1.
Allgemeine Tendenzen ^
Im (akademischen, zivilgesellschaftlichen und politischen) Diskurs über Rechtsetzung haben seit den 1990er Jahren zwei Tendenzen dominante Geltung erlangt; sie sind gerichtet auf
- zivilgesellschaftliche Partizipation am Rechtsetzungsprozess im Sinne von Konzepten «deliberativer Politik» (Habermas 1992) bzw.
- (präsumtive) Beurteilung und Bewertung der (sozioökonomischen) Auswirkungen von Rechtsakten («Rechtsfolgenabschätzung», «regulatory impact assessment»).
2.1.
Definition ^
Als partizipatives Instrument ist Konsultation von Demoskopie zu unterscheiden:
- Konsultation basiert auf einer politischen Entscheidung darüber, wer in das Konsultationsverfahren einzubeziehen ist, oder auf dem Grundsatz der freien Teilnahme und nicht, wie die Meinungsumfrage, auf dem Prinzip der repräsentativen Stichprobe.
- Als partizipatives Instrument sind das Verfahren und/oder die Ergebnisse der Konsultation grundsätzlich transparent, wohingegen Meinungsumfragen intransparent durchgeführt und unwillkommene Ergebnisse häufig nicht veröffentlicht werden.
Konsultationsverfahren können nach verschiedenen Kriterien, wie zum Beispiel dem Gegenstand, dem Medium, den involvierten Interessen und den Teilnehmern, klassifiziert werden:
- Gegenstand der Konsultation können sein:
- legislative Angelegenheiten
- administrative Angelegenheiten
- Das Konsultationsverfahren kann geführt werden:
- schriftlich
- mündlich
- Das Konsultationsverfahren kann einbeziehen:
- organisierte Interessen
- nicht organisierte (individuelle) Interessen
- Das Konsultationsverfahren kann zugänglich sein für:
- ausgewählte Teilnehmer
- jedermann
2.2.
Ziele und Werkzeuge ^
Legislative Prozesse folgen einem zyklischen Muster, das etwa folgendermaßen beschrieben werden kann:
- Bewusstseinsbildung
- Politikformulierung
- Rechtsaktsentwurf
- Konsultation
- Beratung
- Willensbildung
- Kundmachung
- Konsolidierung
- Evaluierung
Einige Schritte dieses Prozesses sind iterativ. Das gilt insbesondere für die Konsultation, die auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden kann:
- Während in vielen legislativen Systemen, wie dem österreichischen, Gegenstand der Konsultation in der Regel ein ausgearbeiteter Rechtsaktsentwurf ist, wird in anderen, wie dem britischen, Konsultation bereits in einem früheren Stadium des legislativen Prozesses, nämlich jenem der Politikformulierung, angesetzt; Gegenstand der Konsultation ist dort ein allgemeiner Politikentwurf, etwa in Gestalt eines «Weißbuches», der noch nicht in ein normatives Modell gegossen ist.
- Auch in dem noch früheren Stadium der Bewusstseinsbildung kann Konsultation eingesetzt werden; dann geht es dabei darum, Gegenstände zu identifizieren, die auf die politische Agenda zu setzen sind.
- Auch in späteren Stadien des legislativen Zyklus kann Konsultation sinnvoll sein: Häufig werden im Rahmen der parlamentarischen Beratung eines Rechtsaktsentwurfs ausgewählte Vertreter organisierter Interessen zur Konsultation in Form von Anhörungen eingeladen, in einzelnen legislativen Systemen, wie dem griechischen, führen die Parlamente auch öffentliche Konsultationsverfahren durch.
- Schließlich kann sich auch die Evaluierung von Rechtsakten bzw. ihrer Implementierung (an welche sich dann ein neuer Politikzyklus schließen kann bzw. wird) der Konsultation als Instrument bedienen.
- Tatsächlich findet in vielen legislativen Systemen Konsultation (in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlicher Reichweite) regelmäßig auf mehreren Ebenen des legislativen Zyklus statt: In Österreich wird auf Bundesebene beispielsweise dem allgemeinen Begutachtungsverfahren zu Ministerialentwürfen nicht selten ein im Teilnehmerkreis eingeschränktes «Vorbegutachtungsverfahren» vorausgeschickt, das sich allerdings vom Begutachtungsverfahren in der Regel durch seine mangelnde Transparenz unterscheidet und daher nicht als partizipatives Instrument gelten kann. Gelegentlich, insbesondere bei parlamentarischen Initiativen, wird von Seiten des mit der Vorberatung betrauten Ausschusses des Nationalrates ein schriftliches Begutachtungsverfahren in unmittelbarer Verbindung mit der parlamentarischen Beratung durchgeführt.
