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Konsultationsverfahren im politischen und normativen System – von der Abstraktion zur Applikation

  • Author: Günther Schefbeck
  • Category: Articles
  • Region: Austria
  • Field of law: Elektronische Rechtsetzung
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Günther Schefbeck, Konsultationsverfahren im politischen und normativen System – von der Abstraktion zur Applikation, in: Jusletter IT 20 February 2013
In Anwendung des spannungsreichen bipolaren Generalthemas von IRIS 2013 auf Verfahren politischer und legislativer Konsultation wird zunächst ein abstraktes, naturgemäß reduktionistisches Modell von Konsultation entworfen, um dann, davon ausgehend, Optionen der Unterstützung von Konsultationsprozessen durch zeitgemäße elektronische Applikationen zu skizzieren.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Allgemeine Tendenzen
  • 2. Konsultationsverfahren – Versuch einer Abstraktion
  • 2.1. Definition
  • 2.2. Ziele und Werkzeuge
  • 3. Auf dem Weg zur (elektronischen) Applikation
  • 4. Literatur

1.

Allgemeine Tendenzen ^

[1]

Im (akademischen, zivilgesellschaftlichen und politischen) Diskurs über Rechtsetzung haben seit den 1990er Jahren zwei Tendenzen dominante Geltung erlangt; sie sind gerichtet auf

  • zivilgesellschaftliche Partizipation am Rechtsetzungsprozess im Sinne von Konzepten «deliberativer Politik» (Habermas 1992) bzw.
  • (präsumtive) Beurteilung und Bewertung der (sozioökonomischen) Auswirkungen von Rechtsakten («Rechtsfolgenabschätzung», «regulatory impact assessment»).
[2]
Beide Tendenzen lassen sich unter eine ihnen übergeordnete, für die «Informationsgesellschaft» (Steinbicker 2011) bzw. das «Informationszeitalter» (Castells 2001-03) charakteristische Tendenz subsumieren: Als zentrales Problem wird erkannt, die exponentiell wachsende Menge an vorhandener Information zu erfassen, zu verarbeiten und durch systematische semantische Auswertung in Wissen zu transformieren, um dadurch die gesellschaftlichen Entwicklungen steuerbar zu erhalten; auf einen schlagwortartigen Begriff gebracht, wird «Wissensmanagement» benötigt.
[3]
Partizipation dient diesem Ziel in synchroner, Rechtsfolgenabschätzung in diachroner Perspektive. Partizipation ermöglicht Artikulation und Aggregation der in einer als zunehmend fragmentiert gesehenen Zivilgesellschaft, auf die ein Klassenmodell nicht mehr anwendbar ist (Beck 2008), repräsentierten Meinungen – von unmittelbaren Willensbekundungen bis zu rationalen Argumentationen – zu auf der politischen bzw. normativen Agenda stehenden oder auf diese zu setzenden Themen, Rechtsfolgenabschätzung erlaubt rationale Aussagen über die voraussichtlichen Auswirkungen der Implementierung von (gegebenenfalls alternativen) Rechtsakten im Rahmen eines aus der Menge an verfügbaren Informationen zu kondensierenden sozioökonomischen Modells, insbesondere durch Simulationsrechnung.
[4]
Beide Aufgaben verlangen angesichts der Menge an potentiell zu verarbeitenden Informationen nach informationstechnischer Unterstützung. Die Entwicklung sozioökonomischer Modelle hinreichender Kohärenz und Reichweite stellt dabei die größere technologische Herausforderung dar; bisher stehen nur in wenigen legislativen Systemen, wie etwa im Kongress der USA, Modellierungs- und Simulationsinfrastrukturen zur Verfügung. In den meisten legislativen Systemen beschränkt sich die rechnerische Rechtsfolgenabschätzung auf finanzielle, insbesondere budgetäre Auswirkungen, ansonsten bleibt sie qualitativ.
[5]
Die qualitativer Rechtsfolgenabschätzung zugrunde liegende Informationsdichte kann immerhin auch durch partizipative Prozesse verbessert werden, womit die beiden eingangs identifizierten Tendenzen einander berühren. Insoweit den in solchen Prozessen geäußerten individuellen oder Gruppenmeinungen Argumentationen zugrunde liegen, beruhen diese in der Regel auf impliziten oder expliziten Einschätzungen der Auswirkungen von Politiken bzw. der sie umsetzenden Normen, zumindest im lebensweltlichen Horizont des jeweiligen Individuums bzw. der jeweiligen Gruppe. Die Aggregation einer großen Zahl solcher Einschätzungen kann daher als ein «crowdsourcing» qualitativer Rechtsfolgenabschätzung angesehen werden, als die Nutzbarmachung von «wisdom of crowds» (Surowiecki 2004) für die politische bzw. legislative Planung.

