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Die Visualisierung des Rechtsbegriff von Christian Thomasius mit HOZO

  • Author: Takashi Izumo
  • Category: Articles
  • Region: Germany
  • Field of law: Legal Visualisation
  • Citation: Takashi Izumo, Die Visualisierung des Rechtsbegriff von Christian Thomasius mit HOZO, in: Jusletter IT 11 September 2014
Ich möchte im vorliegenden Aufsatz einen Ontologie-Editor vorstellen, der an der Osaka Universität in Japan entwickelt wird, nämlich HOZO, indem ich eine naturrechtliche Meinung von Christian THOMASIUS (1655-1728) anhand dieses Editors beispielhaft beschreibe. Aus dieser Beschreibung stellt sich heraus, dass man bei der ontologischen Visualisierung des Rechts das Attribut des Menschen von dem Attribut der sozialen Rollen unterscheiden sollte.

Inhaltsverzeichnis

  • 1. Fragestellung
  • 2. Die Definition der vier Beziehungen bei HOZO
  • 2.1. Die «is-a»-Beziehung
  • 2.2. Die «part-of»-Beziehung
  • 2.3. Die «attribute-of»-Beziehung
  • 2.4. Die «role»-Beziehung
  • 3. Die Definition des Rechts bei Christian Thomasius
  • 3.1. Die Definition des Rechts durch Gesellschaft
  • 3.2. Ein Beispiel: Die Ehegemeinschaft bzw. die Familie
  • 3.3. Ein Vorschlag zur Verbesserung der Visualisierung
  • 4. Ergebnis
  • 5. Literatur

1.

Fragestellung ^

[1]
Bei der ontologischen Darstellung des Rechts besteht ein schwieriges Problem darin, dass sich die soziale Rolle eines Menschen und sein physikalisches Wesen manchmal voneinander unabhängig ändern. Man kann auch ohne physikalische Veränderungen zum Beispiel ein Lehrer werden und auch ohne das Verzichten auf seine soziale Rolle kann man physikalisch verändert werden, beispielsweise durch eine Zahnziehung. Aus dieser Tatsache stellt sich sofort heraus, dass man bei der ontologischen Beschreibung eines Gegenstandes seine soziale Rolle von seinem physikalischen Wesen unterscheiden und sie getrennt behandeln sollte. Im vorliegenden Aufsatz möchte ich mich damit befassen, dieses Problem anhand des Ontologie-Editor HOZO zu lösen, den Prof. Mizoguchi und seine Mitarbeiter an der Osaka Universität entwickeln1, und die These nachzuweisen, die schon in der Neuzeit von Naturrechtslehrern vorausgesetzt wurde, dass Rechte und Pflichten eines Menschen davon anhängen sollten, in welchem Zustand er lebt und welche soziale Rolle er trägt.

2.

Die Definition der vier Beziehungen bei HOZO ^

2.1.

Die «is-a»-Beziehung ^

[2]

Diese Beziehung lässt sich einfacher als die anderen definieren. Sie entsteht zwischen einem abstrakten Begriff und den ihm zugeordneten konkreten Gegenständen. Beispielsweise gibt es zwischen dem Begriff «Mensch» (M) und dem Gegenstand «Adam» (m1) eine «is-a»-Beziehung, weil Adam ein Mensch ist. Man kann diese Beziehung auch als folgende Menge beschreiben:

M (m1, m2, m3 ...)

Darst. 1: Die «is-a»-Relation

2.2.

Die «part-of»-Beziehung ^

[3]

Meines Erachtens sollte man die «part-of»-Beziehung durch die is-a-Beziehung definieren. Das heißt, man kann sie formulieren, indem man die Elemente der is-a-Beziehung umordnet. Hier möchte ich ein Beispiel anführen. Vorausgesetzt, dass in der Welt nur Adam (m1) und Eva (m2) leben, dann lässt sich ohne Zweifel sagen, dass der Kopf von Adam ein Teil von ihm und der Kopf von Eva ein Teil von ihr ist («part-of»). Diese Erklärung gilt ebenso für ihre Hände, Füße und Rümpfe. Deshalb kann man Adam (m1) und Eva (m2) auf die folgende Weise als zwei voneinander getrennte Mengen beschreiben:

m1 (k1, h1, f1, r1)

m2 (k2, h2, f2, r2)

[4]
Nun möchte ich den neuen Begriff «Mensch» (M) einführen und es ist einleuchtend, dass sowohl Adam als auch Eva ein Mensch ist («is-a»).

