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Tiefgreifendes Umdenken in Politik und Führungsebene ist ein Erfolgsfaktor der Verwaltungsmodernisierung

  • Author: Peter Schilling
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Government, Open Government
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Peter Schilling, Tiefgreifendes Umdenken in Politik und Führungsebene ist ein Erfolgsfaktor der Verwaltungsmodernisierung, in: Jusletter IT 20 February 2013
Der Beitrag wirft einen kritischen Blick auf die Modernisierungskonzepte der jüngeren Vergangenheit. Die Schwierigkeiten, die bei einer unreflektierten Übernahme von Konzepten aus der BWL der gewinnorientierten Privatwirtschaft entstehen, werden erläutert. Eine Arbeitshypothese für eine veränderte Sicht wird entwickelt. Mit ihr wird Informationsverarbeitung als Kerngeschäft der öffentlichen Verwaltung in das Zentrum der Überlegungen gestellt. Die Vorteile der Hypothese werden ebenso skizziert wie die ersten Schritte zur praktischen Anwendung in den öffentlichen Verwaltungen.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Ein Blick auf den status quo
  • 1.1. Die Erfolge der Verwaltungsmodernisierung bleiben hinter den Erwartungen zurück
  • 1.2. Stärken und Schwächen des Produktansatzes
  • 2. Veränderung der Sichtweise auf den Produktansatz
  • 2.1. Was macht Verwaltung
  • 2.2. Verwaltung ist Informationsverarbeitung
  • 2.3. Beispiele
  • 2.3.1. Klassische Verwaltungsprodukte
  • 2.3.2. mittelbare Verwaltungsprodukte
  • 3. Kerngeschäft der Öffentlichen Verwaltung
  • 3.1. Verwaltung ist Informationsverarbeitung
  • 3.2. Führungskräfte brauchen adäquates Wissen
  • 3.3. Die Verwaltungs- und Projektkultur muß sich verändern
  • 4. Ausblick

1.

Ein Blick auf den status quo ^

1.1.

Die Erfolge der Verwaltungsmodernisierung bleiben hinter den Erwartungen zurück ^

[1]
In den letzten drei Jahrzehnten gingen zahlreiche Modernisierungswellen durch die öffentliche Verwaltung (ÖV). Obwohl sich im Detail sehr viele Dinge verändert haben, erscheint mir der erzielte Nutzen im Verhältnis zum getriebenen Aufwand eher gering zu sein. Die verschiedenen Modernisierungskonzepte enthalten zwar durchweg sinnvolle Aspekte. Eine erfolgreiche Umsetzung wird aber regelmäßig durch zwei Effekte beeinträchtigt: Zum ersten werden die Konzepte aus der Privatwirtschaft - zeitversetzt - meist von Beratungsunternehmen eingeführt, die die spezifischen Belange und Randbedingungen der öffentlichen Verwaltung zu wenig beachteten und die Konzepte nicht entsprechend modifizieren. Zum zweitem fehlt die Nachhaltigkeit bei der Einführung. Die positiven Aspekte werden nicht ausreichend in der täglichen Praxis dauerhaft verankert. Stattdessen wird die Aufmerksamkeit auf die nächste Modernisierungswelle fokussiert. Insbesondere wird die Integration der erzielten Modernisierungserfolge in den neuen Modernisierungsanstrengungen wenig beachtet. Diese Effekte werden noch dadurch verstärkt, dass zwar viele Pilotprojekte stattfinden, aber eine qualifizierte Umsetzung in der gesamten Breite der ÖV nicht ausreichend abgesichert wird.
[2]
Vielfach werden Probleme durch vermeintliche Kleinigkeiten verursacht, die als zu trivial betrachtet werden, um sie eingehend zu analysieren und zu diskutieren. Die wahren Ursachen eines Problems werden so oft übersehen oder unterschätzt. Sie sind deshalb auch schwer zu identifizieren und zu lösen, weil sie mangels Beachtung nicht explizit als Problemursache erkennbar sind. Deshalb werden in diesem Beitrag die systematische Herleitung einiger «Trivialitäten» und die aus meiner Sicht zu ziehenden Konsequenzen einmal in kompakter Form zusammengefaßt.
[3]
Die Feststellungen im Folgenden beziehen sich auf die Situation in Deutschland in der Fläche. In einzelnen Organisationen, insbesondere in Pilotprojekten, stellt sich die Situation positiver dar als hier geschildert.
[4]
Kombination aus Produktansatz und Neues Steuerungsmodell/Controlling erscheint prima vista als geeignetes Paradigma für die Modernisierung. Dabei sind jedoch einige Schwachstellen zu beachten und konzeptionell auszugleichen. Sie sind in einem Artikel von Brüggemeier/Röber ausführlich beschrieben. Der hier relevanten Aspekte ist mangelnde Beachtung der Optimierung des Produktionsprozesses und dort in folgender Formulierung zusammengefaßt:
[5]
«Die Fokussierung der Kritik auf die Politikblindheit hat allerdings dazu geführt, dass die im Neuen Steuerungsmodell ebenfalls zu konstatierende Produktionsblindheit, (…), als Schwachstelle des Konzepts weiterhin aus dem Reformdiskurs weitgehend ausgeblendet wird.» 1
[6]