2.

Konsultationsverfahren – Versuch einer Abstraktion ^

2.1.

Definition ^

[6]
Konsultation als Verfahrensinstrument kann als ein mehr oder weniger formalisierter Weg zur Einholung der Meinungen der (organisierten und/oder nicht organisierten) Öffentlichkeit über eine Politik – also eine politische Entscheidung über ein zu erreichendes Ziel und die dafür einzusetzenden Mittel – oder einen Rechtsakt bzw. über einen Politik- oder einen Rechtsaktsentwurf definiert werden. Sie dient dem Ziel der inhaltlichen Rückbindung der staatlichen Willensbildung an zivilgesellschaftliche Meinungsbildungsprozesse und verschafft dem gebildeten staatlichen Willen daher einen Legitimationsgewinn.
[7]

Als partizipatives Instrument ist Konsultation von Demoskopie zu unterscheiden:

  • Konsultation basiert auf einer politischen Entscheidung darüber, wer in das Konsultationsverfahren einzubeziehen ist, oder auf dem Grundsatz der freien Teilnahme und nicht, wie die Meinungsumfrage, auf dem Prinzip der repräsentativen Stichprobe.
  • Als partizipatives Instrument sind das Verfahren und/oder die Ergebnisse der Konsultation grundsätzlich transparent, wohingegen Meinungsumfragen intransparent durchgeführt und unwillkommene Ergebnisse häufig nicht veröffentlicht werden.
[8]

Konsultationsverfahren können nach verschiedenen Kriterien, wie zum Beispiel dem Gegenstand, dem Medium, den involvierten Interessen und den Teilnehmern, klassifiziert werden:

  • Gegenstand der Konsultation können sein:
  • legislative Angelegenheiten
  • administrative Angelegenheiten
  • Das Konsultationsverfahren kann geführt werden:
  • schriftlich
  • mündlich
  • Das Konsultationsverfahren kann einbeziehen:
  • organisierte Interessen
  • nicht organisierte (individuelle) Interessen
  • Das Konsultationsverfahren kann zugänglich sein für:
  • ausgewählte Teilnehmer
  • jedermann
[9]
In der Praxis sind selbstverständlich unterschiedliche Kombinationen und hybride Formen möglich.
[10]
Konsultation im Sinne der gegebenen Definition ergänzt die repräsentative Demokratie, aber ersetzt sie nicht. Ihr Ziel ist somit Unterstützung der (politischen) Meinungsbildung, aber nicht (staatliche) Willensbildung. In der Regel steht daher am Ausgang eines Konsultationsprozesses ein mehr oder minder breites Spektrum an geäußerten Meinungen, die durch entsprechende Auswertung zu gruppieren («clustern») sind, um die Verteilung im konsultierten zivilgesellschaftlichen Rahmen zu identifizieren. Lediglich in Einzelfällen werden Konsultationsverfahren mit Abstimmungsprozessen verknüpft, deren Unterscheidung von der formalisierten staatlichen Willensbildung in diesen Fällen zu deklarieren und zu begründen ist.

2.2.

Ziele und Werkzeuge ^

[11]

Legislative Prozesse folgen einem zyklischen Muster, das etwa folgendermaßen beschrieben werden kann:

  • Bewusstseinsbildung
  • Politikformulierung
  • Rechtsaktsentwurf
  • Konsultation
  • Beratung
  • Willensbildung
  • Kundmachung
  • Konsolidierung
  • Evaluierung
[12]

Einige Schritte dieses Prozesses sind iterativ. Das gilt insbesondere für die Konsultation, die auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden kann:

  • Während in vielen legislativen Systemen, wie dem österreichischen, Gegenstand der Konsultation in der Regel ein ausgearbeiteter Rechtsaktsentwurf ist, wird in anderen, wie dem britischen, Konsultation bereits in einem früheren Stadium des legislativen Prozesses, nämlich jenem der Politikformulierung, angesetzt; Gegenstand der Konsultation ist dort ein allgemeiner Politikentwurf, etwa in Gestalt eines «Weißbuches», der noch nicht in ein normatives Modell gegossen ist.
  • Auch in dem noch früheren Stadium der Bewusstseinsbildung kann Konsultation eingesetzt werden; dann geht es dabei darum, Gegenstände zu identifizieren, die auf die politische Agenda zu setzen sind.
  • Auch in späteren Stadien des legislativen Zyklus kann Konsultation sinnvoll sein: Häufig werden im Rahmen der parlamentarischen Beratung eines Rechtsaktsentwurfs ausgewählte Vertreter organisierter Interessen zur Konsultation in Form von Anhörungen eingeladen, in einzelnen legislativen Systemen, wie dem griechischen, führen die Parlamente auch öffentliche Konsultationsverfahren durch.
  • Schließlich kann sich auch die Evaluierung von Rechtsakten bzw. ihrer Implementierung (an welche sich dann ein neuer Politikzyklus schließen kann bzw. wird) der Konsultation als Instrument bedienen.
  • Tatsächlich findet in vielen legislativen Systemen Konsultation (in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlicher Reichweite) regelmäßig auf mehreren Ebenen des legislativen Zyklus statt: In Österreich wird auf Bundesebene beispielsweise dem allgemeinen Begutachtungsverfahren zu Ministerialentwürfen nicht selten ein im Teilnehmerkreis eingeschränktes «Vorbegutachtungsverfahren» vorausgeschickt, das sich allerdings vom Begutachtungsverfahren in der Regel durch seine mangelnde Transparenz unterscheidet und daher nicht als partizipatives Instrument gelten kann. Gelegentlich, insbesondere bei parlamentarischen Initiativen, wird von Seiten des mit der Vorberatung betrauten Ausschusses des Nationalrates ein schriftliches Begutachtungsverfahren in unmittelbarer Verbindung mit der parlamentarischen Beratung durchgeführt.
[13]

Die Ziele sowie die Methoden bzw. Werkzeuge des Konsultationsverfahrens orientieren sich daher an dem Stadium des legislativen Zyklus, in welchem es zur Anwendung gelangt:

  • Wird das Konsultationsverfahren in einem frühen Stadium des legislativen Zyklus, etwa zur Festlegung der politischen Agenda oder zur Diskussion eines Politikentwurfs, eingesetzt, werden die Methoden und Werkzeuge eine allgemeine Diskussion zu unterstützen haben. Häufig werden in solchen Fällen den Konsultierten Fragenkataloge vorgelegt, die offene und/oder geschlossene Fragen umfassen können; letzteres erleichtert die Auswertung, schmälert aber den Erhebungswert, weil Alternativen von vornherein ausgeblendet werden.
  • Ist Gegenstand der Konsultation ein Rechtsaktsentwurf, wird dessen Struktur den Rahmen für die inhaltliche Strukturierung des Konsultationsverfahrens vorgeben.
  • Dient die Konsultation der Evaluierung eines Rechtsaktes bzw. seiner Implementierung, werden die eingesetzten Werkzeuge die Beurteilung von Anwendungsfällen zu ermöglichen haben.
[14]

Analog dazu wird auch die Auswahl der zu Konsultierenden festzulegen sein:

  • Ist die Festlegung der politischen Agenda oder eine allgemeine Politikformulierung Gegenstand der Konsultation, wird sich diese in der Regel an die allgemeine Öffentlichkeit richten.
  • Ist der Gegenstand ein Rechtsaktsentwurf, sind die primären Adressaten der Konsultation häufig «Experten» aus der Verwaltung einerseits und der Zivilgesellschaft andererseits, also in der Regel die über «Expertise» verfügenden organisierten zivilgesellschaftlichen Interessen. Die Einbeziehung der allgemeinen Öffentlichkeit verlangt nach der Unterstützung der individuellen Beteiligten durch entsprechende Werkzeuge.
  • Dient die Konsultation der Evaluierung geltender Rechtsakte, richtet sie sich häufig an bestimmte, vom jeweiligen Rechtsakt besonders betroffene Gruppen.
  • Aus übergeordneten, allgemeinen politischen Erwägungen heraus können Konsultationsverfahren themenunabhängig an bestimmte Bevölkerungsgruppen adressiert sein, beispielsweise um deren Integration in das politische System zu gewährleisten bzw. zu verbessern: In den vergangenen Jahren sind insbesondere Jugendliche als besondere Zielgruppe spezieller Konsultationsverfahren ausgewählt worden, weil sie als zukünftige Wählerinnen und Wähler oder als «Jungwählerinnen und -wähler» in das politische System integriert werden sollen.
[15]

