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Österreichisch-deutsche Rechtssprache kontrastiv. Eine corpuslinguistische Analyse

  • Authors: Bettina Mielke / Christian Wolff
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Law and Language
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Bettina Mielke / Christian Wolff, Österreichisch-deutsche Rechtssprache kontrastiv. Eine corpuslinguistische Analyse, in: Jusletter IT 20 February 2013
Es werden corpuslinguistische Methoden zur kontrastiven Analyse der österreichischen und deutschen Rechtssprache betrachtet. Wir wollen dabei die technischen Möglichkeiten und Einsatzfelder gängiger texttechnologischer Software aufzeigen und in beispielhaften Studien Unterschiede in der Rechtssprache in Österreich und Deutschland herausarbeiten.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Einführung
  • 2. Verwendete texttechnologische Werkzeuge
  • 2.1. Voyant Tools
  • 2.2. Google NGram Viewer
  • 2.3. GATE – General Architecture for Text Engineering
  • 3. Textauswahl und -aufbereitung
  • 4. Behandelte Fragestellungen
  • 5. Ergebnisse
  • 5.1. Basisdaten zum Corpus
  • 5.2. «Word Trends» – relative Verteilung von Wörtern im Corpus
  • 5.3. Vergleich von Wortwolken
  • 5.4. Weitere Werkzeuge
  • 5.5. Arbeit mit dem Google Ngram Viewer
  • 6. Fazit und Ausblick
  • 7. Literatur

1.

Einführung ^

[1]

Unser Ziel ist, an das Thema mit aktuellen Werkzeugen der Corpuslinguistik bzw. der digital humanities1 heranzugehen. Insbesondere sollen bei der Analyse die Plattform http://voyeurtools.org/ sowie der Google ngramviewer (Michel et al. 2011) zum Einsatz kommen. Ergänzend werden auch die Möglichkeiten von GATE (general architecture for text engineering, http://gate.ac.uk/) kurz vorgestellt (Kap. 2).

[2]
Als Corpus werden Gesetzestexte verwendet, da diese im Volltext verfügbar sind und eine inhaltliche Vergleichbarkeit der Corpora gewährleistet ist. Es handelt sich um eine kontrastive Untersuchung zweier deutscher Fachsprachenvarietäten – der österreichischen und der deutschen Rechtssprache (Kap. 3). Damit sind Fragen der kulturellen Diversität und Mehrsprachigkeit im Recht ebenso angesprochen wie die Möglichkeiten der semi-automatischen Analyse von Rechtstexten. Auch weitere Themenfelder wie die Formalisierbarkeit des Rechts oder die Relativität von Bedeutung rücken ins Blickfeld.
[3]
Da solche Vergleiche regelmäßig Gegenstand mehrjähriger Studien oder Projekte sind, für diese Untersuchung aber nur bedingt Ressourcen zur Verfügung stehen, ist ein wichtiger methodischer Aspekt die Frage, wie weit man mit oben genannten Tools in überschaubarer Zeit kommt.

2.

Verwendete texttechnologische Werkzeuge ^

[4]

Die Konjunktur corpuslinguistischer Untersuchungsverfahren in den letzten beiden Jahrzehnten hat eine Vielzahl von Tools hervorgebracht, die hier nicht im Einzelnen referiert werden können. Wir beschränken uns nachfolgend auf Werkzeuge, die

  • die Prozesskette der Arbeitsschritte bei der Verarbeitung digitaler Textmengen unterstützen oder entsprechende Ressourcen bereitstellen,
  • frei verfügbar sind und
  • vergleichsweise leicht, d. h. ohne erhebliche Kenntnisse im Bereich Texttechnologie (Markup, Annotation) oder praktische Informatik (Programmierung) eingesetzt werden können.
[5]
Gerade hinsichtlich letzterer Anforderungen sind in den letzten Jahren die größten Fortschritte zu beobachten gewesen: Neben Ansätzen zur Standardisierung linguistischer Verarbeitungsprozesse, die insbesondere durch die UIMA-Initiative von IBM vorangetrieben worden sind und durch die eine allgemeine Architektur zur Verarbeitung unstrukturierter Information standardisiert wurde (Unstructured Information Management Architecture, Ferrucci & Lally 2004), ist vor allem auch die durch bessere Benutzerschnittstellen erreichte leichtere Zugänglichkeit der Werkzeuge ein wichtiger Faktor: Corpuslinguistisches Arbeiten hat damit den grundsätzlichen Anspruch, zu einer selbstverständlichen Arbeitsmethode zu werden, ggf. auch im Sinne der postulierten «empirischen Wende» in den Geisteswissenschaften (Thiel 2012).

