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E-Partizipation - Möglichkeiten und Grenzen bezogen auf die Stadt Sindelfingen

  • Authors: Birgit Schenk / Margit Gäng
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: E-Democracy
  • Collection: Tagungsband-IRIS-2013
  • Citation: Birgit Schenk / Margit Gäng, E-Partizipation - Möglichkeiten und Grenzen bezogen auf die Stadt Sindelfingen, in: Jusletter IT 20 February 2013
Die Stadt Sindelfingen hat sich entschieden, vor Umsetzung konkreter Maßnahmen auf dem Gebiet der E-Partizipation eine Analyse gemeinsam mit der Hochschule für Öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg durchzuführen, die die Frage nach den generellen Möglichkeiten von e-Partizipation im kommunalen Kontext und die Frage «Wie viele Bürger / Einwohner von Sindelfingen sind damit überhaupt erreich- bzw. mobilisierbar?» beantworten soll. Eine weitere Fragestellung war vor allem die nach dem personellen Aufwand und den Kosten die e-Partizipation für die Verwaltung mit sich bringt. Diese Analyse soll im Januar 2013 abgeschlossen sein und die Ergebnisse vorgestellt werden.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. e-Partizipation – Stand heute
  • 1.1. Möglichkeiten der e-Partizipation im kommunalen Kontext
  • 2. Das Mengengerüst - Anzahl der mobilisierbaren Bürger
  • 3. Erreichbarkeit
  • 4. Aufwand für Bürgerbeteiligung
  • 5. Fazit
  • 6. Literatur

1.

e-Partizipation – Stand heute ^

[1]
Bürgerbeteiligung ist in der öffentlichen Verwaltung in Deutschland seit Jahren verankert, nicht allein dadurch, dass diese gesetzlich z. B. in Planfeststellungsverfahren eingefordert wird. Doch ist die Art und Weise maßgeblich, ob diese als wirkliche Beteiligung wahrgenommen wird und damit auch beteiligungsfördernd ist. Nachhaltig erfolgreiche Bürgerbeteiligungsprojekte, die auch e-Partizipation beinhalten, sind kaum zu finden, definiert man «Erfolg» im Sinne einer ernstzunehmenden Beteiligung in Relation zur Grundgesamtheit.1 ,2 e-Partizipation wie im Projekt Bürgerbeteiligung zur Neugestaltung des Domplatzes in Hamburg mit rund 300 Teilnehmer/innen kann gemessen an der Grundgesamtheit nicht als erfolgreich angesehen werden.3 Soll sich e-Partizipation lohnen, muss eine angemessene Anzahl von Bürgern die gebotene Möglichkeit nutzen.
[2]

Welche Voraussetzungen muss Bürgerbeteiligung und damit e-Partizipation mitbringen, um erfolgreich zu sein? Nach dem Stand der Forschung sind dies folgende:

  1. das Thema und dessen Bewerbung müssen attraktiv sein, um eine signifikante Zahl von Bürgern zur Teilnahme zu motivieren. So stellt Bogumil (2009) fest: «Sind die Beteiligungsinstrumente und das Beteiligungsthema sorgfältig ausgewählt, ist die Resonanz der Bürger auf Beteiligungsangebote überraschend groß.»4
  2. Ein klares, vorher feststehendes Regelwerk, welche Auswirkungen die Beteiligung hat, muss definiert und für die Bürger transparent gemacht werden. Ein Bürger muss wissen, was mit seinem Beitrag passiert.5
  3. Die notwendige Infrastruktur muss den Bürgern kostenfrei bereitgestellt werden.
[3]
Dem Forschungsstand ist weiter zu entnehmen, dass bislang kaum eine Bürgerbeteiligung der jüngsten Zeit Serienreife erlangt hat, d.h. eine fest und dauerhaft implementierte und in entsprechende Gesetze und Verordnungen gegossene Form der Bürgerbeteiligung ist die Ausnahme.6 Die überwiegende Zahl der Projekte ist im Pilot- und Experimentierstadium, u.a. die häufig versuchten Bürgerhaushalte in der Bundesrepublik.

