1.
e-Partizipation – Stand heute ^
Welche Voraussetzungen muss Bürgerbeteiligung und damit e-Partizipation mitbringen, um erfolgreich zu sein? Nach dem Stand der Forschung sind dies folgende:
- das Thema und dessen Bewerbung müssen attraktiv sein, um eine signifikante Zahl von Bürgern zur Teilnahme zu motivieren. So stellt Bogumil (2009) fest: «Sind die Beteiligungsinstrumente und das Beteiligungsthema sorgfältig ausgewählt, ist die Resonanz der Bürger auf Beteiligungsangebote überraschend groß.»4
- Ein klares, vorher feststehendes Regelwerk, welche Auswirkungen die Beteiligung hat, muss definiert und für die Bürger transparent gemacht werden. Ein Bürger muss wissen, was mit seinem Beitrag passiert.5
- Die notwendige Infrastruktur muss den Bürgern kostenfrei bereitgestellt werden.
1.1.
Möglichkeiten der e-Partizipation im kommunalen Kontext ^
Eine allgemein gültige Definition von e-Partizipation existiert gegenwärtig nicht.7 Doch bevor auf die Möglichkeiten eingegangen werden kann, ist der Begriff e-Partizipation zu klären. Der dem Englischen entlehnte Begriff der Partizipation bedeutet, dass über die rechtliche Bürgereigenschaft hinaus, juristische und natürliche Personen an etwas teilhaben. Damit ist e-Partizipation die Teilhabe bzw. Teilnahme mittels elektronischer Medien (v.a. Computer und Internet). So definieren auch Albrecht et al. e-Partizipation «als die Teilhabe von natürlichen und juristischen Personen und ihrer Gruppierungen an der Entscheidungsfindung in den staatlichen Gewalten mit Mitteln der Informations- und Kommunikationstechnik (IKT)»8. Damit umgehen sie die Frage, wer sich hinter dem Begriff «Personen» verbirgt. Dies ist jedoch wesentlich, um die Grundgesamtheit an zu Beteiligenden einer Kommune zu kennen.
Der in Deutschland verwendete Begriff «Bürgerbeteiligung», der sich auch auf e-Partizipation bezieht, ist aus mehrerlei Gründen unzutreffend, da es im seltensten Fall um die Beteiligung von Bürgern im Sinne der jeweiligen Rechtsnorm geht, sondern um eine Gruppe von Menschen, die
- Bürger sind nach § 12 der Gemeindeordnung von Baden-Württemberg (bezogen auf Sindelfingen),
- Einwohner einer Kommune sind, wobei zwischen Einwohnern mit Haupt- und Nebenwohnsitz zu unterscheiden ist,
- sonstigen Menschen, die sich zeitweise physisch in einer Kommune aufhalten, z. B. Einpendler, Touristen, Nutzer der kommunalen Einrichtungen aus umliegenden Landkreisen und Gemeinden etc.,
- natürliche und juristische Personen vertreten, die vitale Interessen in der Kommune haben – (z. B. in Sindelfingen die Organe der Daimler AG),
sowie verschiedenste Kombinationen aus all dem.
Die Möglichkeiten einer «Teilhabe an der Entscheidungsfindung» werden praktisch handhabbar, wenn nach dem Grad der Intensität der Mitwirkung zwischen den verschiedenen Beteiligungsarten - Information, Konsultation, Kooperation, Gewährung von Handlungsspielraum und der Abgabe von Handlungsraum bezogen auf die Beteiligenden - , dem Grad der Einflussmöglichkeit - Sich-informieren, Mitdenken und Meinung äußern, Mitentscheiden, eigenverantwortliches Handeln und selbstgestimmtes Handeln, sowie deren Aktivität bezogen auf die Beteiligten – unterschieden wird (siehe Abbildung)9, da sich daraus Konsequenzen für das Handeln der Akteure ergeben.