2.1.

Voyant Tools ^

[6]

Bei den Voyant Tools handelt es sich um eine von den kanadischen digital humanists Stéfan Sinclair und George Rockwell entwickelte webbasierte Plattform für die Aufbereitung und Analyse von Textcorpora (Dokumentation: http://docs.voyant-tools.org/). Die hier verfügbaren Tools, die aus einer Reihe bereits länger laufender Vorgängerprojekte entstanden sind, senken die Eintrittsschwelle für die texttechnologische Arbeit an Dokumenten auch im Vergleich zu Infrastrukturen wie GATE (s. u. Kap. 2.3) deutlich ab,

  • da sie unmittelbar in einem Browser ausgeführt werden können und
  • keine lokale Verarbeitung auf dem eigenen Rechner erforderlich ist.
[7]
Alle Texte werden auf im Rahmen des Projektes Voyant Tools verfügbare Server geladen und dort analysiert. Der Nutzer kann dabei zwischen einer Vielzahl von Werkzeugen wählen, die unter anderem auch verschiedene Visualisierungsformate für die graphische Aufbereitung der Analyseergebnisse beinhalten. Analysebeispiele für die Arbeit mit den Voyant Tools finden sich unten in Kapitel 5.

2.2.

Google NGram Viewer ^

[8]
Ein weiteres allgemein zugängliches Werkzeug ist der Google Ngram Viewer, der im Kontext der Digitalisierungsprojekte der Fa. Google verfügbar geworden ist (vgl. online http://books.google.com/ngrams/ und Michel et al. 2010). Er bietet Auswertungsmöglichkeiten zu den aus der Massendigitalisierung historischer Buchbestände entstandenen Textcorpora, u. a. auch in deutscher Sprache, und liefert damit für den Zeitraum seit 1800 Vergleichsmaterial zu wortbezogenen Fragestellungen. Es lassen sich beispielsweise allgemein Gebrauchshäufigkeiten vergleichen und z. B. die Entwicklung orthographischer Varianten nachverfolgen. In allgmeinerer Perspektive sind die Werkzeuge auch deswegen von Interesse, da ihnen durch ihre Bereitstellung durch Google erhebliche Aufmerksamkeit zukommt. Sie können als Beispiel für die «empirische Wende» in den Geisteswissenschaften gesehen werden; mit ihrer Nutzung wird auch eine Art methodischer Paradigmenwechsel hin zu «Culturomics» (Michel et al. 2011 und http://www.culturomics.org/) postuliert.

2.3.

GATE – General Architecture for Text Engineering ^

[9]
GATE wird bereits seit den 1990er Jahren von einem Team um Hamish Cunningham an der Universität Sheffield entwickelt (Cunningham 2002). Es handelt sich dabei um eine flexibel konfigurierbare Infrastruktur für die typischen Schritte der texttechnologischen Verarbeitung großer Textmengen (u. a. Normalisierung, Satzgrenzenerkennung, Erkennung von named entities, Wortarten-Tagging, Syntaxanalyse etc.). Neben einer Dokument- und Corpusverwaltung bietet GATE in der aktuellen Version 7.1 (November 2012) einen Mechanismus, um unterschiedliche einzelne Arbeitsschritte der corpuslinguistischen Verarbeitung als sog. Pipelines steuern und wiederholt ausführen zu können. Dazu steht eine breite Vielfalt konfigurierbarer einzelner Plug-ins , d. h. einzelner funktionaler Komponenten der Corpusverarbeitung, zur Verfügung. Die Konfigurierbarkeit und unproblematisch wiederholbare Ausführbarkeit solcher linguistic pipelines stellt eine Stärke von GATE da, da aufgrund der sehr hohen Anzahl unterschiedlicher Parametereinstellungen für die zahlreichen Verarbeitungsschritte bei der Corpusanalyse kaum ein einzelner Königspfad der Aufbereitung erkennbar ist und solche Prozesse daher ggf. sehr oft nachvollziehbar wiederholt werden müssen.
[10]
Anders als für die englische Sprache liegen für GATE leider nur vergleichsweise wenige sprachspezifische Verarbeitungskomponenten für das Deutsche gebrauchsfertig vor. Existierende Komponenten, die von dritter Seite entwickelt wurden (z. B. Part-of-Speech-Tagger) lassen sich zwar grundsätzlich in die GATE-Infrastruktur integrieren. Hierauf wurde für die vorliegenden Beispiele aufgrund des damit verbundenen nicht unerheblichen Integrationsaufwands aber verzichtet. Eine weitere Stärke von GATE ist die Nutzbarkeit als Annotationsplattform: In GATE lassen sich Annotationsschemata laden und diese können in GATE in einer entsprechenden Editorensicht für die (linguistische, inhaltliche, terminologische etc.) Annotation der Textgrundlage verwendet werden.