1.1.

Möglichkeiten der e-Partizipation im kommunalen Kontext ^

[4]

Eine allgemein gültige Definition von e-Partizipation existiert gegenwärtig nicht.7 Doch bevor auf die Möglichkeiten eingegangen werden kann, ist der Begriff e-Partizipation zu klären. Der dem Englischen entlehnte Begriff der Partizipation bedeutet, dass über die rechtliche Bürgereigenschaft hinaus, juristische und natürliche Personen an etwas teilhaben. Damit ist e-Partizipation die Teilhabe bzw. Teilnahme mittels elektronischer Medien (v.a. Computer und Internet). So definieren auch Albrecht et al. e-Partizipation «als die Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen und ihrer Gruppierungen an der Entscheidungsfindung in den staatlichen Gewalten mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)»8. Damit umgehen sie die Frage, wer sich hinter dem Begriff «Personen» verbirgt. Dies ist jedoch wesentlich, um die Grundgesamtheit an zu Beteiligenden einer Kommune zu kennen.

[5]

Der in Deutschland verwendete Begriff «Bürgerbeteiligung», der sich auch auf e-Partizipation bezieht, ist aus mehrerlei Gründen unzutreffend, da es im seltensten Fall um die Beteiligung von Bürgern im Sinne der jeweiligen Rechtsnorm geht, sondern um eine Gruppe von Menschen, die

  • Bürger sind nach § 12 der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg (bezogen auf Sindelfingen),
  • Einwohner einer Kommune sind, wobei zwischen Einwohnern mit Haupt- und Nebenwohnsitz zu unterscheiden ist,
  • sonstigen Menschen, die sich zeitweise physisch in einer Kommune aufhalten, z. B. Einpendler, Touristen, Nutzer der kommunalen Einrichtungen aus umliegenden Landkreisen und Gemeinden etc.,
  • natürliche und juristische Personen vertreten, die vitale Interessen in der Kommune haben – (z. B. in Sindelfingen die Organe der Daimler AG),

sowie verschiedenste Kombinationen aus all dem.

[6]

Die Möglichkeiten einer «Teilhabe an der Entscheidungsfindung» werden praktisch handhabbar, wenn nach dem Grad der Intensität der Mitwirkung zwischen den verschiedenen Beteiligungsarten - Information, Konsultation, Kooperation, Gewährung von Handlungsspielraum und der Abgabe von Handlungsraum bezogen auf die Beteiligenden - , dem Grad der Einflussmöglichkeit - Sich-informieren, Mitdenken und Meinung äußern, Mitentscheiden, eigenverantwortliches Handeln und selbstgestimmtes Handeln, sowie deren Aktivität bezogen auf die Beteiligten – unterschieden wird (siehe Abbildung)9, da sich daraus Konsequenzen für das Handeln der Akteure ergeben.

