1.1.
Die Erfolge der Verwaltungsmodernisierung bleiben hinter den Erwartungen zurück ^
Auch das Front-Office-/Backoffice-Konzept ist eine dazu passende Ergänzung, die sowohl bei der Service-Qualität als auch bei den verwaltungsseitigen Kosten für den «Produktvertrieb» Verbesserungen erwarten lässt. Aber auch hier bleiben die Erfolge hinter den Möglichkeiten zurück. Konsequente Umsetzungen mit der erforderlichen Servicebreite und -tiefe2 sind die Ausnahme. Die Chance, mit der Umsetzung der EG Dienstleistungsrichtlinie einen großen Schritt in diese Richtung zu tun, wurde in Deutschland vertan, was bereits vor dem Inkrafttreten absehbar war.3
1.2.
Stärken und Schwächen des Produktansatzes ^
Ein weiteres Mißverständnis ergibt sich dadurch, dass für Produkte der öffentlichen Verwaltung in aller Regel weder ein funktionierender Markt noch eine Gewinnerzielungsabsicht existieren. Wesentliche positive Antriebsmechanismen, die im Unternehmen mit der Denkweise «vom Produkt her» verbunden sind, entfallen damit in der ÖV. Falls diese Eigenschaften vorhanden wären, wäre das jeweilige Produkt ein «heißer» Kandidat für eine Privatisierung. Wenn sie fehlen, ist eine Wettbewerbssituation nur künstlich herbeiführbar, was nicht zu den erwünschten positiven Effekten führen dürfte. Die Abbildung 1 visualisiert die grundsätzlich unterschiedliche Situation von Verwaltungs- und Unternehmensprodukten.
Abbildung 1: Qualitative Einordnung der Produkte für verschieden Organisationstypen nach Marktgesichtspunkten
Die Produkte der ÖV werden von Monopolisten hergestellt. Da es in vielen Fällen zudem «Zwangsprodukte» sind, gibt es auch keine Nachfrage, die zu einer Preisbildung führen könnte. Öffentliche Betriebe als Übergangsform sind der Vollständigkeit halber mit aufgeführt. Auch bei «nachgefragten» Produkten wie Sozialhilfe oder Subventionen gibt es keine Preisbildung, da deren Konditionen durch den gesetzlichen Rahmen festgelegt sind.
2.1.
Was macht Verwaltung ^
2.2.
Verwaltung ist Informationsverarbeitung ^
Unabhängig davon, ob das Produkt ganz oder teilweise durch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes erstellt wird, hat die zuständige Fachbehörde immer die Steuerungsaufgabe zu erfüllen, die mit der Produkterstellung verbunden ist. Damit ist auch in Behörden dieser Art ein wesentlicher Teil der erfolgreichen Aufgabenerfüllung von einer effizienten Informationsverarbeitung abhängig. Zur Verdeutlichung werden auch hierzu nachstehen Beispiele aufgeführt. Die Gesamtüberlegungen sind in Abbildung 2 zusammen gefasst. Somit kann man zumindest als Arbeitshypothese zu der Aussage gelangen, dass eine ÖV selbst nur Produkte beziehungsweise Wertschöpfungsbeiträge für Produkte erzeugt, die sich in den drei folgenden Kategorien einordnen lassen:
- Information
- Einzelfallentscheidung
- Normen und Strategien
2.3.
Beispiele ^
2.3.1.
Klassische Verwaltungsprodukte ^
Kategorie Information:
- Öffentliche Bekanntmachungen
- Auskunftsdienste (D115, Webseiten u.ä.)
- Warnmeldung (Hochwasser, Smog u.ä.)
- Einzelfallberatung
- Informationssammlungen (z.B. Einwohnerwesen, Statistik)
Kategorie Einzelfallentscheidungen:
- Genehmigungen und Gestattungen
- Hilfen und Subventionen
- Auftragsvergabe und Vertragsabschlüsse
- Ausweise und Pässe
- Bescheinigungen
Kategorie Normen und Strategien:
- Entwürfe für die Legislative (Sitzungsvorlagen, Satzungen, Flächennutzungspläne, Referentenentwürfe u.ä.)