- Quelle: In Anlehnung an: Projektabschlussbericht «Aktivität und Teilhabe – Akzeptanz Erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern»
2010;
http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Forschung/Abschlussbericht_Aktivitaet_Teilhabe_format.pdf [20.08.2012]
Abbildung 1: Beteiligungsformen und ihr Wirkungsgrad
Als Voraussetzungen für eine Bürgerbeteiligung, die über Information hinaus reicht, sind folgende Fragen mit Ja zu beantworten, bevor weiter darüber nachgedacht wird:
- Ist eine Beteiligung rechtlich zulässig? (Sogar bei einer bloßen Information, mehr noch bei den anderen Fragen, ist frühzeitig zu klären, ob diese – Stichwort Legalitätsprinzip – überhaupt zulässig ist. Eine Veröffentlichung personenbezogener Daten, z. B. im Rahmen eines Bauverfahrens, kann möglicherweise aus datenschutzrechtlichen Überlegungen heraus unzulässig sein.)
- Besteht (rechtlicher) Gestaltungsspielraum bzw. Ergebnisoffenheit?
- Ist Zeit für eine Bürgerbeteiligung gegeben?
- Stehen im ausreichenden Maße Ressourcen für eine Bürgerbeteiligung zur Verfügung?
- Besteht bei der Bürgerschaft Betroffenheit bzw. Interesse, so dass ein Beteiligungsangebot angenommen wird?
Anschließend ist die erste Aufgabe die Festlegung
- wer beteiligt werden soll (Bürger und dabei die Überlegung welche, Politiker, gewählte Repräsentanten wie Gemeinderäte, Parteien, Wirtschaft, NGO’s, Verwaltungsmitarbeiter),
- in welcher Intensität (Information, Meinungseinholung, Dialog, Entscheidung, s.o.) diese Beteiligung erfolgen soll,
- welche Bindungswirkung diese Beteiligung haben soll (von reiner Anhörung bis zur Umsetzung des Eingebrachten).
Erst nach Beantwortung dieser Fragen ist definiert, was E-Partizipation im gegebenen Kontext bedeutet und was bezogen auf die Grundgesamtheit als erfolgreiche Beteiligung gelten kann. Werden diese Fragen nicht beantwortet, ergeht es einer Kommune möglicherweise wie den als gescheitert zu bezeichnenden sogenannten Bürgerbeteiligungen der Vergangenheit, z. B. dem punkteforum.de des Bundesverkehrsministers, welches 2012 faktisch unter Nichtbeteiligung der Öffentlichkeit lief. Ca. 1.700 Beiträge von ca. 1.900 Nutzern10 würden auch für Sindelfingen als vergleichsweise bescheidene Beteiligung (ca. drei Prozent der Einwohner/ Bürger) gewertet werden – für die gesamte Bundesrepublik ist dies eine absolut vernachlässigbare Größe und entspricht nicht einmal jedem 40.000sten Einwohner.
2.
Das Mengengerüst - Anzahl der mobilisierbaren Bürger ^
Wie viele Bürger / Einwohner von Sindelfingen sind mit e-Partizipation überhaupt erreich- bzw. mobilisierbar? Auf der Basis der statistischen Daten der Stadt Sindelfingen kann davon ausgegangen werden, dass
- insgesamt 60.145 Einwohner mit Hauptwohnsitz in Sindelfingen gemeldet sind.
- von diesen 47.871 mit deutscher Staatsangehörigkeit sind, zusätzlich noch 4.312 EU-Bürger (Belgier, Bulgaren, Dänen, Esten, Finnen, Franzosen, Slowenen, Griechen, Iren, Italiener, Letten, Litauer, Luxemburger, Niederländer, Österreicher, Polen, Portugiesen, Rumänen, Slowaken, Schweden, Spanier, ehem. Tschechoslowaken (sic!), Tschechen, Ungarn, Briten, Zypriot), und insgesamt 52.183 Bürger i.S.d. Baden-Württembergischen Rechts oder knapp 87 Prozent der Einwohner mit Hauptwohnsitz in Sindelfingen.
- 10.687 von den insgesamt 60.145 Einwohnern minderjährig sind (entspricht 17,7 %), unter 15 Jahren und somit mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht Zielgruppe einer Beteiligung sind immerhin 8.729 (entspricht 14,5 %).