3.

Textauswahl und -aufbereitung ^

[11]
Als Textcorpora wurden das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch (ABGB) und das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) herangezogen. Die Wahl auf Gesetzestexte zum gleichen Regelungsgehalt, nämlich dem Zivilrecht, fiel, weil beide Texte zum einen in guter Qualität digital verfügbar sind und zum anderen auch, weil Gesetzestexte die juristische Fachsprache in besonderem Maße prägen, sich die Sprache der Rechtspraxis gewöhnlich an die Sprache der Gesetze anlehnt (vgl. Rössler 1994, S. 35). Beide Gesetzestexte vermeiden lateinische Fachterminologie, wenn auch beim ABGB nicht so konsequent wie beim BGB (Deutsch 2012, S. 398f). Beim Sprachvergleich zwischen BGB und ABGB ist zu berücksichtigen, dass die beiden Gesetzeswerke in einem Abstand von knapp 100 Jahren entstanden sind und somit bis heute zwei verschiedene Sprachstufen abbilden.
[12]

Die Normtexte wurden aus den jeweiligen nationalen Fachinformationssystemen RIS bzw. Juris Anfang 2013 heruntergeladen.2 Für beide Dokumente wurde eine geringfügige Aufbereitung durchgeführt (Formatkonversion, Entfernen von automatisch generierten Seitenheadern und Seitenzahlen, Entfernung von Anmerkungen etc.). Eine Grundformenreduktion wurde nicht vorgenommen, um ggf. auch Flexionsformen gesondert betrachten zu können.

4.

Behandelte Fragestellungen ^

[13]
Folgende Fragestellungen zum Vergleich der juristischen Fachsprache in Österreich und Deutschland können durch corpuslinguistische Untersuchungen behandelt werden: Es lassen sich Unterschiede im Bereich der Lexik herausarbeiten. Ferner kann man eine unterschiedliche Sprachverwendung feststellen, etwa durch die Häufigkeitsverteilung eines Begriffs. Damit wird die stilistische bzw. pragmatische Dimension angesprochen. Unterschiede können jedoch auch aus den jeweiligen rechtlichen Strukturen herrühren. So wird im ABGB das Schuldrecht als persönliches Sachenrecht bezeichnet (Zweite Abteilung des Zweiten Teiles sowie im Dritten Teil (Von den gemeinschaftlichen Bestimmungen der Personen- und Sachenrechte), vgl. auch Bollenberger in KBB3 § 859 Rz 1), was sich in einem höheren Vorkommen des Begriffs «Sache» niederschlagen könnte. Weitergehende Unterschiede im Bereich der Syntax blieben außer Betracht, da dazu nicht hinreichend verlässliche Werkzeuge bereit standen, was insofern bedauerlich ist, da gerade Satzbaumerkmale ein interessantes Vergleichskriterium darstellen.

5.

Ergebnisse ^

[14]
Aus Platzgründen können nachfolgend Ergebnisse nur exemplarisch vorgestellt werden. Wir fokussieren dabei vornehmlich auf die leicht zugänglichen Analyseergebnise der Voyant Tools.

5.1.

Basisdaten zum Corpus ^

[15]
Auffallend ist bereits für die summarischen statistischen Kennzahlen zu den beiden Normtexten, dass die Type-Token-Relation (Token: Anzahl der Wörter insgesamt, Types: Anzahl der unterschiedlichen Wörter, einschließlich der Flexionsformen) sehr verschieden ausfällt, vgl. Tabelle 1:
 Anzahl TokenAnzahl TypesType-Token-Relation
ABGB7818194178,30
BGB1766321123015,73

Tabelle 1: Types, Tokens und Type-Token-Relation in beiden Normtexten

[16]
Erklärungen dafür können in einer breiteren lexikalischen Basis des ABGB ebenso liegen wie in einer historisch bedingten reicheren Morphologie des ABGB («Besitze», «Gebrauche»). Deutsch (2012, S. 402) geht auch von bewusster Abwechslung aus, «um gesetzgeberische Eintönigkeit zu vermeiden, wie sie später Otto von Gierke dem BGB-Gesetzgeber vorwerfen wird.»
[17]

Neben den summarischen Daten spiegeln auch Frequenzlisten unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in den beiden Normtexten wider. Dabei wurde hier keine orthographische Normalisierung vorgenommen, was bedeutet, dass die einen älteren Sprachstand reflektierenden, heute nicht mehr gebräuchlichen Formen im ABGB hervorstechen. So kommt beispielsweise das Wort «Obsorge», das im ABGB nach Eliminierung der Stoppwörter immerhin das 13.-häufigste Wort darstellt, im BGB nicht vor und wird auch in der juristischen Fachsprache in Deutschland nicht verwendet. Zwar dürfte das Wort in der Allgemeinsprache in Österreich wie in Deutschland veraltet wirken (so der Duden in der 25. Auflage 2009), weiterhin aber in der Rechtssprache verwendet werden.

Rang Wort im ABGB Frequenz Wort im BGB Frequenz
1. person 198 vorschriften 546
2. Sachen 163 gilt 521
3. Bey 153 ehegatten 463
4. Kind 137 verlangen 436
5. Erben 133 soweit 388
6. Kindes 126 anwendung 379
7. Art 122 gläubiger 370
8. erblasser 119 verpflichtet 315
9. personen 116 leistung 304
10. Gericht 112 eigentümer 267
11. bestimmt 105 ehegatte 266
12. gläubiger 105 frist 257
13. Obsorge 103 erben 249
14. Vertrag 93 vertrag 249
15. Gilt 92 bestimmt 243
16. rücksicht 86 forderung 240
17. Eltern 84 schuldner 233
18. Falle 80 entsprechende 231
19. anspruch 79 finden 229
20. ehegatten 78 kindes 226
21. erbschaft 78 kind 224
22. vorschriften 78 grund 222
23. Letzten 76 anspruch 213
24. gesetzlichen 74 erblasser 213
25. fordern 72 verfügung 210

Tabelle 2: Rangliste der jeweils 25 häufigsten Wörter in ABGB (links) und BGB (rechts), nach Stoppworteliminierung

[18]
Neben offensichtlichen Übereinstimmungen in dieser Rangliste (Konzepte wie «Anspruch», «Vorschriften» oder «Erblasser») finden sich in beiden Listen sowohl deutliche Positionsunterschiede, die auf unterschiedliche Gewichtung schließen lassen, als auch Begriffe, die jeweils nur in einem Corpus enthalten sind, wie etwa «Obsorge» im ABGB («sorgende Aufsicht»).
[19]
Zu den weiteren Darstellungs- und Interaktionsmöglichkeiten in der Standardsicht der Voyant Tools gehören auch eine keyword-in-context-Darstellung (KWIC, Abb. 1), bei der die einzelnen Vorkommen eines Wortes in ihrem konkreten Textkontext gezeigt werden, sowie Listendarstellungen zu den Dokumenten im Corpus, den Wörtern in einzelnen Dokumenten eines Corpus und zu den Wörtern im Gesamtcorpus.

Abbildung 1: KWIC-Darstellung für «Obsorge», Corpus ABGB, mit erweiterter Kontextdarstellung für die erste Fundstelle

5.2.