Auch das Front-Office-/Backoffice-Konzept ist eine dazu passende Ergänzung, die sowohl bei der Service-Qualität als auch bei den verwaltungsseitigen Kosten für den «Produktvertrieb» Verbesserungen erwarten lässt. Aber auch hier bleiben die Erfolge hinter den Möglichkeiten zurück. Konsequente Umsetzungen mit der erforderlichen Servicebreite und -tiefe2 sind die Ausnahme. Die Chance, mit der Umsetzung der EG Dienstleistungsrichtlinie einen großen Schritt in diese Richtung zu tun, wurde in Deutschland vertan, was bereits vor dem Inkrafttreten absehbar war.3

[7]
Der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) in der öffentlichen Verwaltung (ÖV) erfolgt schon seit den frühen siebziger Jahren. Dabei hat sich früh die Einstellung heraus gebildet, dass die Informationstechnik eine Angelegenheit für Spezialisten sei, die von der Führungsebene vollständig an diese delegiert wird. Auch wenn der Informationstechnik-Einsatz inzwischen die Aufmerksamkeit der Politik und der Führungsebene genießt, hat sich nach meinen Erfahrungen diese Einstellung in vielen Fällen nicht grundlegend geändert. Informationstechnikeinsatz wird zwar als wesentlicher Teil der Verwaltungsmodernisierung wahrgenommen, aber trotzdem auf der Führungsebene noch oft nicht in der Tiefe behandelt, die ihrer heutigen strategischen Bedeutung entspricht. Insbesondere ist es meist noch nicht gelungen, eine ganzheitliche Sicht zu entwickeln, in der rechtliche, organisatorische und informationstechnische Aspekte gleichwertig betrachtet und zu einer optimalen Lösung zusammengeführt werden.

1.2.

Stärken und Schwächen des Produktansatzes ^

[8]
Aus der Vielzahl der bisherigen «Modernisierungswellen» wird zur Herleitung der Produktansatz verwendet. Die Schlussfolgerungen daraus beziehen sich vor allem auf die Prozessorientierung, das Projektmanagement und die Aus- und Fortbildung von Führungskräften. Der Produktansatz hat nach meiner Einschätzung ein noch nicht ausgeschöpftes Potenzial, wenn man ihn konsequent aus Sicht der Produktionsprozesse betrachtet. Zuerst ist jedoch eine kritische Betrachtung auf seine angemessene Übertragung des aus dem Bereich der Privatunternehmen übernommenen Konzepts erforderlich.
[9]
Eine weitere Schwachstelle ist Struktur in den Produktkatalogen der ÖV. Zwar haben diese eine Struktur, die aber dem Gedanken des Produktansatzes insofern meist widerspricht als sie sich an den alten Organisationsstrukturen und Haushaltsplänen orientiert. Dies führt zu einer recht unübersichtlichen Sammlung von bis zu einigen tausend Produkten je nach Herkunft des einzelnen Katalogs. Die Struktur sollte sich aber an gemeinsamen Merkmalen wie z.B. vergleichbarem Produktionsverfahren, Vertriebskanälen oder gleichen Zielgruppen orientieren, die in der Produktion Synergie-Effekte und Kostenreduktion ermöglichen. Im nächsten Schritt wird ein Ansatz entwickelt, diese Strukturierung zu verbessern.
[10]

Ein weiteres Mißverständnis ergibt sich dadurch, dass für Produkte der öffentlichen Verwaltung in aller Regel weder ein funktionierender Markt noch eine Gewinnerzielungsabsicht existieren. Wesentliche positive Antriebsmechanismen, die im Unternehmen mit der Denkweise «vom Produkt her» verbunden sind, entfallen damit in der ÖV. Falls diese Eigenschaften vorhanden wären, wäre das jeweilige Produkt ein «heißer» Kandidat für eine Privatisierung. Wenn sie fehlen, ist eine Wettbewerbssituation nur künstlich herbeiführbar, was nicht zu den erwünschten positiven Effekten führen dürfte. Die Abbildung 1 visualisiert die grundsätzlich unterschiedliche Situation von Verwaltungs- und Unternehmensprodukten.

Abbildung 1: Qualitative Einordnung der Produkte für verschieden Organisationstypen nach Marktgesichtspunkten

[11]

Die Produkte der ÖV werden von Monopolisten hergestellt. Da es in vielen Fällen zudem «Zwangsprodukte» sind, gibt es auch keine Nachfrage, die zu einer Preisbildung führen könnte. Öffentliche Betriebe als Übergangsform sind der Vollständigkeit halber mit aufgeführt. Auch bei «nachgefragten» Produkten wie Sozialhilfe oder Subventionen gibt es keine Preisbildung, da deren Konditionen durch den gesetzlichen Rahmen festgelegt sind.

2.

Veränderung der Sichtweise auf den Produktansatz ^

2.1.

Was macht Verwaltung ^

[12]
Jede Verwaltung, unabhängig davon, ob in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen oder in der ÖV, steuert zuerst die Produktion von Produkten und Dienstleistungen. Die eigentlichen Produkte werden nicht von dieser Verwaltung, sondern von den darauf spezialisierten Abteilungen des Unternehmens hergestellt und vertrieben. Bei der Verwaltung eines privatwirtschaftlichen Unternehmens kommt bis heute meines Wissens niemand auf die Idee, beispielsweise die Controllingabteilung von VW als Produkt zu bezeichnen. Diese «steuernde» Verwaltung hat keine eigenen Produkte. Die ÖV dagegen steuert nicht nur, sondern produziert in einigen Bereichen auch für den Endkunden, d. h. für Bürger, Unternehmen und Legislative. – Eines der Missverständnisse des Produktansatzes in der ÖV besteht darin, dass man dieser Trennung soweit ich feststellen kann, keine Beachtung geschenkt hat. Vielmehr werden in der Verwaltung auch alle Prozesse als Produkt bezeichnet, die für den Endkunden irrelevante Hilfsprozesses sind (z.B. Haushalt, Personalmanagement)4.

2.2.

Verwaltung ist Informationsverarbeitung ^

[13]
Die o.a. Steuerungsfunktion jeder Verwaltung besteht im Wesentlichen aus Informationsbeschaffung und -weitergabe, sowie aus Informationszusammenführung und -bewertung in Einzelfallentscheidungen und in der Festlegung von Normen und Strategien. Es sind keine Produkte, sondern Hilfsprozesse, die natürlich einen Beitrag zu den Wertschöpfungsprozessen bei der Herstellung der Produkte liefern.
[14]
Aber auch für «klassische» Verwaltungsprodukte ist diese Beschreibung zutreffend. Dazu ein paar Beispiele: Reisepass, Sozialhilfe, Baugenehmigung, Schuldnerberatung, amtliche Veröffentlichungen, Haushaltsentwürfe, Ausweisung von Naturschutzgebieten, Register usw. Dies sind Produkte, die sich ebenfalls in die drei Gruppen «Information», «Einzelfallentscheidung» und «Normen und Strategie» einordnen, wie im Folgenden anhand von Beispielen näher ausgeführt wird.
[15]
Produktgruppen der ÖV wie Straßenbau, Bildung, Kultur, Gesundheitswesen, öffentliche Sicherheit erfordern für die Herstellung mehrere Teilprozesse, von denen meist nur ein Teil in die o.a. Kategorien der Informationsverarbeitung fällt. Diese Produkte möchte ich als mittelbarer Verwaltungsprodukte bezeichnen. Bei mittelbaren Verwaltungsprodukten wird zur Analyse der aus der Privatwirtschaft bekannte Begriff der Fertigungstiefe eingeführt. Der Wertschöpfungsbeitrag einer Behörde, die mittelbare Verwaltungsprodukte erzeugt hängt von der jeweils - politisch entschiedenen - Fertigungsanteils des Produkts innerhalb des öffentlichen Dienstes ab.