- der Anteil der über 65jährigen und damit wahrscheinlich auf elektronischem Wege schwieriger bzw. aufwändiger zu Beteiligenden beträgt 12.501 Einwohner, dies entspricht 20,8 %.
Die über 65jährigen und die unter 15jährigen haben zusammen einen Anteil von 35,3 % der Einwohner Sindelfingens. Unterstellt man Gleichverteilung der Nationalität in der Altersstruktur, so verbleibt für die Bürger Sindelfingens im Alter zwischen 15 und 65 ein Anteil von 56,1 % der Einwohnerschaft oder etwas mehr als die Hälfte. Natürlich ist die Annahme, dass die über 65jährigen an einer Bürgerbeteiligung auf elektronischem Weg vollständig nicht teilnehmen werden, anzweifelbar. Allerdings ist die Annahme, dass alle Bürger zwischen 15 und 65 daran teilnehmen werden bzw. interessiert sind, ebenso anzweifelbar. Unter der konservativen Annahme, dass sie diese beiden Effekte aufheben – also dass die sich Beteiligenden über 65jährigen den sich nicht Beteiligenden zwischen 15 und 65 entsprechen – sind die 56,1 % mögliche Beteiligende bereits hoch gegriffen.
Eine Studie des BMBF12, durchgeführt durch die Universität Hamburg in 2011, kam zu dem Ergebnis, dass 14 % aller erwerbsfähigen Personen13 nicht in der Lage sind, zusammenhängende Sätze zu lesen. Dies reduziert die Zahl der erreichbaren Personen mit Texten. Filme und Hördokumente könnten bei Informationsvermittlung genutzt werden, doch eine Konsultation oder Kooperation über einen schriftlichen Kanal, wie bei e-Partizipation weitgehend üblich, ist nicht möglich.
3.
Erreichbarkeit ^
Wie aufgezeigt, sind auf dem Wege der elektronischen Bürgerbeteiligung nicht annähernd alle Bürger bzw. Einwohner erreichbar. Auch wenn Medien und Zeitgeist den Eindruck vermitteln, alle Bürger wären «im Web», so hält dieser Eindruck einer Überprüfung anhand von Zahlen und Fakten nicht stand. Der sogenannte «Digital Divide» verläuft nicht entlang von Altersschichten, sondern vielschichtiger. Folgende Gruppen sind regelmäßig nicht auf elektronischem Wege erreichbar:
- Personen, die infolge persönlicher Eigenschaften (Bildung (Analphabetismus!), Einkommen (!), Gesundheitszustand, Sozialisierung) keinen Internetzugang haben.
- Personen, welche das Internet wenigstens für diese Zwecke aus persönlichen Erwägungen ablehnen, z.B. solche, die keine Daten hinterlassen wollen bzw. sich nicht identifizieren / registrieren lassen wollen.
- Personen, bei denen die Kenntnisse der deutschen Sprache nicht für eine Beteiligung ausreichen (welche aber dennoch Bürger i.S.d. § 12 Kommunalordnung Baden-Württemberg sind, z. B. ein Portugiese, der bei der Daimler AG arbeitet und dort in einem englischsprachigen Arbeitsumfeld integriert ist).
- Personen, die häufig unterwegs sind und von unterwegs (also nicht vom Arbeitsplatz oder vom Hauptwohnsitz aus) keinen für eine Beteiligung geeigneten Internetzugang haben, man denke hier an Bahn- oder Flugpersonal, Polizisten udgl.
4.
Aufwand für Bürgerbeteiligung ^
5.
Fazit ^
6.