[7]
Bereitstellung und Verteilung von Informationen durch die Stadt an die Bürger:Die Stelle, die allein alle Entscheidungen trifft und nicht in einen Dialog tritt, verteilt Informationen via z. B. Internet an die zu Beteiligenden. Das Bereitstellen von Formularen zum Download, von Informationsbroschüren udgl. fällt in diesen Bereich. Aus demokratiepolitischer Sicht ist diese Form, wiewohl keine echte Bürgerbeteiligung, zu begrüßen, da durch die proaktive Bereitstellung von qualifizierter und qualitativ hochwertiger, belastbarer Information Konflikte vermieden werden können. Wird z. B. bei einem Bauprojekt wie einer Umfahrungsstraße von Anfang an alle Information amtlicherseits bereitgestellt, so wird Gerüchten, Falschinformationen etc. wirksam vorgebeugt. Transparenz senkt die Tendenz zum Widerstand, da sich jeder Bürger selbst informieren kann, was passiert und inwieweit er selbst betroffen ist. Außerdem fühlen sich die Bürger eingebunden, insofern dass die Entscheidungen und die Informationen nicht dem exklusiven Personenkreis «denen da oben» vorbehalten bleiben.
[8]
Informations- und Meinungseinholung in Richtung vom Bürger an die Stadt:Hierunter fallen beispielsweise Umfragen, wo z. B. Bedarfe erhoben werden. Diese kann eine gute Planungsgrundlage darstellen und so Konflikte der Zukunft ersparen. Eine intelligent gemachte Umfrage unter den Bürgern zwischen 15 und 40, inwieweit in den nächsten Jahren Nachwuchs geplant / beabsichtigt ist, kann statistische Daten ergänzen und so z. B. zu einer höheren Treffsicherheit der Planung von Krippenplätzen, Kindergärtenkapazitäten beitragen. Es ist zu beachten, dass hier kein Dialog stattfindet – es ist eine unidirektionale Kommunikation, beispielsweise durch eine Volksbefragung, das Versenden von Fragebögen oder auch durch eine Volkszählung mit solchen Fragebögen.
[9]
Echte Dialogformen, bei denen Informationen in beide Richtungen fließen:Diese Form unterscheidet sich von den beiden vorigen v.a. dadurch, dass sie erheblich aufwändiger ist. Ein Dialog bedingt, dass die Informationen unstrukturiert ausgetauscht werden und v.a. nicht maschinell gelesen und verarbeitet werden müssen. Sogar wenn in einem Dialog nur beispielsweise 500 Bürger teilnehmen und jeder zwei Postings á 5 Zeilen Text beisteuert, so reden wir hier über 5.000 Textzeilen, die gelesen, interpretiert und ggf. beantwortet werden müssen. Natürlich entstehen hierdurch auch Mehrwerte – findet zum Beispiel ein Bürger in einem solchen Dialog einen echten Mangel, z. B. einen Berechnungsfehler eines Statikers bei einem Bauprojekt, so kann realer Schaden abgewendet werden. Konstituierend für diese Form der Bürgerbeteiligung ist aber, dass am Ende die Entscheidung(sgewalt) bei der Behörde bzw. dem Vertretungskörper (Gemeinderat, Kreistag etc.) verbleibt. Der Dialog dient der Entscheidungsvorbereitung, das entscheidende Organ (hier Stadtrat, Oberbürgermeister etc.) ist nicht durch den Dialog gebunden.
[10]
Entscheidungsverfahren, an deren Ende eine Beteiligung der Bürger an Entscheidungen steht.Dieses Verfahren kann durchaus kombiniert werden, so steht die Entscheidung der Bürger üblicherweise nicht isoliert, sondern davor erfolgt ein Dialog wie in (3). Konstituierend ist, dass die Bürger in irgendeiner Form an der Entscheidung teilnehmen – mit welchem Gewicht, ist individuell zu regeln, so sind auch z. B. doppelte Mehrheiten durch Bevölkerungsmehrheit und Mehrheit der Stadtteile denkbar oder ein Klassenwahlrecht, wenn z. B. zwei der drei Klassen Stadtverwaltung (OBM), Stadtrat und Stadtbevölkerung zustimmen müssen.
[11]
Die höchste Stufe des Abgebens von Handlungsraum und des Selbstbestimmten Handelns zielen auf bürgerschaftliches Engagement, das hier nicht weiter thematisiert werden soll.
[12]
Entscheidet sich eine Kommunalverwaltung nicht für die Beteiligung der Bürger, können die ersten drei dargestellten Formen (Informationsbereitstellung, Informationseinholung und Dialog) auch ohne jede Verwaltung von den Bürgern jederzeit selbst organisiert werden. Die Möglichkeiten des Web 2.0 machen dies einfach z. B. über Facebookgruppen, Blogs udgl. Da die entsprechenden Server regelmäßig außerhalb des Zugriffes jeglicher deutscher Gerichtsbarkeit stehen, kann dies auch nicht verhindert werden.
[13]