Die Ziele sowie die Methoden bzw. Werkzeuge des Konsultationsverfahrens orientieren sich daher an dem Stadium des legislativen Zyklus, in welchem es zur Anwendung gelangt:
- Wird das Konsultationsverfahren in einem frühen Stadium des legislativen Zyklus, etwa zur Festlegung der politischen Agenda oder zur Diskussion eines Politikentwurfs, eingesetzt, werden die Methoden und Werkzeuge eine allgemeine Diskussion zu unterstützen haben. Häufig werden in solchen Fällen den Konsultierten Fragenkataloge vorgelegt, die offene und/oder geschlossene Fragen umfassen können; letzteres erleichtert die Auswertung, schmälert aber den Erhebungswert, weil Alternativen von vornherein ausgeblendet werden.
- Ist Gegenstand der Konsultation ein Rechtsaktsentwurf, wird dessen Struktur den Rahmen für die inhaltliche Strukturierung des Konsultationsverfahrens vorgeben.
- Dient die Konsultation der Evaluierung eines Rechtsaktes bzw. seiner Implementierung, werden die eingesetzten Werkzeuge die Beurteilung von Anwendungsfällen zu ermöglichen haben.
Analog dazu wird auch die Auswahl der zu Konsultierenden festzulegen sein:
- Ist die Festlegung der politischen Agenda oder eine allgemeine Politikformulierung Gegenstand der Konsultation, wird sich diese in der Regel an die allgemeine Öffentlichkeit richten.
- Ist der Gegenstand ein Rechtsaktsentwurf, sind die primären Adressaten der Konsultation häufig «Experten» aus der Verwaltung einerseits und der Zivilgesellschaft andererseits, also in der Regel die über «Expertise» verfügenden organisierten zivilgesellschaftlichen Interessen. Die Einbeziehung der allgemeinen Öffentlichkeit verlangt nach der Unterstützung der individuellen Beteiligten durch entsprechende Werkzeuge.
- Dient die Konsultation der Evaluierung geltender Rechtsakte, richtet sie sich häufig an bestimmte, vom jeweiligen Rechtsakt besonders betroffene Gruppen.
- Aus übergeordneten, allgemeinen politischen Erwägungen heraus können Konsultationsverfahren themenunabhängig an bestimmte Bevölkerungsgruppen adressiert sein, beispielsweise um deren Integration in das politische System zu gewährleisten bzw. zu verbessern: In den vergangenen Jahren sind insbesondere Jugendliche als besondere Zielgruppe spezieller Konsultationsverfahren ausgewählt worden, weil sie als zukünftige Wählerinnen und Wähler oder als «Jungwählerinnen und -wähler» in das politische System integriert werden sollen.
Entsprechend der skizzierten Palette an Funktionalitäten kommt daher eine große Vielfalt an Methoden und Werkzeugen für Konsultationsverfahren in Betracht, die hier freilich nur demonstrativ enumeriert werden können:
- Soll ein Konsultationsverfahren größere inhaltliche Tiefe erreichen, insbesondere wenn der Gegenstand ein Rechtsaktsentwurf ist, wird es schriftlich zu führen sein. Der traditionelle Briefverkehr ist dabei mittlerweile nahezu durchwegs durch elektronische Kommunikation ersetzt worden, die sich freilich häufig nur einfacher Mittel wie der Versendung von Textdokumenten per E-Mail bedient.
- Der Austausch elektronischer Dokumente kann durch eine Portallösung unterstützt werden, die zusätzliche Funktionalitäten bietet: Neben der Verknüpfung von Dokumenten – beispielsweise Rechtsaktsentwürfen und Erläuterungen oder Textgegenüberstellungen – ist im Rahmen einer solchen Lösung beispielsweise die automationsunterstützte Zuordnung von Kommentaren zu ihren Gegenständen und die automationsunterstützte Auswertung möglich, die entweder bereits im Verlauf des Prozesses oder nach dessen Abschluss einen gut strukturierten Überblick über den Stand bzw. die Ergebnisse des Verfahrens ermöglicht. Überdies können im Portal auch Werkzeuge, zum Beispiel als Plug-Ins, zur Unterstützung der Abfassung von Kommentaren angeboten werden.
- Mündliche Konsultationen haben sich traditionell entweder des Typus der «Versammlung» oder der «Anhörung» bedient: Im ersteren Fall richtet sich die Konsultation regelmäßig an (potentiell) alle Mitglieder einer bestimmten politischen Gemeinschaft, beispielsweise einer Gemeinde, im zweiteren an ausgewählte bzw. eingeladene Vertreter bestimmter Interessen. Die neuen Medien ermöglichen mündliche Kommunikation ortsunabhängig in der Form von Video- oder Audiokonferenzen.