M (m1, m2) = M ((k1, h1, f1, r1), (k2, h2, f2, r2))

[5]
Aus dieser Formulierung folgt, dass zwar die Menge (k1, h1, f1, r1) Teile eines Menschen bedeutet, d. h., Adam ist ein Mensch, aber k1 ist kein Mensch. Denn niemand kann sagen, dass der Kopf von Adam ein Mensch ist. Diese Erklärung gilt auch für h1, f1, r1 und ebenso für die Teile von Eva (k2, h2, f2, r2). Daraus folgt als erste Regel:
  • Regel 1: Wenn eine Menge etwas als Element enthält, bedeutet dies nicht immer, dass das Element ein dieser Menge zugeordneter konkreter Gegenstand («is-a») ist.
[6]
Trotz dieser Regel kann man jedoch sicher im Allgemeinen feststellen, dass der Kopf ein Teil des Menschen ist. Deshalb möchte ich mich jetzt mit dem Problem befassen, wann eine «part-of»-Beziehung entsteht. Da der Begriff «Mensch» im abstrakten Sinne keinen konkreten Kopf als «ein Teil» haben kann, sollte man noch einen neuen Terminus vorbringen, nämlich «Kopf» im abstrakten Sinne (K), der als eine Menge konkreter Köpfe aufgefasst wird.

K (k1, k2)

[7]
Wenn man diese Idee auch auf Füße etc. anwendet, dann lässt sich die obige Formulierung des Menschen auf die folgende Weise beschreiben:

M ((k1, k2), (h1, h2), (f1, f2), (r1, r2)) = M (K, H, F, R)

[8]
Kurz gesagt versteht man unter dem Satz «Der Kopf ist ein Teil des Menschen», dass der Mensch als eine übergeordnete Menge (M) den Kopf als eine untergeordnete Menge (K) umfasst («part-of»). Aus der bis hier gezeigten Tatsache ergibt sich die zweite Regel:
  • Regel 2: Ein abstrakter Begriff kann nur abstrakte Begriffe als Teile haben.
[9]
Eine «part-of»-Beziehung entsteht entweder zwischen abstrakten Begriffen, z. B. zwischen dem Menschen im Allgemeinen und dem Kopf im abstrakten Sinne, oder zwischen konkreten Gegenständen, z. B. zwischen Adam und seinem Kopf.

Darst. 2: Die «part-of»-Relation

2.3.

Die «attribute-of»-Beziehung ^

[10]

Die «attribute-of»-Beziehung entsteht zwischen einem Gegenstand und seinen Eigenschaften, die dieser durch die Zusammensetzung der Bestandteile automatisch erhält, z. B. Gewicht, Farbe etc. Ein Unterschied zwischen dem Bestandteil («part») und dem Attribut («attribute») ist, dass man Bestandteile sammeln und zusammensetzen muss, um einen Gegenstand zu bilden, wohingegen es nicht notwendig ist, Attribute noch dazu hinzufügen. Wenn man bspw. ein Fahrrad herstellen möchte, dann muss man zwar Räder, den Lenker, den Rahmen, die Kette usw. sammeln und zusammensetzen, aber man braucht nicht nach dem Zusammensetzen noch ein Gewicht hinzufügen, weil das Fahrrad per se ein Gewicht hat.

[11]

Darst. 3: Die «attribute-of»-Relation

2.4.

Die «role»-Beziehung ^

[12]

Wenn man einen sozialen Zustand in Betracht ziehen möchte, dann ist es nötig, den Begriff «Rolle» einzuführen. Da eine Rolle weder ein Bestandteil («part») noch ein Attribut («attribute») ist, sollte man sie von den beiden getrennt betrachten. Wie Mizoguchi und seine Mitarbeiter richtig erklären, hat eine «role»-Beziehung keinen Einfluss auf die Existenz eines Gegenstandes. Wenn ein Fahrrad z. B. ein Rad verliert, dann sollte man es nicht mehr als ein Fahrrad ansehen oder zumindest für ein unvollständiges Fahrrad halten, wohingegen ein Mann noch immer ein Mann ist, wenn er seine soziale Rolle verliert.

Darst. 4: Die «role»-Relation

3.

Die Definition des Rechts bei Christian Thomasius ^

3.1.