Als Voraussetzungen für eine Bürgerbeteiligung, die über Information hinaus reicht, sind folgende Fragen mit Ja zu beantworten, bevor weiter darüber nachgedacht wird:

  1. Ist eine Beteiligung rechtlich zulässig? (Sogar bei einer bloßen Information, mehr noch bei den anderen Fragen, ist frühzeitig zu klären, ob diese – Stichwort Legalitätsprinzip – überhaupt zulässig ist. Eine Veröffentlichung personenbezogener Daten, z. B. im Rahmen eines Bauverfahrens, kann möglicherweise aus datenschutzrechtlichen Überlegungen heraus unzulässig sein.)
  2. Besteht (rechtlicher) Gestaltungsspielraum bzw. Ergebnisoffenheit?
  3. Ist Zeit für eine Bürgerbeteiligung gegeben?
  4. Stehen im ausreichenden Maße Ressourcen für eine Bürgerbeteiligung zur Verfügung?
  5. Besteht bei der Bürgerschaft Betroffenheit bzw. Interesse, so dass ein Beteiligungsangebot angenommen wird?
[14]

Anschließend ist die erste Aufgabe die Festlegung

  • wer beteiligt werden soll (Bürger und dabei die Überlegung welche, Politiker, gewählte Repräsentanten wie Gemeinderäte, Parteien, Wirtschaft, NGO’s, Verwaltungsmitarbeiter),
  • in welcher Intensität (Information, Meinungseinholung, Dialog, Entscheidung, s.o.) diese Beteiligung erfolgen soll,
  • welche Bindungswirkung diese Beteiligung haben soll (von reiner Anhörung bis zur Umsetzung des Eingebrachten).
[15]

Erst nach Beantwortung dieser Fragen ist definiert, was E-Partizipation im gegebenen Kontext bedeutet und was bezogen auf die Grundgesamtheit als erfolgreiche Beteiligung gelten kann. Werden diese Fragen nicht beantwortet, ergeht es einer Kommune möglicherweise wie den als gescheitert zu bezeichnenden sogenannten Bürgerbeteiligungen der Vergangenheit, z. B. dem punkteforum.de des Bundesverkehrsministers, welches 2012 faktisch unter Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit lief. Ca. 1.700 Beiträge von ca. 1.900 Nutzern10 würden auch für Sindelfingen als vergleichsweise bescheidene Beteiligung (ca. drei Prozent der Einwohner/ Bürger) gewertet werden – für die gesamte Bundesrepublik ist dies eine absolut vernachlässigbare Größe und entspricht nicht einmal jedem 40.000sten Einwohner.

2.

Das Mengengerüst - Anzahl der mobilisierbaren Bürger ^

[16]

Wie viele Bürger / Einwohner von Sindelfingen sind mit e-Partizipation überhaupt erreich- bzw. mobilisierbar? Auf der Basis der statistischen Daten der Stadt Sindelfingen kann davon ausgegangen werden, dass

  • insgesamt 60.145 Einwohner mit Hauptwohnsitz in Sindelfingen gemeldet sind.
  • von diesen 47.871 mit deutscher Staatsangehörigkeit sind, zusätzlich noch 4.312 EU-Bürger (Belgier, Bulgaren, Dänen, Esten, Finnen, Franzosen, Slowenen, Griechen, Iren, Italiener, Letten, Litauer, Luxemburger, Niederländer, Österreicher, Polen, Portugiesen, Rumänen, Slowaken, Schweden, Spanier, ehem. Tschechoslowaken (sic!), Tschechen, Ungarn, Briten, Zypriot), und insgesamt 52.183 Bürger i.S.d. Baden-Württembergischen Rechts oder knapp 87 Prozent der Einwohner mit Hauptwohnsitz in Sindelfingen.
  • 10.687 von den insgesamt 60.145 Einwohnern minderjährig sind (entspricht 17,7 %), unter 15 Jahren und somit mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht Zielgruppe einer Beteiligung sind immerhin 8.729 (entspricht 14,5 %).
  • der Anteil der über 65jährigen und damit wahrscheinlich auf elektronischem Wege schwieriger bzw. aufwändiger zu Beteiligenden beträgt 12.501 Einwohner, dies entspricht 20,8 %.
[17]

