwendungen erblühen, die ihren Mehrwert überwiegend durch importierte Inhalte schaffen, dabei durch die Kombination vieler Dienste reicher werden und dennoch einfach bleiben (O’Reilly 2005, Koch und Richter 2009). Dieser Ansatz, insbesondere der offene Umgang mit Daten, wird inzwischen auch im Zuge des Open Government thematisiert. Open Government, Open Data und Open Government Data werden zumeist in einem Atemzug mit den technischen Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Kooperation genannt. Interoperabilität und Web 2.0 Technologien sollen dazu beitragen, das sich das Regierungs- und Verwaltungshandeln in Richtung «Transparenz 2.0», «Partizipation 2.0» und «Kollaboration 2.0» weiterentwickelt. Open Government wird in diesem Sinne auch zu einem Ziel der IT Strategie (vgl. dazu Klessmann u.a., 2012).6
7.
Literatur ^
Büschenfeldt, Maika, Die Zukunft elektronischer Demokratie: Die Bedeutung des demokratischen Prinzips in softwaretechnischen Konzepten und der elektronischen Demokratie als Anwendungsdomäne der Softwareentwicklung, Dissertation, Bremen, (2011)
Büschenfeldt, Maika, und Margit Scholl, Offene Standards und verteilte Anwendungen als Grundlage «verteilter Wissensarbeit» (auch) im Open Government, Wiss. Beiträge der TH Wildau, 2013, in Druck.
Crozier, Michel, Friedberg, Erhard, Macht und Organisation: Die Zwänge kollektiven Handelns, Athenäum-Verlag, (1979).
Floyd, Christiane, Ralf Klischewski, Modellierung - ein Handgriff zur Wirklichkeit. Zur sozialen Konstruktion und Wirksamkeit von Informatik-Modellen; in: Pohl, K.; A. Schörr; G. Vossen (Hrsg.): Modellierung 98 - Proceedings. Universität Münster; Bericht 6/98-I (März 1998), S. 21-26, (1998).
Hippel, Eric von, Anwender-Innovationsnetzwerke - Hersteller entbehrlich; in: Lutterbeck, Bernd; Robert A. Gehring; Matthias Bärwolff (Hrsg.): Open Source Jahrbuch; Lehmanns Media; Berlin; S.450-461, (2005).
Klessmann, Jens, Philipp Denker, Ina Schieferdecker, Sönke E. Schulz, Open Government Data Deutschland - Kurzfassung der Studie zu Open Government in Deutschland im Auftrag des Bundesministerium des Innern (BMI), Berlin, PDF (2012).
Lessig, Lawrence, Code und andere Gesetze des Cyberspace, Berlin Verlag, Berlin (2001), Originalausgabe New York (1999).
Lucke, Jörn van, Geiger, Christian, Open Government Data - Frei verfügbare Daten des öffentlichen Sektors, Gutachten für die Deutsche Telekom AG zur T-City Friedrichshafen, Version vom 03.12.2010, Zeppelin Universität, (2010):.
O’Reilly, Tim, Sarah Milstein Das Twitter-Buch, O’Reilly Verlag, Köln, (2010).
Simon, Fritz B., Einführung in die systemische Organisationstheorie, Carl Auer Verlag, Heidelberg, (2007).
Scholl, Margit, Büschenfeldt, Maika, Anforderungs-Assessment in der öffentlichen Verwaltung Deutschlands. In: Schweighofer, E., u.a. (Hrsg.), Transformation juristischer Sprachen, Tagungsband des 15. Internationalen Rechtsinformatik Symposions (IRIS 2012), 23.-25. Februar 2012, Universität Salzburg. books@org.at, Band 278. Österreichische Computer Gesellschaft, Wien, ISBN 978-3-85403-278-6, (2012).
Schwenk, Jörg, Sicherheit und Kryptographie im Internet; Vieweg+Teubner; Wiesbaden; http://www.springerlink.de/content/u259374530106m05/ (2010) (abgerufen am 5. Jan. 2011).
Tapscott, Don, Anthony D Williams, Wikinomics - Die Revolution im Netz; Carl Hanser Verlag; München (2007).
Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen, (1976).
Weick, Karl, Der Prozess des Organisierens, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main (1998).
Willke, Helmut, Systemtheorie III.: Grundzüge einer Theorie der Steuerung komplexer Sozialsysteme, Lucius & Lucius, Stuttgart, (1998).
Willke, Helmut, Systemisches Wissensmanagement, 2.Aufl., Stuttgart. (2001).
Zeppenfeld, Klaus, Finger, Patrick, Service-orientierte Architektur mit WebService, in: SOA und WebServices, Informatik im Fokus; Springer; Berlin Heidelberg; S. 69-86 http://dx.doi.org/10.1007/978-3-540-76991-0_4, (2009).
Maika Büschenfeldt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Fachbereich 1 Wirtschaftswissenschaften/ Wirtschaftsinformatik.
Margit Scholl, Professorin, Technische Hochschule Wildau, Fachbereich Wirtschaft, Verwaltung und Recht, Wirtschafts- und Verwaltungsinformatik.
- 1 Vgl. dazu auch Willkes Unterscheidung in die Systemdimensionen der Grenzbildung, Ressourcen, Systembildung und Revision (Willke 1996b:206 ff.).
- 2 Application Programming Interface.
- 3 http://www.twitter.com.
- 4 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Twitter-200-Millionen-aktive-Nutzer-1771632.html.
- 5 „‟, Spiegel Online, 16.01.2009.
- 6 Presseerklärung des BMI am 1.8.2012: Die Studie wurde vom Fraunhofer-Institut für Offene Kommu ni kationssysteme FOKUS erstellt, unterstützt durch das Lorenz-von-Stein-Institut für Verwaltungswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und der ÖPP Deutschland AG, abgerufen am: 16.9.2012.
- 7 Zitiert nach Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Open_Data, abgerufen am 12.10.2010.