«Word Trends» – relative Verteilung von Wörtern im Corpus ^

[20]
Neben der Frequenzauswertung eines Wortes mit Bezug zu einzelnen Dokumenten oder dem gesamten Corpus ist auch die Verteilung von Wörtern innerhalb des Textes möglich: Als «Word Trends» bezeichnen die Voyant Tools entsprechende Graphen. Der Bezugstext lässt sich dabei in unterschiedliche viele, aber nach rein quantitativen Kriterien bestimmte Segmente einteilen. Eine Bezugnahme auf inhaltlich motivierte Strukturen (etwa die Einteilung in Bücher, Teile oder Paragraphen) ist mit diesem Werkzeug nicht möglich. Die nachfolgenden Beispiele (Abb. 2 u. 3) sollen die Arbeitsweise illustrieren. Dabei können mehrere Verläufe mit Bezug zu einem Dokument ebenso zusammengefasst werden wie der Vergleich der relativen Häufigkeiten für mehrere Konzepte zwischen verschiedenen Texten bzw. Corpora. In Abbildung 2 zeigt sich zumindest andeutungsweise, dass im BGB das Sachenrecht im dritten Buch (ab § 854) geregelt ist, während es sich im ABGB deutlich weiter vorne findet (ab § 285).

Abbildung 2: Relative Häufigkeiten für «Sachen» in ABGB (links) bzw. BGB (rechts), Textaufteilung jeweils in zehn Segmente.

[21]
In Abbildung 3 sieht man für ausgewählte Begriffe, wie sich ihre Verwendung innerhalb des ABGB verteilt. Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Gebrauchs dieser Konzepte lassen sich so anschaulich herausarbeiten.

Abbildung 3: Verteilung der Begriffe «Schuldner», «Gläubiger», «Leistung», «Forderung», «Anspruch» auf 10 Segmente im ABGB

5.3.

Vergleich von Wortwolken ^

[22]
Eine seit einigen Jahren populär gewordene Visualisierungsform für Texte sind Wortwolken (word or tag clouds, vgl. Sinclair & Cardew-Hall 2008). Die Voyant Tools beinhalten ein Werkzeug, mit dem sich das jeweils betrachtete Corpus als Wortwolke aufbereiten lässt. Position und Größe der Wörter geben dabei die relative Wortfrequenz wieder. Auch wenn in ihnen keine andere Information enthalten ist als bereits in den oben exemplarisch vorgestellten Frequenzranglisten, kann doch die andersartige Kodierung durch Größe, Farbe und Position zu anderen Einsichten führen als die Betrachtung einer Frequenztabelle.

Abbildung 4: Wortwolke für ABGB (links) und BGB (rechts), jeweils ohne Stoppwörter und Zahlwörter

5.4.

Weitere Werkzeuge ^

[23]
Eine Reihe weitere Werkzeuge der Voyant Tools hat stärker experimentellen Charakter und liefert Beispiele für innovative Visualisierungsformen. Die Darstellung von Kollokationen zu ausgewählten Begriffen ist ein solches Beispiel. In der nachfolgenden Abbildung 5 sieht man links Kollokationen zu «Gläubiger» im ABGB, rechts zu «Gläubiger» im BGB.

Abbildung 5: Kollokationsgraphen zu «Gläubiger» in ABGB (links) bzw. BGB (rechts).

5.5.

Arbeit mit dem Google Ngram Viewer ^

[24]
Da das ABGB vor der Duden-Reform der Deutschen Orthographie veröffentlich wurde und auch heute noch Schreibungen nach älteren orthographischen Standards enthält, bietet der Datenbestand des Google Ngram Viewers, der den Zeitraum ab 1800 umfasst, eine interessante zusätzliche Analysemöglichkeit: Die nachfolgenden Beispiele vergleichen Häufigkeiten der orthographischen bzw. begrifflichen Variation für «Genugthuung», «Genugtuung», «Schadenersatz» und «Schadensersatz» für die Zeit seit 1800. Der klare Einschnitt nach 1900, also ab der Duden-Reform, ist für das Variantenpaar «Genugthuung» / «Genugtuung» deutlich zu erkennen. Neben der Betrachtung orthographischer Varianten zeigt sich hier auch der Wandel in der Verwendung der Begriffe «Genugt(h)uung» und «Schaden(s)ersatz».

Abbildung 6: Google Ngram-Analysen für «Genugthuung», «Genugtuung», «Schadenersatz» und «Schadensersatz»

6.

Fazit und Ausblick ^

[25]
Die oben gezeigten Beispiele bieten nur einen ersten Eindruck für die Analysemöglichkeiten, die aktuelle corpuslinguistische Arbeitswerkzeuge für eine kontrastive Analyse von Rechtstexten bereitstellen. Deutlich geworden sein sollte, dass die grundsätzlich bekannten Unterschiede hinsichtlich historischem Sprachstand und jeweiliger regionaler Varietät der deutschen Hochsprache und Rechtstradition mit diesen Methoden systematisiert und auch empirisch / quantitativ präzisiert und abgesichert werden können. Darüber hinaus eröffnen corpuslinguistische Verfahren auch qualitativ neue Herangehensweisen, die – so die Vermutung – auch zu neuen Erkenntnissen führen können. Der vermutete Vorzug einer leichten Zugänglichkeit der Werkzeuge und damit einer niedrigeren Eintrittsschwelle für Corpusanalysen ließ sich bestätigen.

7.

Literatur ^

Cunningham, Hamish, GATE, a General Architecture for Text Engineering. In: Computers and the Humanities, Band 36, Heft 2, S. 223-254. DOI: 10.1023/A:1014348124664.

Cunningham, et al. Text Processing with GATE (Version 6).University of Sheffield, Department of Computer Science, 15. April 2011. ISBN 0956599311. Online: http://gate.ac.uk/userguide [Zugriff 1 / 13].

Deutsch, Andreas, »Billig streitet die Vermuthung, daß ein Gesetz bedachtsam abgefaßt« – Zu Wortwahl und Gesetzessprache im ABGB. In: Dölemeyer, Barbara, Mohnhaupt, Heinz (Hrsg.), 200 Jahre ABGB (1811 – 2011). Die österreichische Kodifikation im internationalen Kontext. Klostermann, Frankfurt/Main (2012).

Ferrucci, David, Lally, Adam, UIMA: An Architectural Approach to Unstructured Information Processing in the Corporate Research Environment, Natural Language Engineering, Bd. 10, Nr. 10, S. 327-348, Online: http://dx.doi.org/10.1017/S1351324904003523.

Michel, Jean-Baptiste et al., Quantitative Analysis of Culture Using Millions of Digitized Books, In: Science Bd. 331, Heft 6014, S. 176-182 (2011).

Koziol, Helmut, Bydlinski, Peter, Bollenberger, Raimund (Hrsg.), ABGB. Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. Kurzkommentar zum ABGB. 3., überarbeitete u. erweiterte Auflage, Springer, Wien / New York (2010), zit. als KBB3.

Rössler, Paul, Entwicklungstendenzen der österreichischen Rechtssprache seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert. Eine syntaktische, stilistische und lexikalische Untersuchung von Studiengesetzen und –verordnungen. Frankfurt am Main, Peter Lang [= Schriften zur deutschen Sprache in Österreich, Bd. 16] (1994).

Sinclair, James, Cardew-Hall, Michael, The folksonomy tag cloud: when is it useful? In: Journal of Information Science, Bd. 34, Heft 1, S. 15-29. Online: DOI:10.1177/0165551506078083 (2008)

Thiel, Thomas, Digital Humanities. Eine empirische Wende für die Geisteswissenschaften. In: FAZ.net [Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung], 24. Juli 2012, Online: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/digital-humanities-eine-empirische-wende-fuer-die-geisteswissenschaften-11830514.html [Zugriff 1 / 2013].

 


 

Bettina Mielke, Vorsitzende Richterin am Landgericht Regensburg, Lehrbeauftragte an der Universität Regensburg.

 

Christian Wolff, Professor, Institut für Information und Medien, Sprache und Kultur, Lehrstuhl für Medieninformatik.

 


 

  1. 1 Die Autoren danken dem Regensburger digital humanist Manuel Burghardt für die Beratung bei der Auswahl und Anwendung der Werkzeuge.
  2. 2 http://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung/Bundesnormen/10001622/ ABGB%2c%20Fassung%20vom%2010.01.2013.rtf bzw. http://www.gesetze-im-internet.de/bgb/ BJNR001950896.html.