Abbildung 2 Differenzierung der ÖV nach Produktionsmethode

[16]

Unabhängig davon, ob das Produkt ganz oder teilweise durch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes erstellt wird, hat die zuständige Fachbehörde immer die Steuerungsaufgabe zu erfüllen, die mit der Produkterstellung verbunden ist. Damit ist auch in Behörden dieser Art ein wesentlicher Teil der erfolgreichen Aufgabenerfüllung von einer effizienten Informationsverarbeitung abhängig. Zur Verdeutlichung werden auch hierzu nachstehen Beispiele aufgeführt. Die Gesamtüberlegungen sind in Abbildung 2 zusammen gefasst. Somit kann man zumindest als Arbeitshypothese zu der Aussage gelangen, dass eine ÖV selbst nur Produkte beziehungsweise Wertschöpfungsbeiträge für Produkte erzeugt, die sich in den drei folgenden Kategorien einordnen lassen:

  1. Information
  2. Einzelfallentscheidung
  3. Normen und Strategien
[17]
Diese Aussage ist unabhängig davon, ob der jeweilige Informationsverarbeitungsprozess durch Informationstechnik unterstützt wird oder nicht. Die Informationsverarbeitung ist in jedem Fall der zentrale Produktionsprozeß. Informationsverarbeitung ist «das Kerngeschäft» der öffentlichen Verwaltung. Die Konsequenzen, die aus dieser Aussage zu ziehen sind, werden nach einer Verdeutlichung durch Beispiele im letzten Abschnitt beleuchtet.

2.3.

Beispiele ^

[18]
Da die im vorigen Abschnitts verwendete Sichtweise nicht gebräuchlich und damit erklärungsbedürftig ist, soll sie löst die nachstehenden Beispiele konkretisiert und verdeutlicht werden.

2.3.1.

Klassische Verwaltungsprodukte ^

[19]

Kategorie Information:

  1. Öffentliche Bekanntmachungen
  2. Auskunftsdienste (D115, Webseiten u.ä.)
  3. Warnmeldung (Hochwasser, Smog u.ä.)
  4. Einzelfallberatung
  5. Informationssammlungen (z.B. Einwohnerwesen, Statistik)
[20]
Die Beispiele haben gemeinsam, dass Informationen an die Öffentlichkeit oder auch eine Einzelpersonen gegeben werden. Die Information wird zuvor i.d.R. fachlich aufbereitet. Die Informationen stammen meist aus Informationsquellen der öffentlichen Verwaltung (Gesetzes-und Vorschriftentexte) oder aus Quellen, die die ÖV erschließt oder erschließen läßt (z.B. Statistiken, Bauleitpläne, Pegelstände, Luftmeßnetze, Straßensperrungen). Die Informationsquellen können selbst allen drei Bereichen zugeordnet sein. Soweit die Verwaltung selbst aus diesen Informationen Maßnahmen abgeleitet, sind diese der Kategorie Einzelfallentscheidungen zuzuordnen (z.B. Smogalarm).
[21]

Kategorie Einzelfallentscheidungen:

  1. Genehmigungen und Gestattungen
  2. Hilfen und Subventionen
  3. Auftragsvergabe und Vertragsabschlüsse
  4. Ausweise und Pässe
  5. Bescheinigungen
[22]
Die Gruppen d) und e) sind nach meinem Verständnis nicht der Kategorie Information zuzuordnen. Der wesentliche Wertschöpfungsbeitrag der ÖV besteht in diesen Fällen nicht Ausfüllen eines Formblattes oder in der Herstellung eines Plastikausweises, sondern in der Prüfung und Entscheidung, dass die Identität eines Ausweisinhabers überprüft und abgesichert ist oder dass die inhaltliche Richtigkeit einer ausgestellten Bescheinigung geprüft wurde.
[23]

Kategorie Normen und Strategien:

  1. Entwürfe für die Legislative (Sitzungsvorlagen, Satzungen, Flächennutzungspläne, Referentenentwürfe u.ä.)
  2. Durchführungsbestimmungen
  3. interner Regeln mit Außenwirkung (z.B. Geschäftsverteilungspläne)
  4. strategische Planungen (z.B. Regierungsprogramme, Fördermaßnahmen)

2.3.2.

mittelbare Verwaltungsprodukte ^

[24]

Mit hoher Fertigungstiefe durch den öffentlichen Dienst:

  1. Bildungswesen
  2. Sicherheit
[25]
In solchen Bereichen werden die Produkte häufig vollständig innerhalb des öffentlichen Dienstes erzeugt. Allerdings wird auch hier mit zunehmender Tendenz die Fertigungstiefe innerhalb des öffentlichen Dienstes verringert; die Marktanteile freier Schulträger und andere Bildungseinrichtungen bis hin zum privaten Hochschulen nehmen langsam zu. Der Wertschöpfungsbeitrag der ÖV liegt dann nicht mehr in der unmittelbaren Steuerung der Produktion wie im öffentlichen Schulwesen, sondern in der Aufsicht im Sinne von Qualitätssicherung der privatwirtschaftlichen Angebote.
[26]
Selbst im Bereich der öffentlichen Sicherheit ist durch den Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten eine gewisse Tendenz zur Verringerung der Fertigungstiefe erkennbar.
[27]

Mit geringer Fertigungstiefe durch den öffentlichen Dienst:

  1. Straßenbau
  2. Hochbauverwaltung
[28]

Sowohl die strategische Planung als auch die Einzelfallplanung erfolgen bei den Beispielen a) und b) in der Regie der öffentlichen Verwaltung. In der Realisierungsphase erfolgt in der Regel nur noch eine Aufsicht hinsichtlich der Vertragserfüllung (Bauherrenfunktion). Wenn kein Generalunternehmer bestimmt ist, wird auch die Produktionssteuerung z.B. durch die Koordinierung der verschiedenen Gewerke ausgeführt.

c.  Gesundheitswesen

[29]
Die strategische Planung liegt bei der ÖV. Ob die operative Steuerung der konkreten Dienstleistungen im Rahmen des öffentlichen Dienstes erfolgt, hängt von dem Träger der jeweiligen Einrichtung ab. Der Trend geht m.E. zu privatwirtschaftlichen Trägern oder zumindest zu rechtlich selbständigen privatwirtschaftlichen Einheiten im Besitz öffentlicher Körperschaften.
[30]
Aus den Beispielen insgesamt kann man auch entnehmen, dass die einzelnen Kategorien voneinander abhängen. So benötigt man für eine Einzelfallentscheidung sowohl die zugrundeliegende Norm als auch die zum Einzelfall gesammelten Informationen. Aus Statistiken oder aus den Reaktionen zu Einzelfallentscheidungen ergeben sich gegebenenfalls wieder Informationen über den Bedarf hinsichtlich der Erstellung oder Veränderung von gesetzlichem Normen.

3.

Kerngeschäft der Öffentlichen Verwaltung ^

3.1.

Verwaltung ist Informationsverarbeitung ^

[31]

Welche Bedeutung hat nun die Hypothese, dass Informationsverarbeitung das eigentliche Kerngeschäft von ÖV ist? Als erstes bringt es in Erinnerung, dass Informationsverarbeitung einen Prozeß ist, den es gibt, seit Verwaltung existiert. Die Entwicklung einer öffentlichen Verwaltung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft von den Frühzeiten der Zivilisation ist mit der Informationsverarbeitung, insbesondere der Informationsspeicherung und -weitergabe durch die Verwaltungen eng verbunden5,6.Wie das Beispiel der Registratur zeigt, besteht eine Tendenz, Informationsverarbeitung auf die technikunterstützte Informationsverarbeitung zu reduzieren und dabei die Aspekte, die über den reinen Technikeinsatz hinausgehen, zu vernachlässigen. So ist beispielsweise die Transparenz des Verwaltungshandelns seit Jahren gefährdet, weil in vielen Verwaltungen klare Regelungen zur Einbindung entscheidungsrelevanter E-Mails in einen Vorgang fehlen. Vielfach werden auch mit großem Aufwand Wissensmanagementsysteme entwickelt und eingeführt, bei denen die konzeptionelle Einbindung der Registratur fehlt oder unzureichend durchdacht ist.

3.2.

Führungskräfte brauchen adäquates Wissen ^

[32]
Zweitens schafft die Klassifizierung als «Kerngeschäft» die Voraussetzung für die Erkenntnis, dass Führungskräfte aller Ebenen für diesen Bereich eine hohe Verantwortung haben. Die Verweigerung einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema Informationsmanagement gefährdet den Erfolg jeglicher Modernisierungsanstrengungen. Die heute vielfach noch übliche Delegationen aller Themen mit ITBezug an Spezialisten ohne entsprechende Begleitung und entsprechendes strategisches Controlling der Ergebnisse und Zwischenergebnisse der jeweiligen Projekte führt zu qualitativ unbefriedigenden Projektergebnissen oder sogar zum Scheitern von Projekten. Diese Problemsituation ist jedoch nicht ausschließlich auf das Desinteresse der Führungskräfte zurückzuführen; es fehlen auch Ausbildungs- und Fortbildungsangebote, die die Führungskräfte Aufgaben- und Zielgruppen gerecht über ihre Rolle informieren. Meist besteht nur ein rudimentäres Angebot, dass sich aus Kursen mit (zu vielen) technischen Einzelheiten, Angeboten zu Office-Anwendungen und der Einweisung in die Bedienung von Controllingsystemen zusammensetzen.
[33]
Die Überlegung zum Wissensprofil von Führungskräften in der ÖV ergeben bei eingehender Betrachtung auch ein «Nebenprodukt»: Insbesondere in den Verwaltungen mit mittelbaren Verwaltungsprodukten muß bei den Führungskräften auch Fachwissen über den gesamten Produktionsprozess vorhanden sein, das in der Informationsverarbeitung einfließt, um den Prozess qualifiziert zu steuern. D.h. neben dem reinen Methodenwissen zur Wissensverarbeitung können solche Führungskräfte nicht auf ein fundiertes produktspezifisches Fachwissen verzichten. Dies gilt auch dann, wenn das Endprodukt mit Ausschreibung oder Outsourcing in der Vorbereitung nur eine geringe Fertigungstiefe aufweist. Gerade in solchen Fällen müssen die Verantwortlichen in der Lage sein, die Auftragnehmer so zu steuern, dass der Kosten- und Qualitätsrahmen zuverlässig eingehalten wird.

3.3.

Die Verwaltungs- und Projektkultur muß sich verändern ^

[34]
Drittens muß bei allen Projekten der ÖV zukünftig ein ganzheitliches Vorgehen die Regel werden. Prozess-Re-Modellierung in der ÖV ohne die Einbeziehung der Entwicklung einer optimierten Produktionsumgebung ist Mittelverschwendung. Eine Festlegung von Prozessen ohne Berücksichtigung der verfügbaren effizienten Produktionsmethoden ist genauso schädlich wie ein rein technik-getriebenes Modernisierungsprojekt ohne Berücksichtigung der übrigen Produktionsfaktoren wie der Personalqualifikation, der Akzeptanz bei der Durchführung oder der politischen Durchsetzbarkeit des IT-Ansatzes. Beide Vorgehensweisen können nur ein suboptimales Produktionsverfahren erzielen.
[35]
Viertens und letztens: Ein Effizienzgewinn kann nur mit problemangepassten Vorgehensweisen erzielt werden. Dies bedeutet, dass neben dem Einsatz geeigneter technischer Hilfsmittel auch für die Problemmodellierung und -lösung in der ÖV Methoden und Konzepte der Informationsverarbeitung eingesetzt werden. Was die Projektdurchführung und die Prozessmodellierung betrifft, so sind bereits Ansätze vorhanden, die aber wesentlich konsequenter eingesetzt werden müssen. Entsprechend dem CIM-Konzept der Industrie sollte bereits bei der «Konstruktion» eines Produkts die Optimierung des Herstellungsprozesses in die Überlegungen mit einbezogen werden. Ein Beispiel, wie dies in einem Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden könnte, wird in einem Beitrag zur Wechselwirkung zwischen Gesetzgebung und Prozessoptimierung am Beispiel P23R konkretisiert7.