Die über 65jährigen und die unter 15jährigen haben zusammen einen Anteil von 35,3 % der Einwohner Sindelfingens. Unterstellt man Gleichverteilung der Nationalität in der Altersstruktur, so verbleibt für die Bürger Sindelfingens im Alter zwischen 15 und 65 ein Anteil von 56,1 % der Einwohnerschaft oder etwas mehr als die Hälfte. Natürlich ist die Annahme, dass die über 65jährigen an einer Bürgerbeteiligung auf elektronischem Weg vollständig nicht teilnehmen werden, anzweifelbar. Allerdings ist die Annahme, dass alle Bürger zwischen 15 und 65 daran teilnehmen werden bzw. interessiert sind, ebenso anzweifelbar. Unter der konservativen Annahme, dass sie diese beiden Effekte aufheben – also dass die sich Beteiligenden über 65jährigen den sich nicht Beteiligenden zwischen 15 und 65 entsprechen – sind die 56,1 % mögliche Beteiligende bereits hoch gegriffen.

[18]
Erweitert man diese Zahlen noch um die Begrifflichkeiten Migrationshintergrund, Doppelstaatsbürgerschaften etc. so ist die effektive Basis einer Bürgerbeteiligung mit den Attributen Bürgerrecht, Einwohnerschaft, hinreichende Deutschkenntnisse für aktives politisches Engagement und Alter, so bleiben als Zielgruppe bestenfalls noch 40 bis 45 % der Bevölkerung übrig. Laut Sozialbericht 2010 haben 45,5 % der Bewohner einen Migrationshintergrund. Die Empfehlung des Baden-Württembergischen Städtetages, auch Kinder und Jugendliche sowie Personen mit Nicht-EU-Staatsangehörigkeit einzubeziehen, sei hier der Vollständigkeit halber erwähnt.11
[19]

Eine Studie des BMBF12, durchgeführt durch die Universität Hamburg in 2011, kam zu dem Ergebnis, dass 14 % aller erwerbsfähigen Personen13 nicht in der Lage sind, zusammenhängende Sätze zu lesen. Dies reduziert die Zahl der erreichbaren Personen mit Texten. Filme und Hördokumente könnten bei Informationsvermittlung genutzt werden, doch eine Konsultation oder Kooperation über einen schriftlichen Kanal, wie bei e-Partizipation weitgehend üblich, ist nicht möglich.

[20]
Neben diesen faktischen Aspekten, die die Zahl der Teilnehmenden aus der Grundgesamtheit beeinflussen, sind die Erreichbarkeit und die Aktivierbarkeit weitere Größen, die diese reduzieren oder erweitern.

3.

Erreichbarkeit ^

[21]

Wie aufgezeigt, sind auf dem Wege der elektronischen Bürgerbeteiligung nicht annähernd alle Bürger bzw. Einwohner erreichbar. Auch wenn Medien und Zeitgeist den Eindruck vermitteln, alle Bürger wären «im Web», so hält dieser Eindruck einer Überprüfung anhand von Zahlen und Fakten nicht stand. Der sogenannte «Digital Divide» verläuft nicht entlang von Altersschichten, sondern vielschichtiger. Folgende Gruppen sind regelmäßig nicht auf elektronischem Wege erreichbar:

  1. Personen, die infolge persönlicher Eigenschaften (Bildung (Analphabetismus!), Einkommen (!), Gesundheitszustand, Sozialisierung) keinen Internetzugang haben.
  2. Personen, welche das Internet wenigstens für diese Zwecke aus persönlichen Erwägungen ablehnen, z.B. solche, die keine Daten hinterlassen wollen bzw. sich nicht identifizieren / registrieren lassen wollen.
  3. Personen, bei denen die Kenntnisse der deutschen Sprache nicht für eine Beteiligung ausreichen (welche aber dennoch Bürger i.S.d. § 12 Kommunalordnung Baden-Württemberg sind, z. B. ein Portugiese, der bei der Daimler AG arbeitet und dort in einem englischsprachigen Arbeitsumfeld integriert ist).
  4. Personen, die häufig unterwegs sind und von unterwegs (also nicht vom Arbeitsplatz oder vom Hauptwohnsitz aus) keinen für eine Beteiligung geeigneten Internetzugang haben, man denke hier an Bahn- oder Flugpersonal, Polizisten udgl.
[22]
Somit muss eine Bürgerbeteiligung, welche sich nicht auf den Anteil im Web reduzieren will, auch Mittel und Kanäle finden, die anderen Teile anzusprechen und im Verfahren zu integrieren. Als solche Kanäle kommen in Betracht Bürgerversammlungen, Schriftliche Kanäle wie klassische Briefe udgl., telefonische Beteiligung, Internetzugang von öffentlichen Einrichtungen aus, z. B. städtischen Bibliotheken, Altersheimen, Schulen etc. mit ggf. dort angebotener persönlicher Unterstützung, Automaten an öffentlich zugänglichen Plätzen (eine Befragung lässt sich technisch problemlos mit einem Fahrkartenautomaten der Verkehrsbetriebe oder der Deutschen Bahn AG durchführen).
[23]
Anderseits werden durch die Eröffnung von Beteiligungsmöglichkeiten auch Personengruppen aktiviert, die ggf. nicht direkt betroffen sind und die sich eigentlich nicht beteiligen dürften. Beispielsweise können sich langweilende Jugendliche in einem Internetcafé in Berlin den Spaß machen, sich in einem Bürgerbeteiligungsverfahren in Sindelfingen einzubringen. Oder es könnte eine Lobbygruppe ihre Mitglieder deutschlandweit, ja weltweit aktivieren, um bei einem Bürgerbeteiligungsverfahren in Sindelfingen ihre Position durchzusetzen. Das bedeutet für Sindelfingen, dass ein geeignetes Verfahren zur Identifikation eingesetzt werden sollte, um unliebsame Teilnehmende zu verhindern. Dies ist dann zu empfehlen, wenn die beabsichtigte Bürgerbeteiligung über eine bloße passive Information der Bürger durch die Verwaltung hinausgeht, sondern Dialoge geführt werden sollen. Selbstverständlich hat eine Identifikation eine «abschreckende» Wirkung auf potenzielle Teilnehmer – hier muss eine Diskussion und Interessensabwägung erfolgen, ehe man sich bewusst entscheidet. Es wäre ggf. getrennt zu prüfen, ob sich aus § 20 bzw. 33 der Gemeindeordnung eine Pflicht zur Identifikation ableiten lässt. Diese, auf Bürgerbeteiligung ausgerichtete Bestimmungen sprechen explizit von Bürgern – i.S.d. § 12 leg. cit.
[24]
In «Plattformen» gedacht, sollte darauf geachtet werden, dass möglichst alle Stufen der Identifikation möglich sind, angefangen von der offenen für allen zugänglichen Form bis hin zur Überprüfung, ob die Person in Sindelfingen gemeldet ist (Abgleich mit dem Einwohnermelderegister?).
[25]
In diesem Zusammenhang ist auch zu überlegen, ob die Thematik rein auf Sindelfingen beschränkt ist, z.B. Gestaltung von Freiflächen, oder ob es sich um ein regionales Thema handelt, das umliegende Kommunen, den Landkreis oder das Land mit betrifft. Je nachdem werden sich mehr oder weniger Bürger angesprochen fühlen und auch teilnehmen wollen, ganz zu schweigen von den evtl. auch betroffenen Nachbargemeinden. Beispielsweise hat dies der Bürgerdialog zum Filderbahnhof im Rahmen Stuttgart 21 gezeigt. Hier sind vor allem die Bürger entlang der neu angebundenen Strecken betroffen. Diese wurden jedoch ausgeschlossen, da nur die Filderbürger zum Dialog angeschrieben und eingeladen wurden. Schwierig sind auch z. B. Themen wie die Erschließung von Neubaugebieten. Wird die Teilnahme auf «Sindelfinger» begrenzt, bleiben potentielle Einwohner, die ein Interesse haben könnten, ausgeschlossen.