- Durchführungsbestimmungen
- interner Regeln mit Außenwirkung (z.B. Geschäftsverteilungspläne)
- strategische Planungen (z.B. Regierungsprogramme, Fördermaßnahmen)
2.3.2.
mittelbare Verwaltungsprodukte ^
Mit hoher Fertigungstiefe durch den öffentlichen Dienst:
- Bildungswesen
- Sicherheit
Mit geringer Fertigungstiefe durch den öffentlichen Dienst:
- Straßenbau
- Hochbauverwaltung
Sowohl die strategische Planung als auch die Einzelfallplanung erfolgen bei den Beispielen a) und b) in der Regie der öffentlichen Verwaltung. In der Realisierungsphase erfolgt in der Regel nur noch eine Aufsicht hinsichtlich der Vertragserfüllung (Bauherrenfunktion). Wenn kein Generalunternehmer bestimmt ist, wird auch die Produktionssteuerung z.B. durch die Koordinierung der verschiedenen Gewerke ausgeführt.
c. Gesundheitswesen
3.1.
Verwaltung ist Informationsverarbeitung ^
Welche Bedeutung hat nun die Hypothese, dass Informationsverarbeitung das eigentliche Kerngeschäft von ÖV ist? Als erstes bringt es in Erinnerung, dass Informationsverarbeitung einen Prozeß ist, den es gibt, seit Verwaltung existiert. Die Entwicklung einer öffentlichen Verwaltung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft von den Frühzeiten der Zivilisation ist mit der Informationsverarbeitung, insbesondere der Informationsspeicherung und -weitergabe durch die Verwaltungen eng verbunden5,6.Wie das Beispiel der Registratur zeigt, besteht eine Tendenz, Informationsverarbeitung auf die technikunterstützte Informationsverarbeitung zu reduzieren und dabei die Aspekte, die über den reinen Technikeinsatz hinausgehen, zu vernachlässigen. So ist beispielsweise die Transparenz des Verwaltungshandelns seit Jahren gefährdet, weil in vielen Verwaltungen klare Regelungen zur Einbindung entscheidungsrelevanter E-Mails in einen Vorgang fehlen. Vielfach werden auch mit großem Aufwand Wissensmanagementsysteme entwickelt und eingeführt, bei denen die konzeptionelle Einbindung der Registratur fehlt oder unzureichend durchdacht ist.
3.2.
Führungskräfte brauchen adäquates Wissen ^
3.3.
Die Verwaltungs- und Projektkultur muß sich verändern ^
4.
Ausblick ^
Peter Schilling, Professor für Informationsmanagement der öffentlichen Verwaltung i.R..
- 1 Brüggemeier/Röber - Auf dem Weg zu einem neuen Produktionsregime? - Eine Analyse des Zusammenhangs von Steuerung und Arbeitsorganisation im öffentlichen Sektor in: R. Koch/P. Conrad/W.H. Lorig (Hrsg.): New Public Service. Öffentlicher Dienst als Motor der der Staats- und Verwaltungsmodernisierung, 2., überarb. u. erw. Aufl., Wiesbaden 2011, Seite 213-246.
- 2 Eine Definition von Servicebreite und –tiefe in: Schilling, Neuland EU-Dienstleistungsrichtlinie - Eine strategie- und lösungsorientierte Übersicht für Unternehmen, Behörden und deren IT-Berater (mit Beiträgen von Ch. Dobler, C. Delli, K.-P. Eckert) Berlin Wien Zürich 2009.
- 3 A.a.O Schilling 2009, Seite 178.
- 4 S. z.B. Kommunaler Produktplan für den Freistaat Sachsen (2009) – (Download 09.01.13) http://www.kommunale-verwaltung.sachsen.de/download/Kommunale_Verwaltung/Kommunaler_Produktplan.pdf
- 5 Wikipedia-Beiträge zur Frühgeschichte - u.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schrift.
- 6 Rauschert, Herrschaft und Schrift: Strategien der Inszenierung und Funktionalisierung von Texten in Luzern und Bern am Ende des Mittelalters Berlin (2006).
- 7 Schilling, Wechselwirkung Gesetzgebung - Prozessoptimierung am Beispiel P23R, in: Schweighofer E., Kummer F., Hötzendorfer W. (Hrsg.), Abstraktion und Applikation, Tagungsband IRIS 2013, books@ocg.at, Wien (2013).