4.

Ausblick ^

[36]
In den nächsten Monaten und Jahren sind Entscheidungen und Weichenstellungen notwendig, die die zukünftige Struktur der Verwaltung in Deutschland beeinflussen. Die wichtigsten Produktivitätsgewinne dürften von einem fortgeschrittenen Wissensmanagement zu erwarten sein, bei dem aktuelles Fach- und Prozesswissen die tägliche Arbeit in einer integrierten Arbeitsumgebung mit bester Effizienz gestalten. Es sollte dabei eine Selbstverständlichkeit sein, die rechtlichen Anforderungen an das Verwaltungshandeln wie Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Produktionsprozess zu beachten. Aber auch die Informations- und Dienstleistungsangebote an den Bürger müssen viel stärker aus dessen Bedarfssicht entwickelt werden. Diese Anforderungen müssen auch noch in einer Zeit erfüllt werden, in der durch die demographischen und fiskalischen Randbedingungen ein signifikanter Know-how-Verlust zu befürchten ist. Schließlich kommen auf die Verwaltung durch das sich entwickelnde Opern Governance Konzept Forderungen zu, die ohne einen adäquaten Informationstechnik-Einsatz mit Sicherheit nicht zu bewältigen sein werden. Dieses Bündel an Herausforderungen kann nur mit vertretbarem Aufwand bewältigt werden, wenn die Informationsverarbeitung als zentrales Thema nicht nur erkannt, sondern auch von allen Führungskräften intellektuell und emotional angenommen wird.
[37]
Die vorgestellte Sichtweise stellt sicherlich einige lieb gewordene Verhaltensweisen und Denkschemata in Frage. Es ist daher zu befürchten, dass sie sich schnell und vor allem in der Breite nicht durchsetzen wird. Das Problemlösungspotenzial, das in dieser Sichtweise steckt, ist es aber wert, es trotzdem zu versuchen.

 


 

Peter Schilling, Professor für Informationsmanagement der öffentlichen Verwaltung i.R..

 


 

  1. 1 Brüggemeier/Röber - Auf dem Weg zu einem neuen Produktionsregime? - Eine Analyse des Zusammenhangs von Steuerung und Arbeitsorganisation im öffentlichen Sektor in: R. Koch/P. Conrad/W.H. Lorig (Hrsg.): New Public Service. Öffentlicher Dienst als Motor der der Staats- und Verwaltungsmodernisierung, 2., überarb. u. erw. Aufl., Wiesbaden 2011, Seite 213-246.
  2. 2 Eine Definition von Servicebreite und –tiefe in: Schilling, Neuland EU-Dienstleistungsrichtlinie - Eine strategie- und lösungsorientierte Übersicht für Unternehmen, Behörden und deren IT-Berater (mit Beiträgen von Ch. Dobler, C. Delli, K.-P. Eckert) Berlin Wien Zürich 2009.
  3. 3 A.a.O Schilling 2009, Seite 178.
  4. 4 S. z.B. Kommunaler Produktplan für den Freistaat Sachsen (2009) – (Download 09.01.13) http://www.kommunale-verwaltung.sachsen.de/download/Kommunale_Verwaltung/Kommunaler_Produktplan.pdf
  5. 5 Wikipedia-Beiträge zur Frühgeschichte - u.a. http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Schrift.
  6. 6 Rauschert, Herrschaft und Schrift: Strategien der Inszenierung und Funktionalisierung von Texten in Luzern und Bern am Ende des Mittelalters Berlin (2006).
  7. 7 Schilling, Wechselwirkung Gesetzgebung - Prozessoptimierung am Beispiel P23R, in: Schweighofer E., Kummer F., Hötzendorfer W. (Hrsg.), Abstraktion und Applikation, Tagungsband IRIS 2013, books@ocg.at, Wien (2013).