4.

Aufwand für Bürgerbeteiligung ^

[26]
Um e-Partizipation erfolgreich umzusetzen entstehen nicht unerhebliche Sach- und Personalkosten für die Kommune. Im Sachkostenbereich fallen Anschaffungs- und Betriebskosten für die notwendige Soft- und Hardware an. Die Kosten für eine geeignete Software sind mit 20 bis 50 Tausend Euro zu beziffern. Für den Ausbau des e-Partizipationsverfahren werden entsprechend weitere Kosten für zusätzliche Software anfallen, z.B. werden für ein geeignetes Identifikationsverfahren zur Sicherstellung, dass sich nur Betroffene beteiligen können, weitere Kosten entstehen. Ein weit höherer und laufend anfallender Anteil an Kosten, wird den Personalkosten zuzuschreiben sein. Das Personal muss für das Thema eigens qualifiziert werden für z.B. Online-Moderation, und es wird notwendig sein, eine Stelle für die organisatorische Verankerung von e-Partizipation in der Verwaltung zu schaffen.
[27]
Abhängig von der Art der elektronischen Bürgerbeteiligung entstehen weitere zusätzliche Personalkosten für die Konzeption der jeweilig geplanten Verfahren. Bei einem geplanten elektronischen Diskurs und Kooperation mit den Bürgern werden ggf. noch zusätzlich externe Moderatoren im Rahmen des Verfahrens benötigt.

5.

Fazit ^

[28]
Wenn e-Partizipation gemessen wird an einer quantitativ erstzunehmenden Beteiligung in Relation zur Grundgesamtheit, dann muss analysiert werden, ob und welche Personen durch elektronische Medien erreicht werden können für die gewünschte Beteiligungsform. Lediglich e-Partizipation anzubieten und nur knapp 3 % der gewünschten Personenkreises zu erreichen, erfordert eine Kosten-Nutzen-Betrachtung und die Abwägung, welche Beteiligungsinstrumente ggf. effizienter sind bzw. ebenfalls mit eingebunden werden müssen.
[29]
Betrachtet man das Thema e-Partizipation aus rein wirtschaftlicher Sicht, überschreiten die Kosten Stand heute um ein vielfaches den Nutzen, der erzielt werden kann. Legt man jedoch die eine strategische und qualitative Messlatte an, kann sich eine Kommune von der Größe der Stadt Sindelfingen nicht erlauben, e-Partizipation außen vor zu lassen.
[30]
Ebenso ist mittel- bis langfristig davon auszugehen, dass sich e-Partizipation in der Bevölkerung etablieren wird, denn mit steigendem Bekanntheitsgrad des Instrumentes wird die Beteiligung auf Seiten der Bürger zunehmen. Der Aufwand in der Verwaltung wird entsprechend abnehmen durch eine zunehmend professioneller Abwicklung der internen Prozesse und Unterstützung durch geeignete Softwaretools, so dass sich zwischen Kosten und Nutzen in ein ausgewogenes Verhältnis entwickelt.

6.