Die Definition des Rechts durch Gesellschaft ^

[13]
Wenn man unter dem Wort «Recht» (ius) kein Gesetz, sondern ein Attribut von Menschen, mit dem man gesetzmäßig etwas besitzen oder machen kann2, dann setzt das Recht in diesem Sinne eine Gesellschaft bzw. andere Leute voraus, weil jedes Recht unmittelbar und primär nur Menschen als Inhalt hat3. Der andere Begriff «Pflicht» (obligatio) wurde von Thomasius als ein entsprechender Gegenstand bezeichnet, den jedes Recht haben muss4.
[14]
Thomasius definierte deshalb das Wort «Gemeinschaft» (societas) als «eine Vereinigung von mehreren Personen für einen bestimmten Zweck» (unio plurium personarum ad certum finem)5. Seiner Meinung nach gibt es zwei Gemeinschaftsformen, nämlich «eine natürliche Gemeinschaft» (societas naturalis), die aus einem natürlichen Nutzen entsteht, und «eine willkürliche Gemeinschaft» (societas arbitraria), die Menschen aus verschiedenen eigenen Zielen organisieren6. Was die erste Form betrifft, gibt es drei grundliegende Beziehungen, das heißt, die Beziehung zwischen Ehegatten, zwischen Herrschenden und Unterwerfenden oder zwischen Eltern und Kindern7. Aus diesen fundamentalen Beziehungen entstehen gemischte Gemeinschaften, zum Beispiel eine Familie, eine Stadt, ein Staat usw8.

3.2.

Ein Beispiel: Die Ehegemeinschaft bzw. die Familie ^

[15]
Obwohl Väter, Mütter, Kinder usw. alle Menschen sind, haben sie verschiedene Rechte und Pflichten. Nach Thomasius habe «der Hausvater» (paterfamilias) das Recht, die Mitglieder der Familie zu bestrafen, wohingegen es ihm als Pflicht aufgetragen werde, sie zu unterhalten.
[16]

Ich möchte jetzt die Frage stellen, ob das Erziehungsrecht und die Unterhaltspflicht oder etwas anderes ist. Wenn man die obige Definition des Rechts in Betracht zieht, dann kann man sagen, dass beide Attribute dem Vater zugeordnet sind, weil der Begriff «Recht» ein Attribut des Menschen ist und die Pflicht ihm entspricht. Also kann man dies mit HOZO wie folgt darstellen:

Darst. 5: Die Visualisation der Thomasianischen Familie

[17]

Diese visualisierte Definition sieht auf den ersten Blick überzeugend aus, doch ich möchte auf ein Problem hinweisen, indem ich dem Bildteil des Vaters ein anderes Attribut hinzufüge, an dem nicht zu zweifeln ist:

Darst. 6: Die drei Attribute des Vaters

[18]
Aus diesem Bild stellt sich die Frage, ob es richtig ist, die Körpergröße mit dem Recht und der Pflicht bei dem gleichen Attribut einzuordnen. Meiner Meinung nach ist diese Gleichsetzung ontologisch falsch. Denn es gibt zwischen dem ersten Attribut in der sechsten Darstellung und den anderen Attributen einen ontologischen Unterschied, das heißt, die Körpergröße ändert sich immer mit der physikalischen Änderung des Körpers, wohingegen die Änderung des Rechts oder der Pflicht nicht dazu führt. Kurz gesagt kann man das Problem folgendermaßen formulieren: Wenn das Recht ein Attribut des Menschen wäre, wäre es unerklärlich, warum weder die Entstehung noch das Erlöschen des Rechts die Existenz des Menschen beeinflusst, wie die Körpergröße.
[19]
Worin liegt der grundlegende Fehler? Ich möchte nicht die Voraussetzung negieren, dass das Recht ein Attribut ist, sondern daran zweifeln, dass das Attribut dem Menschen an sich gehöre. Wenn das Attribut kein Attribut des Menschen an sich ist, dann ist es verständlich, dass die Änderung des Rechts zur Änderung des Menschen nichts beiträgt, weil dazwischen keine unmittelbare Beziehung vorhanden ist.
[20]
Zu welchem Attribut das Recht zählen sollte, ist noch zu erklären. Meines Erachtens ist das Recht ein Attribut, das von sozialen Rollen abhängt. Das obige Beispiel kann man etwa so erklären: Das Erziehungsrecht ist ein Attribut der sozialen Rolle des «Vaters» und diese Rolle hat zurzeit Peter inne. Anhand dieser Erklärung ist es gelungen, das Recht als Attribut anzusehen und zugleich keine direkte Beziehung zwischen Peter und dem Erziehungsrecht aufzubauen.
[21]
Ein Vorteil dieser Formulierung zeigt sich auch darin, dass die Frage beantwortet wird, wie Peter das Erziehungsrecht bekommen oder aufgeben kann. Weder der Erwerb des Rechts noch die Ablehnung der Pflicht lässt sich willkürlich begründen. Peter kann nicht behaupten, dass er ein Erziehungsrecht hat, weil er es so will, und es ist auch unerlaubt, die Unterhaltspflicht nur deswegen abzulehnen, weil er sein Kind nicht unterhalten will. Das Recht ist ein Attribut von sozialen Rollen, nicht ein Attribut physikalischer oder mentaler Zustände. Da die Rollen, aus denen Rechte und Pflichten entstehen, sozial sind, braucht Peter eine Anerkennung von anderen Leuten, um sein Recht zu erhalten oder seine Pflicht zu verweigern.