Entsprechend der skizzierten Palette an Funktionalitäten kommt daher eine große Vielfalt an Methoden und Werkzeugen für Konsultationsverfahren in Betracht, die hier freilich nur demonstrativ enumeriert werden können:

  • Soll ein Konsultationsverfahren größere inhaltliche Tiefe erreichen, insbesondere wenn der Gegenstand ein Rechtsaktsentwurf ist, wird es schriftlich zu führen sein. Der traditionelle Briefverkehr ist dabei mittlerweile nahezu durchwegs durch elektronische Kommunikation ersetzt worden, die sich freilich häufig nur einfacher Mittel wie der Versendung von Textdokumenten per E-Mail bedient.
  • Der Austausch elektronischer Dokumente kann durch eine Portallösung unterstützt werden, die zusätzliche Funktionalitäten bietet: Neben der Verknüpfung von Dokumenten – beispielsweise Rechtsaktsentwürfen und Erläuterungen oder Textgegenüberstellungen – ist im Rahmen einer solchen Lösung beispielsweise die automationsunterstützte Zuordnung von Kommentaren zu ihren Gegenständen und die automationsunterstützte Auswertung möglich, die entweder bereits im Verlauf des Prozesses oder nach dessen Abschluss einen gut strukturierten Überblick über den Stand bzw. die Ergebnisse des Verfahrens ermöglicht. Überdies können im Portal auch Werkzeuge, zum Beispiel als Plug-Ins, zur Unterstützung der Abfassung von Kommentaren angeboten werden.
  • Mündliche Konsultationen haben sich traditionell entweder des Typus der «Versammlung» oder der «Anhörung» bedient: Im ersteren Fall richtet sich die Konsultation regelmäßig an (potentiell) alle Mitglieder einer bestimmten politischen Gemeinschaft, beispielsweise einer Gemeinde, im zweiteren an ausgewählte bzw. eingeladene Vertreter bestimmter Interessen. Die neuen Medien ermöglichen mündliche Kommunikation ortsunabhängig in der Form von Video- oder Audiokonferenzen.
  • Als Surrogat für Formen mündlicher Konsultation bieten die neuen Medien Werkzeuge orts-, aber nicht zeitunabhängiger schriftlicher Kommunikation wie beispielsweise den «Chat» an: Während der «Chat» in der Argumentationstiefe aufgrund der Zeitabhängigkeit in der Regel dem mündlichen Austausch von Meinungen entspricht, erlaubt er durch räumliche Unabhängigkeit einen diversifizierteren Teilnehmerkreis, und der Argumentationsverlauf ist seiner Schriftlichkeit wegen dokumentiert und nachvollziehbar.
  • Ein raum- und zeitunabhängiger konsultativer Diskurs wird durch neue Werkzeuge wie «Foren» oder «Bulletin Boards» ermöglicht, die einen schriftlichen, zeitversetzten Austausch von Meinungen und damit einen tiefergründigen Argumentationsverlauf erlauben. Während das Prinzip dieser Werkzeuge auf die 1990er Jahre zurückgeht, bieten aktuellere Versionen zusätzliche Funktionalitäten wie beispielsweise die Visualisierung von Argumentationsmustern und -verläufen.
  • Ist der konsultative Diskurs nicht lediglich auf einen Austausch von Meinungen, sondern auf die gemeinsame Formulierung von Texten ausgerichtet, können Kollaborationswerkzeuge wie beispielsweise «Wiki»-Software eingesetzt werden. Während Forumsdiskussionen, selbst wenn sie moderiert werden, selten zur Erarbeitung einer gemeinsam akzeptierten Position führen, ist im «Wiki» durch transparente und argumentativ abgestützte Arbeit an einem Textentwurf die Chance auf Erarbeitung einer gemeinsamen Position wesentlich größer. Freilich sind solche Werkzeuge, anders als Werkzeuge für Forumsdiskussionen, bisher in politischen bzw. normativen Konsultationen erst selten eingesetzt worden.
  • Als grundsätzliche Alternative zum Einsatz elektronischer Werkzeuge für die Unterstützung eines klassischen, also durch einen Akteur des politischen Systems angestoßenen Konsultationsprozesses bieten sich heute Werkzeuge zur Auswertung des sich in der elektronischen Öffentlichkeit der Sozialen Netzwerke manifestierenden zivilgesellschaftlichen Diskurses über Gegenstände des politischen bzw. legislativen Prozesses an: Da dieser Diskurs sich in der Regel nicht fokussiert in bestimmten Medien, sondern verteilt über viele Soziale Netzwerke zumeist mittlerer Reichweite vollzieht, bedeutet diese Aufgabenstellung eine besondere Herausforderung an die automationsunterstützte Auswertung großer Mengen an Information, insbesondere in der Form von Texten, aber auch von Bild-, Audio- oder Videodateien. Die semantische Auswertung dieser zivilgesellschaftlichen Diskurse bildet daher heute den Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte, der praktische Einsatz der darin konzipierten bzw. entwickelten Instrumente ist erst für die nächsten Jahre zu erwarten.