Literatur ^
Albrecht, Steffen/ Kohlrausch, Niels/ Kubicek, Herbert/ Lippa Barbara / Märker, Oliver/ Trénel Matthias / Vorwerk, Volker / Westholm, Hilmar / Wiedwald, Christian , Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 7f. (2008), abgefragt am 28.12.2012
BMBF, Nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener, http://www.bmbf.de/de/426.php, abgefragt am 20.11.2012
Bogumil Jörg, Zivilgesellschaftliche Modelle, in König/Kropp (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, S. 85-102 (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263.pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012
König Klaus/Kropp Sabine (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263. pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012
Landoli, Luca/Klein Mark/Zollo Guiseppe, Enabling On-Line Deliberation and Collective Decision-Making through Large-Scale Argumentation: A New Approach to the Design of an internet Based Mass Collaboration Platform. International Journal of Decision Support System Technology 1(1): 69-91 (2009)
Leitner Christine/ Müller-Török, Robert, «Evaluating e-Participation Projects in Austria – A methodological approach for decision on the success of E-Participation», in: 5th Conference on Electronic Democracy EDEM 2011, University of Economics and Business Administration, Vienna, Sept. 8th-9th (2011).
Schweizer-Ries, Petra/Rau Irina/Zoellner Jan, Projektabschlussbericht «Aktivität und Teilhabe – Akzeptanz Erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern», (2010), http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Forschung/Abschlussbericht_Aktivitaet_Teilhabe_format.pdf, abgefragt am 8.1.2013
Städtetag Baden-Württemberg (Hrsg.), Leitfaden für Bürgerbeteiligung des BW-Städtetages (2012)
Velikanov, Alexander, Gadget-Free Democracy, Proceedings of the CeDem 2011 Conference, Danube University Krems, Austrian Computer Society (2011)
Birgit Schenk, Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Fakultät 1 – Public Management.
Margit Gäng, Stadt Sindelfingen, Zentralstelle Organisation.
- 1 Vgl. Velikanov, Gadget-Free Democracy, Proceedings of the CeDem 2011 Conference, Danube University Krems, Austrian Computer Society (2011).
- 2 Inwieweit die Beteiligung qualitativ erfolgreich war, wird in diesem Beitrag nicht untersucht.
- 3 Vgl. Landoli/Klein/Zollo, Enabling On-Line Deliberation and Collective Decision-Making through Large-Scale Argumentation: A New Approach to the Design of an internet Based Mass Collaboration Platform. International Journal of Decision Support System Technology 1(1): 69-91 (2009).
- 4 Siehe Bogumil, Zivilgesellschaftliche Modelle, in König/Kropp (Hrsg.), Theoretische Aspekte einer Zivilgesellschaftlichen Verwaltungskultur, Speyerer Forschungsberichte 263, S. 100 (2009), http://www.uni-speyer.de/kropp/Tagungen/Koenig_Kropp_Forschungsbericht_263.pdf#page=209, abgefragt am 28.12.2012.
- 5 Vgl. Albrecht et al., Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 7f. (2008), abgefragt am 28.12.2012.
- 6 Vgl. Ebenda.
- 7 Vgl. Leitner/ Müller-Török, «Evaluating e-Participation Projects in Austria – A methodological approach for decision on the success of E-Participation», in: 5th Conference on Electronic Democracy EDEM 2011, University of Economics and Business Administration, Vienna, Sept. 8th-9th (2011).
- 8 Vgl. Albrecht et al., Elektronische Beteiligung von Bevölkerung und Wirtschaft am E-Government, http://www.ifib.de/publikationsdateien/ifib-zebralog-e-partizipation-kurz.pdf, S. 14. (2008), abgefragt am 28.12.2012.
- 9 Vgl. Projektabschlussbericht «Aktivität und Teilhabe – Akzeptanz Erneuerbarer Energien durch Beteiligung steigern» S. 19 (2010), http://www.tu-berlin.de/fileadmin/f27/PDFs/Forschung/Abschlussbericht_Aktivitaet_Teilhabe_format.pdf abgefragt am 20.08.2012.
- 10 http://www.punkteforum.de/main/mitreden/mitreden-ergebnisse/, abgefragt am 17.8.2012.
- 11 Siehe Leitfaden für Bürgerbeteiligung des BW-Städtetages, S. 28 (2012).
- 12 Hierzu http://www.bmbf.de/de/426.php, abgefragt am 20.11.2012.
- 13 D.h. die Einwohner von Sindelfingen zwischen 15 und 67 Jahren betreffend, Jüngere und Ältere sind hier wohl nicht mitgezählt.