3.3.

Ein Vorschlag zur Verbesserung der Visualisierung ^

[22]

Aufgrund der oben entdeckten Tatsache kann man sowohl die Thomasianische Formulierung des Rechts als auch die Visualisierung von HOZO verbessern. Wenn man von der Körpergröße als Attribut des Menschen spricht, dann zeigt uns HOZO das folgende Bild:

Darst. 7: Die Körpergrösse des Vaters

[23]
Angesichts dieses Bildes sollte man die Beziehung zwischen Peter und seiner Körpergröße wie folgt auslegen, dass die Linie, die «Körpergröße» und «Peter» miteinander verbindet, unmittelbar an «Peter» anknüpft und deshalb die «Körpergröße» ein direktes Attribut von «Peter» ist.
[24]

Wenn man jedoch vom Erziehungsrecht als Attribut spricht, dann zeigt uns HOZO das folgende Bild:

Darst. 8: Das Erziehungsrecht des Vaters

[25]
Zu diesem Bild kann man nicht sagen, dass die Linie, die zwischen Peter und seinem Erziehungsrecht vorhanden ist, direkt an Peter anknüpft. Denn wie schon oben erklärt ist das Recht kein Attribut des Menschen an sich sondern ein Attribut der sozialen Rolle, nämlich hier der Rolle des Vaters.
[26]
Also gibt es ein Problem mit der Visualisierung durch HOZO darin, dass man den Unterschied zwischen dem natürlichen und dem juristischen Attribut nicht darstellen kann, den auch Thomasius bei der Definition des Rechts übersah. Deshalb möchte ich hier vorschlagen den Editor zu verbessern, sodass sich dieser Unterschied reflektieren lässt, indem man die Linie, die sich vom Attribut ausdehnt, nicht nur an den Träger der Rolle sondern auch an die Rolle an sich anknüpfen kann.

4.

Ergebnis ^

[27]
Aus den obigen Erklärungen folgt, dass sowohl Rechte als auch Pflichten, die man lediglich in einer Gemeinschaft haben kann, kein Attribut des Menschen an sich, sondern ein Attribut der sozialen Rollen sind. Man sollte auch bei der Visualisierung diesen Unterschied in Betracht ziehen.

5.

Literatur ^

Thomasius, Christian, Institutiones jurisprudentiae divinae, Neudr. d. 7. Aufl. Halle 1730, Scientia Verlag: Aalen 1963

Thomasius, Christian, Fundamenta juris naturae et gentium, Neudr. d. 4. Aufl. Halle 1718, Scientia Verlag: Aalen 1963


 

Takashi Izumo, Gast des Max-Planck-Institutes für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt am Main, Deutschland.

  1. 1 http://www.hozo.jp/
  2. 2 Christian Thomasius, Institutiones jurisprudentiae divinae, Neudr. d. 7. Aufl. Halle 1730, Aalen : Scientia Verlag, 1963, lib. 1. cap. 1. §. 82., S. 17.
  3. 3 Thomasius, IJD, lib. 1. cap. 1. §. 90., S. 18.
  4. 4 Christian Thomasius, Fundamenta juris naturae et gentium, Neudr. d. 4. Aufl. Halle 1718, Aalen : Scientia Verlag, 1963, lib. 1., cap. 5., §. 23.
  5. 5 Thomasius, IJD, lib. 1. cap. 1. §. 91., S. 18.
  6. 6 Thomasius, IJD, lib. 1. cap. 1. §. 95., S. 19.
  7. 7 Thomasius, IJD, lib. 1. cap. 1. §. 96., S. 19.
  8. 8 Thomasius, IJD, lib. 1. cap. 1. §. 97., S. 19.