Literatur ^

Albrecht, Steffen/ Kohlrausch, Niels/ Kubicek, Herbert/ Lippa Barbara / Märker, Oliver/ Trénel Matthias / Vorwerk, Volker / Westholm, Hilmar / Wiedwald, Christian , Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 7f. (2008), abgefragt am 28.12.2012

BMBF, Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, http://www.bmbf.de/de/426.php, abgefragt am 20.11.2012

Bogumil Jörg, Zivilgesellschaftliche Modelle, in König/Kropp (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, S. 85-102 (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263.pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012

König Klaus/Kropp Sabine (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263. pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012

Landoli, Luca/Klein Mark/Zollo Guiseppe, Enabling On-Line Deliberation and Collective Decision-Making through Large-Scale Argumentation: A New Approach to the Design of an internet Based Mass Collaboration Platform. International Journal of Decision Support System Technology 1(1): 69-91 (2009)

Leitner Christine/ Müller-Török, Robert, «Evaluating e-Participation Projects in Austria – A methodological approach for decision on the success of E-Participation», in: 5th Conference on Electronic Democracy EDEM 2011, University of Economics and Business Administration, Vienna, Sept. 8th-9th (2011).

Schweizer-Ries, Petra/Rau Irina/Zoellner Jan, Projektabschlussbericht «Aktivität und Teilhabe – Akzeptanz Erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern», (2010), http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Forschung/Abschlussbericht_Aktivitaet_Teilhabe_format.pdf, abgefragt am 8.1.2013

Städtetag Baden-Württemberg (Hrsg.), Leitfaden für Bürgerbeteiligung des BW-Städtetages (2012)

Velikanov, Alexander, Gadget-Free Democracy, Proceedings of the CeDem 2011 Conference, Danube University Krems, Austrian Computer Society (2011)

 


 

Birgit Schenk, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Fakultät 1 – Public Management.

 

Margit Gäng, Stadt Sindelfingen, Zentralstelle Organisation.

 


 

  1. 1 Vgl. Velikanov, Gadget-Free Democracy, Proceedings of the CeDem 2011 Conference, Danube University Krems, Austrian Computer Society (2011).
  2. 2 Inwieweit die Beteiligung qualitativ erfolgreich war, wird in diesem Beitrag nicht untersucht.
  3. 3 Vgl. Landoli/Klein/Zollo, Enabling On-Line Deliberation and Collective Decision-Making through Large-Scale Argumentation: A New Approach to the Design of an internet Based Mass Collaboration Platform. International Journal of Decision Support System Technology 1(1): 69-91 (2009).
  4. 4 Siehe Bogumil, Zivilgesellschaftliche Modelle, in König/Kropp (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, S. 100 (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263.pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012.
  5. 5 Vgl. Albrecht et al., Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 7f. (2008), abgefragt am 28.12.2012.
  6. 6 Vgl. Ebenda.
  7. 7 Vgl. Leitner/ Müller-Török, «Evaluating e-Participation Projects in Austria – A methodological approach for decision on the success of E-Participation», in: 5th Conference on Electronic Democracy EDEM 2011, University of Economics and Business Administration, Vienna, Sept. 8th-9th (2011).
  8. 8 Vgl. Albrecht et al., Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 14. (2008), abgefragt am 28.12.2012.
  9. 9 Vgl. Projektabschlussbericht «Aktivität und Teilhabe – Akzeptanz Erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern» S. 19 (2010), http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Forschung/Abschlussbericht_Aktivitaet_Teilhabe_format.pdf abgefragt am 20.08.2012.
  10. 10 http://www.punkteforum.de/main/mitreden/mitreden-ergebnisse/, abgefragt am 17.8.2012.
  11. 11 Siehe Leitfaden für Bürgerbeteiligung des BW-Städtetages, S. 28 (2012).
  12. 12 Hierzu http://www.bmbf.de/de/426.php, abgefragt am 20.11.2012.
  13. 13 D.h. die Einwohner von Sindelfingen zwischen 15 und 67 Jahren betreffend, Jüngere und Ältere sind hier wohl nicht mitgezählt.