3.

Auf dem Weg zur (elektronischen) Applikation ^

[16]
Die Republik Österreich, und insbesondere der Bund, genießt, dank der seit nunmehr über zehn Jahren erfolgreichen elektronischen Unterstützung des legislativen Geschäftsprozesses im Rahmen des Systems «E-Recht», international weithin und weiterhin den Ruf eines Vorreiters in der elektronischen Rechtsetzung. Auch die transparente Gestaltung des Begutachtungsverfahrens zu Gesetzentwürfen der Bundesministerien gilt als vorbildlich, seine technische Unterstützung muss jedoch – in einer Zeit, in welcher der heranwachsenden Generation E-Mail bereits wie ein paläolithisches Werkzeug erscheint – als erneuerungsbedürftig angesehen werden.
[17]

Immerhin liegt ein Konzept für eine Portallösung vor, die das Begutachtungsverfahren umfassend in den «E-Rechts»-Geschäftsprozess einbinden und folgende elementare Funktionalitäten unterstützen würde:

  • Den Stellungnehmenden würden Werkzeuge zur strukturierten Abgabe der Stellungnahme – entsprechend der Struktur des jeweiligen Rechtsaktsentwurfes – zur Verfügung gestellt. Dabei könnte es sich grundsätzlich um eine Webschnittstelle, eine Plug-In-Lösung oder um einen zur Verfügung zu stellenden Editor handeln.
  • Gemeinsam mit einer elektronischen Benutzerverwaltung würde die Portallösung die automationsunterstützte Zuordnung der abgegebenen Stellungnahmen ermöglichen und damit eine erhebliche Verwaltungsvereinfachung in der Verarbeitung herbeiführen.
  • Aus Sicht der Auswertung der Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens wäre die durch automationsunterstützte Erstellung der «Synopse», also der strukturierten Darstellung dieser Ergebnisse, zu erzielende Verwaltungsvereinfachung nicht minder bedeutsam, umso mehr dann, wenn die Zahl der Stellungnahmen durch vermehrte Beteiligung der nicht organisierten Zivilgesellschaft an Begutachtungsverfahren, wie sie in Ansätzen zu beobachten ist, signifikant zunähme.
[18]
Eine im Rahmen des Portals einfach zu verwirklichende Option bestünde in der Ergänzung des Begutachtungsformulars um eine «Antwortrubrik», die dem Zweck dienen würde, zu als repräsentativ identifizierten zivilgesellschaftlichen Positionen, insbesondere dann, wenn sie in der Weiterentwicklung des Rechtsaktsentwurfes unberücksichtigt bleiben, Stellung zu nehmen. Eine solche politische Responsivität, wie sie beispielsweise im slowakischen Konsultationsverfahren vorgesehen ist, würde den integrativen Zielen des partizipativen Prozesses in hohem Maße dienen, aber eine grundsätzliche politische Entscheidung voraussetzen, die in Österreich bisher nicht getroffen worden ist.
[19]
Weitere Funktionalitäten zur Unterstützung der Stellungnehmenden, wie beispielsweise eine verbesserte Strukturierung der Ministerialentwürfe durch Verknüpfung der Strukturelemente des normativen Textes mit Erläuterungen und Textgegenüberstellung, erscheinen möglich und wünschenswert, sind aber vorderhand in dem elementaren Funktionsumfang des Konzepts nicht enthalten. Freilich ist bereits die Umsetzung des «Basispakets» budgetärer Restriktionen wegen bisher nicht möglich gewesen.
[20]
Während in der Verwaltung Applikationen allenfalls mittleren Anspruchs an Innovativität konzipiert werden, gehen Applikationsentwürfe, die primär einem akademischen Umfeld entstammen, in diesem Anspruch bereits viel weiter. Insbesondere die mittlerweile gut etablierte «europäische Projektkultur» wendet einiges Augenmerk auf die innovative Gestaltung und Unterstützung öffentlicher Konsultation.
[21]
Exemplarisch sei auf das soeben abgeschlossene IMPACT-Projekt hingewiesen, dessen «Werkzeugkasten» auch ein Werkzeug für strukturierte Konsultation beinhaltet; den strukturellen Rahmen für Konsultationen sollen Argumentationsschemata bilden, wie ganz grundsätzlich der Fokus des Projekts auf der Analyse und der Modellierung rationaler Argumentation im Politikdiskurs liegt (Macintosh/Gordon/Renton 2009, Wyner/Atkinson/Bench-Capon 2011).
[22]
Während somit einerseits in bester akademischer Tradition an der Verfeinerung und Rationalisierung konsultativer Diskurse gearbeitet wird, ist andererseits in Wahrnehmung der bereits jetzt oft empfundenen Hochschwelligkeit formeller Konsultationsverfahren bei gleichzeitiger Beobachtung der frei fließenden, wenig strukturierten zivilgesellschaftlichen Diskurse in den Sozialen Netzwerken eine starke projektkulturelle Tendenz zur Konzipierung analytischer Applikationen entstanden, die es, gleichsam in Substituierung oder jedenfalls in Ergänzung verfahrensgebundener Konsultation, ermöglichen sollen, die Öffentlichkeit über ihre autonomen diskursiven Emanationen eben in den Sozialen Netzwerken des «Web 2.0» automationsunterstützt zu Fragen der politischen Agenda und der Politikformulierung zu konsultieren.
[23]
Das NOMAD-Projekt beispielsweise beabsichtigt den Einsatz von semantischen Werkzeugen zur Extraktion und Analyse von Meinungen und Argumenten zu Themen der politischen Agenda aus den Sozialen Netzwerken, um (unter anderem auch) dadurch die politische Planung zu unterstützen (Charalabidis et al. 2012). Auch das auf Szenarien der kommunalen politischen Planung fokussierende FUPOL-Projekt, um ein anderes Beispiel zu nennen, will sich der Inhaltsextraktion aus den Sozialen Netzwerken bedienen, um relevante Themen zu identifizieren (Sonntagbauer 2012). Im ARCOMEM-Projekt steht zwar die nachhaltige Dokumentation der aus diesen Netzwerken zu extrahierenden politisch relevanten Diskurse im Vordergrund, der verfolgte Ansatz und die entwickelte Applikation eignet sich jedoch nicht minder für die Unterstützung der aktuellen politischen Planung (Risse/Peters 2012).
[24]
Die Auswahl an Applikationen wächst also und wird weiter wachsen, an der praktischen Applizierung mangelt es noch. Wohl bedarf es kleinerer politischer Gemeinschaften wie des niedersächsischen Landkreises Friesland, der die nicht unriskante Initiative zum praktischen Einsatz der «Wiki»-basierten «LiqudFeedback»-Software für mit Abstimmungen verbundene Konsultationsverfahren ergriffen hat, um als Pilotregionen zu fungieren, weil hier die Option des Scheiterns eher akzeptabel erscheint als auf der nationalen oder gar auf der supranationalen Ebene, wo das Partizipationsdefizit besonders stark empfunden wird. Umso mehr ist solchen Initiativen ein Erfolg zu wünschen, der auf andere politische Gemeinschaften motivierend wirkt, ihre Prozesse politischer Planung und normativer Gestaltung unter Nutzung der Möglichkeiten, welche die neuen Technologien eröffnen, besser in ein Umfeld politischer Partizipation einzubetten.

4.

Literatur ^

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Günther Schefbeck, Abteilungsleiter, Parlamentsdirektion, Abteilung «Parlamentarische Dokumentation, Archiv und Statistik».