- Als Surrogat für Formen mündlicher Konsultation bieten die neuen Medien Werkzeuge orts-, aber nicht zeitunabhängiger schriftlicher Kommunikation wie beispielsweise den «Chat» an: Während der «Chat» in der Argumentationstiefe aufgrund der Zeitabhängigkeit in der Regel dem mündlichen Austausch von Meinungen entspricht, erlaubt er durch räumliche Unabhängigkeit einen diversifizierteren Teilnehmerkreis, und der Argumentationsverlauf ist seiner Schriftlichkeit wegen dokumentiert und nachvollziehbar.
- Ein raum- und zeitunabhängiger konsultativer Diskurs wird durch neue Werkzeuge wie «Foren» oder «Bulletin Boards» ermöglicht, die einen schriftlichen, zeitversetzten Austausch von Meinungen und damit einen tiefergründigen Argumentationsverlauf erlauben. Während das Prinzip dieser Werkzeuge auf die 1990er Jahre zurückgeht, bieten aktuellere Versionen zusätzliche Funktionalitäten wie beispielsweise die Visualisierung von Argumentationsmustern und -verläufen.
- Ist der konsultative Diskurs nicht lediglich auf einen Austausch von Meinungen, sondern auf die gemeinsame Formulierung von Texten ausgerichtet, können Kollaborationswerkzeuge wie beispielsweise «Wiki»-Software eingesetzt werden. Während Forumsdiskussionen, selbst wenn sie moderiert werden, selten zur Erarbeitung einer gemeinsam akzeptierten Position führen, ist im «Wiki» durch transparente und argumentativ abgestützte Arbeit an einem Textentwurf die Chance auf Erarbeitung einer gemeinsamen Position wesentlich größer. Freilich sind solche Werkzeuge, anders als Werkzeuge für Forumsdiskussionen, bisher in politischen bzw. normativen Konsultationen erst selten eingesetzt worden.
- Als grundsätzliche Alternative zum Einsatz elektronischer Werkzeuge für die Unterstützung eines klassischen, also durch einen Akteur des politischen Systems angestoßenen Konsultationsprozesses bieten sich heute Werkzeuge zur Auswertung des sich in der elektronischen Öffentlichkeit der Sozialen Netzwerke manifestierenden zivilgesellschaftlichen Diskurses über Gegenstände des politischen bzw. legislativen Prozesses an: Da dieser Diskurs sich in der Regel nicht fokussiert in bestimmten Medien, sondern verteilt über viele Soziale Netzwerke zumeist mittlerer Reichweite vollzieht, bedeutet diese Aufgabenstellung eine besondere Herausforderung an die automationsunterstützte Auswertung großer Mengen an Information, insbesondere in der Form von Texten, aber auch von Bild-, Audio- oder Videodateien. Die semantische Auswertung dieser zivilgesellschaftlichen Diskurse bildet daher heute den Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte, der praktische Einsatz der darin konzipierten bzw. entwickelten Instrumente ist erst für die nächsten Jahre zu erwarten.
3.
Auf dem Weg zur (elektronischen) Applikation ^
Immerhin liegt ein Konzept für eine Portallösung vor, die das Begutachtungsverfahren umfassend in den «E-Rechts»-Geschäftsprozess einbinden und folgende elementare Funktionalitäten unterstützen würde:
- Den Stellungnehmenden würden Werkzeuge zur strukturierten Abgabe der Stellungnahme – entsprechend der Struktur des jeweiligen Rechtsaktsentwurfes – zur Verfügung gestellt. Dabei könnte es sich grundsätzlich um eine Webschnittstelle, eine Plug-In-Lösung oder um einen zur Verfügung zu stellenden Editor handeln.
- Gemeinsam mit einer elektronischen Benutzerverwaltung würde die Portallösung die automationsunterstützte Zuordnung der abgegebenen Stellungnahmen ermöglichen und damit eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung in der Verarbeitung herbeiführen.
- Aus Sicht der Auswertung der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens wäre die durch automationsunterstützte Erstellung der «Synopse», also der strukturierten Darstellung dieser Ergebnisse, zu erzielende Verwaltungsvereinfachung nicht minder bedeutsam, umso mehr dann, wenn die Zahl der Stellungnahmen durch vermehrte Beteiligung der nicht organisierten Zivilgesellschaft an Begutachtungsverfahren, wie sie in Ansätzen zu beobachten ist, signifikant zunähme.
4.
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Günther Schefbeck, Abteilungsleiter, Parlamentsdirektion, Abteilung «Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik».