1.
Einleitung ^
Mit der – naiven? – Vorbildung eines Volkswirtes, wonach Güter homogen sind und das Preissignal über die Realisierung eines Marktvolumens entscheidet, kommt man nicht weiter. Auch die klassische Marketingtheorie der Betriebswirtschaftslehre scheint überfordert zu sein, also nehmen wir Zuflucht wie einst Boethius in seiner Verzweiflung im Kerker zur allwissenden Mutter, der Philosophie, um diese «Informationsflut» zu hinterfragen. Um nicht in eine unfruchtbare Diskussion des Sinns oder Unsinn von ISO 9xxx-Zertifizierungen etc. zu geraten, fokussieren wir auf Rankings, also Vergleiche von Unternehmen oder Institutionen, bei denen sich eine klare, ordinale Reihenfolge der «gerankten» Objekte ergibt. Beispiele hierfür wären das Länder-Ranking des Program for International Student Assessment1 der OECD oder die Universitäts-Rankings diverser Institutionen.
Wenn wir diese Rankings kritisch hinterfragen, so ist ihnen gemeinsam
- Die Reduktion komplexer Sachverhalte auf eine einzige, einer Platzierung bei einem Wettkampf ähnelnde Größe.
- Eine starke Macht, die durch die das Ranking durchführende Institution bzw. das Ranking an sich ausgeübt wird, insbesondere durch «Data Mining» (auch: Knowledge Discovery in Data Bases) in der große Datenmengen, die de facto großen Unternehmen/Institutionen zur Verfügung stehen.
- Eine starke Motivation der so Gereihten, beim nächsten Durchgang eine bessere Platzierung zu erreichen – der Satz «Ehrgeiz ist der Tod des Denkens» von Wittgenstein2 drängt sich auf.
- Eine kritische Diskussion über die angewandten Verfahren und über die Aussagekraft des Ranking findet regelmäßig nicht statt3.
- Die Untersuchungsplanung und die Art des verwendeten Datenmaterials (z.B. qualitative Forschung vs. quantitative Forschung, auch interpretative Verfahren) ist häufig nur der durchführenden Institution bekannt.
- Messtheoretische Probleme werden von den Unternehmen/Institutionen kaum erläutert, häufig wird nicht einmal darauf hingewiesen4.
2.
Grundlagen des Rankings ^
Wir verstehen unter «Ranking» oder «Bewertung und Reihung» einen von einer Institution durchgeführten Prozess, dem sich ein oder mehrere «(Ranking)Objekte» unterziehen und der aus folgenden Einzelschritten besteht:
- Erstellung eines Kataloges von Eigenschaften der zu bewerteten «Objekte’5, beispielsweise der Eigenschaft «Öffnungszeiten».
- Formulierung von Eigenschaften, beispielsweise «minimal 8:00 bis 12:00 und 13:00 bis 18:00’6, danach «subjektive» Reihung der unterschiedlichen Qualitäten, z. B. «7:00 bis 12:00» ist besser als «8:00 bis 12:00»7.
- Quantifizierung: «7:00 Öffnungsbeginn entspricht 3 Punkten, ebenso 3 Punkte entspricht dem Servieren des Kaffees mit einem Glas Wasser gratis’8 – dieses «In-Beziehung-Setzen» erfolgt durch die Zuweisung von Punkten oder Zähleinheiten. Dass diese Vorgehensweise logisch unzulässig ist, hat Liessmann zwar überaus pointiert, aber methodisch sauber nachvollziehbar dargelegt9.
- Aufnahme der Daten gemäß den Vorgaben aus 1. und 2. und 3.
- Addition der Punkte oder Zähleinheiten, ggf. erfolgt noch eine Gewichtung unterschiedlicher Gruppen10.
- Reihung der (Ranking)Objekte nach der Punktezahl und Veröffentlichung des Ergebnisses (der Reihung).
2.1.
Wert und Bewertung ^
Das diesbezügliche Konzept der Philosophie, warum etwas so ist, wie es ist, ist die Lehre von den vier Ursachen, die auf Aristoteles zurückgeht:
- die Causa materialis
- die Causa formalis
- die Causa finalis
- die Causa efficiens12.
2.2.
Prozesseigentümer und ökonomische Aspekte des Rankings ^
Alleiniger Herr des gesamten Ranking ist die Rankinginstitution, sofern folgende Randbedingungen gegeben sind:
- Das Ranking hat vermutete oder tatsächliche Wirkung14 auf die ökonomische Relevanz des «Ranking-Objektes», beispielsweise in Form von Subventionsgewährung, Beeinflussung der Kundenentscheidung, rechtliche Auflagen udgl.
- Das Ranking ist konkurrenzlos, d.h. eine Substitution durch ein anderes, für das Ranking-Objekt besseres Ranking, ist kaum möglich15. Auch die Drohung mit Markteintritt ist unwirksam.
- Das Ranking wird regelmäßig durchgeführt, sodass bei den Wiederholungen Änderungen zu erhoffen und sogar wünschenswert sind.
3.
Ausblick ^
Robert Müller-Török, Professor, Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg.
Werner Faßrainer, B.A., Mitglied der Martin-Heidegger-Gesellschaft Meßkirch e.V.
- 1 Umgangssprachlich PISA-Studie genannt.
- 2 Zitiert nach Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, Werksausgabe Band 8, Frankfurt/Main 1999, S. 560.
- 3 Vgl. hierzu die ausführliche Diskussion im Kapitel 4 «Pisa – Der Wahn der Rangliste» bei Liessmann, Konrad Paul, Theorie der Unbildung, Piper Verlag, 6. Auflage, 2011, S. 74 ff.
- 4 Bortz, Jürgen/Döring Nicola (2009): Forschungsmethoden und Evaluation für Human- und Sozialwissenschaftler, Springer Medizin Verlag, Heidelberg, S. 154: Störanfälligkeit menschlicher Urteile; «Subject Centered Approach vs Stimulus Centered Approach» und S. 176: messtheoretische Probleme bei Ratingskalen.
- 5 Diese Objekte sind aus Sicht der Informatik / Datenmodellierung Entitäten. Inwieweit die Zusammenfassung verschiedener Entitäten zu einem Entitätstyp zulässig ist, erscheint zweifelhaft. In diesem Fall, ob bei einem Ranking von Cafés das «McCafé» in einer McDonalds-Filiale unter Cafés subsumiert werden darf, muss im Einzelfall «subjektiv» entschieden werden. Hier liegt bereits die erste methodische Angriffsfläche offen.
- 6 Auch hier sieht man, dass diese Qualitäten entitätsspezifisch sind: Eine Öffnungszeit eines in eine Autobahntankstelle integrierten Cafés unterscheidet sich von einem in einem Schlossmuseum integrierten Cafés. Dieses «Anderssein» hat einen sachlichen Grund und ein Vergleich dieser beiden unterschiedlichen Entitäten anhand dieser einen Eigenschaft ist verzerrend, um nicht zu sagen: unzulässig.
- 7 Anhand des Beispiels wird die Fragwürdigkeit dieses Vorgehens evident, da – im Sinne des Pyrrhon von Elis eine Aussage «A ist besser als B» abzuweisen ist, insofern sie ein Werturteil beinhaltet. Zulässig wäre im Sinne der Skeptiker die Aussage «A ist mehr als B» bzw. hier «A hat eine Stunde mehr geöffnet als B». Eine Öffnung um 7:00 kann irrelevant sein, wenn z. B. an einem Bahnhof um 7:00 «alles gelaufen» ist, da sämtliche Pendlerzüge in die Regionalhauptstadt zu diesem Zeitpunkt abgefahren sind.
- 8 Man muss kein Anhänger der pyrrhonischen Skepsis sein, um zu erkennen, dass hier im wahrsten Sinne des Wortes «Äpfel mit Birnen» verglichen werden.
- 9 Vgl. Liessmann, a.a.O., S. 84 f.
-
10
Dass eine solche Gewichtung – unterschiedlicher! – Qualitäten «repräsentierender» Punkte methodisch genauso unzulässig ist, ergibt sich aus dem bereits Gesagtem. In der Philosophie ist das allgemein bekannt, u.a. bei Nietzsche heißt es «Die Erfindung der Gesetze der Zahlen ist auf Grund des ursprünglich schon herrschenden Irrthums gemacht, dass es mehrere gleiche Dinge gebe (aber thatsächlich giebt es nichts Gleiches), mindestens dass es Dinge gebe (aber es
- 11 Heidegger, Martin, Über den Humanismus, 10., ergänzte Auflage 2000, Vittorio Klostermann GmbH, Frankfurt/Main 1949, S. 41.
- 12 Vgl. Heidegger, Martin, Vorträge und Aufsätze, 8. Auflage, Stuttgart, Neske 1997, S. 11f.
- 13 Siehe Nietzsche, a.a.O., S. 40f.
- 14 Es steht dank vorhandener Technologie jedermann frei, in einem Blog ein persönliches Ranking von was auch immer zu erstellen und zu publizieren. Inwieweit dadurch Wirksamkeit entfaltet wird, ist zweifelhaft.
- 15 In diesem Fall wäre es rational, das Ranking beim billigsten Anbieter zu kaufen.